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DER BERGSPORT#

Bergwelt
Alpinist

1909: In den Mauern Wiens hatten sich in diesen Tagen die Freunde des Bergsportes, die Vertreter der Alpenvereinssektion versammelt, um in ernster Beratung und fröhlicher Geselligkeit Gedanken und Anregungen auszutauschen.

Wien, an einer Eingangspforte der Alpen gelegen, steht zum Alpensport in engeren Beziehungen als irgend eine andere Großstadt, München etwa ausgenommen, denn es wird wenige unter ihren Bewohnern geben, die nicht schon vom Gipfel eines Zweitausenders in die Tiefe geblickt. Nimmt demnach Wien eine Sonderstellung ein, so erscheint doch heute auch dem Bewohner der Ebene das Bergsteigen als etwas Selbstverständliches und wir betrachten es als die natürliche Sache der Welt, wenn in der Touristenzeit des Hochsommers alles was klettern kann und Atemkraft besitzt, in unsere Berge stürmt, um in der Wildnis von Gestein, Eis und Firn die müde, abgehetzte Seele gesund zu baden. Wir denken gar nicht mehr daran, wie verhältnismäßig neu dieser Bergenthusiasmus ist und doch wäre die Frage interessant, warum es uns Moderne denn gerade dorthin zieht, wo die Natur am unwirtlichsten, am gewaltsamsten ist, warum uns die idyllischen Orte ländlichen Friedens, an denen die vorhergehende Generation auch Vergnügen fand, kalt lassen, weshalb uns das Hochgebirge, das noch unseren Eltern ein kaum verhehltes Grauen einflößte zum Elixier, zum Gesundbrunnen geworden ist. Wo liegt die Erklärung für diese Wandlung?

Freilich hat Albrecht von Haller schon im Anfang des vorigen Jahrhunderts die Pracht der Alpen besungen,aber der Schweizer sprach hier in einer rein persönlichen Sache und für Friedrich Schiller war das Gebirge, der harmlose Gotthardpass „Die Straße des Schrecken“. Auch Goethe urteilte nicht viel anders, wenn auch bei ihm die Verwunderung der großen Werke der Natur dem Schrecken die Waage hielt. Man begnügte sich zu dieser Zeit die weißen Häupter von Ferne anzusehen und suchte seine Freuden im Wald und grünen Hain der Ebene.

Wir stehen hier entschieden vor einer neuen Erscheinung in der Kette menschlicher Betätigungen, die nicht viel älteren Datums als etwa ein halbes Jahrhundert ist. In der Mitte des vorigen Säculums (1857) schließen sich einige mutige Engländer zusammen und gründeten den „Alpine Klub“, den ersten Verein von Alpenfreunden, die neben den Schrecken des Hochgebirges auch seine Schönheit erkannt hatten und diese Schönheit auskosten wollten.

Einige Jahre später, 1862, entstand in Österreich der Österreichische Alpenverein, der sich dann 1874 mit dem mittlerweile gebildeten Deutschen Alpenverein zum großen Deutschösterreichischen Alpenverein amalgamiert.

Von da ab entzündet sich nun der Wetteifer, zahllose Vereine und Zweigvereine zur Pflege des Alpensports entstehen – der größte von ihnen der Österreichische Touristenklub – die entweder ein besonderes Gebiet der Alpen zum Gegenstand des Bergsportes machen oder die einen speziellen Standpunkt bezüglich der Ausübung dieses Sportes einnehmen, und da jeder dieser Vereine seinen Ehrgeiz darin setzt, zahlreiche Unterkunftshütten auf den Bergen zu haben, wächst dort oben in den Stein- und Firnregionen im Laufe der Jahre eine kleine Welt gemütlicher Behausungen empor, welche dem verwöhnten Stadtmenschen auch in dieser Wildnis die gewohnte Bequemlichkeit bieten sollen.

Was ist es nun, was diesen Trieb zu den Bergen seit etwa einem halben Jahrhundert so gewaltig in uns gesteigert hat? Waren die Alpen nicht seit jeher bewohnt, trieb nicht schon seit dem grauen Altertum der Älpler seine Herde auf die sonnigen Matten der Hochalmen, waren nicht dieselben Bilder, die uns heute entzücken, unseren Vorfahren Schrecken einflößten, den Anwohnern vertraute Umwelt, war mit einem Wort die Berührung zwischen dem Menschen und dem Hochgebirge damals eine ebenso intime wie heute? Und doch wurden die Alpen erst seit einem halben Jahrhundert für den Naturfreund erst entdeckt!

Man wird vielleicht sagen, dass sich dies leicht erklärt durch die enorme Entwicklung, in der Verkehr genommen hat, durch die Leichtigkeit, mit der heute der Städter für geringes Geld ins Herz der Berge gelangt. Zugegeben, dass es damit zum Teil seine Richtigkeit hat, ohne die heutigen Verkehrsmöglichkeiten wäre eine Touristik in dem heutigen Maßstab nicht denkbar.

Aber damit ist doch nur die Vorbedingung zur Entfaltung des Massenbergsportes, jedoch noch keine Erklärung für die treibende Ursache dieses Zuges nach den Bergen gegeben, die muss in anderen Momenten zu suchen sein.

