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Bernhard Hachleitner und Julia König (Hg.): Das Plakat in der Stadt#

Bild 'Plakat'

Bernhard Hachleitner und Julia König (Hg.): Das Plakat in der Stadt. 100 Jahre Plakatsammlung der Wienbibliothek im Rathaus. Residenz Verlag Salzburg. 256 S., ill., € 32,-

Die Plakatsammlung der Wienbibliothek im Rathaus feiert ihren 100. Geburtstag. Am 27. Juni 1923 bat der damalige Finanzstadtrat der Stadt Wien, Hugo Breitner, den Direktor der Städtischen Sammlungen mittels Dienstzettel um Nachricht, ob es denn in Wien eine Stelle gebe, die strukturiert die Plakate der Stadt sammle. Die Direktion, die dies verneinen musste, nahm das Schreiben als Auftrag, mit genau dieser Sammeltätigkeit zu beginnen, schreiben die Herausgeber im Jubiläumsband.

In diesem Jahrhundert ist die Sammlung auf 400.000 Plakate angewachsen und umfasst, da viele aus mehreren Bogen bestehen, rund eine Million Einzelteile. Grundsätzlich werden alle in Wien affichierten Plakate archiviert und Neuzugänge digitalisiert. Rund die Hälfte des Bestandes ist in der Online-Suchmaschine recherchierbar. Jährlich kommen 7.000 Stück dazu. Das Format liegt zwischen DIN A4 und 24 m². Das älteste Exemplar stammt aus dem Jahr 1781, das jüngste aus 2023, die meisten aus der Zeit nach 1945. Die Lagerung erfolgt, in Mappen und Rollen sortiert, in einem Außendepot am Stadtrand. Starken Zuwachs brachte 1975 das historische Archiv der Gewista mit 25 Tonnen Papier. Die Gewista (Gemeinde Wien Städtisches Ankündigungsunternehmen) entstand 1921 als Magistratsabteilung. 2002 wurde JCDecaux Mehrheitseigentümer der Gewista, die nun Teil des größten europäischen Out of Home-Unternehmens ist. In Wien betreut die Firma 15.000 Plakatstellen 1.600 Litfaßsäulen und 11.000 Citylights.

Der Jubiläumsband zeigt ein Promille der Bestände der Sammlung. Er ist kein wissenschaftliches Werk, sondern wie eine Plakatwand bunt und abwechslungsreich, kreativ und überraschend. Herausgeber sind Bernhard Hachleitner, von dem kürzlich ein Buch über den Nordwestbahnhof erschienen ist, und die Leiterin der Plakatsammlung, Julia König. Sie gliedern ihr Buch in drei Kapitel und chronologisch aufgebaute Bildblöcke. 13 AutorInnen widmen sich den Themenschwerpunkten Stadtgeschichte im Spiegel des Plakats, sowie Sichtbarkeit im öffentlichen Raum und Plakate. Sammeln und Bewahren. Die Abbildungen zeigen eine Auswahl aus den Gebieten Politik, Produktwerbung und Kultur.

Im ersten Kapitel beleuchten Bernhard Hachleitner und Werner Michael Schwarz, Kurator im Wien Museum, die Wirkung der Plakate im Stadtraum. Die Kommunikations- und Werbewissenschaft zählt das Plakat zu den Medien der Massenkommunikation, da es sich nicht an individualisierte EmpfängerInnen, sondern an ein unbestimmtes Publikum wendet. Schon 1909 erkannte man, dass die Wirkung des Mediums "kaum vermeidbar" und in der Lage sei, etwas "an einem Tag" bekannt zu machen. Der in der Nationalbibliothek tätige Kulturwissenschaftler Christian Maryska spricht in seinem Beitrag vom Versuch der Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit. Obwohl Anschlagzettel schon früher, besonders im Revolutionsjahr 1848, eine wichtige Rolle spielten, war es doch die Ringstraße, die diese Art der Werbung förderte. Planken an Baustellen boten reichlich Flächen und nach Fertigstellung des Boulevards gab es Platz für Ankündigungspavillons und Litfaßsäulen. Der Leiter der Druckschriftensammlung der Wienbibliothek, Franz J. Gangelmayer schreibt über Bestrebungen und Methoden, das Affichieren unerwünschter Botschaften zu verhindern. Rudolf Hübl, selbst aus der Praxis des "wilden" Plakatierens kommend, schildert, wie sich die Nutzung von Freiräumen dafür in den letzten Jahrzehnten entwickelte.

Susanne Winkler, im Wien Museum für Fotografie und Stadtgeschichte zuständig, betrachtet das Plakat im Spiegel der Fotografie. Diese zeigt die Auswirkungen des Plakatierens auf das Stadtbild vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Der Medienwissenschaftler Vrääth Öhner analysiert, wie Plakate zu Protagonisten - ob als Statisten oder Darsteller - in Filmen über Wien wurden. Julia König berichtet von Bestrebungen in den Nachkriegsjahren, durch Ausstellungen das künstlerische Niveau der großformatigen Gebrauchsgrafik zu heben. Julius Deutschbauer, "der Papierene", nützt das Medium, um sich in Szene zu setzen und aktuelle Themen zur Diskussion zu stellen. Der Künstler und Designer Otto Mittmannsgruber teilt seine Erfahrungen mit kooperativen Kunst-Plakat-Projekten in verschiedenen europäischen Städten. Universitätslektor Peter Putz dokumentiert in einem "ewigen Archiv" seinen persönlichen Blick auf die "Verschandelung" und "Verschönerung" von Plakatwänden.

Franz J. Gangelmayer und Julia König erzählen die Geschichte der Plakatsammlung in der Wienbibliothek. Als Hauptaufgaben nennen sie Sammeln, Bewahren, Erschließen und Vermitteln. Die Kunsthistorikerin Bianca Havel stellt die Sammlungsstrategien anderer Wiener Plakatsammlungen, wie jene der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt, der Nationalbibliothek, der Albertina, des Wien Museums, des MAK, des Filmmuseums und politischer Parteien vor. Julia König setzt den Blick über die Grenzen - nach Deutschland, in die Schweiz, nach Italien, Slowenien, Ungarn, in die Slowakei und nach Tschechien fort. Abschließend widmet sich die Leiterin dem Weg des Plakats, Nachleben und Nutzung als Teil der Sammlung.

Bleibt am Ende der Betrachtung der Highlights aus einem Jahrhundert Wiener Plakatgeschichte die Frage: Wie würde die Stadt ohne öffentliche Werbung aussehen? Die Antwort gaben im Juni 2005 die Künstler Rainer Dempf und Christoph Steinbrener in einer Aufsehen erregenden Aktion unter dem Titel "Delete! Die Entschriftlichung des öffentlichen Raums" … Für zwei Wochen wurden in der Wiener Neubaugasse alle öffentlichen Botschaften, Geschäftsschilder, Hinweistafeln oder Plakatflächen mit gelben Folien verhüllt. Die Aktion konnte als ein Statement gegen die Kommerzialisierung des Stadtraums, gegen die Dominanz der Werbung im ästhetischen Stadtbild verstanden werden.

hmw