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DIE HERKUNFTSDISTANZ#

In der Gesellschaft trägt die Tatsache, daß jemand »aus gutem Haus«, der Sohn oder die Tochter von... ist, ohne Zweifel in einem jeweils verschiedenen Grad zur Wertschätzung bei. Institutionalisiert wurde diese Schätzung der Herkunft im Adel. Feudale Herkunft verleiht sogar einen Titel, der den Träger in eine hierarchische Ordnung besonderer Art einreiht. Die Adelshierarchie ist eine durch einen Erbtitel fixierte Herkunftshierarchie. Die Einstufung erfolgt zunächst durch den graduierenden Titel. Neben diesem Prinzip ist das »Alter der Familie«, der »Stammbaum«, bedeutsam. Dazu kommen noch die speziellen Leistungen der Vorfahren, die einen besonderen Hintergrund für das Selbstbewußtsein geben.

Der Adel ist die Kaste im Vollsinn, da bei ihm die Herkunft die entscheidende Rolle spielt. Das Unter-sich bei der Heirat ist für die meisten Geschlechter verpflichtend. Schon das Kind in der Wiege besitzt die entscheidenden Werte, ohne noch irgendeine Leistung vollbracht zu haben. Das Kind ist einfach schon deshalb wertvoller, weil es das Kind »von ...« ist. Natürlich spielt die Herkunft auch dort eine Rolle, wo es sich nicht um eine adelige Familie handelt. Doch interessieren in diesem Fall nur die Eltern, die Großeltern sind schon weitgehend uninteressant. Wer fragt etwa bei einem Nobelpreisträger nach Vater oder Großvater!

In den USA fühlen sich die Nachkommen der mit der »May-flower« Eingewanderten als Aristokratie. Gerade in diesem Fall ist es völlig uneinsichtig, worin die höhere Qualität dieser Personen bestehen soll. Hier kann weder von einer qualifizierten Erbsubstanz noch von einem speziell qualifizierten Milieu die Rede sein. Und doch wird hier eine Qualifikation beansprucht. Ein besonderes Vorkommnis im Leben eines Vorfahren qualifiziert die Nachkommen für unabsehbare Zeit. Ähnlich irrational ist jede Herkunftswertung bestimmt; wir dürfen also in den verschiedenen Theorien zur Rechtfertigung von Erbtiteln getrost Versuche sehen, einen aus ganz anderen Quellen stammenden Anspruch zu begründen.

Die rationale Basis der Herkunftswertung ist relativ schmal. Verabsolutiert man diesen Wert, so muß man eine rationale Begründung dafür entweder in absolut wirkender Vererbungsmechanismen suchen oder auf okkulter Basis in der Annahme einer Seelenwanderung oder in Mythologien (Abkunft vom Sonnengott - das japanische Kaiserhaus).

Anders steht es, wenn man dem Milieu, in dem der einzelne aufwächst, einen entscheidenden Einfluß einräumt. Beim konkreten Adeligen finden wir fast immer beide Komponenten, die Vererbung und das Milieu, wirksam. Psychologisch viel intensiver erforscht und durchdacht als das Problem der Vererbung ist die Wirkung des Milieus. Viel direkter als durch Vererbung werden Haltungs- und Handlungsformen weitergegeben. Werden z. B. innerhalb der Erziehung irgendwelche mehr oder weniger berühmte Ahnen als Vorbilder herausgestellt, dann erfolgt natürlich leicht eine Identifikation mit diesen. Analoge Wirkungen gehen von den Symbolen der Familienwappen aus. Ähnliche Eigenschaften, die diese ausdrücken, werden gepflegt und kultiviert, und die Umwelt entdeckt bemerkenswerte Analogien zwischen den »starken Ahnen« (jenen, die zur Identifikation einladen) und dem Verhalten der Nachfahren. Das gleiche gilt von den Wappensprüchen. Diese Identifikationen stärken einerseits bestimmte Verhaltensweisen, andererseits aber schneiden sie die Entwicklung anderer Möglichkeiten ab, die vielleicht ebenfalls in der Erbsubstanz angelegt waren. In Grenzfällcn kann dieser Vorgang zur Sterilisierung produktiver Kräfte führen

In der typischen Vererbungsmythologie gerät zum Beispiel ein Königskind durch entsprechende Umstände in ein niederkastiges Milieu - trotzdem verrät es schon sehr bald königliche Verhaltensweisen, ähnlich wie in Lortzings »Zar und Zimmermann« der Zar »das Schwert schon als Kind« so gerne schwang und »Gefährten und Diener« mit seinem Blick »bezwang«. Einen solchen Fall würde man als Psychologe gerne einmal zu Gesicht bekommen. Abgesehen davon muß man die Tatsache berücksichtigen, daß ein angenommenes Kind immer - bewußt oder unbewußt - anders behandelt wird als ein eigenes. Wird z. B. ein Prinz aus verschiedenen Gründen einfachen Pflegeeltern anvertraut und behandeln ihn diese nun mit »heiliger Scheu«, dann hat die Erziehung natürlich ein anderes Ergebnis, als wenn sie das Kind eines Verbrechers aufziehen und jederzeit erwarten, daß bei ihm die »verbrecherischen Anlagen« durchbrechen. Auf diese Weise helfen die Erwartungen der Pflegeeltern mit, den Menschen zu formen.

Aber auch das umgekehrte Schema gibt es. Wir finden es etwa bei der Erzählung von Moses, der, von einfacher israelitischer Abstammung, im Hause des Pharao aufgezogen wird und zuletzt seiner Erziehung entsprechende Formen aufweist. Wir kommen darauf noch in anderem Zusammenhang zurück. Daß das Milieu in Adelsfamilien einen besonders eigentümlichen Stil aufweist, darüber besteht wohl kein Zweifel. Ob dieses Milieu jedoch einen Einfluß ausübt, der den Erfordernissen der Gegenwart in besonderer Weise Rechnung trägt, muß mit guten Gründen bezweifelt werden. Sicherlich werden hier pietätvoll Werte konserviert und gepflegt, eine Internationalität des Horizonts etwa. Die harte persönliche Leistung, das Herausbilden der speziellen individuellen Möglichkeit der Person jedoch erfahren im typisch adeligen Milieu keine Pflege. Sie stellen aber Eigenschaften und Tendenzen dar, die für die gegebene Wirkliehkeit der heutigen Welt von großer Bedeutung sind.

Herkunft gibt besondere Chancen vielfältiger Art. Neben den Anlagen und dem Milieu, auf das wir schon hinwiesen, führt die partielle Identifikation mit seinen Vorfahren zu erhöhter Wertung innerhalb der Gesellschaft, die dem Nachkommen deshalb Protektion und anderes gewährt. Allerdings muß man hier vorsichtig sein: man erwartet umgekehrt auch wieder von den Söhnen berühmter Väter, daß sie die Leistungen des Vaters nicht erreichen. Diese Erwartung stellt ein Hindernis zur Erlangung hervorragender Positionen dar. Natürlich geht es dabei ebenfalls um ein Vorurteil, das nicht verallgemeinert werden dürfte.

Herkunft stellt also ohne Zweifel einen Wert dar, doch läßt sich ihre Institutionalisierung durch Erbtitel und Endogamie nicht rechtfertigen.

