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DER RAUBZUG#

Wien
Bürgerversorgungshaus

Das neue Bürgerversorgungshaus wurde am 30. September 1860 feierlich eingeweiht, und ist das vierte Versorgungshaus, welches für die armen erwerbsunfähigen Bürger von Wien eröffnet wurde.

VERGANGENHEIT

Das erste „Bürger Spital“, welches im Jahr 1206 von den Brüdern Otto, Kuno und Conrad für 12 arme Bürger und ebenso viele Bürgerinnen gestiftet wurde, bestand aus einer ärmlichen Holzhütte, außerhalb des Kärntner Tores. 1221 wurden die ersten Wiener Bürger ernannt. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurde das „Wiener Bürgerspital“ mit dem Ordensspital „zum heiligen Geist“ welches in der Gegend des Naschmarkt befand, vereinigt. Im Jahr 1529 aber zusammen mit der ganzen Umgebung von den Türken verwüstet. Nach dem Abzug der Osmanen wurde vom Kaiser Ferdinand I., im Jahr 1530 das „St. Clara Kloster“ am Schweinemarkt als Unterkunfts Ort für die armen Bürger bestimmt und zugleich als allgemeines Armen-; Kranken-, Findel-, und Waisenhaus verwendet; für Irrsinnige gab es den Kotter.

Der Neubau des derzeitigen Bürgerspitals, welches an der Stelle des St. Clara Klosters steht, wurde 1697 vollendet. Im Jahr 1785 wanderten aus dem Bürgerspital in der inneren Stadt 87 gebrechliche arme Bürger und Bürgers Witwen nach St. Marx, und seit dieser Zeit blieb St. Marx das Versorgungshaus für Wiener Bürger.

1843 wollte man auf der Anhöhe vor der Belvedere Linie das Bürgerversorgungshaus errichten, doch die Regierung verweigerte die Zustimmung.

1853 fiel die Wahl auf das alte, dem Bürgerspital Fonds gehörende Lazarett Johannes in der Siechenals, ein ehemaliges Pest Lazarett, das seit 1784 vom Allgemeinen Krankenhaus benützt wurde. Am 13. Februar 1857 wurde die Übergabe des Lazaretts an die Gemeinde Wien vollzogen. Endlich im Frühjahr 1858 konnte der Bau nach dem preisgekrönten Projekt Ferdinand Fellners in Angriff genommen werden.

DER NEUBAU

Am 8. Oktober 1860 nun verließen 340 Bürger und Bürgers Witwen St. Marx und bezogen das neue Versorgungshaus in der Währinger Straße. Dasselbe wurde nach dem Plan des Architekten Ferdinand Fellner an der Ecke zwischen der Währinger- und Alserbach Straße gebaut. Die Anstalt hat in jeder dieser Straßen einen Trakt mit zwei Stockwerken und einer Front von 42 Klaftern. Die beiden Trakte sind im Winkel ihrer Neigung durch einen Quertrakt mit drei Stockwerken und einer Frontlänge von 22 Klaftern verbunden. Der Vorgarten, mit einem massiven eisernen Gitter abgeschlossen, umgibt. Die Hauptfront zieren am First eine allegorische Mittelgruppe: die Vindobona darstellend, wie sie die Armut schützend aufnimmt,dann zwei Seitenfiguren, der heilige Martin und die heilige Elisabeth und das Wappen des Bürger Spital, der Reichsapfel mit dem Kreuz. Durch den Haupteingang gelangt man in eine geräumige Vorhalle, in welcher rechts die Kanzlei, links das Portier Zimmer gelegen sind.

In der Halle sind zwei Votivtafeln angebracht, von denen die auf der linken Seite sagt: „Das erste Bürgerversorgungshaus in dem Kärntner Tor , gegenüber von den Bürgern Wiens im 13. Jahrhundert wurde im ersten Türkenkrieg 1529 zerstört, danach hat Kaiser Ferdinand I.; 1530 ist das St. Klara Kloster innerhalb des Kärntner Tores, und in der Folge Kaiser Joseph II., 1784 das Spital zu St. Marcus auf der Landstraße zum Asyl für die armen Bürger bestimmt“.

