DER KASTENKAMPF#
Inhaltsverzeichnis dieses Kapitels
Die Objekte des Kastenkampfes#
Die Gegenstände des Kastenkampf es sind natürlich vielfältiger Art. Alle Positiva, die wir als Gruppenwerte erkannt haben und die Uberlegenheitsmomente bedeuten, erwecken Ressentiments und Aggressionen. Dabei sind alle diese Kastenwerte insofern Überlegenheitsmerkmale, Potenzmerkmale, als sie geeignet sind, im Kampf um die Frau wesentlich größere Chancen zu geben. Der Reiche, der Mächtige, der Überlegene in jedem Sinn, auch im sakralen, ist für die Frau interessanter, bietet einen erhöhten Anreiz. Und daher ist, ohne daß dies genügend bewußt ist, eines der wesentlichsten Objekte im Kastenkampf die Frau. Ein Beispiel für das Ressentiment, das die Überlegenheitsposition der Frau gegenüber bietet, liefert 2/504 mit folgendem Ausspruch :
"Eine Frau, die im Beruf steht, füllt ihr Amt zehn Mal schwerer aus als ein Mann. Speziell bei öffentlichen Stellungen ist der Beweis , hundertmal erbracht worden. Wenn sich die Frau nicht ihrem Vorsetzten ergiebig zeigt, dann kann sie nicht weiter, auch wenn sie noch so tüchtig ist... Weil das ist das Gemeinste, was ein Mann jemals fertigbringen kann, und leider machen das intelligente, gebildete Akademiker, was heute Vorstand sind oder Direktor oder Oberbauräte, ist ja ganz egal, welchen Titel er hat. Aber die Frau, was dann Kanzleikraft ist oder Sekretärin, wenn die nicht zu seinem Willen steht, dann kommt sie nicht weiter, und wenn sie noch so tüchtig ist.
Andere Frauen wieder, die was ihren Körper hingeben ein paar Male, nach zwei, drei Jahren Dienstzeit avancieren sie schon auf den nächsten Posten und erreichen dadurch natürlich bedeutend mehr, aber ich persönlich verunehre eine solche Frau. Die meisten Frauen sind mehr als wie der Arbeiter, sie sind ein bißchen arrogant, sie verachten den Arbeiter. Sind wohl einige Frauen, was nett sind, aber das Gros glaubt mehr zu sein, als wie der Arbeiter ist.«
Worin zeigt sich hier das Ressentiment? Zweifellos sind die Behauptungen stark übertrieben. Ein ohne Zweifel wahrer Kern wird deutlich überbewertet. Wir gehen hier nicht in der Annahme fehl, daß sich die Versuchsperson die Position jener Vorgesetzten wünschen würde. Im Falle sie selbst in die Lage käme, eine ähnliche Position auszufüllen, würde sie sich am liebsten so benehmen, wie sie andere beschreibt. Wir werden noch zeigen, in welcher Weise der latente Kampf um die Frau in den verschiedensten Systemen rationalisiert eine Rolle spielt. Hier sei nur auf die Tatsache selbst hingewiesen. Es ist nicht nur in den mohammedanischen Ländern so, daß die Oberkastigen mehrere Frauen haben. Auch in Europa tritt dieses Potenzmerkmal häufiger auf, wenn auch in die Illegalität gedrängt. Hielten sich früher etwa die französischen Könige Mätressen, so nunmehr häufig Wirtschaftskapitäne. Mehrere Frauen zu haben, wird zu einem Merkmal der Oberkastigkeit.
Ressentiments#
Wir haben bereits des öfteren von Ressentiments sprechen müssen, um für die Aussage einer Versuchsperson Verständnis zu gewinnen. Beim Ressentiment handelt es sich um einen aggressiven Neid, der verschiedene Aspekte besitzt. Zunächst setzt der Neid etwas voraus, das als Wert anerkennt wird; das Geneidete hätte man gerne selbst. Er setzt auch das Bewußtsein der Distanz voraus. Während bei der introjizierenden Identifikation der gewünschte Wert in sich hineingenommen und so daran illusionär partizipiert wird, vollzieht der Ressentimentbehaftete die Identifikation nicht in derselben Weise. Der geneidete Wert ist uneingestandenes Wunschbild und wird abgewertet. Jener Wert, der den andern zukommt, wird herabgesetzt und dessen Träger angegriffen.
Ressentiment nach oben: Die Aggression, die im Neid der Hinaufschauenden liegt, führt zu abwertender Beurteilung. Das Ziel jeder Aggression ist darüber hinaus die Vernichtung des Aggressionsobjekts. Diese Vernichtungstendenz ist im allgemeinen gehemmt, zumindest vorläufig. Der mit Ressentiment Behaftete versucht nicht nur in der Wertung, sondern auch in der Realität, die Oberen hinabzuziehen, ihnen zu schaden. Nicht der eigene Aufstieg, sondern der Abstieg der andern soll die Menschen einander näherbringen.
