Was ist Inhalt?#
(Ein Beitrag für die Ebene #3: Reale soziale Begegnung)#
Von Monika Lafer#
Der Ausgangspunkt ist ein Gemälde: Man kann seine Bestandteile grob in 1. Materie, 2. Ausdruckskraft und 3. Inhalt einteilen. Materie meint die Keilrahmenleisten, das Gewebe, die Farbpigmente und ihre Bindemittel, das sind jene Dinge, die es im Geschäft zu kaufen gibt. Ausdruckskraft setzt sich aus Kompositionsprinzipien, Farbkontrasten und Stilmerkmalen zusammen. Hier geht es um Experimentieren und/ oder bewussten Einsetzen von handwerklichen Fertigkeiten, die mit der eigenen Wahrnehmung eine fixe Bindung eingegangen sind.
Mitunter kommt es vor, dass der letzte Punkt, die Ausdruckskraft, schlampig als Inhalt definiert wird. Warum eigentlich? Man muss seinen „Stil“ finden, denn ohne ihn geht gar nichts, hört man als Kunstschaffende fortwährend. Von der Kunst leben, Reüssieren am Kunstmarkt, Stichwort „Alleinstellungsmerkmal“, der Wiedererkennungswert – DAS gilt es zu erreichen. Dann habe man „es“ geschafft. Und man buddelt fortan überall nach seinem einzigartigen „Stil“, der dann die Tür zu den gestrengen Galeristinnen und Galeristen öffnen soll. Ist man fündig geworden, gibt es kein Halten mehr: man stülpt dieses vermeintliche Alleinstellungsmerkmal über alle Motive, die einem vor die Füße kullern. Mitunter reicht das (in Kombination mit ambitioniertem Marketing), um tatsächlich gut zu verdienen. Warum nicht? Merkt ja kaum jemand, dass es da noch mehr geben könnte…
Aber hier fehlt noch immer der dritte Punkt, der Inhalt. Möglicherweise kommt man sogar über seinen „Stil“, also der Ausdruckskraft, zum Inhalt (Sprich, man findet ein Thema, das mit künstlerischen Mitteln in seiner Tiefe untersucht wird). Nur ist Ausdruckskraft kein Inhalt, sondern neben Inhalt und Materie ein gleichwertiger Bestandteil eines Gemäldes.
Sperrig ausgedrückt geht es um Informationsgehalt, die Kurzform ist „Inhalt“. Weiter verkürzen bitte nicht. Immerhin reden wir hier von geistiger Substanz, denn DAS ist Inhalt. Wie sich dieser Inhalt im Bild zeigt, entscheidet die Künstlerin/ der Künstler. Denn sie/ er gestaltet es, was wiederum eine freie geistige Tätigkeit ist. Das war bereits vor 100 Jahren den Expressionisten klar.
Um es anschaulicher zu machen#
Das Bild „Regen, Dampf und Geschwindigkeit. Die Große Westeisenbahn“ aus dem Jahr 1844 von William Turner zeigt eine Lokomotive, die bei Regen auf einer Eisenbrücke in Maidenhead über die Themse fährt. 1)Das Material dieses Bildes ist klar – Öl auf Leinwand. Die Ausdruckskraft kommt einerseits durch verschiedene Kompositionsprinzipien (Goldener Schnitt, Zentralperspektive, Hell-Dunkel-Kontrast, Kalt-Warm-Kontrast) und andererseits durch die spezielle Maltechnik zustande.
Turner war es sehr wichtig, seine Empfindungen sichtbar zu machen – so hatte er sich bei offenem Fenster mit dem Kopf rausgelehnt, um die Wirkung von Regen, Dampf und Geschwindigkeit besser beobachten zu können. Gleichzeitig erfuhr er sie am eigenen Körper, denn er war klatschnass geworden. 2)
Der Inhalt dieses Meisterwerkes ist also einerseits das Thema des neuen Fortbewegungsmittels – die Eisenbahn - und andererseits das für die Zeit um 1850 neuartige Zusammenwirken von Regen, Dampf und Geschwindigkeit.
Die Fußnoten#
- 1) Gabriele Crepaldi, Große Meister der Kunst. Turner, München 2011, S. 128.
- 2) Gabriele Crepaldi, Große Meister der Kunst. Turner, München 2011, S. 128.
- Das Bild ist Public Domain
Die zweite Session#
- Ebene #2: Die Erzählung im Web (Textminiaturen und weiterführende Texte)