Auf der Tafel rechts heißt es: „Dieses Versorgungshaus wurde unter dem Protektorat der Großkommune Wien und des Bürgermeisters Doktor Johann Kaspar Freiherrn von Seiller von der Bürgerspital-Wirtschaft-Kommission unter dem Direktor Josef Holzinger, auf der Stelle des ehemaligen Lazaretts erbaut und im September des Jahres 1860 eröffnet. Gottes Segen ruhe auf diesem Hause.“

Von der Halle aus wird die ganze Anstalt in ihrer inneren Anlage mit einem Blick übersehen. In der Mitte befindet sich die Kirche, welche über 800 Personen fasste. Sie ist dem Salvator geweiht zu welchem zwei Cherudim beten. - Ein schönes Werk vom Bildhauer Melnitzky. Der ornamentale Schmuck der Kirche rührt vom Bildhauer Pokorny her. Eine Zierde des Mitteltraktes sind die 7 Schuh breite freitragende Hauptstiege mit Oberlicht und die Vorhallen in allen drei Stockwerken, welche eine schöne Fernsicht gewähren, im Winter geheizt werden und den Pfründnern als Versammlungsort dienen.

Für die Pfründner sind ebenerdig im ersten und zweiten Stockwerk der beide Seitentrakte zusammen 46 Zimmer gebaut, von denen jedes 6 Klafter lang 3 Klafter 3 Schuh breit ist und je 11 Pfründnern Unterkunft gewährt, welche nach dem Geschlecht getrennt wohnen und zwar im Trakte der Alserbach Straße die Männer, im Trakte der Währinger Straße die Frauen. Mit Einschluss der Krankensäle und der angebracht 20 kleineren Zimmer für Pensionäre und des Mitteltraktes können nahe an 700 Personen aufgenommen werden.

Als System der Zimmer wurde, nach Prüfung größeren Versorgungsanstalten, dem Architekten jenes gewählt, welches die Stellung der Betten senkrecht auf die Scheidemauern möglich macht und mit den mindesten Unbequemlichkeiten für die Bewohner auch die geringsten Anlagskosten verbindet. Vor jedem Zimmer befindet sich ein Vorzimmer, und zwischen je zwei Zimmern abwechselnd eine Teeküche. Am Ende eines jeden Traktes im ersten und zweiten Stockwerk ist je ein Krankensaal für die Pfründner angebracht; es sind also in der Anstalt 4 Krankensäle, jeder 6 Klafter 5 Schuh lang und 5 Klafter breit, mit einem Raum für 15 bis 20 Kranke. Die lichte Höhe sämtlicher Lokalitäten des Versorgungshauses geht bis 15 Fuß. Zu ebener Erde in den Seitentrakten sind noch die Traiteurie und das Badhaus und abseits vom Hauptgebäude im Hof ein kleiner Bau mit den notwendigen Lokalen für die Wäscherei die Löschrequisiten....die Leichenkammer und ähnlichen anderes. Im Souterrain in der Alserbach Straße sind die Arbeitssäle für Tischler, Schuhmacher und Schneider unter den Pfründnern die Magazine und die Holzkeller. Verbaut sind im ganzen 1237 Quadratklafter, und noch ist ein freier Raum 2762 Quadratklafter mit Gartenanlagen vorhanden. Die Anstalt wird mit Gas beleuchtet und mit Wasser aus der Ferdinands Wasserleitung reichlich dotiert. Sämtliche Einrichtungsstücke sind neu und aus Eichenholz angefertigt. Die Kosten des Baues werden einen Aufwand von einer halben Million Gulden erreicht haben.

Eine der ersten die das neue Institut einen Besuch abstattete war Kaiserin Carolina Augusta.

Wien
Kaiserin Elisabeth im Bürger Versorgungshaus

Weilte Kaiserin Elisabeth in Wien, oder sie hatte wieder eine längere Reise vor sich, stattete sie in Begleitung einer Hofdame oft überraschend die Anstalt des Bürgerversorgungshaus einen Besuch ab.