Liegt nun diese Ursache nicht in dem tief in unserer Natur begründeten Verlangen nach Gegensätzen, das auf die eine oder andere Weise gestillt werden will, weil es allein imstande ist, dem Leben neue Impulse zu verleihen und das heute nur in den Aufregungen des Sportes vor allem des Bergsportes befriedigt werden kann? Wenn wir die Geschichte befragen und unsere heutige Zeit in Bezug auf diesen Punkt mit der Vergangenheit vergleichen, so machen wir die Erfahrung, dass das tägliche Leben wohl niemals so bar jener dem Leben so notwendigen Gegensätze war als es heute, und zwar besonders in den Großstädten trotz ihres brausenden Lebens ist. Es erscheint das zwar paradox, wird sich aber bei einiger Überlegung doch als richtig erweisen.

Zu alten Zeiten war das Leben der Menschen gefährlicher als es heute ist, heute sorgt der Staat für uns mit geradezu mütterlicher Sorgfalt, kein Haar wird uns - so ferne wir zu den ordentlichen Staatsbürgern gehören, die ihre Steuern zahlen – gekrümmt, das Auge des Gesetzes bewacht uns und unseren Besitz und das Einzige, was wir zu seiner Erhaltung zu tun haben, ist die tägliche Arbeitsroutine des Erwerbens, das ja allerdings für einige ein harter Kampf ist, bei der hinter Schreibpult oder Ladentisch gebannten überwiegenden Mehrheit aber glatt von statten geht. Das Erwerben und das Erhalten des Erworbenen sind heute leichter als jemals, wir leben sozusagen in einer goldenen Zeit, die uns gegen Erfüllung der täglichen Arbeitsroutine unseren Lebensbedarf als sicheres Entgelt gewährt. Gab es jemals eine solche Zeit, so weit wir in der Geschichte zurückblicken? Hat die große Mehrheit der Bevölkerung jemals das Gefühl der materiellen und persönlichen Sicherheit in demselben Maße haben können, als dies heute der Fall ist? Es wird nicht leicht sein dies zu widerlegen, es ist eine Errungenschaft der allerjüngsten Zeit und wir dürfen, als auf einen gewaltigen Fortschritt, stolz auf sie sein.

Aber sehen wir die Kehrseite der Medaille an und in den Großstädten haben wir Gelegenheit sie zu beobachten. Wie bemühen sich dort die Kunstverschleißer und Vergnügungsarrangeure, um die Schaulust der nach Erregung lechzenden Menge dauernd zu fesseln und wie bemühen sie sich vergebens, denn was heute jung, ist morgen schon veraltet und ein Attraktionsmittel muss das andere siegen, bis man wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Unsere Gaumen werden stumpf von all den Süßigkeiten, die man uns serviert und trotz des raffinierten Aufpeitschen der Nerven wird das Leben des Großstädters leicht monoton. Dem Dasein von heute ist eben jedes Gebarsmoment geraubt und je leichter und sicherer es ist, macht sich diese Monotonie bemerkbar und desto stärker ist auch das Bestreben, sich die nötigen Gegensätze zu schaffen und dadurch der Monotonie Herr zu werden, wofür ja die Extravaganzen amerikanischer Milliardäre ein gutes Beispiel geben.

Stellt man sich diesen Zustand, dieses Suchen der Seele nach der durch den Gegensatz ausgelösten Erregung vor Augen, dann werden wohl auch die Ausschreitungen, die der Bergsport gezeitigt hat, begreiflich. Es ist das Streben, den Angehörigen eines gesunden Volkes das Gleichgewicht ihrer seelischen Existenz wieder herzustellen.

Eine jede Bergwanderung, auch auf die zahmste Spitze, bringt, wenn auch nicht gerade Gefahr, so doch eine ungewohnte Aufregung, erfordert Anstrengung eines rein idealen Genusses willen. Wenn uns sonst unsere Arbeit in klingender Münze oder anderweitig Anerkennung bezahlt wird, hier mühen wir uns selbstlos, einem reinen Verlangen hingegeben, das seinen Lohn in sich selber findet. Und wenn uns dann auf dem Gipfel die starre Größe des Hochgebirges in ihrer Unnahbarkeit umgibt, dann löst sich uns das Gefühl des Triumphes über gezwungene Hindernisse aus, das mit dem Gefühl des Siegers im Kampf Ähnlichkeit hat.

Ein gesundes, kräftiges Volk, das in unsere heutige Kulturentwicklung gerückt ist und eine Kampf- und Sorgeschule, wie die Alpen, in seiner Nähe hat, muss in ihnen infolge ganz natürlicher Verhältnisse die Quelle seiner schönsten und zur Existenz unentbehrlichsten Erregungen finden, die unsere Eltern allerdings nicht brauchten. Sie fürchteten daher die Alpen, wir aber haben sie lieben gelernt. Albert Beneke

QUELLE: Österreichische Alpen Zeitung 1909 Heft 10, Seiten 29 und 30, sowie Bild Seite 33.ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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