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Harald Klauhs: Dame wider Willen#

Bild 'Klauhs Tobisch'

Harald Klauhs: Dame wider Willen. Die sieben Leben der Lotte Tobisch. Residenz Verlag Salzburg. 256 S., ill., € 28,-

Was verbindet die "Opernball-Lady" Lotte Tobisch (1926–2019) und den streitbaren Theologen Adolf Holl (1930-2020)? Die beiden außergewöhnlichen Persönlichkeiten haben denselben Biographen, Harald Klauhs. Der Germanist und Historiker war u. a. Verlagslektor, Redakteur bei „Die Furche“ und „Die Presse“. 2017 erhielt Klauhs den Publizistikpreis der Stadt Wien. 2018 erschien Holl. Bilanz eines rebellischen Lebens. Zusammen mit Walter Famler ist der Autor Herausgeber der Werkausgabe von Adolf Holl.

Dame wider Willen ist die erste umfassende Biografie von Lotte Tobisch, die 15 Jahre lang (1981-1995) den Wiener Opernball organisierte. Man nannte sie "Ballmutter" und "Grande Dame Österreichs" und wurde der Vielseitigen damit nicht gerecht. Schon in jungen Jahren Burgschauspielerin, pflegte sie den Austausch mit bedeutenden Intellektuellen des 20. Jahrhunderts wie dem Philosophen Theodor W. Adorno, dem Literaturnobelpreisträger Elias Canetti oder dem Religionshistoriker Gershom Scholem. Belesenheit, Schlagfertigkeit und soziales Engagement zeichneten sie aus. Stets war es ihr wichtig, ihre Talente für andere einzusetzen. Es war ihre Form der Rebellion gegen die Welt, aus der sie kam, die sie zur österreichischen Königin der Herzen werden ließ.

Lotte Tobisch-Labotyn entstammte dem niederen Adel. Ihre Mutter, Nora Anna Josefine Maria Krassl von Traissenegg war die Tochter von Friedrich Krassl, Gesellschafter einer Prager Metallwarenfirma, die sich zum Konzern entwickelte. Dessen Vater, Johann Anton Krassl, wurde 1913 in den erblichen Ritterstand erhoben und erhielt das Prädikat "von Traissenegg". Lotte Tobischs Großvater war ein strenger Patriarch. Nora Krassl wollte der Familie entfliehen - wie damals für "höhere Töchter" üblich, durch Heirat. Sie, die als schönster Teenager der Wiener High Society galt, verliebte sich Hals über Kopf in den Architekturstudenten Karl Tobisch von Labotyn. Wie zu erwarten, war der Vater gegen die Ehe. Ein veritabler Familienkrach folgte, aber die Hochzeit fand statt. Bei der Geburt von Lotte war ihre Mutter 20 Jahre jung und mit der Erziehung heillos überfordert. Das lebhafte, wache Kind, bezeichnete sich später selbst als "unerziehbar" und "Albtraum" für ihre Mutter.

Harald Klauhs nennt seine äußerst lesenswerte Biografie Die sieben Leben der Lotte Tobisch, sein Buch hat jedoch acht Kapitel. Das dritte übertitelt er Jugend im dritten Reich. Es erzählt von den Noras neuem Ehemann, dem Zuckerindustriellen Gustav Lederer, der Österreich 1938 gerade noch rechtzeitig verlassen konnte und 1949 nach Wien zurückkehrte. Detailliert schildert der Exkurs Die Akte Lederer die Situation. Lotte verlor vorübergehend ihren Stiefvater, doch kehrte ihr leiblicher Vater, der zwischenzeitlich in Russland gelebt hatte, zurück. All die Geschehnisse rund um ihre Väter müssen für die gerade einmal zwölfjährige Lotte nahezu traumatisch gewesen sein. … Nach den bedrückenden Erlebnissen des Jahres 1938 ist es verständlich, dass sie immer tiefer in die Phantasiewelt des Theaters eintauchte. Nachdem sie wegen ihres Benehmens mehrfach die Schule wechseln musste, kam sie in das bayrische Landeserziehungsheim von Hermann Harlems. In ihm fand sie ihren geschätzten "Pappi drei". Das Institut im Schloss Marquartstein war für seine reformpädagogischen Ansätze bekannt. Trotzdem wurde Lotte auch hier gekündigt. Inzwischen hatte sie ihre Liebe zum Theater entdeckt und hätte fast ein Stipendium aus Berlin erhalten. Doch zu dieser Förderung durch das NS-Regime kam es nicht mehr - und im Nachhinein war sie darüber sehr froh.

