BELLINI#
Ganz Mailand ist 1827 in hellster Aufregung. Die Scala, das berühmteste Operntheater Italiens, ja der damaligen Zeit, hat die Oper eines neuen Mannes Vincenzo Bellini, herausgebracht, als Titel „Il Pirata“, Angelegenheiten der Scala waren auch Angelegenheiten der Stadt. Und diese Uraufführung erhitzt die Gemüter um so mehr, als es sich hier um ein Werk eines gänzlich neuen Mannes handelt, von dem die Öffentlichkeit bloß weiß, dass er 25 Jahre alt ist, und dass er allgemein als eine der größten Begabungen gepriesen wird, die das an Opernkomponisten so reiche Italien je hervorgebracht hat. Hinzu kommt, dass der größte Sänger jener Zeit, Rubini, die Hauptrolle singt, Rubini, vor dem die größten Opernkomponisten zittern, weil sie sein Urteil fürchten. Noch nie hat sich Rubini dazu hergegeben, das Werk eines neuen Mannes aus der Taufe zu heben.
Kurz: Ganz Mailand wartet mit gespannter Aufmerksamkeit auf den Premierenabend. Und es wird ein Riesenerfolg! Zum ersten Mal fühlt Rossini, der Schöpfer des „Barbier“ und des „Wilhelm Tell“, seine Stellung erschüttert. Er, der bis zu diesem Tag als der alleinige Herr der italienischen Oper und als unumschränkter Besitzer aller Liebe des Publikums galt, sieht mit einem mal einen Konkurrenten entstehen. Und dieser Konkurrent schreibt nicht etwa den Stil Rossinis, nein, er bringt etwas gänzlich Neues, etwas, was von der Tonsprache Rossinis völlig verschieden ist. Rossini ist der Meister der Bewegung in der Musik. In seinen Opern pulsiert das Leben in unaufhörlichem Geschehen. Seine Musik, virtuos erdacht und ausgearbeitet, lässt gewissermaßen den Hörer nie zu Atem kommen. Und dort, wo ruhige Momente in einer Szene, einer Arie nötig sind, gibt er sogar diesen besinnlichen Situationen noch Bewegung, indem er den Sängern Koloraturen in den Mund legt, die alle innere Ruhe in zauberhafte Leichtigkeit umwandeln.
Bellini ist aber Romantiker, und im Gegensatz zu Rossini Verkünder einer einfachen Melodie. In seiner Musik ist die edle Ruhe des Volksliedes. So, dass seine Melodien ungemein einprägsam sind und von jedem nachgesungen werden können.
Das Publikum Mailands hört die neue Weise, fasst sie schnell, ist von ihr begeistert. Am nächsten Tag hat Italien, hat die musikalische Welt einen Gott neben Rossini, ist der Name Bellinis in aller Munde. „Il Pirata“ ist eine der erfolgreichsten Opern ihrer Zeit gewesen, die vierte Oper, die Bellini schuf. In schneller Folge schreibt er nun, immer seinem Prinzip der volkstümlichen, ursprünglichen Melodie folgend, eine Reihe weiterer Opern, die seinen Ruhm vergrößern. Der Jüngling Bellini wird überall unbeschreiblich gefeiert. In seiner Vaterstadt Catania ernennt ihn zum Ehrenbürger.
Rossini wurde in Italien beneidet, bewundert, vergöttert; aber für Bellini schwärmte man wie für einen Geliebten.
Bellini wurde am 3. November 1801 zu Catania geboren, war, da er sich frühzeitig klug und aufgeweckt zeigte, für einen edleren Beruf als den des Musikers bestimmt, in welch letzterem es Vater und Großvater - dieser dabei ein Schüler des berühmten Piccini, nicht weit gebracht hatten. Bellinis musikalische Erziehung war die Lektüre der Partituren von Haydn und Mozart, von Jomelli und Pergolesi. Für ihn hegte er eine unbegrenzte Verehrung.