Ressentiments sind überall dort anzunehmen, wo starke Abwertungstendenzen bestehen, deren Affektdruck spürbar ist und die gegen offenbar real bestehende Tatsachen verstoßen. Bei dem Malermeister 2/319 ist zu beobachten, daß ihn die Präposition »ober«, das die obere soziale Position andeutet, sofort reizt. Er assoziiert nämlich zu »Oberlehrer«: »Na, ist genau so a Lehrer wie jeder andere ...« Die Modulation wirkt dabei gereizt und ärgerlich. Diese aggressive Gleichmacherei findet sich bei ihm überhaupt stark ausgeprägt: »Bürger« — »Das ist eigentlich a jeder« (patzige Modulation), »Proletarier« — »Sind eigentlich alle« und »gewöhnlicher Mensch« — »Gewöhnliche Menschen san ma ja alle, hat kkaner an Vorteil und kaner an Nachteil.« In der gleichen Assoziation findet sich jedoch die genau gegenteilige Behauptung: "es gibt eigentlich gar kan gewöhnlichen Menschen.«
Es wird sich empfehlen, dem Ressentiment in der Bildung verschiedener Theorien nachzugehen. Dies gilt aber nicht nur für das Ressentiment nach oben, das sich in besonderer Weise etwa in den marxistischen Theorien niederschlägt. Im Ressentiment liegt auch eine Identifikation mit dem Angegriffenen, obwohl der von Ressentiment Behaftete dies zu leugnen trachtet. Häufig ist der zur Verstaatlichung Drängende ein durch die Realität verhinderter Kapitalist. Dies pflegt sich besonders dann zu zeigen, wenn er Gelegenheit bekommt, de facto die Stellung eines Kapitalisten einzunehmen. Er bringt dann - in Sekundärposition - die kapitalistische Autorität besonders kraß zum Ausdruck. So können wir in Österreich etwa folgende Reihe in sozialistischen Familien feststellen:
Arbeiter (P) —> Arbeiterführer (F1) —> Kapitalist/Industrieller/Geschäftsmann (F2)
In der F1-Generation wird der Arbeiterführer Politiker, doch hat er, seinem Ressentiment entsprechend, eine stille innere Sehnsucht nach dem »Kapitalisten« und hegt Bewunderung für ihn. Einmal an die Macht gelangt, oder schon vorher, bringt er seinen Sohn in die Kapitalistenposition. Diese bedeutet die Realisierung des heimlichen Wunsches des Vaters, Kapitalist zu sein.
Ressentiment nach unten (Snobismus): So merkwürdig es scheinen mag, aber es gibt auch ein Ressentiment nach unten. Auch dieses kann Wirklichkeitsverfälschende Rationalisierung erzeugen und damit entsprechende Fehltheorien. Es richtet sich gegen die Aufstiegspotentialität der Unterkastigen. Man gönnt ihnen den Aufstieg nicht, dabei geht es wiederum keineswegs nur um Geld.
Reichlich unbeschwert äußert sich der schon einigemal zitierte Monteur 2/504, der bei den Stadtwerken angestellt ist und sich sehr viel darauf zugute tut:
»Es gibt Gruppen, die unter dem Niveau liegen. Schaue herunter auf die Putzfrauen bei den Stadtwerken. Man redet über mich allgemein schlecht bei den Putzfrauen. Es sind nur zwei darunter, die ich grüße, alle andern sind Tratschweiber bis dort hinaus, und die verachte ich. Obwohl ich damit nicht sage, daß ich weiß was ich bin und das sind nur Putzfrauen, sondern ich schätze eine Putzfrau genauso wie einen Abteilungsvorstand oder einen Höheren, aber was gar kein Benehmen hat, das lasse ich links liegen, das beachte ich gar nicht. Es gibt genug Menschen, die Ekel erregen. Das ist nach wie vor der Arbeiter, weil er auf die Reinlichkeit nicht allzu viel hält.«
Er lehnt es als »Angestellter« ab, sich mit den Arbeitern zu identifizieren, obwohl er als Monteur beschäftigt ist, weil der Arbeiter »auf die Reinlichkeit nicht allzu viel hält«. Er schaut daher auf ihn herab, obwohl es gar nicht notwendig wäre, allzu viel von der Reinlichkeit zu halten. Es genügte ja schon, viel von ihr zu halten. Seine Aggression und Überheblichkeit haben hier den Zweck, sich möglichst deutlich von den Putzfrauen usw. abzuheben, die ihm innerlich viel näher stehen, als er sich eingestehen will. Sein Hochmut ist also stark mit der Angst verknüpft, die unterkastigen Personen könnten ihm so nahe kommen, wie er es heimlich fürchtet. Ähnlich verhält es sich mit der Aussage von 2/302:
»Denn wie gesagt, ist die Überheblichkeit eines Unintelligcnten, aus niederer Stufe kommenden Menschen noch viel unerträglicher als die eines Menschen, der eventuell zugänglich ist für Vernunftgründe.«
Der affektive Hintergrund ist eindeutig: er lehnt die unteren Schichten ab, er projiziert auf sie, daß sie unintelligent seien, und ist affektiv besonders gegen ihre Überheblichkeit eingestellt, das heißt dagegen, daß sie den Anspruch erheben, auch den oberen Schichten zu zählen. Er meint daher eigentlich: Der Unintelligente der niederen Stufe ist mir noch viel unerträglicher als der Unintelligente der Oberstufe. Im letzten Augenblick jedoch rationalisiert er, indem er hinzufügt: ». . . der eventuell zugänglich ist für Vernunftgründe.« Im Wort »eventuell« schlägt die affektive und eigentliche Meinung wieder durch; damit wird die Rationalisierung noch deutlicher erkennbar. Dieses Ressentiment ist insofern von besonderer Wichtigkeit, weil es weniger erkannt wurde — die Psychologen sind Akademiker und identifizieren sich daher eher mit den »Oberen« — und weil das Ressentiment nach oben häufig als reaktiv gegen das Ressentiment nach unten entsteht. Die ressentiment-freie, offene Einstellung sollte man ja auch vom ursprünglich Stärkeren — und das ist der Obere — erwarten.
