Das Zeitfenster#
(Rund 200 Jahre permanente technische Revolution)#
Von Martin Krusche#
Die Vernissage im Gleisdorfer Verwaltungsgebäude der Feistritzwerke bot das Betreten der Erzählebene #1 des Projektes. Die Bilder von Monika Lafer als der Zugang über visuelle Codes. Bei den Bildern befindet sich ein Set von Text-Miniaturen, mit denen ich zur Erzählebene #2 ins Internet verzweige. Da kann ich die Teilthemen auffächern und in die Tiefe gehen. Aus dieser Situation führen wir zurück in die Welt der realen sozialen Begegnungen.
Zu dieser Konzeption habe ich bei der Vernissage eine Hintergrundfolie aufgerollt, das Zeitfenster markiert, welches wir als Hauptbereich betrachten. Klar, daß wir dabei auch stichprobenartig in die Antike blicken oder sogar weiter zurück, in die Bronzezeit, ins Neolithikum. Es waren folgende Themenschwerpunkte zu skizzieren:
- Ende des 18. Jahrhunderts: Optimierung der Dampfmaschine
- Ende des 19. Jahrhunderts: Elektrifizierung der Welt
- Ende des 20. Jahrhunderts: Start in die Vierte Industrielle Revolution
Jeder dieser Umbrüche hat zu vielfältigen Paradigmenwechseln geführt, hat die Wirtschaft, das soziale Leben und unsere Kultur grundlegend verändert, folglich auch die Politik. Ich gehe freilich davon aus, daß allgemein bekannt ist: es betraf jeweils erst einmal Teile der Welt, um sich von daher auszubreiten, ohne je in allen Winkeln der Welt anzukommen.
Unser Themenbogen#
Das Hauptanliegen der Erzählung bleibt ein Begreifen des 20. Jahrhunderts, um besser orientiert in das 21. hineingehen zu können. Da ist unter anderem die Wissens- und Kulturarbeit gefordert, zu der auch die Kunstpraxis gehört, also das Bearbeiten von Themen mit künstlerischen Mitteln.Der Rückblick verblüfft. Es lassen sich jeweils gegen Ende der Jahrhunderte markante Phasen feststellen, in denen sich grundlegende Umbrüche vollzogen haben. Das Muster wirkt so verführerisch, daß ich erst dachte, es entspränge womöglich meinem Wunschdenken. Aber die Betriebsmittel der Umbrüche sind evident und können problemlos dargestellt werden.
Das klingt sehr abstrakt, womöglich sogar kryptisch? Ich hatte zur Eröffnung der Ausstellung einige Blätter mitgebracht und dem Publikum überlassen. Die zeige ich hier, um deutlich zu machen, wie das alles gemeint ist.
Ende des 18. Jahrhunderts: Optimierung der Dampfmaschine#
James Watt erhielt sein Patent für die optimierte Dampfmaschine. Das Prinzip war schon in der Antike bekannt, der praktische Nutzen kam aber erst durch die Arbeit von Watt auf den Punkt. Dadurch erhielt die Wirtschaft recht bald ortsunabhängige Kraftquellen, war also zum Beispiel nicht mehr an Flüsse und Bäche gebunden, um effiziente Antriebssysteme nutzen zu können. Siehe zu diesem Teilthema meinen Schwerpunkt „Flüsse und Bäche“ (Die regionale Matrix der Gewässer)! Die Links zu solchen Querverbindungen sind am Seitenende zusammengestellt.Weltgeschichte berührt Regionalgeschichte#
Erzherzog Johann von Österreich bereiste Großbritannien, die damals führenden Industriemacht der Welt, in den Jahren 1815/1816. Er traf dabei auch James Watt, brachte penible Aufzeichnungen mit. Der steirische Prinz (eigentlich ein Italiener) gilt als Begründer des Joanneums, das als Schau- und Lehrsammlung konzipiert war, also dem Know how-Transfer diente. Daraus ging die technische Universität Graz hervor, an der Nikola Tesla studierte und kurz darauf Franz Pichler, der „Elektrische Franzl“, auf den unter anderem die Elektrifizierung des Bezirkes Weiz zurückgeht.Ende des 19. Jahrhunderts: Elektrifizierung der Welt#
Das begann ganz prominent mit der Stadt New York, wo elektrisches Licht das Gaslicht ablöste, so die Nacht zum Tag machen konnte, was Wirtschaft und Privatleben der Menschen veränderte. Neben dem schon erwähnten Nikola Tesla war vor allem Thomas Alva Edison in dieser Sache sehr exponiert. (Seine Biografie ist geradezu verstörend komplex, was Erfindungen und unternehmerisches Handeln angeht.)Der Große Krieg#
Kraftquellen, Energieversorgung, Telekommunikation, Raumüberwindung... Die Dichte und das Tempo, mit dem die industrialisierte Welt ihre Völker bewegte, ist selbst aus heutiger Sicht noch schwindelerregend. Vor allem aber war die Dynamik völlig neu und in der Menschheitsgeschichte noch nie zuvor dagewesen. Das manifestierte sich ganz besonders hart und grausam im Großen Krieg (1914-1918), dessen umfassende Mechanisierung und verheerende Waffenleistung selbst erfahrene Militärs in Nervenzusammenbrüche getrieben hat.In diesem Kräftespiel veränderte sich auch die politische Landschaft Europas radikal. Es wurden neue Landesgrenzen gezogen. Dabei fielen oftmals Rohstoffquellen, Produktionsstätten und Absatzmärkte auseinander, wovon Österreich besonders betroffen war. Notlagen bringen manchmal neue technische Lösungen hervor, um den Verlust alter Möglichkeiten zu kompensieren.
