Gerhard Zeillinger - Martin Reingruber: Das Ybbstal#
Gerhard Zeillinger - Martin Reingruber: Das Ybbstal. Von Amstetten bis Lunz - in alten Ansichten. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach. 132 S. ill., € 26,90
Lange Zeit war das Ybbstal eine der heimlichen Landschaften in Österreich. Die Fertigung spezieller Eisenwaren, die Holzbeschaffung und die kleinteilige Landwirtschaft für den Provianttransport prägten jahrhundertelang das Leben in der Region. … Erst mit der Eisenbahn … rückte das Ybbstal für Reisende in erreichbare Nähe. So beginnen der Historiker Gerhard Zeillinger und der Ybbsitzer Marktarchivar Martin Reingruber ihr Buch über eine der schönsten Kultur- und Naturlandschaften Niederösterreichs. Die beiden Autoren, die in der Gegend zuhause sind - Gerhard Zeillinger veröffentlichte (mit Martin Pollak) in der Edition Winker-Hermaden 2019 das Buch "Das alte Amstetten", Martin Reingruber war langjähriger Amtsleiter der Gemeinde Ybbsitz - laden zur nostalgischen Zugfahrt ein. Die Strecke verlief vorbei an hohen Felswänden oder dicht am Wasser der Ybbs, in rumpelnden Waggons.
Die Reise beginnt in Amstetten, wo 1872 eine Zweigstrecke der Kronprinz-Rudolf-Bahn in Betrieb ging. Das heutige wirtschaftliche Zentrum im westlichen Niederösterreich gilt als Tor zum Ybbstal und war als Sommerfrische gefragt. Im 20. Jahrhundert veränderte die Industrie das Bild der - seit 1972 - Großgemeinde. Zu dieser zählen Mauer-Öhling mit der 1902 eröffneten, damals vorbildlichen, Landes-Heil- und Pflegeanstalt, Ulmerfeld mit dem Schloss, von dem im Mittelalter die Kolonisation der Gegend ausging, und der von der Papierfabrik geprägte Ort Hausmening.
Allhartsberg liegt an und über der Ybbs. Die Pfarrkirche, seit dem 15. Jahrhundert eine Stiftspfarre von Seitenstetten, steht mit Gemeindeamt und Schule auf einer Anhöhe. Die Bahnstation befindet sich im tiefer liegenden Ortsteil Kröllendorf, wo sich ein Schloss und die Mutterkirche der Wallfahrtsbasilika auf dem Sonntagberg erheben.
Kematen ist die jüngste Marktgemeinde im Ybbstal. Sie verdankt ihre Bedeutung der Papier- und Zellulosefabrik. Diese war im 19. Jahrhundert ebenso ein Ansichtskartenmotiv wie die 33 m hohe und 106 m lange Brücke. Die damals größte steinerne Straßenbrücke des Bundeslandes ist bis heute wichtig. Über sie läuft der gesamte Verkehr durch das Ybbstal.
Der Sonntagberg ist das weithin sichtbare Wahrzeichen des Mostviertels. Von der auf 712 m gelegenen Basilika kann man fast das ganze Viertel überblicken. Die Kirche trägt das seltene Patrozinium der Heiligen Dreifaltigkeit und ist seit dem 15. Jahrhundert ein bedeutendes Pilgerziel. Sie wurde in der Barockzeit prächtig ausgestattet und zog, besonders damals, Scharen von Gläubigen und Touristen an. Der Kirchweiler Sonntagberg mit seinen Gasthäusern bildet als Ansichtskartenmotiv ein unverwechselbares Ensemble. Im Ortsteil Böhlerwerk errichteten die Brüder Emil und Albert Böhler 1872 eine Werkzeugfabrik, die sich schnell zu einem führenden Industrieunternehmen entwickelte.
Waidhofen an der Ybbs ist das Zentrum der Niederösterreichischen Eisenwurzen. Die Stadt war schon um 1200 ein bedeutender Wirtschaftsort. Durch die Nähe zum Erzberg etablierte sich ein wichtiger Wirtschaftsraum - allein in Waidhofen wurden um die Mitte des 16. Jahrhunderts 20 Prozent der europäischen Eisenproduktion abgewickelt. Der erhalten gebliebene Häuserbestand bezeugt den einstigen Reichtum der Stadt, der sich auch in einem besonderen Bürgerstolz der Hammerherren äußerte. Der geschlossene Ortskern besteht seit dem späten Mittelalter, dominiert vom massiven Stadtturm aus dem Jahr 1532. Der Blick flussabwärts gegen das Schloss Zell hat schon die Landschaftsmaler im 19. Jahrhundert angeregt, später bildete die Zeller Hochbrücke ein beliebtes Postkartensujet.