Wer Angst hat, Unterkastige könnten sich nach einem eventuellen Aufstieg als überlegen erweisen, wird die Tendenz haben, sie möglichst unten zu halten. Sie sollen dumm bleiben und auf jener Stufe, auf der sie sich befinden. Ein solcher »Konservativismus« braucht Theorien, die die konstitutionelle Dummheit der Arbeiterschaft, aber auch etwa »der Russen«, »der Neger«, »der Japaner« oder »der Chinesen« (pd: "der Migranten"!) vertreten. So stammt etwa die Theorie, die Japaner besäßen nur nachahmendes Talent, aber kein schöpferisches, aus einem ähnlichen Ressentiment wie jene zum Teil unbewußte Annahme, »die Russen« wären zum wissenschaftlich-technischen Unvermögen verurteilt, weil sie aus rassischer Substanz dumm wären. Auch die auf Jahrtausende alter Kultur zurückschauenden Chinesen, die die ersten Raketen bauten, sollen wissenschaftlich-technisch völlig unbegabt sein, dasselbe soll auch für die Neger und Araber zutreffen.
Ebenso erklärte man zur Zeit der Bauernbefreiung, die Bauern wären zu einem freien Dasein völlig unfähig, und belegte diese Behauptung mit den anfänglich de facto bestehenden Schwierigkeiten der ersten befreiten Bauern, die nicht gewohnt waren frei zu sein (analog der sich selbstverwaltenden afrikanischen Neger).
Natürlich haben die Japaner zunächst alles nachgemacht und tun dies auch heute noch teilweise. Man darf aber nicht vergessen, daß auch die Kinder von den Erwachsenen lernen müssen, um dann selbständig handeln zu können. Eine solche Relation stellt sich überall her, wo jemand etwas kann, das der andere noch nicht kann. Das bedeutet keine Minderwertigkeit, sondern ein Entwicklungsstadium.
Die oben genannten Voreingenommenheiten entstammen einem Ressentiment und sind heute weltpolitisch sehr gefährlich, weil sie zu völliger Fehleinschätzung der geistigen Potenzen der sogenannten »unterentwickelten« Gebiete veranlassen. Insofern ist der durch die Raketenerfolge der Sowjets ausgelöste Schock der westlichen Welt verständlich und heilsam. Umgekehrt haben die Ressentiments nach oben - in China sind sie, verglichen mit Rußland, viel geringer - bei den Sowjets die wirkliche Entwicklung stark gebremst, da die Liquidation ursprünglicher Führungskräfte unerfahrene Kräfte nach oben brachte, die erst bittere Erfahrungen machen mußten, um zu einer relativ adäquaten Form der Leitung zu kommen.
Umwertungstechniken#
Die Bilder von der Gesellschaft und von einzelnen Gruppen der Gesellschaft werden meist mit Affektdruck entworfen, sie stellen vielfach sogar ausgesprochene Rationalisierungen dar. Oft sind Gesellschaftsbilder nichts anderes als Rechtfertigungsideologien einer uneingestandenen, unbewußten Affektdynamik, Affektkonstellation. Umwertend wird ein Bild von der Wirklichkeit entworfen, das geeignet erscheint, die eigenen Affekte zu rechtfertigen. In der Psychoanalyse sprechen wir in solchen Fällen von »Abwehrmechanismen«, denen die Rolle der Selbstverteidigung des Ich gegenüber den Vorwürfen des eigenen Uber-ich zukommt.
Sie sind etwa in dem Beispiel vorhanden, das von dem sozialistischen Versicherungsbeamten 2/507 zur Frage der Arbeitsmoral der Arbeiter gebracht wird. In einer Gewerkschaftsversammlung kreidet die Versuchsperson die Mißstände an und berichtet folgenden Vorfall: Fünf Arbeiter sind damit beschäftigt, eine Grube auszuheben. Einer steht im Schacht und wirft die Erde heraus. Die vier übrigen sollen die Erde auf einen danebenstehenden Wagen werfen. Natürlich kann damit nur einer beschäftigt sein, die anderen stehen herum und schauen zu. Auf die Passanten muß dies einen schlechten Eindruck machen. Und mit dem Brustton der Überzeugung:
»Die Arbeiter, die zum Nichtstun verurteilt sind, würden doch gerne zugreifen, aber schlechte Organisation hindert sie daran.«
Auf eine ernüchternde Bemerkung der Psychologin stutzt die Versuchsperson einen Augenblick und meint hierauf lachend, daß man in der Gewerkschaft nicht die Wahrheit sagen könne, sondern den Arbeiter lobend hervorheben müsse. Dieses Bestreben ist der Versuchsperson zur zweiten Natur geworden und wirkt wie ein bedingter Reflex auf das Wort »Arbeiter«. Trotzdem wird natürlich die Unmoral einer solchen Handlungsweise spürbar. Die Gruppe, mit der sich 2/507 identifiziert, verteidigt er, so wie er sich selbst verteidigt. Wir sehen deutlich, daß hier aus Kastengeist die Aufwertung einer Gruppe in moralischer Hinsicht stattfindet. Aus Kastengeist wird umgedeutet und umgewertet, also arrangiert. Dabei geht es um das Halten eines illusionären Selbstbildes einer Kaste.
In einer sehr typischen Weise zeigt sich die Umdeutungstechnik in einem hochinteressanten Ausspruch Mao Tse-tungs, auf den wir noch in anderem Zusammenhang zurückkommen: "Die saubersten Menschen in der Welt sind die Arbeiter und Bauern: Selbst wenn ihre Hände schmutzig und ihre Füße mit Kuhmist beschmiert sind, so sind sie doch sauberer als das Bürgertum.«
Was geschieht hier? Mao Tse-tung verwendet sowohl die Worte »rein«, »sauber« als auch »schmutzig« in einem ursprünglichen und in einem übertragenen Sinn. Dabei findet aber eine :Umwertung, ein Wechsel des abgewerteten Affektgegenstands statt, eine Wendung des Affekts, der das Schmutzigsein zum Fundament hat, von einer Gruppe weg auf eine andere hin. Mao nennt das Bürgertum schmutzig, die vorhandene Verachtung wird von den schmutzigen Proletariern weg auf das nunmehr schmutzige Bürgertum abgelenkt.