Die Herkunft als fundierender Wert der Person schlechthin wurde nur von einer einzigen Versuchsperson anerkannt. Bezeichnenderweise ist die Versuchsperson keine Adelige. Ihre Mutter ist aber »stark aristokratisch«« gewesen. Die Mutter war jedoch auch keine Aristokratin sondern »in Diensten von Aristokraten«. Gerade in dieser Funktion findet sehr häufig eine starke Identifikation mit der Herrschaft statt. (Auch hierauf kommen wir noch zurück). Die Bediensteten nehmen das aristokratische Ideal auf, und dieser sekundäre Aristokratismus erweist sich nun als zählebiger und exzessiver als das primäre. Es handelt sich um die Versuchsperson 2/305, die nur das als positiv gelten läßt, was durch Generationen gewachsen und geworden ist. Während alle getesteten Adeligen bürgerliche Leistungsideale aufgenommen haben, finden wir hier auf dem Lakaiensektor noch ein rein aristokratisches Ideal. Die Versuchsperson, eine Angestellte mit100 Handelsschulbildung, leistet sich den Luxus, selbstverständlich in sehr begrenztem Rahmen, Mäzen zu spielen und sich mit Stilmöbeln einzurichten, Fixierung des Althergebrachten. Andererseits entspricht der gleichen Haltung, daß sie keinen komplexhaften, neurotischen Ehrgeiz in sozialer Hinsicht entwickelt, daß sie nicht vom Willen, vorwärts zu kommen, getrieben ist und auch nicht mit Minderwertigkeitsgefühlen auf ihre Position reagiert. Sie will keine Aristokratin sein, vertritt aber das Ideal der durch mehrere Generationen gewachsenen Basis. Vom Bauern sagt sie zum Beispiel:

»Ein echter Bauer ist ein Edelmann. Ich liebe Bauern, wenn sie echt sind (!), wenn sie nicht Herren sein wollen.« Beim Stichwort »Arbeiter« produziert sie folgendes:

»Ich liebe Arbeiter, und sie sind nicht meine Feinde, und sie mögen mich auch gern. Ich hab' etwas übrig für Menschen, die wirkliche Arbeiter sind, die nicht etwas anderes werden wollen. Arbeiter, die über ihren Stand hinauswollen, die sind ekelhaft, das sind diese sozialdemokratisch aufgeplusterten Leut'.«

Auch beim Akademiker kommt ihr Faible für traditionelle Gewachsenheit ganz deutlich zum Ausdruck. Sie lehnt den Akademiker scharf ab, und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß es sich dabei um Personen handele, die emporgekommen seien, die nur studiert hätten, um etwas zu werden, die nicht mehr natürlich und traditionsverbunden seien.

"Gegen die Akademiker hab' ich was. Die Akademiker sind verderbt, sie sind von der Natur weg, sie sind auch in sittlichen Dingen verderbt, die sind nicht rein, sie sind nicht klar, sie sind eingebildet und sie sind überheblich.« Hier trifft ihr traditionelles Ideal, ähnlich wie gegenüber Geschäftsleuten, auf eine von ihrem Standpunkt her gesehen sehr gefährliche Gruppe. Denn gerade bei den Akademikern spielt ie Herkunft eine geringe Rolle. Immerhin verwirft sie die Akademiker nicht insgesamt. Sie erwähnt, daß es auch sympathische Akademiker gäbe: wenn sie aus »guter Familie« stammten und »selbstverständlich« studiert hätten.

Man konnte die ganze Untersuchung hindurch beobachten, daß die Versuchsperson bei jedem Begriff, der einen auf die Kaste tendierenden Aufforderungscharakter besitzt, eine Unterscheidung vornimmt. Sie äußert sich nie generell über den typischen Arbeiter, den typischen Akademiker, sondern differenziert nach zwei Richtungen, wobei sie allerdings letzten Endes dazu neigt, die gesamte Gruppe nach dem ihr affektiv bedeutsamer erscheinenden Teil mit einem weitgehend verallgemeinernden Werturteil zu belegen. Die Kriterien dieser Echtheit sind: organische Gewachsenheit, traditionelle Fundierung und archetypische Entsprechung. Diesen Unterschied macht sie sogar bei der ihr am meisten verhaßten Gruppe, den Geschäftsleuten, die für sie das »Unsympathischste« (sind), »was je passieren kann«. Aber sie fügt dann hinzu: »Die alten, die aus Dynastien herauskommen, das sind kultivierte Geschäftsleute, die auch oft einen Verlust auf sich nehmen, um jemand eine Chance zu geben.«

Die Versuchsperson hat etwas übrig für das Dynastische, das zur Reinkultur Entwickelte. Und in diesem Sinn ist der zunächst als Widerspruch auffallende Gegensatz zwischen ihrer Vorliebe für das Vitale (die anläßlich ihrer Bewunderung für den Bauern und den Arbeiter durchbricht und in einem ganz drastischen, offen sexuellen Anspruch gipfelt: »An Holzknecht möcht i haben.«) und ihrer Zuneigung zum Hochgezüchteten, zum Adeligen gar kein Widerspruch, sondern ein polarer Gegensatz. Es stellt bloß die Extreme ein und derselben Reihe, die sie als Ideal introjiziert, in sich hineingenommen hat, dar. Das affektive Kastensystem der Versuchsperson sieht also ganz anders aus als das bekannte. Es entspringt einer Wurzel, aus der sich ihre ganze Einstellung erklären läßt. Diese Wurzel ist die Introjektion eines aristokratischen Ideals. Am besten drückt ihre Einstellung wohl die Assoziation zu »Elite« aus:

»Sind Pferde, die hochgezüchtet sind; alles, das hochgezüchtet ist, ist wunderbar.«

Sie lehnt dynamische Veränderungen der Gesellschaft ab und wünscht die Fixierung des gesellschaftlichen Status auf Generationen hin, die endogamische Abkapselung der Kasten untereinander.

Anders die Reaktion der Aristokraten selbst. Keiner der von uns untersuchten fünf Aristokraten verabsolutiert die Herkunftswertung und wagt auf Grund seiner Herkunft offen zu erklären, die kastenhafte Tendenz von Bevölkerungsgruppen sei berechtigt. Die größte Neigung zur Verabsolutierung von Herkunftswerten zeigt der Graf 2/517. Er meint zu Adel:

»War ursprünglich gedacht als eine Elite des Volkes, sowohl der geistigen als der politischen, als auch der Kriegselite. Bis 1848 immer in erster Reihe des politischen und militärischen Lebens. 1848 eine Revolution des Bürgertums. Quasi beleidigt zog sich der Adel von jeglicher politischer Betätigung zurück. Daher heute weltfremd vmd altertümlich. Es sind Bestrebungen im Gange, den heutigen jungen Adel wieder in das politische Geschehen einzugliedern.«

Der »Graf« ist für ihn »ein Mensch, der eine gewisse Erziehung mitgemacht hat, eine traditionelle Erziehung, die eben diesen Schichten eigen ist, eine Bildung hat, die vielleicht überdurchschnittlich ist, eine Intelligenz und ein Wissen, das vielleicht kaum über dem Durchschnitt steht, maximal vielleicht durchschnittlich ist, außer es ist jemand besonders befähigt für etwas, und ich hätte nicht das Gefühl, daß er besonders reich ist... und vielleicht viele Sprachen spricht. Er würde sich wie mit einem Bruder benehmen. Beim Essen eine reine Konversation, wie es eben in diesen Gesellschaftsschichten üblich ist. Es würde wahrscheinlich sehr viel über Familie gesprochen werden, über nächste Anverwandte und über meine und seine nähere und weitere Familie, wahrscheinlich sehr viel über Politik.«

Es gibt nach ihm zwar auch »wahrscheinlich Gruppen, die auf mich herunterschauen. Das ist eine österreichische Spezialität. Er nimmt den Adeligen als gegeben hin, mit einem immer noch im Blut stekckenden Traditionalismus fühlt er den Adeligen ober sich. Aber andererseits lächelt er über ihn und verachtet ihn auch in gewissen Schichten. Zum Beispiel der Arbeiter vielleicht und ausgesprochene Moneymaker-Kreise, weil er absolut nicht diese Geisteshaltung dieser Leute hat.«

Die Versuchsperson spürt also die Prestigekonkurrenz der ausgesprochenen Selfmademen. Auch der Arbeiter gehört für ihn dazu. Schon zu Hause gab es für diesen eine Form von Bewunderung:

»Mein Vater ist politisch und nationalökonomisch sehr interessiert. Er bewundert die Arbeiter besonders in Österreich, daß sie auf sehr unrevolutionäre Art ihre Stellung gefunden haben, und findet es sehr richtig, daß die Arbeiter gleichgestellt sein müssen; und er ist absolut der Ansicht, daß man die Arbeiter als eine sehr starke und sehr wichtige Gruppe, Bevölkerungsgruppe, anerkennen muß. Verächtlich gesprochen wurde über den Spießbürger, das ist aber keine Gruppe, sondern eine Spezifikation. Das ist heute der kleine Bürger mit sehr wenig Horizont, der typische Angestellte mit Maturabildung. Das ist das Niveau, über das verächtlich, ja beinahe verächtlich gesprochen wurde.«

Zwar muß man den Arbeiter anerkennen, das heißt, man tut es nicht gerne, aber man tut es doch mit einer gewissen Bewunderung. Die Arbeiter und die ausgesprochenen Moneymaker könnten einen sonst verachten. Die Aggression gegen den »Spießbürger« - die Bürger mit dem unedlen Spieß - erklärt sich wohl daraus, daß diese hinter den Mauern der Städte und neben den Wagen ihr Eigentum, das ja das Vehikel ihres Aufstiegs bedeutete, mit Erfolg gegen den Raubadel verteidigten und ihren Aufstieg erzwangen. Daß die verachtungsvolle Abwertung des historischen »Spießbürgers« noch im Adel nachwirkt, ist durchaus möglich, wenn man sieht, wie andererseits im Bewußtsein der Bauern noch ihre frühere Leibeigenschaft verankert ist.

Warum die Versuchsperson Angestellte mit Matura verachtet, wird nicht klar. Wahrscheinlich liegen bei ihr Ressentiments vor. Die »Halbgebildeten« dienen wohl als Prügelknaben anstelle von Akademikern, die als Bildungsparvenus in späterer Zeit die Fähigkeit besaßen, den Adel aus seinen Stellungen zu drängen. Die Versuchsperson ist Akademiker, das ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert. Sie meint zu »Akademiker«:

»Das ist ein Mensch, der die Hochschule besucht hat, der wahrscheinlich nicht sehr gebildet ist, der über ein gewisses Wissen verfügt. Es hängt davon ab, ob es ein Akademiker ist, der angestellt, besonders im Staatsdienst ist, der ist nicht sehr interessiert, geistig nicht sehr rege am geistigen Fortschritt nicht sehr interessiert. Wenn er in einem freien Beruf steht, wahrscheinlich außerordentlich, wird sich weiterbilden, wird versuchen, das Modernste zu wissen und zu können. Nachdem ich selbst Akademiker bin, wird er sich wahrscheinlich als Kollege benehmen. Eine gewisse Vorsicht, ein Prüfen, ein gegenseitiges ... im allgemeinen wird er mich anerkennen als Akademiker und als Kollege betrachten.«

Der Akademiker wird also die Versuchsperson »im allgemeinen« anerkennen, aber »als Kollegen«. Der freiberufliche Akademiker ist es, den die Versuchsperson anerkennt und von dem sie andrerseits anerkannt wird, allerdings nicht als Graf, sondern als Akademiker, und darauf legt die Versuchsperson offenbar Wert.

Sie stellt zunächst die eigene Kaste über alle anderen, wobei letzten Endes die Tradition ausschlaggebend ist. Genauer gesehen, spielt innerhalb der Tradition wieder das Geld die Hauptrolle, denn dieses ist es ja, das die traditionelle Erziehung - die beinahe als absoluter Wert gesetzt wird - ermöglicht. Ganz deutlich wird dies bei der nahestehenden Gruppe, den Industriellen, deren Reichtum die gleiche Möglichkeit zur Erziehung bot. Die traditionelle Erziehung wird zuerst an alle übrigen Stände als Maßstab angelegt, aber allein entscheidend ist sie nicht.

Die Sicherheit des Grafen gerät gegenüber dem Akademiker ins Wanken. Er versucht ihn möglichst niedrig einzureihen und zu beurteilen, aber wiederholt bricht doch durch, daß er ihn anerkennt und froh ist, als Akademiker nicht als Graf von ihm akzeptiert und als Kollege behandelt zu werden. Wir sehen hier ein deutliches Konkurrieren der Wertungen, denn der Wertmaßstab »traditionelle Erziehung« gerät, wie das Beispiel »Akademiker« zeigt, stark ins Wanken.

Der junge Mann betont also primär die Umweltserziehung, ist dabei aber in Richtung auf die Intellektuellen unsicher. Er bejaht die Kaste, erweitert jedoch die des Adels um die Industriellen, soweit bei ihnen seit mehreren Generationen großer Besitz in der Familie ist. Zugleich hat aber die Kastenschranke gegenüber den Intellektuellen eine unsichere Stelle, so daß die Versuchsperson die Abkapselung zumindest nach dieser Seite hin nicht gut zu rechtfertigen vermag.

Beim Grafen 2/214 ist dagegen die Herkunftswertung in den Hintergrund getreten, während im Vordergrund die bürgerlichen Wertungsmaßstäbe herrschen. Seine Assoziation zu »hochwohl-geboren« läßt schon die Ambivalenz erkennen.

»Nicht im zweiten Stock, früher hat man verstanden darunter in einem fürstlichen Haus geboren. Heute aus gutem Haus.«

Der witzige Anfang relativiert und bagatellisiert die Bedeutung des Reizwortes. Wenn der Graf sagt, daß man früher darunter aus »fürstlichem Haus« verstand, heute jedoch (bloß?) aus »gutem Haus«, so meint er damit einen Bedeutungswechsel im Blick auf die »Hochwohlgeborenheit« feststellen zu können. Die Bedeutung sank ab, man gibt sich heute mit weniger zufrieden. Seine Verteidigung des Adels - dies tut er noch nolens volens - ist ebenso ambivalent:

»Meistens ist es ja so: Die Vererbung ist ja kein Märchen, sondern sie ist halt. Das war ja eigentlich der Grundgedanke auch des Adels. Die Tüchtigen wurden ja praktisch geadelt. Wenn man das von seinem ursprünglichen Sinn her nimmt, so sind halt die Tüchtigen mit Amterln (Ämtern) betraut worden und diese Amterln. .. war eben der Adel. Die sind auch dann wieder abgesetzt worden. Bis der Adel dann erblich wurde. Der Gedanke des erblichen Adels war ja eigentlich nichts anderes, als daß man gesehen hat, diese Eigenschaften vererben sich ja doch in einem gewissen Sinn, aber auch - siehe Mendelscbe Erbgesetze - gibt's Aufspaltungen, daher wird auch einmal eben auch ein Ausschuß sozusagen hervorkommen. Das sind eben die, die man schlechthin als Bobby bezeichnet. Wer noch seine ursprüngliche Aufgabe und die Eigenschaften desjenigen, der geadelt wurde, damals auf Grund seiner Eigenschaften, noch geerbt hat, der wird eben seine Aufgaben erfüllen und wird eben auch eine gewisse Achtung und Respektierung beim Volk finden, ganz wurscht, welche Schichte: Ob es Arbeiter oder Bauern sind oder Geschäftsleute ... und der es nicht tut, wird eben diese Achtung nicht finden.«

»Meistens«, das heißt, nicht immer »ist halt« die Vererbung. Dies sagt er gleichsam entschuldigend. Die Tüchtigen wurden »praktisch« geadelt, also »theoretisch« nicht. Die Formulierung, daß man die »Tüchtigen mit Amterln« betraut, ist wieder eine Bagatellisierung durch Miniaturdialekt. Und zwar jener Ämter, die er lächelnd als »Amterln« bezeichnet. Da für ihn nun wiederum »diese Amterln« mit dem Adel identisch waren, relativiert er hiermit auch den Adel.