Das auf 440 m Seehöhe gelegene Ybbsitz verdankt seinen Aufstieg dem Stift Seitenstetten. Das Stift sorgte für die Ansiedlung von Schmieden: Schon 1437 wird Ybbsitz die "uralte Werkstatt" genannt, die hier erzeugten Produkte waren auf den europäischen Märkten gefragt. Von dieser Tradition lebt der Ort bis heute. Und natürlich von der Schönheit seiner Landschaft. Das einst stiftliche Amtshaus auf dem Marktplatz wurde zum Museum FeRRUM. Die Noth südlich von Ybbsitz ist ein Naturdenkmal, das die Biedermeiermaler begeisterte.
Das Gemeindegebiet von Opponitz erstreckt sich links und rechts der Ybbs versteckt in einem Seitental. Hier mündet der Opponitzbach ein, der für die Hammerwerke zur Lebensader wurde. Die Bezeichnung "wildromantisch" für das obere Ybbstal trifft im Bereich um Opponitz noch heute zu. Der Flussabschnitt vor der Sommerfrische wird als "kleines Gesäuse" bezeichnet. Blühende Obstbäume auf Ansichtskarten motivieren zum Sommerurlaub.
Hollenstein nennt sich "Perle des Ybbstals". Ein alter Reiseführer lobte die beliebte und viel besuchte Sommerstation mit vielen angenehmen Spaziergängen und Ausflügen. Der Ort besteht aus 14 Gemeinden und hatte sechs Haltepunkte der Ybbstalbahn. Der Treffenguthammer war einer von mehreren Zerrennhämmern, die Raueisen zu schmiedbarem Eisen verarbeiteten. Bis ins 20. Jahrhundert in Betrieb, ist er zur Schauschmiede geworden.
St. Georgen am Reith bildet die kleinste Gemeinde des Tales. Die Landschaft wird als anmutig, offen und freundlich beschrieben. Die Ybbs zieht vor dem Ort eine malerische S-förmige Schleife. Eine Druckleitung über den Fluss bringt Wasser zum Kraftwerk Opponitz.
Göstling an der Grenze zur Steiermark ist die südlichste und flächenmäßig größte Gemeinde im Ybbstal, über 2000 Einwohner leben in den 13 Ortschaften der Marktgemeinde, die zu 85 % bewaldet ist. … Auch der Wintertourismus in einer schneesicheren Region spielt bis heute eine große Rolle. Im Sommer galt das Flussbad, trotz des 14° kalten Wassers als Attraktion. Es war tief und bis auf den Grund klar. Göstling ist untrennbar mit der Rothschild-Dynastie verbunden. Sie stiftete ein Kinderasyl und eine Volksschule. Das Jagdschloss im Ortsteil Steinbach galt als lohnendes Ausflugsziel. Albert Rothschild war ab 1872 der größte Grundbesitzer Niederösterreichs, im Ybbs- und Erlauftal gehörten ihm über 28.000 Hektar Wald. In Waidhofen an der Ybbs, wo er Ehrenbürger war, hinterließ er ein Schloss samt Elektrizitätswerk im Park.
In Lunz am See befand sich der Stammsitz der Familie Kupelwieser. Zu ihnen bestanden auch wirtschaftliche Beziehungen. Der Jurist Karl Kupelwieser erwarb 1897 das Gut Seehof-Hirschtal. Auf seinem Mustergut züchtete er Pferde, Rinder und Fische und experimentierte mit Nutzpflanzen. Er förderte die Forschung, besonders die Naturwissenschaften und richtete im Seehof die Biologische Station Lunz ein. In 'Lunz' geht die nostalgische Bilderreise zu Ende. Die Berge stehen vor der Tür, der See ist nur wenige Minuten entfernt und lädt auf der Seebühne auch zum Kulturgenuss ein. Seit langem loben Sommerfrischen-Führer die freundliche, windgeschützte Lage, die abwechslungsreichen Spaziergänge und zahlreichen Ruhepunkte. Nur die Bahnlinie, die touristische wie wirtschaftliche Bedeutung hatte, gibt es nicht mehr. 2010 wurde der Schienenstrang durch das obere Ybbstal stillgelegt. Als nach der Einstellung des Bahnbetriebs auch die Schienen abgebaut wurden, wurde gleichsam eine Lebensader aus der Landschaft herausgerissen. Eine Wunde blieb zurück, eine erkennbare Fehlstelle, bedauern wohl nicht nur Gerhard Zeillinger und Martin Reingruber.