Ein ähnliches Beispiel ist der Gebrauch der Worte »Adel« und »Bildung«. Durch eine Sublimation des Affektgehalts des Wortes »Adel« wurde schon seit langem der Versuch gemacht, den konkreten Geburtsadel seines Wertes zu berauben. So kam es zur Bildung der heute sentimental klingenden Begriffe »Seelenadel«, »Herzensadel«. 2/519 assoziiert zum Beispiel zu »Adel« — »Seelenadel ja, mehr als Geschlechtsadel«. Ähnlich erklärten die alten Christlichsozialcn in Wien, daß Lueger zwar kein Adeliger wäre, doch hätte er »Herzensadel« und wäre ein weit edlerer Mensch als die meisten Adeligen. Hier wird eine Veränderung des Wortsinns vorgenommen, eine Haltung von ihren institutionalisierten Trägern abgelöst; dadurch vermögen die alten Adeligen unedel zu werden und der Bürger zum Edelmann.
Das Wort »Bildung« erfuhr durch die »Herzensbildung«, die gegen das institutionalisierte Akademikertum ins Feld geführt wurde, ein ähnliches Schicksal. Denn nun konnten die Akademiker als ungebildet erscheinen. Wenn auch in all diesen Fällen mit den neugeprägten Worten ein echter Sachverhalt getroffen wurde, also eine entlarvende, entdeckende Formulierung dargeboten wurde, so ist doch auch ein arrangierendes Moment am Werk. Der Spieß soll gewissermaßen umgedreht werden.
Ein solches Umkehrmoment tritt in der Gleichsetzung von Arbeit und Schmutzarbeit auf. Vielfach wurde erklärt, daß intellektuelle Arbeit eigentlich keine Arbeit sei. So berichtete sowohl ein Adeliger als auch ein Akademiker, daß ihre Frauen, von denen eine eine graduierte Akademikerin ist, ihren Männern gegenüber erklärt hätten: „Du machst sowieso den ganzen Tag nichts.«
Die Hausarbeit ist demnach Arbeit, geistige Arbeit nicht. Auch hier finden wir eine Arrangierungstendenz am Werk, die die eigene Position aufwertet.
Die affektiv schwierige Lage der Zwischenpositionellen ermöglicht es am ehesten, ein entsprechend adäquates Gesellschaftsbild zu entwickeln, allerdings nur dann, wenn die Zwischenposition bewußt wird, wenn man sie bejaht und beiden Positionen Rechnung trägt. Führt eine Position zur Verdrängung der andern, wird die Position der Schicht, mit der man sich identifiziert, leicht verabsolutiert. Zugleich wird eine Theorie entwickelt, die geeignet ist, diese Schicht in besonderer Weise zu begünstigen.
Angriffstechniken#
Die Akkumulations- und Aufsteigetendenzen einzelner Personen stoßen auf die Isolationen und Fixierungen von Gruppen der Gesellschaft. Die Vorzüge, die einzelne privilegierte Gruppen in Anspruch nehmen, wollen auch andere besitzen. So werden, wie schon Max Scheler bemerkte, die jeweils unteren Gruppen zu nachdrängenden Revolutionären — sie besitzen den »revolutionären Elan« —, während die jeweils oberen »konservativ« sind und eher an der gegebenen Ordnung festhalten (26). Die nachdrängende revolutionäre Gruppe war im Zeitalter der Vorherrschaft von Adel und Klerus das Bürgertum: Adel und Klerus waren konservativ, das Bürgertum revolutionär. Bei den komplizierten Strukturen der gegenwärtigen Gesellschaft reichen diese Begriffe jedoch nur zu einer sehr approximativen Charakterisierung.
Die jeweils Benachteiligten versuchen vor allem Herrschaftsposition zu erlagen. Ist nun das Ausfüllen von solchen Positionen an bestimmte Bedingungen geknüpft, die von den Gruppen mit negativem Wertakzent nicht erfüllt werden können (Adelsprivileg, Bildungsprivileg usw.), müssen jene die jeweilige Oberkaste begünstigenden Gesetze von seiten der Unterkaste bekämpft und nötigenfalls mit Gewalt beseitigt werden. Die milde Form dieses Sachverhalts ist die Erkämpfung einer Modifikation des Gesetzes. Sie ist natürlich nur dort möglich wo im Raum der Oberkasten genügend Verständnis für die Adaption gegeben ist bzw. wo jene bereits entscheidend entmachtet sind.
Wir können beim Kastenkampf verschiedene Methoden unterscheiden, die von den geistig-psychischen bis zu Krieg und roher Gewalt gehen. Das Herüberziehen von Personen, die sich mit den gegnerischen Kasten identifizieren, ist natürlich eines der wesentlichsten taktischen Ziele des Kastenkampfes. Die verschiedenen Gesellschaftstheorien, aber nicht nur diese, sondern auch juristische Thesen, »naturrechtliche« Feststellungen, ja theologische Theorien können mehr oder weniger intensiv von kastenkämpferischen Tendenzen unterlagert, unterströmt sein. So hat August M. Knoll gezeigt, daß die thomistische Gnaden-Freiheitslehre sich an dem Modell Gutsherr-Leibeigener orientiert, wobei der Mensch die Rolle des Leibeigenen spielt, der vom Feudalherrn - Gott - alles aus Gnade erhält. Die in ganz anderen soziologischen Konstellationen wurzelnde jesuitische Lehre, die die Freiheit akzentuiert, steht dem thomistischen Schema entgegen (27). Wir sehen, die thomistische Lehre ist geeignet, den feudalen Status zu fixieren bzw. zu rechtfertigen. Da Gott zum Feudalherrn gemacht wurde, wird letzterer durch Gott legitimiert.
