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Roman Sandgruber: Pretty Kitty und die Frauen der Rothschilds#

Bild 'Sandgruber'

Roman Sandgruber: Pretty Kitty und die Frauen der Rothschilds. Molden Verlag Wien. 304 S., ill. € 36,-

Geld allein macht nicht glücklich. Das mussten auch Mitglieder der Familie Rothschild erfahren. Der Stammvater, Mayer Amschel Rothschild (1744-1812), gab in seinem Testament die Leitlinie vor: "Rothschild sollte eine auf die männlichen Nachkommen beschränkte Familiengesellschaft sein und bleiben. … Alle sollten sich verpflichten, das Geld auch durch ihr Heiratsverhalten in der Familie zu halten." Der Gründer der Dynastie und seine Frau Gutle, geb. Schnapper (1753-1849) hatten 19 Kinder, von denen fünf Töchter und fünf Söhne überlebten. Der jüngste, James, nannte seine Frau (und Nichte) "ein wichtiges Stück Möbel." Geheiratet durfte nur innerhalb der Großfamilie werden. Das machte etliche Frauen zutiefst unglücklich. Andere verstanden es, sich zu arrangieren: Sie waren Stilikonen der 1920er- und 1930er-Jahre, gehörten zu den elegantesten Erscheinungen der Wiener Gesellschaft und waren internationale Celebrities: schön, aufregend, maßlos teuer, kunstsinnig, weltgewandt, modebewusst, extravagant, stark und emanzipiert.

So charakterisiert der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Roman Sandgruber die reichen und schönen Damen, über die bis vor kurzem eher wenig bekannt war. Der "Spiegel"-Bestsellerautor zeichnet in seinem jüngsten Werk fünf faszinierende Portraits, in bewährter Weise zugleich fundiert und lesefreundlich. Mit "Reich sein" (2022) konnte man schon in die glamouröse Welt der vorletzten Jahrhundertwende eintauchen. "Rothschild" wurde zum Wissenschaftsbuch des Jahres 2019 gekürt und auch "Pretty Kitty" ist dafür nominiert.

Die Diva "Kitty de Rothschild" (1885-1946), wie sie 1928 ein Foto signierte, war "eine wirklich besondere Frau: eine blendende Unterhalterin und selbstbewusste Persönlichkeit, die sich in drei ganz verschiedenen Kulturen zu bewegen und zu behaupten wusste." Katharina/Catherine/Kitty geb. Wolf(f) war die Tochter eines deutschen Arztes und Chemikers, der nach Philadelphia (USA) auswanderte. Mit 19 Jahren heiratete sie den 24 Jahre älteren Ingenieur und Börsenhändler Dandridge Spotswood, einen nahen Verwandten des ersten US-Präsidenten George Washington. Sieben Jahre später verehelichte sie sich mit dem Grafen Erwin Schönborn-Buchheim, der einer der reichsten Adelsfamilien der Donaumonarchie entstammte. Die "bildschöne junge Frau" fand rasch Anschluss in die Wiener und ungarische Aristokratie. Nach kurzer Zeit hatte sich das Paar auseinander gelebt. Der erste Weltkrieg war ausgebrochen und die Monarchie zerfallen.

1925 heirateten Kitty Schönborn-Buchheim und Eugen Rothschild, der damit einen revolutionären Schritt tat. Seine Braut war nicht nur eine zweimal geschiedene Katholikin, sondern auch keine Rothschild. "Aber es wurde trotzdem eine glückliche Ehe, wohl auch, weil Geld für einen Rothschild nicht wirklich ein Problem darstellte." Von seinem Onkel Nathaniel (1836-1905) hatte Eugen das komfortabel ausgestattete, 800 Jahre alte Schloss Enzesfeld mit seinem herrlichen Park und Ländereien geerbt. Für Kitty wurde es zur "Herzensangelegenheit". 1936 durften die Schlossbesitzer einen speziellen Dauergast begrüßen: Den englischen König Edward VIII. Seine Regentschaft dauerte weniger als ein Jahr. Angeblich verzichtete er wegen seiner Beziehung zur bürgerlichen Wallis Simpson auf den Thron. Roman Sandgruber nennt die wahren Gründe: "Hinter dem Rücktritt des Königs standen handfeste politische und familiäre Interessen, das Ringen um Einfluss innerhalb der königlichen Familie und der Richtungsstreit um eine Annäherung oder Abgrenzung zum hitlerischen Deutschland." Enzesfeld erschien für den abgetretenen König als ideales Refugium, um die Zeit bis zum Abschluss von Simpsons Scheidungsverfahren zu überbrücken. Es dauerte 15 Wochen, die man in Saus und Braus verbrachte.