Danach kommt er auf den erblichen Adel zu sprechen, den eigentlich springenden Punkt. Daß bei ihm die Relativierung tiefer geht, zeigt seine offenbar ernstere Beschäftigung mit dem Vererbungsproblem: man kann sich nämlich auf die Vererbung nicht voll verlassen. Die Eigenschaften, die zum Ausfüllen der »Amterln« befähigen, vererben sich nur »in gewissem Sinn«. Es gibt nach Mendel »Aufspaltungen«. Zwar ist nicht klar, was er mit »Aufspaltungen« meint, denn mit dem Begriff können Vererbungstheoretiker nicht viel anfangen. Immerhin versucht er durch solche »Aufspaltungen« die Adelskarikatur, den Grafen Bobby, zu erklären.

So sehr die Figur des Grafen Bobby einen echten Realitätsbezug besitzt, so wenig läßt sie sich wohl durch Vererbung erklären. Sie ist vielmehr eine Karikatur jenes aristokratischen Typs, der nicht bereit ist, sich in der neuen gesellschaftlichen Situation verantwortlich einzusetzen, der vielmehr resigniert und dabei gutmütig blasiert näselt. Er baut sein Selbstbewußtsein auf die Vorfahren, weiß aber selbst nichts Rechtes zu beginnen. Ein Adeliger ist auf Grund der Vererbung genauso wenig gezwungen, ein Bobby zu werden wie eine Führematur. Wer sich beleidigt aus der Welt zurückzieht, wird auf die Seite geschoben. Ein Mensch jedoch, der sich wirklich bemüht, nach den Erfordernissen der Gegenwart zu leben, wird nie ein Bobby. 2/214 überschätzt also immer noch die Wirkung der Vererbung. Aber er verabsolutiert sie nicht. Würde er dies tun - wir kommen auf diese These noch zu sprechen - , müßte er erklären, daß ein Elternteil des Bobby nichtadeliger Herkunft sein müsse. Nun: Wer »seine ursprüngliche Aufgabe« und die »Eigenschaften« desjenigen, der geadelt wurde, »noch geerbt« hat, wird Achtung finden - auch die Aufgabe ist also zu erben. D. h., dies wird weitergegeben.

Die Versuchsperson hat eine Aufgabe - sie ist Gutsbesitzer - , die teilweise die alte Aufgabe des Adels ist. Wer nicht die Aufgabe sondern nur die Eigenschaften erbt, kann mit diesen Eigenschaften oft nichts Rechtes anfangen. Wenn er die Aufgabe erfüllt, wird er jedoch »eine gewisse (?) Achtung un Respektierung beim Volk finden«. In dieser Beziehung hat die Versuchsperson zweifellos recht, doch setzt eine Aufgabe nicht einen Adeligen voraus. Wahrscheinlich gebraucht sie deshalb de Ausdruck »ganz wurscht, welche Schichte«. Das heißt, mit Nachdruck: Bei allen »Schichten« ist das Problem dasselbe. Der aggressive Ton überdeckt wohl die Zweifel. Vielleicht gibt es doch Leute, denen man damit keine Achtung abringt. Mit diesem Zweifel mag die Versuchsperson recht haben, denn es wird Leute geben, bei denen das Ressentiment größer ist als die abgerungene Achtung.

Die Versuchsperson distanziert sich von jenen Standesgenossen, die keine Aufgabe erfüllen, die also mit Recht keine Achtung finden. Recht interessant ist auch die Einstellung zur Heirat:

»Das Heiraten war für mich bestimmt keine einfache Sache. Auf der einen Seite hätte mein Vater ungern gehabt, wenn ich eine... nicht aus unseren Kreisen geheiratet hätte. Es gibt auch gesellschaftlich sehr schwierige Situationen, die für beide Teile nicht angenehm sind. Und andererseits hätte ich nie eine Frau geheiratet, die nicht meine Auffassungen über die ganzen Dinge hat. Was man so schlechtweg als Bobby bezeichnet, das hätte ich nie getan. Frau aus nichtadeliger Familie?) Ich würde mich mit ihr bestimmt genauso gut verstehen, aber es hätte gesellschaftlich große Schwierigkeiten in vielem. Es wär' für sie selbst auch nicht angenehm, ganz bestimmt. Es ist etwas, was ganz eigenartig ist, man kann es schwer definieren. Sagen wir, die adelige Gesellschaft von früher, die hält zusammen. Ich kann heute hingehen in jedes Land und wo ich will und werde in jede Familie Eingang haben. Ganz wurscht, ob ich nach Deutschland, England, Frankreich oder Italien fahre, erstens ist man irgendwie und irgendwo mit jemandem verwandt und hat zumindest Bekannte, die verwandt sind, und da gibt's ja den Gotha, wo die Familien drinnen sind. Früher die Familien haben ja riesig diese Sachen studiert direkt, so daß ich heute, wenn ich wohin komme - das hat ja auch wieder einen großen Vorteil - überall faktisch zu Haus bin irgendwie. Und dieser Gemeinschaftssinn ist natürlich immer ein gewisses ... es gibt Leute - mich persönlich stört's weniger - es ist da ein Geist drinnen, der irgendwie, wo man sagen könnte, das wäre irgendwie ein Kastengeist. Wenn ich einen seh, den ich nicht unbedingt für... diese starre Sache, was ich nicht ganz für richtig halte. Weil man doch die Leute mehr nach ihrem Charakter und ihren Eigenschaften (beurteilen soll) ... Aber das sind Sachen, über die ich auch nicht hinwegkann. Es gibt auch da Menschen, die würden das ausgesprochen fühlen lassen. Es könnte sein - angenommen, wir wären verheiratet - , daß jemand mit mir spricht, mit Ihnen nichts. Solche Leute gibt es auch. Sie müßte intelligent sein und ein Mensch, der sich auch für andere interessiert, als Frau des Gutsherrn hat man doch gewisse Verpflichtungen, und da muß sie eben die Sorgen der andern auch irgendwie verstehen. Das liegt nicht jedem. Eine Frau, wenn sie draußen auch ihre Pflicht erfüllen will, muß nicht nur schöne Kleider tragen können und französisch und englisch reden können, sondern sie muß auch ihre Pflicht erfüllen, indem sie eben die Betreuung ...«

Hier wurden einige sehr richtige Dinge gesagt. Zunächst mißglückte ihm eine Formulierung. Sein Vater hätte es »sehr ungern gehabt, wenn ich eine ...« »Bürgerliche« wollte er wohl sagen, unterläßt es aber, wohl aus Rücksicht auf die bürgerliche Psychologin. Er sagt auch nicht »Adelige«, sondern »aus unseren Kreisen«, was allgemeiner klingt. Es gibt gesellschaftlich schwierige Situationen. Er würde sich zwar mit einer Nichtadeligen »bestimmt genauso gut verstehen, aber es hätte gesellschaftlich große Schwierigkeiten«. Darin dürfte er uneingeschränkt recht haben, denn hier liegt wohl der Grund der manchmal unglücklichen »Mesalliancen«. Bei der Erklärung negativer Verhältnisse solcher Verbindungen wurde Ursache mit Wirkung verwechselt. Jene Menschen, die »Mesalliancen« eingingen, wurden verachtet, nicht weil man so schlechte Erfahrungen mit diesen Ehen machte, sondern man machte schlechte Erfahrungen, weil man jene verachtete, die sie eingingen.

Unsere Versuchsperson müßte einen Kampf mit ihrer ganzen Kaste führen, da sie sich die Verachtung der Frau nicht bieten lassen dürfte. (Dasselbe gilt auch von der angeblich so verderblichen Auswirkung der Rassenmischung.)