Zweifellos war der Zweck der bewußten thomistischen Gnadenlehre nicht die Fixierung des Feudalstatus, doch war sie diesem willkommen.
Nietzsches These (28), die Morallehren des Christentums hätten den Zweck die »Herrn« zu zähmen, und seien so aus dem Ressentiment der Tschandala zu erklären, steht die marxistische These gegenüber, daß die religiöse Moral zur Zähmung der Unteren da sei und im Grunde nichts anderes sei als »Opium des Volkes« (29). Beide Thesen beinhalten, obwohl typische Umwertungs- und Arrangierungsprodukte, insofern Wahrheiten, als Religion und Moral zum Kastenkampf mißbraucht werden können, mißbraucht wurden und werden. Sie treffen jedoch diese geistigen Realitäten nicht in ihrer zentralen Substanz. Derartige Argumentationen gehören jedoch zum Kastenkampf. Man muß auch beachten, daß sich im konkreten Klerus ständig eigensüchtiges Interesse mit religiöser Aufgabe vermengen und religiöse Aufgaben mit Herrschaftsanspruch kollidieren können. Der Kastenkampf bedient sich nach Ausbildung entsprechender Lehren natürlich auch entsprechender demokratischer Mittel, wie Propaganda, Überstimmung, um entsprechend günstige Gesetze zu erreichen usw., bis zum Kampf mit den Waffen um die Macht. (pd: Islamismus!)
Im psychologischen Kampf geht es darum, verschiedene Personen zur Identifikation mit der angreifenden oder abwehrenden Gruppe zu veranlassen. Die angreifenden Gruppen versuchen Teile der Bevölkerung zu sich herüberzuziehen. Beim Angriff der Unterkasten sollen vor allem jene Unterkastigen, die sich mit den Oberkastigen identifizieren, von ihren Identifikationen loslassen und neue vollziehen. So sollen sich die »treuen« Lakaien nunmehr mit allen Nichtherrschaftlichen verbinden, um nicht nur einen persönlichen Aufstieg, sondern einen der gesamten Kaste zu erreichen. Wir können hier die Einzelheiten der propagandistischen Möglichkeiten nicht verfolgen, wir kommen auf einzelne wesentliche Momente jedoch noch in anderem Zusammenhang zu sprechen, besonders was die Aktivierungsmethoden verschiedener sadistischer Regungen betrifft, die im Kastenkampf die entsprechenden Energien liefern.
Abwehrtechniken#
Aus Fixierung, Isolierung und Tradierung heraus versuchen die herrschenden Kasten den Status quo gerne zu halten. Da die nachdrängenden Schichten als gefährlich empfunden werden, werden Abwehrmethoden entwickelt, die die Stoßkraft der Unterkasten schwächen sollen. Sie gleichen in vielem den Angriffstechniken. Natürlich müssen auch die angegriffenen Kasten versuchen, Personen auf ihre Seite zu ziehen. Wenn sie die gesamten Unterkastigen hinaufziehen wollen, handelt es sich nicht mehr um Kastenkampf sondern um eine Auflösung der eigenen Kaste und der gegnerischen.
Will man jedoch die eigene Kaste halten und sich doch gegen die Angriffe erfolgreich wehren, kann man als Kompromiß die gefährlichsten Führungsköpfe der Unterkasten in die Oberkaste hineinnehmen, sie dadurch ihrer Kaste entfremden und sie so zu Sekundärtypen machen, die sich oft besonders oberkastig aufführen. Sie erscheinen dann erfahrungsgemäß als unangenehme Typen. Auf diese Weise werden häufig die Unterkastenführer ihrer Gefolgschaft beraubt. So wurden durch Konstantin die christlichen Bischöfe in die byzantinische Führungsschicht herein- und hinaufgenommen und das Christentum durch diesen Akt seiner gesellschaftlichen Dynamik beraubt.
Bei einem Kastenwechsel wird der Aufsteigende dazu eingeladen, eine Umstellung seiner Identifikation zu vollziehen. Man ist bereit, seinen persönlichen Anspruch anzuerkennen, nachdem er ja durch seine persönlichen Leistungen bewiesen hätte, daß er würdig wäre, aufgenommen zu werden. Diese primär unter-kastigen Personen, die, nachdem man sie aufnahm, zu sekundären Oberkastigen wurden, übertreiben nun gerne ihre Ober-kastigkeit, und zwar, wie wir schon zeigten, aus innerer Unsicherheit, einem uneingestandenen Schuldgefühl gegenüber jener Kaste, die sie ursprünglich vertraten. Dieser Typus wird gewöhnlich mehr gehaßt als der ursprünglich Oberkastige und somit zum sichersten Vertreter der Oberkasten, die ihn jedoch auch nicht für ganz voll nehmen. Er ist ein Verräter, und zwar insofern, als er ursprünglich die Hebung der gesamten, von ihm vertretenen Kaste vertrat und nun den Aufstieg der gesamten Kaste seinem eigenen opfert.