Als die Neigung des Kindes zu Musik immer stärker wurde, mit sechs und mit sieben Jahren bereits mit zahlreichen geistlicher. und weltlicher Kompositionen Aufsehen erregte. Die Heimatgemeinde sorgte dafür, dass Bellini im Konservatorium in Neapel seine weitere Ausbildung 1819 erhielt. Doch was man ihm hier beibringen wollte, interessierte ihn nicht sehr. Richtungsgebend für Bellini war nämlich der der reinmelodischen Erfindung, weshalb ihn seine künstlerische Laufbahn auch zwingenderweise zur Oper führte.
Sein erstes Werk dieser Gattung „Adelson und Salvini“ 1825 im Konservatorium Neapels aufgeführt, ließ bereits seine wahre Berufung erahnen. Der Erfolg einer Kantate „Ismene“ in Gegenwart des Königs und seines Hofes zu erfolgreicher Aufführung gebracht, begründete ihn als Komponisten, ab da wurde er durch die Theaterdirektion mit Aufträgen überschüttet.
In diese Zeit fällt ein Liebesverhältnis Bellinis mit einem schönen Mädchen aus angesehener Familie, Maddalena Fumaroli, in Neapel. Sie erwiderte seine Neigung, aber der Widerstand ihres Vaters gegen die Heirat mit einem kaum aus der Schule entwachsenen Musiker war nicht zu beugen. Blutenden Herzens musste Bellini von ihr lassen.
Das starke Echo, das seine zweite Oper „La Straniera“ an der Mailänder Scala hervorrief, bezeichnete den ersten Meilenstein auf Bellinis Weg zum Ruhm, denen sich bald weitere Kompositionen anreihten. Besonders Norma wird ein Welterfolg. Alle Vorzüge und Mängel ihres Schöpfers sind hier recht klar ausgeprägt. Eine unerschöpfliche Erfindungsgabe lässt Bellinis Melodien von bezauberndem, einschmeichelndem Reiz finden, Melodien, die bald in edel geschwungenen Linien zum Herzen sprechen.
Bellinis künstlerisches Naturell ist ein durchaus lyrisches und dabei dieses auch wieder begrenzten Umfangs. Für idyllische und elegische Empfindungen, Frieden, Beschaulichkeit, besonders aber, Leid, Trauer, Melancholie, steht eine reiche tönende Farbenscala zur Verfügung.
Eines fehlt Bellini, an dramatischem Gestaltungsvermögen, an der Fähigkeit zu Charakterzeichnung und zur Milieuschilderung. Diese Mängel scheinen schon frühzeitig in nervösen Depressionszuständen, kund zu tun und bereits im Konservatorium offenbar wurde. Dieser Mangel äußert sich besonders im Chorsatz, daher auch die vielfach matte, an Farbendifferenzierung arme Instrumentation.
Über all diese Mängel Bellinis aber triumphierte und triumphiert noch immer seine von Wagner so vorzüglich gekennzeichnete Macht des Gesanges.
An dem ungeheuren Erfolg der „Norma“ hat nicht zuletzt das treffliche Libretto von Felice Romani erheblichen Anteil, dem auch kein Geringerer als Goethe Anerkennung zollte. Sehr geschickt aufgebaut und den dramatischen Gipfelpunkt in den Schluss der Oper verlegend, versteht es, in eine spannende, gedrängte Handlung eine Fülle leidenschaftlicher Empfindungen, den Born seiner melodischen Erfindung, in reizvollen, von Sentiment reichlich durchtränkten Melodien, ausströmen zu lassen.
Bellini zählte zu jenen Komponisten die keineswegs rasch und leicht komponierten. So hatte er die Melodie „Casta diva“ nicht weniger als acht mal umgearbeitet, bis sie ihm genehm war. Darunter litten aber auch die Textdichter.