Der Graf fühlt sich überall in Europa zu Hause. Hat er nun eine Frau, die von allen Standesgenossen verachtet wird, fallen diese Vorteile weg. Daß er von seiner Frau verlangt, sie solle ihn in seiner Aufgabe als Gutsbesitzer unterstützen, ist nur recht und billig. De facto scheint der Mann in der ganzen Gegend beliebt zu sein, da ihm seine Mitarbeiter keineswegs gleichgültig sind. Was die Heirat seiner Kinder betrifft, so ist seine Auffassung viel weniger streng als die seines Vaters. Da er glaubt, daß Erziehung, Lebensauffassung und geistiges Niveau in engem Zusammenhang stehen, wird er es für wichtig halten, daß die Ehepartner seiner Kinder mindestens aus »gutbürgerlicher Familie« stammen, da jemand, der in »kleinem Milieu« aufgewachsen ist, »nicht aus seiner Kinderstube heraus« könne. Die Frage, ob er sich als künftige Gutsherrin auch eine Frau aus nichtadeliger Familie vorstellen könne, sei vorläufig unbeantwortbar, da »die Gesellschaftsordnung in einer großen Wandlung begriffen« sei. Die Ansicht, daß jemand nicht »aus seiner Kinderstube heraus könne«, ist wohl eine Rationalisierung, sie stimmt keineswegs in allen Fällen. Zweifellos wäre sein Widerstand gegen eine Nichtadelige ungleich geringer als der seines Vaters. Die Gründe, die für seinen Vater galten, haben keineswegs mehr das gleiche Gewicht. Die Gesellschaftsordnung ist »in einer großen Wandlung begriffen«, ohne Zweifel in Richtung auf Liquidierung - Auflösung der alten Schranken. Sollte also das Tempo der Zersetzung anhalten, wäre wohl gegen eine nichtadelige Gutsherrin nichts mehr einzuwenden.

Im Grunde ist die Einstellung dieses Mannes recht vernünftig. Da er eine echte Funktion in der Gesellschaft ausfüllt, hat er keine Arroganz nötig, wenn er auch nicht völlig frei von überkommenen Gruppenanschauungen ist. Doch ohne Zweifel hat ihm das Über-ich der Großgesellschaft seine Ablösung erleichtert. Denn im Gegensatz zu den Idealen seiner Erziehung steht das Ideal der Großgemeinschaft, das antikastenhaft ist. Seinem Sohn gesteht er daher noch mehr Freiheit zu. Das Selbstbewußtsein der Versuchsperson ist keineswegs nur von der Herkunft bestimmt, so daß er sich auch die Kritik an der eigenen Kaste leisten kann.

Die Herkunft als Wertmaßstab, vor allem aber die Erbtitel, werden ohne Zweifel vom größten Teil der Bevölkerung abgelehnt, wenn sie auch affektiv noch partiell akzeptiert werden. Gerne wird dieser Maßstab von jenen akzeptiert, die sich zu schwach fühlen, einen persönlichen Aufstieg durchzusetzen, und sich nun aus Ressentiment gegen die Selfmademen mit dem Adel identifizieren. Ihre Unzufriedenheit richtet sich gegen die neue Weltordnung, die alle vorhandene Ordnung durcheinanderbringt, und speziell gegen diejenigen, denen es gelungen ist, von unten nach oben zu kommen. Wenn ein solcher Aufstieg möglich ist, dann kann dies zur Folge haben, daß der unten Verbliebene verachtet wird. Dieser hat deshalb nur den einen Wunsch, der Hochgeborene möge allein die Stellung einnehmen, die ihm und keinem andern zusteht. Diese will er anerkennen, Hinaufgekommene aber nicht.

Der seine Haltung biedermännisch kaschierende Kleinbauer 2/316 reagiert:

»Es gibt natürlich scho no anständige Adelige, aber es gibt natürli a scho a (beide Gruppen befinden sich also in der Minderheit - wieder eine auf affektivem Weg entstandene Unlogik), mit denen momentan net viel los is; die Adeligen des hat se degeneriert heute.«

Daß es heute »scho no anständige Adelige« gibt, heißt unter anderem, daß es bald keine mehr geben wird. Der letzte Satz, »die Adeligen, des hat se degeneriert heute«, ist eine interessante Verdichtung zweier Aussagen. Die erste würde lauten: Die Adeligen sind heute degeneriert. Die andere würde lauten: Das Adelswesen hat sich heute degeneriert, das hieße, daß das gesamte Adelswesen heruntergekommen ist. Der Satz vereinigt beide Aussagen. Daß »momentan« mit ihnen »net viel los« ist, räumt den Adeligen immerhin für die Zukunft noch Möglichkeiten ein. Das widerspricht jedoch dem ersten Ansatz, daß es »scho no anständige Adelige« gäbe. In anderer Weise reagiert der Malermeister 2/319 auf »Gutsherr«, der für ihn mit einem Adeligen identisch ist: »Auf jeden Fall sans alle von die Raubritter.« Seine persönliche Ansicht ist eindeutig. Offenbar gefällt ihm die Rationalisierung seiner Aggressionen sehr gut, denn bei der Assoziation zu »Großgrundbesitzer« reagiert er ähnlich: »Na ja, des... die sind eigentlich, von früher stammt das Ganze noch, eben von die Raubritter, dann hat man sich das amal... dann Geschenke durch Kriegsführungen und so etc., net, das is auch erworben worden von fleißige Leut', die was Glück haben, net. Immer hängt das ab von den Menschen, wie er sich gibt, ob er jetzt reich oder arm is, net?« So ganz sicher ist er sich doch nicht, daß alle von »die Raubritter« abstammen. Die de facto bestehende Überlegenheit einzelner Adeliger will er also nicht wahrhaben und wartet deshalb mit »Raubrittern« auf, das heißt, er anerkennt die Herkunftswertung, versieht sie nur mit umgekehrten Vorzeichen. Die Herkunftsdistanz spielt schließlich bei allen Rassentheoretikern eine bedeutende Rolle. Denn auch bei diesen wird der Wert eines Menschen primär von seiner Herkunft bestimmt. Wir kommen darauf noch in anderem Zusammenhang ausführlich zurück.

Die Herkunft dient also als Kastenwert. Aber bei den meisten Personen erheben sich intensive Vorbehalte gegen eine solche grundsätzliche Position. Kastenhaftc Tendenzen liegen mit anti-kastenhaften im Widerstreit. Während die kastenhaften Tendenzen dazu drängen, auf Grund der Herkunftswertung zu distanzieren, drängen die andern dazu, »darauf keinen Wert zu legen«.

DISTANZIERUNGSZEICHEN #

Wir haben schon vereinzelt gezeigt, daß es eine Fülle von Merkmalen gibt, die die Menschen voneinander abheben, sie kennzeichnen und auszeichnen. Doch kann es nicht Aufgabe einer solch grundsätzlichen Arbeit sein, alle die oft sehr subtilen Kenn- und Anzeichen ins einzelne zu verfolgen. Besonders die nicht institutionalisierten Kennzeichen sind so zahlreich, daß man hier spezielle Untersuchungen ansetzen müßte, um sie einigermaßen zu katalogisieren.

So gilt Jagd und Reitsport als ausgesprochen vornehm - als durchaus zur Feudaltradition gehörend. Tennisspielen ist vornehmer als Schwimmen, ähnlich das Golfspiclen, doch nicht aus Feudaltradition, sondern unter anderem, weil es teure Sportarten sind. Solche inoffiziellen, jedoch außerordentlich wichtigen Distanzierungszeichen und Gruppenstempel sind so zahlreich, daß wir uns mit einigen Andeutungen begnügen können.

Die Kaste hat also zur Abhebung von der übrigen Bevölkerung eine Reihe von Kennzeichen, die nicht einfach mit Berufscharakteristika - etwa weißem Mantel und Hörrohr beim Arzt - identisch sind. Andererseits kann natürlich ein Berufscharakteristikum zum Kastensymbol werden, wenn einmal die Berufsgruppe zur Kaste wird. Die in der Vergangenheit als Proletariatskennzeichen übliche Schirmmütze, die die 'Genossen' von den Nichtgenossen abheben sollte, steht jedoch in keinem funktionellen Zusammenhang mit den proletarischen Berufen. Aber auch der Zylinder und der Smoking haben meist keinerlei funktionellen Sinn in den Berufen derer, die sie tragen.