Das Idol der 17-jährigen war der "ungekrönte König des Burgtheaters" Raoul Aslan (1886-1958). Bald zählte sie zu seinen Privatschülern. Mit ihm erlebte sie im Burgtheater den Fliegerangriff, nach dem die Wiener Innenstadt in brennenden Trümmern lag. Einen Monat später fanden im Rathaus erste Gespräche zwischen Österreichern und Russen statt. Ein Major verlangte, dass am 1. Mai 1945 im Burgtheater eine Aufführung stattfinden müsse. Das war nicht möglich, doch, wie sich Tobisch erinnerte, war es bei den Russen nicht sehr ratsam zu sagen, das geht nicht. Pünktlich spielte man Grillparzers "Sappho" Im Varieté Ronacher. Inzwischen war der Dramaturg Erhard Buschbeck (1889-1960) provisorischer Leiter des Burgtheaters geworden.

Der 37 Jahre ältere war der Mann, von dem Lotte Tobisch sagte dass er das Glück ihres Lebens gewesen sei. Das Paar verbrachte 13 gemeinsame Jahre. Nach seinem Tod kehrte Tobisch an das Burgtheater zurück und lernte ihren zweiten Lebensgefährten, den israelischen Botschafter in Wien, Michael Simon (1901-1976), kennen. Aber das Glück ihrer zweiten großen Liebe währte nicht lange.

Das 6. Kapitel von Lotte Tobischs abwechslungsreicher Biografie nennt Harald Klauhs Hundejahre. Ihre Kollegin Susi Nicoletti schenkte ihr überraschend den Welpen Dagobert. Er wuchs zum größten und schönsten Boxerrüden von ganz Wien heran und wurde der treue Begleiter der Trauernden. Noch ahnte sie nicht, dass er ihr auch eine wahre "Hundefreundschaft" eintragen würde. Diese begann, als Dagobert Vater der blütenweißen Boxerhündin Bianca wurde. Diese gefiel dem damals Noch-nicht-Bundeskanzler Bruno Kreisky. Schließlich schenkte ihm Tobisch den jungen Hund - eine weitere Episode als Freundin bedeutender Männer. Die Burgschauspielerin wollte nie als "Muse berühmter Gelehrter" gesehen werden, sondern als Mensch, der offenbar dazu geeignet ist, ein guter Freund zu sein. Auf diese Freundschaften, besonders mit Theodor W. Adorno, ihr Künstlerleben auf der Bühne, in Radio, Film und, als Managerin und Schriftstellerin, sowie den Kontext der 60er und 70er Jahre geht der Biograf ausführlich ein.

Nach einem Vierteljahrhundert sollte die "Ballmutter" Christl Schönfeldt abgelöst und der Opernball neu organisiert werden. Wie Lotte Tobisch das - nach anfänglicher Weigerung und einer keineswegs reibungslosen Übergabe - schaffte, ist noch gut in Erinnerung. Ebenso die wiederkehrenden Demonstrationen gegen den "Bonzenball" und die Auseinandersetzungen mit Staatsoperndirektor Ioan Holender. Des Öfteren beschwerte sich Lotte Tobisch darüber, dass sie in der Öffentlichkeit fast ausschließlich mit dem Opernball in Verbindung gebracht wurde. Das war in der Tat ungerecht, hatte es davor doch spannendere Phasen in ihrem Leben gegeben. Der "k. u. k. Ball der Republik" 1996 wurde zu ihrem rauschenden Abschiedsfest. An der Logenbrüstung stehend, warf sie zum Fernsehent Radetzky-Marsch, der das Ballende verkündete, rote und weiße Nelken in den Ballsaal. Ihre Fans dankten es ihr mit Kusshänden. Und dann ertönte die Melodie von Raimunds Couplet "Brüderlein fein". "Die Presse" kommentierte den Abschied: … Sie dreht sich um und geht. Sie kam vom Theater, darf man nicht vergessen.

Dem Theater im weitesten Sinne blieb Lotte Tobisch bis zu ihrem Lebensende treu. Sie übernahm die Leitung des Altersheims von "Künster helfen Künstlern" in Baden. Dort starb sie am 19. Oktober 2019 im Alter von 93 Jahren. Damit war ein Leben zu Ende gegangen, das geistig den Bogen spannte von der Monarchie bis ins 21. Jahrhundert. … In jedem Fall ist mit ihr ein Stück Österreich dahingegangen.

hmw