Bellini kehrte immer wieder .nach Mailand zurück das ihn mächtig anzog. Den größten Teil der „Nachtwandlerin“ komponierte er bei einer befreundeten mailändischen Familie, welche sich in das Städtchen Moltrasio am Comosee zurückgezogen hat. In diesem schönen und angenehmen Aufenthalt, umgeben von hohen Zypressen und Lorbeerbüschen, den See, die Berge, fühlte sich Bellini ungewöhnlich poetisch gestimmt-Hier sollte er sich von einer gefährlichen Krankheit erholen, durfte keine langen Spaziergänge machen, daher fuhr er mit dem Kahn von einem Ufer zum anderen, von einer Villa zur anderen und lernte dabei die Sitten der froh gestimmten Bevölkerung kennen.
Fürstin Belgiojoso beherbergte zwei berühmte Gäste, Vincenzo Bellini und Heinrich Heine und in ihren Aufzeichnungen die sie hinterließ: Bellini war Sizilianer und teilte den Aberglauben seiner Landsleute Zettatores. Das sind böse Geister, die in menschlicher Gestalt ihr dämonisches Wesen treiben und boshaft eingreifen in das Schicksal derer, die sie umgeben. Ein solcher Dämon war unserem armen leicht erregten Bellini Heinrich Heine. Beide hielten sich einen Monat vor Bellinis Tod auf meinem Landsitz bei mir auf. Der deutsche Dichter, hocherfreut, eine so dämonische Rolle im Leben des armen abergläubischen Italieners spielen zu können, steigerte sich immer zu mehr gewagteren Aussprüchen und befestigte so seine Gewalt über sein Opfer.
Heine, der bekanntlich der Lieblingsdichter der Kaiserin Eisabeth war, hatte sehr rasch die Schwächen Bellinis erkannt, und frühes Sterben war der fortlaufende Text zu unzähligen Variationen. Eines Tages sagte er seufzend mit ironischer Rührung: „Sie sterben alle so früh, die talentvollen Menschen!“ Heine trieb es so weiter in dem er sagte: „Ob Sie Gefahr laufen, weiß ich nicht, es ist ja möglich, dass Sie das Talent, welches man ihnen beilegt, nicht besitzen!“
Bellini hatte daraufhin die Flucht ergriffen und vierzehn Tage später war er tot.
Dementsprechend also die Beschreibung Heinrich Heines über Bellini: „Bellini war von hochaufgeschossener, schlanker Gestalt, die sich zierlich, kokett bewegte, hatte ein regelmäßiges Gesicht, länglich, hatte hellblondes Haar, fast goldig, in dünnen Löckchen frisiert, sehr hohe, edle Stirne, gerade Nase, bleiche, blaue Augen. Seine Züge hatten etwas Vages, Charakterloses, etwas wie Milch, und in diesem Milchgesicht quirlte manchmal süss säurerlich ein Ausdruck von Schmerz. Dieser Ausdruck ersetzte in Bellinis Gesicht den mangelnden Geist, aber es war ein Schmerz ohne Tiefe . Seine Kleider saßen ihm so schmachtend an dem zarten Leib. Sein Gang so jungfräulich und elegisch...
1835 hielt sich Bellini in Puteaux bei Paris auf. Hier hatte er auch die Puritaner komponiert. Seine Krankheit entsprang aus einem Unwohlsein, welches er gegen den Rat seiner Freunde vernachlässigte, bis dasselbe in eine bösartige Dysenterie überging. Indessen ahnte er die Lebensgefahr nicht. Einige Stunden vor seinem Tod hatte er eine kurzen Anfall von Delirium, sprang aus dem Bett, und glaubte seine Familie zu sehen. Bald darauf legte er sich wieder hin und verschied.
QUELLE: Radio Wien 26. September 1927 S 31, Bild, 8. September 1933 S 14, 25. Februar 1938 S 3 ANNO Österreichische Nationalbibliothek
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