Die Kastenkennzeichen stellen einen höchst komplexen Sachverhalt dar - , von traditionellen Leitbildern, die auch nationale Akzente besitzen können, als auch von Berufskennzeichen. Wenn einmal das Französischsprechen zu den oberkastigen Kennzeichen gehörte, während Deutsch zur »Sprache der Fuhrknechte« deklassiert wurde, so setzte sich später das englisch-aristokratische Gentlemanideal durch, das wieder bestimmte Kleidung forderte und einige neue Vokabeln in die deutsche Sprache brachte, wie etwa das Wort »fair«.

Die Brille als Abzeichen der Intellektuellen - manchmal wird einer wegen seiner Brille für intelligenter gehalten als er ist - ist nur inoffizielles Gruppenzeichen, da es unter den Intellektuellen eine größere Zahl von Brillenträgern gibt als unter den Nichtintellektuellen. Natürlich wird die Brille vor allem infolge affektiver Besetzung zum Kastensymbol. Sie kann jedoch auch durch die Eigenart ihrer Gestaltung bestimmte Gruppenqualitäten zum Ausdruck bringen. Es gibt Personen, die sich um des intellektuellen Aussehens willen, ohne daß es wirklich erforderlich wäre, Brillen anschaffen.

Als ein Beispiel inoffizieller Gruppenmerkmale sollen uns einige Sätze Ludwig Thomas dienen: »Wir haben vom Kondukteur ein Rauchcoupe verlangt und sind in eins gekommen, wo schon Leute darin waren. Ein dicker Mann ist am Fenster gesessen und an seiner Uhrkette war ein großes silbernes Pferd. Wenn er gehustet hat, ist das Pferd auf seinem Bauch getanzt und hat gescheppert. Auf der anderen Bank ist ein kleiner Mann gesessen mit einer Brille, und der hat immer zu dem Dicken gesagt, Herr Landrat, und der Dicke hat zu ihm gesagt, Herr Lehrer. Wir haben es aber auch so gemerkt, daß er ein Lehrer ist, weil er seine Haare nicht geschnitten gehabt hat.« Das silberne Pferd stellt ein inoffizielles Symbol für den »Landrat« dar, dessen Titel ein offizielles Rangsymbol ist. Auf der andern Seite ist der Titel »Lehrer« das offizielle, seine Brille das inoffizielle Rangsymbol. Die beiden Burschen haben ein Rauchercoupe genommen, weil sie das Rauchen für ein Kennzeichen von Erwachsensein hielten. Die Charakterisierung des Lehrers ist natürlich aus der Aggression des Schülers zu erklären.

Als offizielle Rangsymbole kennen wir Titel, Uniformen mit entsprechenden Kennzeichen, Auszeichnungen und Orden. Die Rangsymbole stellen eine hierarchische Ordnung her, besser, bei der Ausprägung solcher Ordnungen sind Tendenzen zu monolinearen Ordnungen zu bemerken. Immer werden jedoch im menschlichen Bereich monolineare Wertmaßstäbe durchbrochen.

Betrachtet man die soldatische Hierarchie, so kann man erkennen, daß neben das Herrschaftsmoment auch noch andere Momente treten. Zunächst gibt es keine einfach gleitende Skala, denn es gibt Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, also Gruppen von Personen, die wiederum in sich hierarchisch gegliedert sind. Schließlich kann es auch sein, daß der »Spieß« als Hauptfeldwebel der Kompanie in gewissem Sinn dem Leutnant, der Zugführer ist, übergeordnet ist. Zahlmeister, Ärzte und andere haben zwar einen bestimmen Offiziersrang, doch wird dieser nicht ganz ernst genommen. Außerdem gibt es noch Auszeichnungen, die der Ranghöhere eher erhält als der Rangniedrigere, doch kann umgekehrt letzterer auch eine höhere Auszeichnung bekommen als jener. Die Situation ist also sehr komplex. Im allgemeinen besteht die Tendenz, alle offiziellen Rangabzeichen nur jenen zu geben, die sie durch persönliche Leistungen erzielen.

Eine Ausnahme machen hier die Adelsprädikate, die auf Grund des väterlichen Titels auch dem Sohn übertragen werden. Auch sie wurden allerdings ursprünglich meist durch Leistungen einzelner erworben, von da an jedoch weitervererbt.

Zu den Affekten im Blick auf die Rangabzeichen läßt sich zunächst sagen, daß im allgemeinen persönlich verdiente Rangabzeichen relativ wenig Ressentiments erregen. Dazu gehören alle möglichen Arten von akademischen und militärischen Graden. Potentiell ist jeder in der Lage, sie zu verdienen. Im Gegensatz hierzu stehen die Adelsprädikate, die, da sie nicht auf Grund eines persönlichen Verdienstes erworben wurden, gerade von jenen am meisten abgelehnt werden, die sich ihre Rangabzeichen persönlich verdienten oder sich imstande fühlen, sie zu verdienen.

Andererseits bestehen jedoch, wie schon vorher bemerkt, starke Ressentiments gegenüber persönlicher Titelerwerbung bei jenen Personen, die sich nicht imstande fühlen, selbst welche zu erwerben, jedoch gerne welche hätten. Diese Ressentiments gibt es bei Adeligen, aber auch bei Nichtadeligen. Bei letzteren wird nun, wie schon an anderer Stelle bemerkt, manchmal eine Identifikation mit dem Adel vollzogen, und man spielt gegen den Titelparvenu die traditionellen Titel aus. Die persönlichen, durch eine bestimmt umrissene Leistung erworbenen Titel werden keineswegs immer, wohl aber meistens akzeptiert.

Die institutionalisierten Bildungstitel werden gerne von jenen angegriffen, die über eine relativ große, autodidaktisch erworbene Bildung verfügen, es jedoch aus äußeren oder inneren Gründen nicht zuwege brachten, ein Examen zu machen oder einen akademischen Grad zu erwerben.

Nun gibt es eine Gruppe von Rangzeichen, die nicht durch eine bestimmt umrissene Leistung, sondern von der Gnade, bis zu einem gewissen Grad also von der Willkür einer höheren Instanz abhängen. Es handelt sich hier etwa um den Titel wie Dr. h.c., der zwar auch eine Leistung voraussetzt, die jedoch nicht bestimmt umgrenzt ist, den vom Staat verliehenen Titel »Professor« und andere.

Mit den Adelsprädikaten verwandt sind jene Titel, die für die Frauen von Titelträgern verwendet werden, wie das in verschiedenen Ländern Brauch ist. So etwa Frau »Hofrat« für die Frau eines Hofrats. Auch sie erwarb diesen Titel nicht persönlich, sondern hat ihn sekundär von ihrem Mann. Sie hat auch kein geschütztes Recht darauf. Solange es noch keine Akademikerinnen, Hofrätinnen usw. gab, entstand nur eine schwächere Konfliktsituation, da ohnehin jeder wußte, daß es sich um einen Sekundärtitel handelte. Nunmehr aber kommt es nicht nur bei den berechtigten Titelträgerinncn, sondern auch bei den Männern aus einem gewissen Gerechtigkeitssinn heraus zu Aggressionen, deren objektive Basis man schwer ablehnen kann. Die Auszeichnungen sind nicht in der gleichen Weise geachtet wie jene Rangsymbole, die eine fest umrissene Leistung zur Voraussetzung haben. Es ist zwar eine Illusion zu glauben, daß jeder, der ein »Dr.« vor seinen Namen setzen darf, die gleiche Leistung vollbracht hat. De facto sind die Voraussetzungen für ein Doktorat von vielen Determinanten abhängig, die völlig verschieden sind. Allerdings liegt es mindestens in der Intention des Gesetzgebers, gleiche Grundbedingungen herzustellen.