Aus England stammte auch Kittys Schwägerin, die Abenteurerin Clarice Montefiore (1894-1967). Sie zählte 18 Jahre, als sie in der Londoner Zentralsynagoge den wesentlich älteren Baron Alfons Mayer Rothschild (1848-1942) heiratete. "Es gab jedenfalls von Anfang nie einen Zweifel, wer das Heft in dieser Ehe in der Hand hatte. Alfons war klein von Wuchs, still und bescheiden bis zur Selbstverleugnung, weise und gelehrt wie ein alter Rabbi … Clarice war da ganz anders. … Sie hatte alles, was das Herz begehrt: Aussehen und Reichtum, Paläste, Landsitze, schöne Kunstwerke und fabelhaften Schmuck … eine passionierte Reiterin, Golferin und Jägerin." Nicht nur in den eigenen riesigen Revieren brachte sie Wild zur Strecke. Das Ehepaar unternahm weite Reisen - etwa nach Kenia und in den Sudan - und frönte der Großwildjagd. Er schoss dabei 135, sie 157 Tiere. Die Exzentrikern Hilda Auersperg (1895-1981) entstammte einer der angesehensten Familien der Habsburgermonarchie. Doch "sie kümmerte sich wenig um aristokratische Konventionen, was in ihren - aus aristokratischer Sicht unangemessenen - Ehen zum Ausdruck kam." Zwei ihrer Partner waren geadelte Juden, einer ein französischer Millionenerbe und Lebemann. Alle drei waren enthusiastische Polospieler, Hilda dürfte sie bei dieser Gelegenheit kennen gelernt haben. Otto Pollak von Parnegg, war Eigentümer eines der größten Textilkonzerne Mitteleuropas. Die Ehe kriselte schon nach kurzer Zeit. Wenige Wochen nach der Scheidung folgte Auguste-Olympe Hériot, "Amateurboxer, Degenfechter, Polospieler, Rudersportler und gut aussehend. … Er galt als eine der prominentesten Partien im Paris der Goldenen Zwanziger Jahre. 'Eine Schönheit, die alles besitzt und deshalb nur noch unglücklicher ist.' " In der Leopoldstadt ließ er eine Jahrhundertwende-Villa mit allem erdenklichen Luxus umbauen und ausstatten. Dazu kam 1933 ein von "Bauhaus"-Architekten entworfenes avantgardistisches Gästehaus. Als Haustier hielt das Ehepaar einen Leoparden. Erst 1946 heirateten Hilda Auersperg und Louis Rothschild (1882-1955) im amerikanischen Exil.

Die stille Valentine Rothschild (1886-1969) war gehörlos. "Das war auch der Grund, dass sie ganz anders war als ihre Schwägerinnen und auch ihre Brüder … Die Traditionen ihrer Familie bedeuteten ihr viel. Aber das Verhältnis zu ihren Brüdern blieb gespannt. Sie scheute die Öffentlichkeit und hasste große Gesellschaften. Noch in der Trauerzeit nach ihrem Vater heiratete sie den Bankier Adolf Springer. Er profitierte davon, da er in hohe Positionen der Rothschild-Firmen einsteigen konnte. Seine Frau lebte mit den beiden Kindern zurückgezogen in ihrem Landstraßer Palais. Das Familienglück war nicht von langer Dauer, weil Adolf Springer bald starb. Die Witwe war karitativ sehr engagiert. Sie besaß außer dem Stadtpalais das Schloss Sitzenberg (Niederösterreich), eine Villa in Wildalpen (Steiermark) und ein Areal in Seehof (Niederösterreich), wo sie sich ein Landhaus errichten ließ. Als britische Staatsbürgerin konnte sie 1939 ungehindert ausreisen.

Die Industriellentochter Aline "Liny" Ringhoffer (*1891) war eine "verborgene Rothschild-Frau". Die Diskretion war so mächtig, dass sogar Roman Sandgruber auf die Geliebte "vergessen" hat. Erst jüngst auf sie aufmerksam gemacht, widmet er ihr nun ein besonders spannendes Kapitel. "Die langjährige Freundschaft und Beziehung zwischen Aline "Liny" Ringhoffer und Louis Rothschild wurde vor der Öffentlichkeit strengstens abgeschirmt. … Die Partnerschaft zwischen Aline und Louis war zweifellos heikel. Louis Rothschild war mosaisch, Liny Ringhoffer evangelisch, war aber mit Baron Friedrich Ringhoffer katholisch verheiratet. Eine Scheidung hätte die streng katholische Familie Ringhoffer auf keinen Fall dulden wollen. … Noch heikler wurde die Angelegenheit, als die Nationalsozialisten Liny 1938 als Geisel zu benutzen versuchten, um Louis zu erpressen und zur Herausgabe seiner Vermögen zu zwingen."

Das Schicksal der Rothschilds und ihrer Gemahlinnen "auf der Flucht" und "in Amerika" bildet die letzten beiden Kapitel des faszinierenden, auch grafisch ansprechenden Buches. "Glücklich waren sie alle nicht, weder die Männer, noch die Frauen. Das Schicksal meinte es zwar lange gut mit ihnen. Doch die Flutwellen des Nationalsozialismus und die Folgen eigenen Verschuldens schwappten über sie hinweg. … Im Famlienimperium der Rothschilds, in dem Frauen keinen Platz haben sollten, blieb zuletzt auch für Männer kein Raum. Es gab keine männlichen Nachfolger mehr."