Besuch
Kaiserin Elisabeth

Im Fremdenblatt 1868 konnte man folgende Geschichte lesen: „Vor einiger Zeit wandte sich ein in Wien ansässiger Greis mit der Bitte an den Bürgermeister, er möchte ihm zur Aufnahme in das Bürgerversorgungshaus verhelfen. Dieses Ansuchen wurde um so früher erledigt, als der Greis ein Alter von 77 Jahren zählte. Der Bürgermeister erkannte übrigens in dem alten Mann jenen Schneider, bei welchem er während seiner Studienzeit in Wien gewohnt hatte. Nun ist der Pfründner im Versorgungshaus gestorben. In seinem Testament hatte derselbe den Bürgermeister zum Universalerben seines Vermögens eingesetzt – das in einem silbernen Andreas Taler bestand. Dieses Vermächtnis ist (abgesehen von der Seltenheit der Andreas Taler) nach der Äußerung des Bürgermeisters eines der ihm Lieb werten Zeichen der Erinnerung, welches er je erhalten hatte.“

Wien
Bürgermeister Lueger

Bürgermeister Dr. Karl Lueger kam 1909 in Begleitung des Magistrat Sekretärs Formanek in das Bürgerversorgungshaus in die Währinger Straße. Er verkostete die Speisen die er für sehr gut fand. Nahm verschiedene Wünsche der Anstaltsinsassen entgegen, wobei er einzelne um ihre Meinung bezüglich der Verlegung der Anstalt nach Lainz befragte. Nachdem eine solche Verlegung von den Pfleglingen nicht gerne gesehen würde, andererseits es ein alter Lieblingsgedanke des Bürgermeisters ist, den Ehepaaren, welche im Bürgerversorgungshaus getrennt leben müssen, das Zusammenwohnen zu ermöglichen, beauftragte Dr. Lueger in einem von heute datierten Erlass den Magistrat, einen Vorschlag darüber zu unterbreiten, ob es möglich wäre, im Rahmen des Bürgerversorgungshauses einen Pavillon für

Jahre vergingen, inzwischen war Österreich Republik geworden.

ZUKUNFT

Im Jahr 1922 gab es für die Insassen des Bürgerversorgungshauses eine Neuerung, denn sie mussten für die Verpflegung ¾ ihrer Bezüge zu erlegen, ¼ können sie für sich behalten, die beiden Inspektoren werden auch ermächtigt, Einzelne, welche sich nebenbei einen dauernden Verdienst geschaffen haben, zu erhöhten Geldleistungen für die genannten Institute zu verhalten.

Im Jahr 1926 sorgte das Bürgerversorgungshaus in den Zeitungen für Schlagzeilen, denn es ging um seine Zukunft.. Ein Montagsblatt berichtete, dass das Wiener Bürgerversorgungshaus in der Währinger Straße abgetragen und die dort in Pflege befindlichen Pfründner in anderen Versorgungsinstituten untergebracht werden sollen. Hierzu ist zu erfahren: Von einer Evakuierung oder Abtragung des Gebäudes ist keine Rede. Das Versorgungshaus soll in absehbarer Zeit für andere Zwecke verwendet werden. Von den 400 Plätzen im Versorgungshaus sind gegenwärtig bloß achtzig von Pfründnern besetzt, diese werden auch in Hinkunft in ihrer Lebensweise nicht gestört werden und können in der Versorgungsanstalt weiter verbleiben. Es werden bloß Neuaufnahmen von Pfründnern hier nicht mehr vorgenommen, da diese in den anderen zehn Versorgungsanstalten der Gemeinde Wien untergebracht werden. In dem Gebäude in der Währinger Straße wird das Büro für den Zentralfürsorgenachweis untergebracht, welches die administrativen Arbeiten für die Hunderttausende von Pfleglingen versieht, die die Fürsorgetätigkeit der Gemeinde Wien genießen.

Auch die Arbeiter Zeitung befasste sich mit diesem Thema und ihre Fett gedruckten Lettern verkünden: „Das alte Bürgerversorgungshaus ist unhygienisch.“

Stadtrat Dr. Tandler erklärte, dass die rechtliche Seite der Sache in einer der nächsten Sitzungen behandelt werde. Es geht hier um die Gesundheitspflege und der Menschlichkeit. Die Unterkunftsräume der Pfleglinge sind unmöglich geworden. Das Gebäude stammt aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts und kann den Anforderungen, die heute gestellt werden, in gar keiner Weise entsprechen. Die mangelhaften Einrichtungen, die unhygienischen Waschvorrichtungen und Klosetts....