Die aus der Unterkaste neu Aufgenommenen sind die besten Helfer der Oberkasten, denn sie können nicht gut zurück, da sie von ihren eigenen Leuten abgelehnt werden. Von ihrer ursprünglichen Gruppe isoliert, sind sie nun gezwungen, oben mitzumachen. Freigelassene Sklaven geben die besten Sklavenaufseher ab. Nur solche, die es ablehnen, sich in die Oberkaste entsprechend aufnehmen zu lassen, vertreten auf die Dauer die Unterkaste so, daß diese als Ganze aufsteigt.
Im Feudalsystem wurden die bürgerlichen Spitzenköpfe »weggeadelt«, sie wurden zu kleinen mißachteten »Vons«. Im bürgerlichen System wird dementsprechend der Versuch gemacht, die Spitzen der nachrückenden Gruppen zu verbürgerlichen.
Typisch ist folgender Fall: Während der Besatzungszeit in Österreich setzten die Sowjets in einem Markt einen kommunistischen Bürgermeister ein. Das Bürgertum des Marktes nahm diesen sehr elastisch in seine Gesellschaft auf. Er wurde betont mit »Herr Bürgermeister« angesprochen, eingeladen, mit ihm wurde also Tischgemeinschaft gepflegt usw. Die Folge war, daß der Bürgermeister sehr bald die typische Kleidung des dortigen Bürgertums anlegte und von seinen kommunistischen Genossen als von den »Proleten« zu sprechen begann. Diese waren natürlich darüber nicht sehr erfreut, denn dazu hätten sie keinen KP-Bürgermeister gebraucht. Im Gegenteil war es sogar wahrscheinlich, daß ein Primärbürger nicht von den »Proleten« gesprochen hätte.
Die Sekundärbourgeois in den marxistischen Parteien wurden vom Nationalsozialismus als »Bonzen« mit viel Erfolg gebrandmarkt. Solche Sekundärbourgeois sind zum guten Teil und in gewissem Sinn die bolschewistischen Führer noch mehr als die sozialistischen. Ebenso wie sich die kleinen Neuadeligen in einer fragwürdigen Aufstiegsposition befanden, befinden sich die Sekundärbourgeois in einer solchen Zwischenposition.
Auch durch Auszeichnungen kann man Personen verpflichten und zur Identifikation mit der verleihenden Instanz anregen. Dadurch verliert der Mensch häufig sein Profil. Denn Titel und Auszeichnungen typisieren. Der Mensch ist nicht nur Person und Persönlichkeit, er wird zur Kategorie. Der Typus (die Persona C. G. Jungs) droht sogar die einmalige Persönlichkeit des Menschen zu überschichten, so daß man sie nicht mehr erkennen kann.
Der polnische Zeichner Jan Lenica hat diesen Vorgang in "Swiat" interessant illustriert ("Eine traurige Geschichte"):
Das Gesicht, Symbol personaler Kontaktnahme, ist zu Anfang vollständig vorhanden, doch besitzt der Mann noch keinen Orden. Nachdem er einen Ordensstern bekommen hat, verliert er schon den Mund, vermag also nichts mehr zu sprechen. Zuletzt sieht, hört und riecht er nichts mehr, prangt aber voller Orden. Dort also, wo die Kategorisierung, der Typus, übermächtig wird, wird das unmittelbar Personale selbst überdeckt. Dieses Versinken der Person in die Anonymität des nunmehr ober-kastigen Typus ist für jene, denen dieser Typus dient, sehr praktisch. Wird jemandem ein Orden verliehen, so gerät er in eine innere Abhängigkeit vom Verleiher, die über ihm selbst bewußte Maß weit hinausgeht. So konnte man merken, daß Personen, die in der NS-Zeit militärisch ausgezeichnet wurden und vorher keineswegs Nationalsozialisten gesell waren, nun ihr Herz für die deutsche Wehrmacht entdeckten. Natürlich bedeutet das Tragen von Auszeichnungen des NS-Regimes auch eine zumindest unbewußte, Identifikation mit diesem.
Beachte: Die Verteidiger der oberkastigen Position stehen, was naheliegt, auf dem vorgegebenen Gesetzesstandpunkt, jene, die die Gesellschaftsordnung ändern wollen, dagegen außerhalb dieser Ordnung und erscheinen so als potentielle Gesetzesbrecher, als Verbrecher. Dies besonders dann, wenn man das geltende staatliche Gesetz als göttlich absolutes ansieht. Besteht in der Gesellschaft die Möglichkeit, die Gesetze ohne Gewalt zu ändern, dann ist ein revolutionärer Umbruch natürlich abzulehnen. Besteht diese Möglichkeit jedoch nicht, wird man die revolutionäre Möglichkeit nicht einfach ablehnen dürfen. Daß die jeweiligen Oberkasten das staatliche Recht auf ihrer Seite haben, ist verständlich, denn es ist für sie leichter, die moralischen und religiösen Instanzen für sich zu gewinnen. Andererseits verfügen die Oberkasten nicht über jene Dynamik, die meist von unten nachdrängt, so daß die Unterkasten auf längere Zeit die größeren Chancen besitzen.
Schuldgefühle im Kastenkampf#
Von den jeweiligen Oberkasten wird oft gefühlt, daß Adaptions-Prozesse erfolgen sollten. Sie lassen aber lieber »alles beim Alten«, da sie an die gegebene Situation fixiert sind. So entsteht bei ihnen ein Schuldgefühl, auf Grund dessen sie im entscheidenden Fall den nachdrängenden Gruppen auch dort keinen Widerstand entgegensetzen, wo diese zu weit gehen. Die Schuldgefühle spielen als Lähmungsfaktor im gesamten Gemeinschaftsleben eine bedeutende Rolle. So muß man auch den lange Zeit hindurch bestehenden geringen Widerstand der Alliierten gegen Hitler verstehen, dem sie gestatteten, sich im Handstreich das zu nehmen, was sie den gutwilligen deutschen Demokraten nicht zugestehen wollten. Die Schuldgefühle infolge eines leichtfertig und ohne entsprechende adäquate, sachliche Grundlagen oktroyierten Friedens hemmten ihre Entschlußkraft. Während die deutschen Demokraten vor Hitler nur ganz langsam Zugeständnisse erreichten, ließ man Hitler ohne entscheidende Gegenmaßnahmen gewähren.
