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GENERATIONSVERSCHIEBUNG : AUF- UND ABSTIEGSPROBLEME#

Aufstieg#

Neben der Tendenz zur einfachen Tradierung gibt es den Wunsch zum Aufstieg, aber auch sogar den zum Abstieg, doch wird letzterer als abnormal meist nicht eingestanden. Der Aufstiegswunsch ist jedoch keineswegs so natürlich, wie man zu denken geneigt ist. Er ist naheliegend in einer Gesellschaft, in der große Einengungen existieren und in der zwischen den parentalen und filialen Instanzen eine große Spannung herrscht.

Der Drang nach dem Aufstieg kann eine Person tief erfüllen. Hier liegt eine Ablehnung der Kaste vor, in der man sich ursprünglich befindet, und eine offene Anerkennung der Überlegenheit jener, zu der man strebt. Wenn eine Person will und bereit ist, dafür Opfer zu bringen, kann sie in der zur Zeit gegebenen europäischen Gesellschaft auch im allgemeinen einen maßvollen Aufstieg erreichen. Es ist dazu natürlich eine größere Energie nötig als zum Halten eines gegebenen Niveaus. Oft geht der Wunsch weiter als die Bereitschaft, sich zu bemühen. Und auch heute gibt es noch äußerst schwierige Aufstiegsbedingungen. Wenn z. B. Kinder von Bergbauern studieren sollen, scheitert ihr Wunsch häufig an der weiten Entfernung der Schule oder den zu hohen Kosten eines Internats. Oft sind jedoch Väter oder Mütter, denen die eigene Aufstiegsmöglichkeit völlig versagt war oder die selbst den erhöhten Energieaufwand, der dazu nötig gewesen wäre, nicht auf sich genommen haben, bereit, nun alles mögliche zu tun, um den Aufstieg der Kinder zu veranlassen. Wenn wir also einem einfachen Aufstiegsschema begegnen, dürfen wir den eigenen Anteil nicht unterschätzen. Allerdings führt besonders starker Druck von Seiten der Väter auf ihre Söhne in Richtung auf den Aufstieg häufig gerade zum Gegenteil — zum intendierten Abstieg. Trotz- und Sabotagetendenzen wirken beim Kind blockierend.

Was nun die aufgestiegenen Söhne betrifft, so heiraten sie zur Verfestigung - Fixierung - der eigenen Position am liebsten primär oberkastige Frauen oder mindestens aufgestiegene Frauen, ungern jedoch solche, die unter ihrem Niveau liegen. Bei der Heirat ist das Gefühl, welche Frau man sich »leisten« kann, von großer Bedeutung. So meint der Versicherungsbeamte 2/507, er könne sich eine Frau aus höheren Schichten »nicht leisten«. »Sich eine Frau nicht leisten können« wird auch in sexuellem oder zumindest amourösem Sinn gebraucht. Noch deutlicher beim Sohn, der bei der richtigen Wahl die beste Gelegenheit hätte, »die Frau finanziell zu befriedigen«.