Bei den militärischen Auszeichnungen ist die Situation komplizierter. Abgesehen von »Nahkampfspangen«, »Panzernah-kampfvernichtungsstreifen«, »Gefrierfleischorden« (Ostmedaille) und »Verwundetenabzeichen«, die im letzten Krieg für wohlumrissene Leistungen, aber natürlich auch auf einer sehr verschiedenen, kaum vergleichbaren Basis verliehen wurden, hing die Einschätzung der Leistungen von übergeordneten Stellen ab. Das willkürliche Moment bei der Verleihung von »Nahkampfspangen« und anderen oben genannten Orden lag z. B. im Schicksal und nicht bei den Verleihern. Die andern Orden hatten jedoch eine viel willkürlichere Basis, da es rein von der Beurteilung menschlicher Personen abhing, wer als mehr oder weniger tapfer galt. All das spielt bei der Beurteilung von Rangsymbolen eine Rolle.

In Berlin gab es einen Witz, der das Problem des Ordens folgendermaßen beleuchtete: Es gibt verdiente, erdiente, erdienerte und erdinierte Orden.

1/1 äußert sich folgendermaßen: »Ich bin gegen Adelsprädikate, gegen Dr. h.c. und gegen das Frau-Doktor-Sagen zu einer Frau, die einen Doktor geheiratet hat.«

Die Versuchsperson, eine Akademikerin, zielt genau gegen die nicht persönlich und durch wohlumrissene Leistung erworbenen und verdienten Titel. Diese lehnt sie ab. So weit gehen wenige, denn die Leistungen von Trägern eines Dr. h. c. sind oft wesentlich größer als die der Träger von üblichen Doktortiteln.

Immerhin gilt für viele - wahrscheinlich ist dies typisch österreichisch - im Blick auf den persönlichen Gebrauch von Titeln, was 2/205 sagt:

»Gestern war ein Baron bei mir. Ich habe mir gedacht, wie soll ich zu ihm sagen? Dem Herrn Baron? Nur denk ich, er wird eine Freude haben und mir tut es nicht weh... Nur finde ich es unsinnig.« Sie kommt darauf zurück: »Der Baron war reizend, ganz reizend. Wie gesagt, ich hab' mir auch überlegt, soll ich Herr von N. sagen, soll ich Herr Baron sagen, ich hab' mir gedacht, es kostet mich nichts... hab ich gesagt: ,Bitte Herr Baron, kommen Sie herein.' Er ist zusam-mengeklappt wie ein Taschenfeitel: ,Küß die Hand, meine Gnädigste' usw.«

Wie wir sehen, hat die Frau jedoch eindeutig innere Widerstände gegen diesen Titelgebrauch zu überwinden. Die früher vorherrschende Tendenz der Kellner, ihre Kundschaften hinaufzutitulieren, ist praktisch ausgestorben. Hanns Sachs erzählt (13), daß der Ober in seinem Stammcafé ihn während der Zeit seines Studiums mit »Herr Doktor« anredete, vom Tag der Promotion an war er der »Herr von Sachs«. Heute allerdings würde man eine solche Hinauftitulierung zum Großteil als Ironie empfinden. -

2/202 erzählt von dem Ehepaar, bei dem sie angestellt war:

»Der Baron und die Baronin haben nur nebeneinander gelebt. Sie hat mit dem Buchhalter ein Gschpusi g'habt... Wenn sie Gäste gehabt hat, wenn sie die zum Jour gehabt hat, da waren nur Grafen und Gräfinnen beieinand, die Baronin und der Herr Fürscht... Der Schuschnigg ist nicht gekommen, aber geladen war er auch . .. nie haben sich untereinander gespielt, Fürst, Frau Gräfin, Herr Graf und so. Ich hab gesagt, die spielen heute wieder Adelige, weil offiziell haben sie sich ja nicht mehr können so aufführen. Sie hat so ein Auftreten gehabt, sie hat können falsch höflich sein am Telephon: Ich muß schauen ob's z'haus ist, das hab ich dann erst gelernt... da hat sie g'schimpft bis hin und dann am Telephon: Ja, grüß dich, ich wollte dich schon immer anrufen.' Das hat mich auch irritiert... Mein Gott, die haben halt auch nicht rauskönnen aus ihrer Haut.«

Diese Aussage ist eine Mischung von Gutmütigkeit und Aggressivität, wobei sich offenkundig Mitleid über die Irrealität des sektiererischen Spiels, das hier abläuft, bemerkbar macht. Diese Frau hat zumindest bis zu einem gewissen Grad in ihrem Selbstbewußtsein eine echte Überposition gegenüber dem Titelgebrauch innerhalb der feudalen Gesellschaft. In ihre Aggression mischt sich Verachtung. Bei vielen ist jedoch auch heute noch die Aggression mit der Tendenz verbunden, »hinaufzublicken«.

Ressentiment zeigt immer, daß man das Problem noch nicht wirklich verarbeitet hat. 2/504 meint typisch:

»Heute ist ein großer Unterschied zwischen einem Adeligen und einem Arbeiter. Der Adelige denkt natürlich auch, er ist allein auf der Welt und sonst nichts mehr. Daß aber heute im Laufe der letzten Jahrhunderte die Welt so fortgeschritten ist, daß unter der Arbeiterschaft genau so intelligente Menschen sind wie heute im Adel sind und vielleicht, was Grütze im Kopf betrifft, mehr haben, heute schon dem Arbeiter, wo die Eltern ein bißchen finanziell mitgehen, können auf die Hochschule gehen und sein Studium dort zu erlernen als wie früher der Adel. Der Adel hat ja nur auf Grund seines Titels den Adel gehabt und erreicht. Es ist heute ein Mensch zehn Mal mehr von mir angesehen vom Arbeiter- und Angestelltenvolk, das durch Schulbildung sich einen Titel erobert hat, was beim Adeligen aber nicht der Fall ist, weil bei denen war so schon alles da im Haus.«

Der Ausspruch ist einigermaßen konfus. Er sollte offenbar besagen, daß kein großer Unterschied zwischen einem Adeligen und einem Arbeiter besteht, wobei es der Versuchsperson aber passiert, daß sie ein sagt.

Daß der Adelige »natürlich auch« denkt, »er ist allein auf der Welt«, weist auf die Annahme der Versuchsperson hin, sie »allein« gelte auf der Welt. Die Titel werden vom Arbeiter- und Angestelltenvolk »erobert«, das heißt sie müssen gegen Widerstände erkämpft werden, während sie der Adelige »so schon ... da im Haus« hat. Im Adel selbst bestehen in der Einstellung zum eigenen Titel starke Ambivalenzen, also zugleich bestehende gegensätzliche Einstellungen. Die Adeligen fühlen sich beim Pochen auf den Titel meist nicht wohl. Sie identifizieren sich nur halb damit; so gilt es als großartig zu zeigen, daß man keinen Wert auf das Adelsprädikat legt und innerlich unabhängig ist. Je höher der Adel ist, um so weniger gebrauchte man schon früher das Adelsprädikat, denn Angehörige bedeutender Familien unterschrieben oft nur mit dem Zunamen, so etwa »Bülow«.

Könige und Kaiser schließlich unterschrieben jedoch nur noch mit dem Vornamen, da ohnehin jeder wissen mußte, wer gemeint war. So etwa »Franz Josef« oder »Elisabeth«. Je höher der Adel, um so besser wirkt es, wenn man ihn bagatellisiert. Zur alten Tradition kommt jedoch heute das kastenfremde Über-ich der Großgesellschaft und die bürgerliche Leistungswertung, die das Adelsprädikat als »minderwertig« erscheinen lassen. Wer als Baron mit persönlichen Leistungen aufwarten kann, kann es sich erlauben, auf jene herunterzuschauen, die viel Aufhebens um ihre Titel machen.