Ende des 20. Jahrhunderts: Start in die Vierte Industrielle Revolution#
Zwischen dem markanten Jahr 1909, in welchem Luftfahrt und Automobilrennsport den Völkern neuen Helden boten, und dem Großen Krieg manifestierte sich die Zweite Industrielle Revolution als eine enorme Automatisierungswelle.Die ermöglichte Quantensprünge in den Stückzahlen. Massenproduktion und Massenkonsum konnten einander näherrücken. In den 1970er Jahren vollzog sich dann die „Digitale Revolution“, welche wir als Dritte Industrielle Revolution deuten. Sie werden sich vielleicht erinnern, daß gegen Ende der 1980er Jahren schon sehr viele Haushalte über Personal Computers verfügten und daß Anfang der 1990er Jahre das „Internetzeitalter“ in die Gänge kam.
Weshalb reden wir aber nun von einer Vierte Industrielle Revolution, die doch ebenfalls auf Computertechnik beruht? Was ist neu, was anders?
Es gibt längst Selbstlernende Systeme. Maschinen lernen von Maschinen. Solche Systeme helfen uns dabei, mit den unfaßbaren Datenmengen, mit all den Informationsfluten besser zurechtzukommen und manche Alltagsprobleme zu bewältigen. Da sind allerhand Assistenzsysteme, Gegenstände, die autonom miteinander kommunizieren, das „Internet der Dinge“ und Varianten von KI, also von „Künstler Intelligenz“, die ich freilich lieber Maschinenintelligenz nennen Weshalb? Weil menschliche Intelligenz etwas völlig anderes ist.
- 1996: Das System Deep Blue schlägt Schachweltmeister Garri Kasparov.
- 2016: Das System AlphaGo schlägt den professionellen Go-Spieler Lee Sedol.
- 2017: Das System AlphaGo schlägt den Weltranglistenersten Ke Jie.
Für diesen Abschnitt hatte ich eine alte Grafik mitgebracht, die das Go-Spiel zeigt. Während anfangs nämlich leistungsfähige Schachcomputer noch von Programmen gesteuert wurden, die menschliches Know how umsetzten, konnte das extrem komplexe Go-Spiel erst von Maschinen bewältigt werden, die das von Maschinen gelernt hatten, nicht mehr von Menschen. Das heißt, die Dampfmaschinenmoderne hat Ende des 20. Jahrhunderts geendet. Wir sind in einer neuen Ära angelangt, die verstanden, definiert und beschrieben werden sollte.
Fazit#
Das Projekt „Die Natur Mensch. Eine Annäherung.“ (Lafer & Krusche) ist bis Februar 2023 im Haupthaus der Feistritzwerke etabliert, führt aber zugleich in andere Bereiche, um die Arbeit an den einzelnen Themen zu verdichten.Darin ist eine Querverbindung enthalten, die auf Anfänge der Dampfmaschinenmoderne verweist und deren Ende greifbar macht; nämlich die Historie der Textilfabrik Borckenstein in Neudau, nahe an der burgenländischen Grenze. Das finden Sie in meinem Projekt „Der milde Leviathan“ thematisiert. Außerdem liegt Neudau am alten Grenzfluß Lafnitz, wie Gleisdorf an der Raab liegt und das genannte Energieunternehmen seinen Namen von der Feistritz bezogen hat. Wir haben also über Flüsse und Bäche zu reden, Ich hab übrigens diese und benachbarte Zusammenhänge in einer „Kulturspange“ zusammengefaßt, die räumlicher und inhaltlicher Art ist.
- Der milde Leviathan (Projekt)
- Flüsse und Bäche (Die regionale Matrix der Gewässer)
- Aviatik und Akrobatik (Was sich rund um 1909 verdichtet hat)
- Die Mechanisierung der Welt (Übersicht)
- Kulturspange (Kontext)
Das soll in Summe eine Idee vermitteln, was man sich unter Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz vorstellen kann, also ein Bemühen um ein geistiges Leben und angemessene Zukunftsfähigkeit abseits des Landeszentrums; freilich als eine Variante unter entlichen, die denkbar sind.