In einem Fall (im Rahmen einer Psychoanalyse) war die Versuchsperson ein außereheliches Kind. Als solches war es (vor 50 Jahren) gebrandmarkt. Nun entwickelte seine Mutter einen Trotz gegen die Gesellschaft. Sie war Bedienerin in einem Krankenhaus, und aus der sozialen Nahdistanz heraus war für sie der Arzt der Inbegriff der Oberkastigkeit. Das non plus ultra war jedoch — sie lebte in einer Kleinstadt — der Chefarzt (Primarius). Sie wollte, daß ihr Sohn es »den Leuten zeigen sollte«, und zwang ihn psychisch zu einer Karriere. Zufällig für den Arztberuf nicht unbegabt, machte er nun wirklich einen entsprechenden Aufstieg. Er heiratete, natürlich gegen den Willen seiner Mutter, als er noch nicht »oben« war, eine Arbeitertochter, gegen die seine Mutter noch Jahrzehnte nach der Eheschließung opponierte. Der Arzt litt schwer an Wutanfällen gegenüber seiner Mutter, zugleich aber auch gegenüber seiner Frau. Letzteres deshalb, weil seine Frau dem von der Mutter aufgebauten Ichideal nicht entsprach, zugleich aber auch gegenüber der Frau an sich, als Ersatzobjekt für die Mutter, weil ihn seine Mutter terrorisiert und in eine bestimmte Richtung lanciert hatte. Die Mutter wollte, durch eine schweizerische Erbschaft relativ reich geworden, ein Sanatorium gründen, wobei sie demonstrativ als Mutter des Chefarztes die Geschäfte geführt hätte. Diese Vorstellung war für ihn »einfach unerträglich« — das ist nur zu verständlich. Durch ihr Vorhaben brachte die Frau ihren Sohn von der sich eröffnenden akademischen Laufbahn ab — die Professoren-Laufbahn lag außerhalb ihres Horizonts —, und sie hätte auch nie für ihn die Geschäfte führen können. Man erkennt die gegen die kollektiv-neurotische Abwertung gerichtete, also reaktiv entstandene Aufstiegsneurose der Frau — eine primäre Trotzhandlung machte sie dafür disponibel — und die gegen die Frau reaktiv entstandene Neurose beim Kind. Frau und Kind wurden zunächst deklassiert, und die Frau antwortete mit Revolte gegen die Gesellschaft; dabei stellte der Sohn die Möglichkeit ihres Aufstiegs dar.

Wenn eine kastenbewußte Person einer hohen Kaste eine unter-kastige Frau heiratet, ist diese Handlung für ihn eine affektive Belastung. Im umgekehrten Fall, wenn eine oberkastige Frau einen unterkastigen Mann heiratet, noch mehr.

Ähnlich wie der Graf a/517 bei seiner »gutbürgerlichen ausländischen« Braut die Bürgerlichkeit verschweigt, ist es dem Unternehmer 2/301 unangenehm, die Herkunft seiner Braut zuzugeben. Seine Braut stammt nämlich aus einer Familie, die der Unterkaste angehört. Der Vater der Braut ist Werkmeister. Prompt folgt auch eine Aufwertung des qualifizierten Facharbeiters:

»Habe das Gefühl eines absolut wertvollen Menschen, der nicht nur eine bedeutende Stellung in der Volkswirtschaft (Rationalisierung) einnimmt, sondern auch gewisse Qualifikationen. Also ich würde vor dem Mann, vor allem, wenn es sich um einen alten Facharbeiter (der zukünftige Schwiegervater) handelt, Respekt haben.«

Bis zu dieser Aussage hatte der Unternehmer noch nicht gesagt, aus welcher Familie seine Braut stammt. Wie sehr hier die Affektkonstellationen im Kampf liegen, zeigt sich bei der Frage nach der kastenmäßigen Abgrenzung bei einer eventuellen Heirat. Die Versuchsperson wird sichtlich verlegen, der Redefluß wird unterbrochen, sie beginnt zu stottern, die Modulation wird unsicher. Dann ringt sie sich zur Äußerung durch, sie würde die Tochter eines Facharbeiters akzeptieren. Man erkennt, daß 2/301 den Facharbeiter arrangierend aufwertet, um seine künftige Ehe quasi zu entschuldigen.

Abstieg#

Gegenüber einem tradierten Niveau gibt es neben dem Aufstieg den Abstieg. Dieser kann, wie wir schon bemerkten, auch ein Abstieg der ganzen Kaste sein.