Die Problematik der Adelstitel wird von dem Grafen 2/214 etwa folgendermaßen charakterisiert:

»Natürlich gibt's auch Leute, die mit Passion Herr N. N.' sagen. Worüber ich mich immer königlich unterhalt, ich muß sehr lachen drüber. Je höhere Stellung die Leute im sozialistischen Lager sind, daß sie desto mehr und desto auffälliger einem 'Herr Graf' sagen ... hohe Parteifunktionäre der sozialistischen Partei, die von weitem mich mit 'Herr Graf' begrüßen. Wogegen andere, von denen ich zum Teil weiß, daß sie keine Sozialisten sind, mich ,Herr N. N.' begrüßen. Das ist mir ganz wurscht (aggressiver Ton).«

Was die Versuchsperson zu den Sozialisten sagt, ist möglicherweise aufgebauscht, wird aber in der großen Linie stimmen. Da es zum kollektiven Über-ich gehört, keine Titelressentiments zu zeigen, mag es sein, daß gerade sozialistische Funktionäre betont »Herr Graf« sagen. Wenn ihn jedoch Leute, von denen der Graf weiß, daß sie keine Sozialisten sind, mit N. N. begrüßen, so ist ihm das »ganz wurscht«. Gerade dieser aggressive Ton und der Dialektabfall zeigen, wie wenig es ihm »wurscht« ist. Man versteht schließlich auch unter dieser Voraussetzung, daß er sich »immer königlich unterhält«, wenn ihn die Sozialisten mit »Herr Graf« anreden. Zu »Graf« meint er:

»Heute Titel, der praktisch sagen wir juristisch nichts zu bedeuten hat, in Österreich verboten zu führen, in Deutschland ist es ein Bestandteil des Namens und der in gewissen Kreisen, sagen wir doch noch eine es ist schwer, das in Worte zu kleiden, aber es ist ein gewisser Nimbus da, der in vielen Kreisen auch noch irgendwie anerkannt wird aus historischen Gründen, da ja doch derjenige, abgesehen von denen, die in den letzten zwei, drei Jahrzehnten der Monarchie geadelt wurden, ein Uradel ist, eine historische Tradition, findet noch heute irgendeine gewisse Achtung vor den Familien, die eben durch Jahrhunderte das Geschick des Landes eben doch gesteuert haben. .. ein gewisser Nimbus da. Von manchen Leuten wird er verfolgt, und von manchen wird er eben aus diesen historischen Gründen irgendwie respektiert.«

Es besteht kein Zweifel, daß er mit diesem »Nimbus« etwas sehr Richtiges getroffen hat.

INOFFIZIELLE DISTANZIERUNGSZEICHEN#

Wenden wir uns nun den inoffiziellen Distanzierungszeichen zu. Als Beispiel können wir hier die Embleme anführen, mit denen sich der sowjetische Kombinatsdirektor in dem Roman Dudinzews »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein« (14) umgibt. Sie kennzeichnen eine Mischung von bourgeoisem und feudalem Herrentum:

"Auf dem Fußboden lag ein großer, rötlicher Teppich, der von einem grünen Läufer diagonal gekreuzt wurde. Eine dezent geschminkte Sekretärin in engem Rock und durchsichtiger weißer Bluse folgte dem Direktor. Die Sekretärin verließ das Zimmer, und Leonid Iwanowitsch schritt um den riesigen Schreibtisch, auf dem eine Schreibtischgarnitur aus schwarzem Kassinsker Gußeisen glänzte. Sie war aus Hoheitsabzeichen der Kosakenhauptleute zusammengebaut - zwei Hetmansstäben - einem massiven Petschaft, einem Stab mit Pferdeschwanz - lauter Emblemen eines Hetmans. Leonid Iwanowitsch ließ sich in den Sessel fallen.«

»Die dezent geschminkte Sekretärin in engem Rock und durchsichtiger weißer Bluse« gehört sicherlich in die »bürgerliche« Welt des Kapitalismus. Die Hetmansstäbe und der Stab mit Pferdeschwanz jedoch sehen demgegenüber nach altem Adel aus.

Der Kaplan 2/103 erzählt aus seiner Pfarre, einer »Nobel«pfarre:

»Aber es existiert, das ist T., wo man nicht mit diesem spricht oder mit jenem... da hat jemand richtig gesagt, nachdem ich mir so ein Vehikel gekauft habe: Jetzt sind Sie gesellschaftsfähig. Und wie ich meinen Doktor gehabt habe: Jetzt sind Sie ein Mensch... Und wo die Leute gesagt haben, in der Gruppe: Ich setz mich nicht neben mein Dienstmädel...«

In der obigen Aussage des Kaplans dient das Auto als Herrensymbol. Die Menschen werden also im Blick auf ihre Autotypen eingeschätzt. Diese können dezent, elegant, protzig, teuer bis futuristisch-modern (Citroen DS 19) sein. Nicht nur der Preis, sondern auch der Stil spielt eine große Rolle. Je niedriger zum Beispiel in Österreich die Autonummer, desto wervoller erscheint der Insasse. Doch obwohl es hier einen eindeutigen Trend gibt, so wird das Prinzip der »niederen« Nummer durch das der »schönen« durchbrochen. So ist etwa die Nummer 100 schöner und wertvoller als eine niedrigere 98 oder 87. Die Nummer 50 ist »schöner« als 48, doch ist es nicht mehr so sicher, ob 15 begehrenswerter ist als 14.

Wiederum kollidieren zwei Wertprinzipien, so daß die eine oder die andere Nummer bevorzugt wird, je nachdem, ob man sich mehr auf den einen oder anderen Standpunkt stellt. Also selbst hier, wo der Fall völlig klar zu liegen scheint, vermag sich keine lineare Ordnung durchzusetzen.

Daß der die klassenlose Gesellschaft anstrebende Kommunismus ein Feind von Orden war, ist verständlich. Doch ist eine sichtbare Veränderung in der herrschenden Schicht der Sowjetunion vor sich gegangen: sie ist eine medaillierte Gesellschaft geworden. Heute strotzen die kommunistischen Funktionäre von Orden und Medaillen. In der Sowjetunion ist in den letzten Jahren eine wirkliche Ordensinflation eingetreten. Zur Zeit sind schon 93 Prozent des Obersten Rates Träger von einem oder mehreren Orden und verschiedenen Medaillen. Die meisten Abgeordneten haben außerdem verschiedene Rangbezeichnungen, sind »Helden der Arbeit« oder Preisträger. Fast alle sind uniformiert, auch die meisten zivilen Minister haben für ihre Beamten Uniformen eingeführt. Das heutige »Sowjetparlament« ist daher eine von Gold, Epauletten und Orden strahlende Versammlung, wie sie in keinem der demokratischen Staaten des Westens zu sehen ist (15).

Wir sehen, daß die offiziellen und weit mehr noch die inoffiziellen Rangsymbolc unübersehbar sind. Wir haben uns nicht mit den Sprachnuancen (aristokratisch, akademisch, proletarisch usw.) auseinandergesetzt, nicht mit der Kleidung, dem Schmuck, den Frauen, die für viele Männer auch ein Kastensymptom sind, wechseln doch viele nach ihrem Aufstieg auch die Frau usw. Hier, wo es nur um das Grundsätzliche geht, wollen wir uns mit dem Gesagten begnügen.

HIERARCHIE UND DUALSTRUKTUREN #

Der Unterschied zwischen Adeligen und Nichtadeligen ist im Bewußtsein der Adelskaste grundsätzlicher Art. Zeichnerisch kann man dieses Verhältnis vom Standpunkt der Feudalwertung so darstellen, daß eine Schicht über einer oder auf einer anderen liegt:

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Innerhalb der Feudalordnung ist die Adelskaste wiederum unterteilt in hierarchisch gestaffelte Unterkasten. Normalerweise wurde nur unter sogenannten »Ebenbürtigen« geheiratet. Die Lagerungen der Trennungslinien sind trotz ihrer Kompliziertheit im gesellschaftlichen Verkehr sehr wirksam, wenn auch oft über- und unterlagert von gegensätzlichen, antikastenhaften Tendenzen.