Lyrischer Wettstreit#
Kleine Anregungen #3#
von Martin KruscheReim oder nicht Reim, auf jeden Fall Klang. Melodie! Oder? Sie können freilich auch jede Regel brechen. Es wird interessant sein, wenn ein origineller Plan dahintersteht. Es wird höchstwahrscheinlich fad sein, wenn es Ihnen bloß Datum ging, sich mit irgendeinem Stückwerk ins Blickfeld anderer Menschen zu drängen.
Das ist im Grunde nicht viel anders als im Alltagsleben. Dampfplauderer und Wichtigtuer werden Ihnen vermutlich beizeiten auf die Nerven gehen. Setzen Sie auf Ideen! Freilich ist ihr Schreibtisch auch Spielecke. Experimentieren Sie! Verblüffen Sie sich selbst!
Ich hab schon erwähnt, daß sich Kinder manchmal scheckig lachen, wenn man mit vertrauten Begriffen Unfug treibt, diese verdreht, verschleift, Laute vertauscht. Das kann viel Spaß machen. Das kann auch überraschende ästhetische Qualitäten hervorbringen.
Ästhetik kommt vom griechischen Aisthesis. Das bedeutet Wahrnehmung. Unsere Wahrnehmung ist ein hungriges Monster. Wenn wir sie ohne Futter lassen, fällt sie bald ins Koma. Es ist wichtig, daß wie unsere Wahrnehmung auch überraschen können, um sie frisch und munter zu halten.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus „Laut und Luise“ von Ernst Jandl, wobei schon der Buchtitel eine Aufforderung ist, nicht am alltäglichen Sprachgebrauch hängenzubleiben.
lichtung#
manche meinenlechts und rinks
kann man nicht
velwechsern.
werch ein illtum!
Man kann sich einfach daran erfreuen, daß einem der Hausverstand gelegentlich so aufgelockert wird. Man kann es auch genauer wissen wollen und sich Eindrücke verschaffen, wie über diesen Text debattiert wird. Eine Beispiel: (Link)
Jandl ging noch radikaler vor, als er eine Geschichte erzählte, bei der die Sprache lautmalerisch eingesetzt wird und wir dadurch das Geschehen assoziativ erfassen können. Assoziationen! Das bedeutet freilich auch, wir sind auf eigene Erfahrungen und Eindrücke angewiesen, denn sonst löst der Text nur schwer etwas in uns aus.
Ich zitiere ein paar Zeilen aus dem Lautgedicht. Sie finden anschließend die Quelle verlinkt, wo nicht nur der Text zu finden ist, sondern auch eine Tondatei, um sich anzuhören, wie Jandl selbst das gelesen hat.
schtzngrmm#
schtzngrmmschtzngrmm
t-t-t-t
t-t-t-t
grrrmmmmm
t-t-t-t
s---------c---------h
tzngrmm
tzngrmm
tzngrmm
(…) (Quelle)
Sie sollten inzwischen den Schützengraben problemlos herausgehört haben. Und wozu kann das führen? Finden Sie die Pointe in folgendem Jandl-Gedicht:
Vater komm erzähl vom Krieg#
vater komm erzähl vom kriegvater komm erzähl wiest eingrückt bist
vater komm erzähl wiest gschossen hast
vater komm erzähl wiest verwundt worden bist
vater komm erzähl wiest gfallen bist
vater komm erzähl vom krieg
(Quelle)
Damit möchte ich anschaulich machen, daß man sich in der Lyrik keinen Regeln beugen muß. Wenn ihnen klar ist, was Sie tun, folgen Sie einfach Ihren Ideen. Oder tun Sie es völlig bewußtlos, ohne Plan. Hauptsache ich werde das Ergebnis interessant finden. Oder, nein, Sie sollten es interessant finden. Sie sollten dabei neue Erfahrungen machen können. Wenn das gelingt, ist die Chance gut, daß auch die Jury ihren Text interessant finden wird.
- Vorlauf
- Fortsetzung
- Von gelingenden Dialogen: Schreiben Sie! (Übersicht der Tips)