In einem speziellen Fall übte der Vater (ein Museumsdirektor in Deutschland), der außerordentlich genau war, einen sehr starken Druck auf den Sohn aus. Dieser trieb die Genauigkeit so auf die Spitze, daß er schließlich endlos an seiner Dissertation arbeitete. Er erklärte, jedes neu erscheinende Werk zu seinem Thema studieren zu müssen; dazu brauche er jeweils drei Monate, denn oftmals seien die Sachregister unvollständig, so daß er das ganze Buch durcharbeiten müsse. Nun erschienen zu seinem Thema ungefähr fünf bis zehn Bücher im Jahr. Auf diese Weise hätte er natürlich nie zu einem Ende kommen können. Er erzählte dies alles mit selbstgefälligem Ernst. Eines Tages gab er, manieriert wie er war, dem Vater gegenüber eine feierliche Erklärung ab. Er wollte sagen: »Lieber Vater, es tut mir leid, daß ich so lange zu meiner Dissertation brauche.« Er versprach sich aber zu seinem tiefen Entsetzen und sagte: »Lieber Vater, es tut mit leid, daß ich dich so lange mit der Dissertation fopp.« Hier kam die Sabotage der väterlichen Intention so deutlich zum Ausdruck, daß er vor seiner eigenen Fehlleistung außerordentlich erschrak.

Tiefenpsychologisch läßt sich seine seelische Situation etwa folgendermaßen charakterisieren: Er stand unter väterlichem Druck, identifizierte sich mit den väterlichen Prinzipien (»Identifikation mit dem Aggressor« nach Anna Freud) und sabotierte sie gleichzeitig. Masochistisch genoß er seine Tragik, dem Vater keine Schwierigkeiten machen zu wollen und doch nicht anders zu können, da er den Genauigkeitswunsch des Vaters erfüllen wollte. In Wirklichkeit genoß er jedoch in einer tieferen Schicht den Ärger des Vaters. Wir erkennen: Das Absinken des Sohnes — er will unbewußt, weil es der Wille des Vaters ist, kein Akademiker werden — ist intendiert. Auf Grund einer mit dem Todestrieb verwandten Tendenz sabotierte der junge Mann die Absichten des Vaters.

Wie gesagt, bedeutet die Heirat mit einem Unterkastigen für die Frau ein Absinken. 2/510 erzählt:

»Wollte immer einen Geschäftsmann, leider sind die Verhältnisse so gekommen, daß ich einen Angestellten geheiratet habe. Ich habe es aber nie bereut. (Der Schwiegersohn) Von Arbeiter heraus sollte er nicht kommen, es hat einen schweren Kampf gegeben, den Eltern gegenüber, aber ich habe es durchgekämpft, und wir sind sehr glücklich worden.«

Ihr Mann ist als Arbeiter bei der Bahn angestellt. In der Wahl des Ehegatten wird ein Kastendrama sichtbar. Die Versuchsperson sollte und wollte einen Geschäftsmann heiraten. Auf keinen Fall sollte es ein Arbeiter sein. Es war schwierig, sich den Eltern gegenüber durchzusetzen und doch einen Arbeiter zu heiraten. An dieser Stelle spricht die Versuchsperson das erste Mal, und da nur indirekt, davon, daß ihr Mann Arbeiter ist oder mindestens aus Arbeiterkreisen stammt. Nicht ohne vorher zu betonen, einen Angestellten geheiratet zu haben. Aber schon ist das eigene Schicksal vergessen, wenn es gilt, die Schwiegerkinder zu wählen. Diese dürfen wiederum nicht aus dem Arbeiterstand kommen. Der Bürgerstolz scheint recht tief eingefleischt zu sein. Sie ist abgestiegen, doch sollen ihre Kinder wieder hinauf.

