Markenware#
(Das flache Museum)#
von Martin Kruschewürde ich sagen, daß der Pop unwiderstehlich all jene Dinge verwandelt hat,
die der Geschmack von gestern noch für vulgär hielt.“
(Umberto Eco)
Es ginge mir zu weit, das Briefmarkensammeln als ein Genre der Volkskultur zu verstehen. Aber es hat etliche Berührungspunkte und Überlappungen; nicht nur bei den Motiven, sondern auch im Umgang mit dem Medium Briefmarke. Ebenso tun sich dabei unübersehbar Aspekte der Popkultur auf, obgleich ästhetische Experimente in Österreichs Briefmarkenwelt eher nicht vorkommen. Die wären mindestens auf dem Feld der Privateditionen möglich, wie sie die Post anbietet, doch falls sie schon aufgetaucht sind, fehlt es ihnen an Verbreitung.
Immerhin hat im Programm der Post die Gegenwartskunst ihre Momente, auch die Architektur. Und neuerdings wieder die Mobilitätsgeschichte. Was vorher nur verstreut aufgetaucht ist, oft mit etwas altbackener Graphik, läuft nun als Serie in kräftigen Farben, bei denen das ursprüngliche Design der Fahrzeuge selbst stark zur Geltung kommt.
Was ich an privat beauftragten Briefmarken-Drucken kennengelernt habe, ist durch die Bank konventionell und vielfach graphisch eher unbedarft. Das wiederum unterstreicht den volkskulturellen Aspekt, wo ambitionierte Laien sich einbringen, wo lokale und regionale Themen identifizierbar, zuordenbar sind. In Summe ergibt eine Briefmarkensammlung mit mehreren Alben allemal eine Art flaches Museum. Das hatte für mich schon in Kindertagen große Anziehungskraft. Ich wechselte gelegentlich das Ordnungssystem, mal nach Herkunftsländern, mal nach Themen.
Ich hab mir schon als Bub kleine „Sonderausstellungen“ arrangiert. Und oft waren interessante Briefmarken der Anlaß, mich über ein bestimmtes Thema ausführlicher zu informieren. Das macht dieses Briefmarkensammeln zu einem eigentümlichen kulturellen Phänomen, bei dem man so weit und tief hineingehen kann, wie es einem grade beliebt, aber man kommt auch ganz ohne Fachdiskurse und Metaebene aus, darf ebenso bloß nach ästhetischen Kriterien vorgehen.
Der zunehmende Verlust an Verbreitung und Bedeutung von Briefmarken als Sammelgegenstand hängt natürlich mit der aktuellen Mediensituation zusammen, mit gegenwärtigen Kommunikationsweisen. Es bleibt abzuwarten, ob sie sich als antiquierte Medien halten werden, vielleicht auch ein Revival erleben, oder ob sie sich als obsolet Papierchen erweisen werden.
Ich habe am Postamt mehrmals nachgefragt, ob denn die neue Sondermarke mit dem Steyr Baby schon da sei. Das war für meine Gegenüber wenig aufschlußreich. Vermutlich dachte man bei diesen Worten eher an ein Kleinkind, womöglich an ein Trachtenpupperl. Es empfiehlt sich in so einem Fall, den Nennwert der Marke zu kennen. Das macht die Suche leichter.
Inzwischen hab ich das gewünschte Stück bekommen. Es ist übrigens nicht die erste österreichische Briefmarke mit diesem Automobil. Im Jahr 1999 war zum hundertsten Mal an den Geburtstag von Konstrukteur Karl Jenschke zu denken. Die Sondermarke dazu zeige ebenfalls den Steyr Typ 50 in Rot und Schwarz, allerdings als Graphik.
Sie ahnen gewiß, ich hab eine schillernde Briefmarkensammlung, die der Mobilitätsgeschichte gewidmet ist. Mein flaches Museum voller exotischer Schätze. Das reicht bis zu Kuriositäten einer Würdigung von westlichen Automobilen auf Briefmarken aus Nordkorea, wo von der Masse des Volkes kaum ein Mensch je ein Autos besitzen könnte.
Die Automobilindustrie Österreichs hatte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine bemerkendwerte Breite und über etliche Produzenten internationalen Rang. Darunter sind uns heute Austro-Daimler, Puch und Steyr am besten vertraut, zumal daraus die Steyr-Daimler-Puch AG hervorging, die zu den markanten österreichischen „Erinnerungsorten“ zählt. Aber im Kronland Böhmen gab es einen Giganten, von dem viele Anregungen ausgingen, und der hier auch erwähnt werden muß: Laurin & Klement.
