Späte Situationen, nächster Auftakt#
(Im Kielwasser einer Vernissage)#
Von Martin Krusche#
Im Juni 2022 habe ich notiert: „Wir beuyseln!“ (Der Ernst des Lebens und was sonst noch so auf dem Programm steht). Das wurde ein erster Eintrag zur Leiste „Beuys 101“ (Eine Erzählung in Momenten und Episoden). Diese Pages hängen mit einem Vorhaben zusammen, das Gleisdorfs Kulturreferent Karl Bauer schon eine Weile in Arbeit hatte, nämlich die Ausstellung „Joseph Beuys – 101“ im Museum im Rathaus.
Dazu entspannen sich ein paar Erörterungen zwischen Bauer, Malerin Monika Lafer und mir, die unter anderem zu Episoden im „Zeit.Raum“ in der Gleisdorfer Bürgergasse führten. Der Zusammenhang: Beuys war sehr einflußreich, was das (westliche) kulturelle Leben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anging. Über seine Spuren stolpert man beim Kulturvölkchen permanent.
Zwiespältiges#
Beuys war ein problematischer Charakter, dessen eben erwähnte Wirkung eine Debatte nahelegt, weil es mindestens seinen erklärten Ansichten widersprechen würde, ihn bloß zum Gegenstand von Verehrung zu machen. Dem widersprächen aber auch noch andere Gründe, welche eben verlangen, eine Ausstellung von Beuys-Werken als Anlaß zur Diskussion zu betrachten. (Haben wir diese Diskussion?)Wir hatten auf jeden Fall bei der Vernissage am 7. Juli 2022 eine Situation. Genauer: ein Ensemble von Situationen, aus denen nächste Schritte erwachsen werden. Das alles spricht ja nicht gegen die ungetrübte Geselligkeit bei einer Vernissage. Im Gegenteil! Die Befassung mit Kunstwerken ist stets auch guter Anlaß für ein Fest.
Hier sehen Sie einige Fotos, die für Erörterungen und für konkrete Vorhaben stehen, welche sich teils gerade erst abzeichnen. Das ist es, was ich mir im Kern vorgenommen habe. Wenn Beuys-Arbeiten in Gleisdorf gezeigt werden, verlangt die Zuwendung zu diesem Werk von uns Reaktionen. Und zwar Reaktionen, die sich nicht in etwas Plauderei und den vertrauten Posen bei Ausstellungseröffnungen erschöpfen.
Handeln#
Diese Zuwendung ist von mir aus nicht als Referenz an Beuys gedacht, sondern an uns selbst; als Teil eines konkreten Gemeinwesens. Beuys ist nicht das Ziel, sondern der Anlaß solcher Vorhaben. Zugleich habe ich keinen Grund, seinen Rang zu relativieren. Im Gegenteil. Ich hab Beuys erstens selbst oft als Anregung erlebt und hab zweitens ein reges Interesse an solchen Kräftespielen, durch die eine einzelne Person derart exponiert wird. (Das betrifft ja die Mechanik einer Hegemonie.)Ich bin überdies Teil jener zwiespältigen Verbrämungen und Legendenbildungen, die Personen wie er ausgelöst haben. Das bezieht sich auf seine Erfahrungen als Mensch, der zu Hitlers Horden gehört hat und in diesem Zusammenhang versehrt wie geprägt wurde. Ich bin in der Obhut solcher Leute aufgewachsen, bin bis heute damit beschäftigt, jene Zeichen und Botschaften zu dechiffrieren, die dabei in mich graviert wurden.
Die letzten Jahrzehnte haben mich gelehrt, daß mir dabei kein Tribunal nützt, sondern daß ich mich bis zu unbestimmten Graden auf das Herz der Finsternis einlassen muß, aus dem diese Leute zurückgekehrt sind. Sonst bleibt unzugänglich, was mich in derlei Zusammenhängen ausmacht.
Postskriptum#
In den Tagen vor jener Vernissage war Fotograf Richard Mayr von seiner Schottland-Tour zurückgekommen und wir hatten unsere nächsten gemeinsamen Schritte erörtert. Bei meinem Faible für Drei-Wort-Kombinationen war mir eine Formulierung eingefallen, die eigentlich auf ihn selbst gemünzt war, auf die Jahrzehnte, in denen Mayr diese drei Territorien durchforscht hatte: „Welt, Wildnis, Kunst“.Ich schrieb ihm am Dienstag vor der Vernissage dazu: „ich denk das paßt in der zuschreibung und funktioniert auch klanglich ganz gut“. Aber jetzt scheint mir, das sollte wir auf die ganze Situation anwenden, die sich bei der Beuys-Session verdichtet hat.
PPS:#
Dazu noch ein kleiner Vorgriff auf einen Zusammenhang, den ich hier erst genauer hereinholen muß. Wir denken ja in Worten, Bildern und in Emotionen. Die Emotionen, das bedeutet: unser Fleisch wirkt an allen Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozessen mit.Ich bin nun seit Wochen mit Musiker Sigi Lemmerer im Austausch über eine Reihe von Fragen, die mich bezüglich der Musik beschäftigten, weil sie so physisch ist, weil sie mehr als viele andere Genres diese Verknüpfung von Geist und Fleische ausdrückt.
Lemmerer schieb mir dazu unter anderem erhellend: „In der ‚Heiligen Geometrie‘ des Leonardo da Vinci ist das Oben (Intellekt) mit dem Unten (Emotion) verbunden. Komplex angeordnete Verbindungslinien sorgen dafür, dass der Kontakt besteht. In der Musik geht es einerseits um die rationale Verwaltung des Irrationalen, während das Irrationale in die rationale Kalkulation hineinspielt.“
Da also. Dieser Satzteil! „…die rationale Verwaltung des Irrationalen, während das Irrationale in die rationale Kalkulation hineinspielt.“ Das hat einen speziellen Hintergrund, denn ich war während der letzten Tagen in eines von Lemmerers Stücken völlig vernarrt. Ich habe es ob einer Reihe seiner Qualitäten bestaunt. Es ist ein kleines „Divertimento für Steirische Harmonika“, übrigens auf einem ausnehmend schönen Instrument gespielt.
Lemmerer verriet mir dazu: „Dieses Stück fiel mir irgendwo in der Nähe von Iowa City ein. Ich wollte damit den Mittelwesten einfangen. Iowa ist ein interessanter Staat!“ Er hat mir erlaubt, das Stück hier einzubinden, denn es in Worten zu beschreiben bleibt ja höchst ungenügend.
- Alle Fotos: Martin Krusche
- Die Vernissage: Erweiterte Kunstbegriffe (Zur 2022er Ausstellung in Gleisdorf)
- Beuys 101 (Eine Erzählung in Momenten und Episoden)
- Fortsetzung