Die Heirat eines unterkastigen Mannes und einer oberkastigen Frau kann unter Umständen den Mann zu großer Energie-Entfaltung anregen. So meint 2/218 zur Frage, ob er eine Akademikerin heiraten würde:

»Da hätt ich andere Ambitionen. Wenn meine Frau ein Doktorat hat oder irgendeinen andern Titel und ich hab keinen, dann würde ich mich so dahintersetzen, daß ich auch einen krieg, weil sie ja dann faktisch die Familie auf Grund ihres Titels, wenn sie nicht einen reinen Liebhabertitel hat, viel mehr erhalten könnte als ich.«

Auf- und Abstiegskombinationen#

Kaum alle Mitglieder einer Familie werden in der gleichen Weise auf- oder absteigen. In der Gencrationenfolge sind vielfältige Schicksale möglich. Zwei Grundtypen sind zu unterscheiden: 157 Im Fall a) sinkt der Sohn von der oberkastigen Position des Vaters ab, der Enkel steigt jedoch wieder auf. Er bringt die abgesunkene Familie »wieder in die Höhe«. Der Abstieg der Fi Generation kann im Kontrast zur Position der P Generation zum Stimulans für die F2 Generation werden. Im Fall b) erkämpft sich Fi den Aufstieg. Er verwöhnt seine Kinder oder versucht sie gewaltsam in der Schicht zu fixieren, jeweils mit dem Erfolg, daß F2 wieder absinkt. Wenn wir vorher von der Arbeiter- und Angestelltenfrau, die aus einem Geschäftshaus stammt, hörten, daß sie von ihren Kindern wieder den Aufstieg will, erkennen wir darin das Schema a). Wie wir schon andeuteten, ist das konkrete Schicksal häufig komplizierter.

In einer bestimmten Familie sieht es etwa folgendermaßen aus:

Bild 'family'

Der Vater, der unbedingt das im Vergleich zu seinem Vater hohe Niveau, das er sich schwer erkämpft hat (er heiratete auch eine oberkastige Frau), von seinem Sohn gehalten wissen möchte, setzte gerade diesen unter Druck. Da er es von seiner Tochter nicht im gleichen Maß fordert, läßt er sie fast völlig unbehelligt. Daher bringt sie es relativ leicht zum Doktorat (mit gewaltigen Prüfungsängsten) und heiratet einen Akademiker. Der Sohn dagegen (unter väterlichem Druck) hält die Prüfungen seelisch nicht durch. Er erreicht jedoch die Matura und heiratet eine Frau mit Matura. Die Tochter hat es nicht besser gemacht obwohl, sondern weil sich der Vater nicht im gleichen Maß um sie kümmerte. Der schlechte Lernerfolg des Sohnes ist zum Teil als eine Ausbruchstendenz aus der vom Vater aufgezwungenen Kaste aufzufassen und als Drang zum Abstieg.

Daß auch die Änderungen der kollektiven Wertungen eine Rolle spielen können, zeigt das Schicksal von 2/107 und seiner Gattin 2/108:

Der Vater von 2/107 war ein Adeliger, seine Mutter eine »Bürgerliche« aus »besserem Haus«. Der Vater war höherer Offizier und starb im Anschluß an Kriegsgefangenschaft. Die Mutter ging mit dem Sohn nach Wien. Hier machte er Matura, einige Semester Universität und ging schließlich auf die Musikakademie. Er heiratete eine Frau (2/108) mit nicht unbeträchtlicher, doch nicht institutionalisierter Bildung. Seine Mutter - Sekundäradelige - opponierte heftig gegen den Beruf und die sehr nette Frau. Der Mann, in Mutteraggression fixiert, ließ sich aber nicht durch die Mutter, die ihn oberkastig erzogen hatte, von seiner Frau abbringen. Langsam aber sicher wuchs sein künstlerischer Erfolg. Schließlich erhielt er den Titel »Professor«, über den er sich lustig machte. Die Mutter las es in der Zeitung, eilte herbei, schluchzte vor Freude und fiel der bisher abgelehnten Frau (ihr gab sie immer die Schuld an seinem »bösen« Beruf) um den Hals. Vom Standpunkt der Mutter aus hätte 2/107 Offizier werden sollen, ein der Tradition der väterlichen Familie adäquater Beruf. Der Künstlerberuf war dagegen nicht »standesgemäß«. Nun wurde er aber plötzlich akademisch legitimiert. Sobald 2/107 Professor war, war er oberkastig. Der »tiefgesun-kene« Sohn ist wieder »aufgestiegen« und in der Vorstellung seiner Mutter wieder gesellschaftsfähig. In die letzten Jahrzehnte fällt nun die starke Abwertung des Offiziersberufes, der heute nicht mehr im entferntesten das ist, was er vor dem ersten Weltkrieg war. Von hierher gesehen schien es der Mutter gut, daß der Sohn kein Offizier geworden war. Und der Künstler wurde sogar Professor, eine noch oder schon wieder geachtete Kategorie! Seine Kinder studieren schon alle, eines an der Universität. Seine Frau 2/108 sagt nun zur Frage der eigenen Heirat:

»Ich glaube, ich wäre fast mit jedem Mann gut ausgekommen in der Ehe.«

Zur Heirat ihrer Söhne meint sie:

»Bei den Kindern wäre es mir nicht egal, da ist ein Stück Hochmut vielleicht schon drinnen. Ich würde meinen Söhnen eine Frau wünschen, aber ich glaube, ich würde mir auch die Familie ansehen. Es wäre mir nicht jede recht, auch nicht jedes Milieu. Ich werde da furchtbar ungerecht sein. Habe schon darüber nachgedacht. Ich habe selbst nicht viel Schulbildung und glaube schon, daß ich von meinen Schwiegertöchtern einmal mehr verlange. - Für mich ist es egal, obwohl mir das Mittelschulstudium sehr fehlt, vielleicht, weil ich von vielen zurückgesetzt bin, es ist eben so in der Gesellschaft. Und ich wünsche es eben meinen Kindern anders, obwohl ich auf der andern Seite überzeugt bin, daß durch das viele Studium vieles verlernt wird, der natürliche Instinkt mitunter leidet.«

Ihr Familienbild sieht also folgendermaßen aus:

Bild 'family2'

P und Fi sind bereits existent. F2 ist Wunschbild. Der Vater ihres Mannes, P, heiratete eine unterkastige Frau, die bürgerliche Mutter. Fi, ihr Mann, war zunächst oberkastig, dann unterkastig, ist nun wieder oberkastig und heiratete ebenfalls eine unterkastige Frau, nämlich die Versuchsperson selbst. Ihre Söhne sollen oberkastige Frauen heiraten, die entweder selbst aufstiegen oder aus entsprechender Familie stammen.





Zwischenpositionsprobleme im Blick auf Auf- und Abstieg#

In kastenhafter Zwischenposition steht jeder, der sich zumindest mit zwei Gruppen identifiziert. Nur der befindet sich nicht in einer Zwischenposition, der eine Position ausfüllt, die bereits seit mindestens einer Generation in der Familie ausgefüllt wurde. Er muß eine Frau aus der gleichen Schicht heiraten, und seine Kinder müssen ebenfalls genau im gleichen Rang bleiben. Die gesamte Familie müßte also genau im gleichen Traditionsschema verbleiben.

Dazu müßte jedoch noch etwas kommen, doch läßt dies die kollektive Situation nicht zu: die kollektive Wertung der Gruppe müßte nämlich auch konstant geblieben sein; das aber gibt es praktisch nicht. So bedeutet die Generationcnfolge: P Vater = Offizier, Fi Sohn = Offizier, F2 Enkel = Offizier, alle mit Frauen aus Offiziersfamilien verheiratet, psychologisch einen eindeutigen Abstieg. War die Uniform einmal »des Kaisers Rock«, war sie später, um im Bild zu bleiben, »Hitlers Rock«, so ist sie nunmehr Ausdruck einer militärisch uninteressanten Republik (Österreich). Selbst in den USA, wo die Offiziere noch eine reale Funktion haben, relativiert die steigende Bedeutung von Technikern und Wissenschaftlern, die den Militärs kaum noch unterstehen, deren Prestige. In Österreich, wo der Offizier nur eine illusionäre Funktion hat, ist seine gesellschaftliche Position entsprechend gesunken. Wenn also jemand in der Offizierstradition steht, ist er abgesunken. Stellt der Offizier heute den gleichen Geltungsanspruch wie sein Großvater, tut er dies illusionär, da er ja nicht das gleiche soziale Fundament besitzt. Sein Pseudo-Selbstbewußtsein ist durch seine echte Realitätseinschätzung unterminiert. So wird er nolens volcns zum Sckundäroberkastigen.