Von dort kam zum Beispiel Karl Slevogt für einige Zeit zu Johann Puch und sorgte für Meilensteine der Entwicklung. (Siehe dazu auch „Puch am Berg“!) Es ist kein Zufall, daß die Puch Voiturette von 1906 den Voiturettes von Laurin & Klement aus jenen Jahren gar so ähnlich sieht.
In diesen frühen Jahrzehnten des Automobilismus wanderten Konstrukteure von Betrieb zu Betrieb, ihren Möglichkeiten folgend. Der prominenteste unter ihnen ist gewiß Ferdinand Porsche. Diese Reputation besteht aufgrund seiner Leistungen, aber sicher auch der Tatsache, daß eine Automarke nach ihm benannt und bis heute existent ist. (Dafür sieht man ihm auch seine völlige Distanzlosigkeit gegenüber Adolf Hitler nach.)
Wer in diesen historischen Zusammenhängen an Johann Puch denkt, dessen Namen immerhin erstklassige Geländewagen ziert, berührt damit eine grundlegend andere Geschichte. Puch war ein honoriger Handwerker, vor allem aber ein exzellenter Geschäftsmann, doch kein bedeutender Konstrukteur.
Mit Hans Ledwinka sieht das schon anders aus. Er prägte in seinem späteren Berufsleben vor allem die Geschichte von Tatra. Jenschke ist dann eigentlich nur noch den Technikern und intensiveren Fans geläufig. Er löste Porsche in Steyr um 1930 als leitender Ingenieur ab. Mit seinem Steyr 100 schuf er 1935 den ersten nennenswerten Stromlinien-Wagen für die Serienproduktion. Der erscheint uns heute nicht gar so sehr wie man sich einen Streamliner vorstellt, aber die ganze Werbung setzte damals auf dieses Motiv.
Das war in den Jahren 1933 und 1934 da wir dort, in Europa und in den USA, zu einem großen Thema geworden. Die Rennsport-Geschichte der Silberpfeile (Auto Union und Mercedes-Benz) illustriert mit Karosserieformen und Tempo diese hochfahrende Stromlinien-Versessenheit.
Bei Porsche war ab 1931 der Aerodynamiker Erich Komenda tätig, von dem nicht nur frühe Porsche-Karosserien stammen, die 356er und der 550 Spyder, sondern vor allem auch der VW Typ 1, der markante „Käfer“. Längst bevor dieser spätere Superhit im KdF-Wagen der Nazi angelegt war, sah man schon den beeindruckenden Tatra 77 von Ledwinka und dann eben das Steyr Baby.
Es sieht ein wenig aus, wie der kleine Bruder des Chrysler Airflow von 1934, dem die allgemeine Anerkennung zukommt, der erste Stromlinienwagen in Großserie zu sein. Den kopierten übrigens die Japaner. Allerdings gingen diese frühen Toyoda-Limousinen verloren. Der Firmennamen mutierte zu Toyota, heute der größte Automobilsproduzent der Welt. (Siehe dazu auch: „Automotive 1: Im Wandel“!)
Damit mögen Sie einen Eindruck haben, was alles an Querverbindungen auftaucht, wenn man so eine kleine Briefmarke näher betrachtet, wenn man etwas auslotet, wovon das Motiv handelt. Dieser österreichische Streamliner mit der Orientierung an der Tropfenform und dem großen Stahlschiebedach ist eine beeindruckende Arbeit von Jenschke, die mit zwei Nachteilen behaftet war. Erstens ist das Steyr Baby immer noch zu teuer gewesen, um sich als Volkswagen/Wagen fürs Volk durchzusetzen.
Zweitens stand der kompakte Steyr den Markenstrategien der Nazi im Weg. Die brauchten Österreich hauptsächlich als Quelle von Rohstoffen, kompetenten Fachkräften und anderen Ressourcen und forcierten vorzugsweise die Produzenten „daheim im Reich“.
Freilich muß man all das gar nicht wissen, um diese Jenschke-Konstruktion zu bestaunen. Ich nehme übrigens an, daß seine Erscheinung ebenso einprägsam und unvergeßlich ist, wie die des VW Käfer. Aber vor allem in real zu sehen ist vergnüglich, weil er durchaus das Flair eine Exoten hat.
- Österreichs Briefmarken ab 1947, nach Jahren geordnet
- Steyr Typ 50 „Baby“