Die Schuldgefühle als Lähmungsfaktor finden wir auch bei der französischen Feudalhierarchie vor der Revolution. Es ist interessant, daß die Zensur des ancien regime z. B. das revolutionäre Stück »Die Hochzeit des Figaro« nicht verbot. Die Schuldgefühle entstehen aus der Relation zwischen Kastengeist und der tieferen Realität der menschlichen Gesellschaft. Weil bereits der französische Adel, einschließlich des Königs, weitgehend die Feudalherrschaft für ein Unrecht hielt, ohne jedoch von sich aus entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um Änderungen der Situation herbeizuführen, hielt er in einer tieferen Schicht der Psyche die Revolution für richtig, wenn auch vielleicht nicht bis in ihre letzte Konsequenz. Aber es spricht sogar sehr viel dafür, daß in der französischen Revolution auf Grund der Schuldgefühle der Herrenkaste bei dieser Strafbedürfnisse bestanden, die schließlich auch Untergangssehnsucht erzeugten, so daß ihr sogar die revolutionären Liquidationen, tiefer gesehen, nicht unwillkommen war. Dies zeigt sich in der geringen Fähigkeit der herrschenden Kaste, Gewalt anzuwenden, um die Revolution niederzuschlagen. Die herrschenden Kasten waren schon ideologisch zersetzt, ehe es zur eigentlichen revolutionären Aggression kam. Crane Brinton sagt — allerdings ohne entsprechendes Verständnis für die psychologischen Vorgänge - mit Recht:
In den ersten Phasen unserer Revolutionen kann man noch eine Regelmäßigkeit erkennen, die wohl die deutlichste und wichtigste von allen ist. In jeder Revolution gibt es einen Punkt, wo die bestehende Staatsautorität von den Revolutionären durch illegale Akte herausgefordert wird. jede Staatsmacht greift in einer solchen Stunde zur polizeilichen und militärischen Gewalt. Auch unsere Regierungen reagieren so, aber stets mit auffallendem Mißerfolg. Die Vertreter der herrschenden Klasse erwiesen sich als offenkundig unfähig, in angemessener Weise Gewalt anzuwenden. (30)
Das ancien regime war offenbar unfähig, kraftvolle Reorganisationen durchzuführen, und wartete gewissermaßen unbewußt auf die Revolution.
Auch in Rußland waren die Maßnahmen der Zaren wohl von Schuldgefühlen mitbestimmt, denn man war sich in der russischen Gesellschaft schon seit einer Generation über die Möglichkeit einer Revolution vollkommen im klaren. Russen der Oberkasten sprachen seit einer Generation davon, daß sie »wie auf einem Vulkan säßen«, daß »der Sturm aufziehe« und »nach ihnen die Sintflut komme« (31). Aber an der russischen Aristokratie nagten Schuldgefühle, Strafbedürfnisse und Todeswünsche, die sie statt zu kraftvollen Maßnahmen zur Verklärung des eigenen Untergangs anregten. Das spielerisch Graziöse der aristokratischen Lebensform war gerade in diesen Zeiten von solcher Melancholie unterlagert. Zu spät einsetzende Adaptionen sind unglücklich und verschlimmern meist die Situation noch. Schuldgefühle können jedoch auch zum Gegenteil führen, nämlich zu besonders intensiven Aggressionen, die überkompensatorisch ihr Bewußtwerden verhindern sollen. Der Blutrausch betäubt gewissermaßen die eigenen Schuldgefühle und zugleich damit auch die Strafbedürfnisse und autoaggressiven Todessehnsüchte. Dieser Typus findet sich allerdings mehr bei den nachdrängenden Revolutionären als bei den konservativ abwehrenden Gruppen. Wir kommen noch darauf zurück. Aber wir finden dle sadistische Aggressivität auch bei den Konservativen, die mit demonstrativer Verachtung gegen die plebejischen Gruppen vorgehen. Zu ihnen gehören meist die Konterrevolutionäre. Außerdem gibt es einen maßvollen und sinnvollen Interessenausgleich, der revolutionäre Aggressionen vermeidet.
REVOLUTIONÄRER KASTENWECHSEL#
Im revolutionären Kastenwechsel übernimmt eine früher sich unten befindende Gruppe die Rolle der früheren Herren.
Dieser, meist plötzlich vor sich gehende Wechsel bringt vor allem die führenden Persönlichkeiten der Revolution in die Leitungs- und Lenkungsfunktionen. Er birgt eine spezielle psychologische Problematik in sich.