Ganz ähnlich verhält es sich mit jenem Adel, der, nunmehr als Adel funktionslos, seinen Gcltungsanspruch nur auf die Herkunft begründet. Erhebt er den gleichen Geltungsanspruch wie sein Vorfahre, so lebt der Adelige von heute in einer illusionären Vorstellungswelt, da ihm die Funktion seines Vorfahren fehlt. Wenn etwa entthronte Dynastien einen Hofstaat aufrechterhalten, der ihrer realen Position nicht entspricht, so handelt es sich insofern um Sekundärtypen, als die jetzige Position nicht real anerkannt, ihr also die Adaption verweigert wird. Hier liegt der umgekehrte Fall wie bei einem Parvenü vor, jedoch mit sehr verwandten seelischen Erscheinungen.

Ein Beispiel aus der psychoanalytischen Praxis mag das innere Auseinanderklaffen zwischen echter und unechter gesellschaftlicher Rolle verdeutlichen. Ein Funker einer Luftfahrtgesellschaft litt daran, daß die einstmals lebenswichtigen Funker keine Zukunft mehr besitzen. Er erklärte, die amerikanischen Funker seien schon entlassen, die Piloten arbeiteten jetzt selbst mit Sprechfunk. Seine Firma hält zwar noch Funker, obwohl diese nicht mehr benötigt werden. Man gibt ihnen gleichsam ein Gnadenbrot. Er sei eine Art von Nobelarbeitsloser, denn er bekäme eine Arbeit bezahlt, die an sich keinen Sinn habe.

Über die Ab- und Aufwertung ganzer Schichten hinaus interessiert uns die psychologische Situation bei individuellen Ab- und Aufstiegen. Wenden wir uns zunächst der psychischen Situation der Aufsteigenden und ihrer Vorgeneration zu. Wird etwa der Sohn eines Arbeiters Akademiker, entsteht bei beiden eine Zwischenposition. Der Aufgestiegene identifizierte sich ursprünglich mit der väterlichen Position. Sekundär identifiziert er sich mit der erreichten. Ursprüngliche und erreichte Position überschichten sich also. Die innere Situation wird, so sie nicht genügend verarbeitet wurde, dazu führen, daß die Person nicht so selbstverständlich auftritt wie einer, der von Kind auf in der gleichen Schicht zu Hause war. Ist er in der erreichten Schicht unsicher, neigt er zu Übertreibungen der oberkastigen Formen und wird so zum Snob in dem der Wortbedeutung nächstem Sinn (sine nobilitate). Wir sprechen hier von einem Sekundärtyp.

Es gibt aber auch die Möglichkeit, daß sich der Aufgestiegene demonstrativ mit seiner Ausgangsposition identifiziert und etwa wie viele sozialistische Intellektuelle in Österreich, akzentuiert Dialekt spricht. Diese Variante des Typs muß aber nicht entstehen, wenn eine echte Integration von ursprünglicher und erreichter Schicht vollzogen wird. Doch ist diese Integration nur dann psychologisch möglich, wenn der Aufgestiegene die sozialen Schichtungen nicht verabsolutiert, das heißt, wenn er sich zwar über seinen Aufstieg freut, ihn aber nicht als etwas Wesentliches ansieht. Er darf seinen Ursprung nicht verachten. Verabsolutiert er die neue Position, muß er ein Minderwertigkeitsgefühl überdecken und überkompensieren. Die dann auftretende Arroganz ist nichts anderes als der Ausdruck der Überdeckung eines Minderwertigkeitsgefühls.

Die innere Situation des Vaters oder der Mutter des Aufgestiegenen ist in vielem mit dessen eigener verwandt, da sich die Eltern mit ihrem Sohn identifizieren. So entsteht eine sekundär-oberkastige Position. Auch die Eltern Aufgestiegener vermögen besonders arrogant zu sein. Sie fühlen sich dann unter Verdrängung des Wissens um die eigene untere Position besonders oberkastig.

Die Abstiegssituation vermittelt ähnliche Affektlagen. Der primär Oberkastige muß sich sekundär mit einer Position bescheiden, die geringer ist als seine ursprüngliche. Er trägt nun unter Umständen ein Gehaben zur Schau, das die alte Oberkastigkeit betont und festhält, während er sich realiter schon unten befindet. Unter Nichtanerkennung der realen Gegebenheiten benimmt auch er sich möglicherweise arroganter als die Oberkastigen, die sich noch in oberkastiger Funktion befinden. Hierzu ist wieder das Verhalten von Angehörigen entthronter Herrscherhäuser interessant, die ja auch unter Umständen betont oberkastige Verhaltensweisen zeigen, unter Verdrängung ihrer sekundären Unterposition. Wenn es sich hier auch nicht um Snobs im Wortsinn handelt, so handelt es sich doch um eine unechte Oberkastigkeit.

Den Eltern der Abgesunkenen ergeht es ähnlich auf Grund ihrer Sohnidentifikation. Auch hier liegt die Rettung aus der Ambivalenz darin, von der Kastenwertung unabhängig zu werden. Damit verliert auch der Abstieg seine zentrale Tragik.

In der komplizierten Problematik der Zwischenpositionen, die jene in ihr Stehenden sehr leicht zum Exzeß neigen läßt, liegt der berechtigte Kern des aristokratischen Ideals, wie wir es vor allem bei 2/305 vorfinden:

Nicht ohne psychologisches Raffinement entdeckte die Versuchsperson überall die Sekundärhaftigkeit, nu nicht - und dies macht ihre Beurteilungen unter anderem schief - in den abgestiegenen Schichten. Es ist natürlich illusionär in der auf Grund der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen sich außerordentlich stark in Fluß befindlichen Gesellschaftsstruktur von allen Menschen alte Berufstraditionen zu verlangen und ein entsprechend typisches Verhalten. Die durch Zwischenpositionen bedingten oft schweren psychischen Konflikte erfordern eine Überwindung, die den Gegebenheiten einer sich tief wandelnden Gesellschaft Rechnung trägt. Wie schwer und tiefgehend die Konflikte oft sind, zeigt etwa die Aussage des Kaplans 2/103:

»Meine Eltern waren nicht mehr so, weil meine Mutter einen Bürgerlichen geheiratet hat. Ihr ist es nicht schwer gefallen, sie hat ihn lieb gehabt. Aber mein Großvater konnte es bis zum Tode nicht überwinden. Ich habe ihm gesagt, daß ich Priester werden will, hat er gesagt: ,No was bist denn dann, Luftinspektor.' Er hat geglaubt an den Herrgott, aber er war sein irdischer Repräsentant.«

Eine gut verlaufende Ehe war also dem armen alten Herrn bis zum Tod ein Greuel. Und trotz seines Christentums hielt er den Priesterberuf für minderwertig. Diese Konflikte gibt es überall, und die Menschen leiden ein- und uneingestandenermaßen an ihnen. Die Lösung und Erlösung liegt in keinerlei Kastenwechsel, sondern in einem Punkt außerhalb der Kasten, von dem aus die Bewertung von Gesellschaftsgruppen in der Schwebe gehalten wird.