Geht der revolutionäre Vorgang blutig vor sich, das heißt, entladen sich dabei sadistische Aggressionen, dann entstehen notwendigerweise, vor allem wenn das reale oder symbolische Haupt (König, Zar) »physisch liquidiert« wurde, intensive, jedoch aggressiv verdrängte Schuldgefühle. Gerade diese überlagerten Schuldgefühle aber machen es verständlich, daß schließlich auch gegen die eigenen nachdrängenden Schichten liquidativ vorgegangen wird. Denn neben dem Faktor der Aggression gegen die alte Autorität steht noch ein anderer: der einer uneingestandenen Identifikation mit ihr. Diese Identifikation vollzieht sich aus einer unbewußt wirkenden Anteilnahme an allen Personen der verdrängten Kaste, aber auch aus einer meist uneingestandenen Bewunderung für die alte Autorität. Die Beseitigung der alten Autorität erweckt Schuldgefühle und Angst vor der Bestrafung, die als Folge der eigenen Tat erwartet wird. Ebenso wie die Schuldgefühle werden jedoch auch die Strafbedürfnisse verdrängt. Die revolutionäre Autorität erwartet ein ihrem Vorgehen analoges Verhalten von den nachdrängenden Schichten, dies macht die Aggression gegen die eigenen Leute verständlich. So »frißt die Revolution ihre eigenen Kinder«. Jene Nachrückenden, die sich potentiell genauso verhalten könnten wie der Revolutionär gegen die alte Autorität, werden umgebracht.
Nach gelungener Revolution, sagten wir, rücken die Revolutionsführer in die Position der früheren Herren. Hat die Revolution zunächst »Flitterwochen« und übernimmt der revolutionäre Stil die Führung, so hat die Revolution doch schließlich die latenten Vorbilder der vorrevolutionären Autoritäten. Der Herrschaftsstil klinkt bei Durchbruch der unbewußten Identifikationen meist plötzlich wieder in die alten Formen ein, und es kommt zu einer sekundären Auferstehung der primären Autorität. Die Revolution schlägt in ihrem Lebensstil auf die vorrevolutionäre Zeit zurück.
So folgte auf den Zarismus und seinen Lebensstil in der bolschewistischen Revolution eine kulturell unerhört explosive, revolutionäre Zeit, in der zum Beispiel Marc Chagall Minister in einer Sowjetrepublik war. Stalin brachte dann in den Kunststilen die Rückkehr zum Zarismus, so daß gerade in der Sowjetunion das fin de siecle am besten fixiert und konserviert blieb (Wir behandeln dies an anderer Stelle noch ausführlich).
Die latente Identifikation mit dem Zarismus brach durch und führte zu einem unbewußten sekundär-zaristischen Regime. Stalin brachte eine weitgehende Identifikation der neuen Führerschicht mit der alten; das zeigt besonders ein Stilvergleich. Dabei wird der alte Stil, sekundär natürlich, eher übertrieben als abgeschwächt, und es entstehen ambivalente Formen, die beides, Unter- und Überlagerungen, erkennen lassen. Dieser Sachverhalt kommt bei Orwells Schilderung des Diktators der Tierfarm zum Ausdruck (In »The Animal Farm«)32:
"Napoleon selbst erschien im schwarzen Rock, schmutzigen Reithosen und Ledergamaschen, während seine Lieblingsfrau sich in dem schimmernden Seidenkleid zeigte, das Mrs. Jones gewöhnlich Sonntags getragen hatte."
Der Diktator heißt bezeichnenderweise Napoleon und imitiert die ursprünglichen Herren, die Menschen. Dabei merkt man ihm an, daß er deren Stil noch nicht genügend beherrscht. An diesem sekundären Herrschaftsstil wird dann zäher festgehalten als am primären; das neue Regime erscheint sogar besonders reaktionär.
Die Problematik einer Überwindung dieser Situation wollen wir hier nicht weiterverfolgen. Nach der französischen Revolution wurde der Sekundärkönig Napoleon von außen gestürzt und der Versuch unternommen, den früheren Feudalismus zu restaurieren. Doch gelang dies auf die Dauer nicht. Für die bolschewistische Revolution wollen wir eine Prognose auf Grund psychologischer Ablaufgesetze später versuchen. Auf keinen Fall aber dürfen wir in den Fehler verfallen, in sekundären Herren »nichts als« die früheren zu verstehen. Die Revolutionsführer als sekundär oberkastige Typen vereinigen revolutionäre, dem alten Herrschaftsstil konträre Züge mit überspannten Zügen der primären Herrschaft.
Ursprünglich sahen zum Beispiel die Revolutionsführer der sowjetischen Revolution im Zarentum eine spezielle Herrschaft und einen speziellen Herrschaftsstil. Dieser imponierte ihnen zum Teil, doch wurde er von ihnen in der Ideologie auch heftig bekämpft. Sie besaßen daher bewußt ein »proletarisches« Über-ich oder Leitbild, unbewußt jedoch eines der alten Herrenschicht. Nach Übernahme der Herrschaft nahmen sie langsam aber sicher einen Teil der alten, bekämpften Formen an, jedoch gegen ihr bewußtes Über-ich. Sie sind Sekundäroberkastige, mit doppelten Schuldgefühlen, einmal gegenüber der liquidierten Kaste, zum anderen gegenüber der eigenen Gruppe, die sie durch ihre Lebensweise verraten. Es kommt zu einer Schranke zwischen ober- und unter-kastigen Lebensformen. So haben Sowjetführer zwar manchmal proletarische Formen, lassen aber barockartige U-Bahnhallen bauen.
Wie eben durch ein Zitat belegt, hat Orwell mit bester Ironie; doch unter Ausklammerung der Schuldgefühle, in seinem Buch »The Animal Farm« den revolutionären Kastenwechsel dargestellt Er zeigt, wie die neue Herrenschicht ebenfalls zu isolieren, kumulieren, tradieren usw. beginnt, bis sich schließlich die neue Schicht nicht mehr von der alten unterscheiden läßt. Das letztere stimmt, wie wir zeigten, natürlich nur sehr approximativ, da die komplizierten Schuldgefühlsverhältnisse anders liegen als bei der Primärherrenschicht und der revolutionäre Stil immer noch, zumindest untergründig, lebendig bleibt.