Dann kam die Sprache auf Lainz. Dort häuften sich die Selbstmorde und von den Gegnern wurde Lainz als Siechenhaus bezeichnet. Tandler musste zugeben, dass laut Statistik durchschnittlich vier bis fünf Selbstmorde im Jahr zu beklagen sind. Die Gegner Tandlers waren der Ansicht, dass Totenbeschau Ärzte und Prosektur die Totenscheine nicht wahrheitsgemäß ausfüllen. Das wies Tandler energisch zurück.

„Der Raub an den Wiener Bürgern“ so die Schlagzeile der Reichspost im Oktober 1926. Massenprotest der Wiener Bürger gegen die Auflassung des Bürgerversorgungshauses. Bekanntlich will die Gemeindeverwaltung, das den Wiener Bürgern gehörige Bürgerversorgungshaus widerrechtlich evakuieren und anderen Zwecken zuführen, jenes, welches Stiftung gemäß dazu bestimmt ist, verarmte Wiener Bürger aufzunehmen und ihnen ein behagliches Heim zu sichern. Das Riesenvermögen des Bürgerspital Fonds befindet sich in der Verwaltung der Gemeinde, gehört aber den Wiener Bürgern.

Zu Tausenden versammelten sich gestern die Wiener Bürger und Bürgers Frauen in und vor der Volkshalle, um gegen den jedem Rechtsempfinder hohnsprechenden Gewaltakt zu protestieren. Dass die Wiener Bürger in ihrem gerechten Kampf nicht allein stehen, bewies die Teilnahme zahlreicher Mandatare der christlichsozialen Partei die durch ihre Führer im Gemeinderat, Nationalrat Kunschak und Stadtrat Rummelhardt, durch die Gemeinderäte Erban und May, BezVorst Stellvertreter Stöger und Fürsorgeinstitutsvorsteher Zuleger vertreten war.

Das Präsidium wandte sich daher zu einer Aussprache an den Bürgermeister. Das Ergebnis dieser Aussprache war in einem Schriftstück verankert. Der Bürgermeister berief sich darauf, dass das Bürgerversorgungshaus „gesundheitsschädlich“ sei. Gelächter und Zwischenrufe.

Das Präsidium verlangte Einsicht in die ärztlichen Gutachten, doch der Bürgermeister verweigerte dies da es sich um ein Amtsgeheimnis handelte. Außerdem werden ab nun keine Pfleglinge mehr in das Bürgerversorgungshaus aufgenommen. So nebenbei erwähnte der Bürgermeister, dass bereits Interessenten für das Gebäude vorhanden seien. Dem Bürgermeister wurde klar gemacht, dass der Bürger rechtliche Ansprüche hätte. Seine Antwort war, dass er mit dem Präsidium nicht mehr sprechen wolle. Bürgermeister war damals Karl Seitz. Für ihn gab es nur eine Kategorie von Bürgern

Die nicht mehr belegten Räumlichkeiten sollten angeblich als Kanzleiräume Verwendung finden. Seltsam, für die Beamten ist das Haus nicht gesundheitsschädlich.

Stadtrat Rummelhardt der von der Versammlung lebhaft begrüßt wurde, führte aus: „Was jetzt an den Bürgern versucht wird, ist nicht der Ausfluss einer momentanen Laune, sondern eine der seit dem Umsturz zu beobachtenden Erscheinungen. Seither wird das bodenständige, christliche, deutsche Wien von der sozialdemokratischen Rathaus Majorität in jeder Beziehung gedemütigt, drangsaliert und terrorisiert. Was da von Gesundheitsschädlichkeit und dergleichen erzählt wird, ist nichts als Lug und Trug. Der einzige Grund warum die Bürger in ihrem Haus nicht bleiben sollen, ist ein parteipolitischer.

Schon nach den letzten Wahlen haben sozialdemokratische Parteigrößen des 9. Bezirkes erklärt, die Bürger, die in ihrem Versorgungshaus 500 christliche Stimmen abgegeben haben, müssten aus dem Bezirk fort.

Nur durch List und Trug ist es gelungen im Bürgerversorgungshaus Bresche zu legen. Mit Hilfe willfähriger Ärzte hat man die Bürger krank gemacht, ihnen gesagt, sie seien Spital bedürftig, und nur so hat man sie aus dem Haus gebracht. Warum hat man die Krankensäle und die Krankenpfleger aus dem Bürgerversorgungshaus verbannt. Die Anstaltsbediensteten bekommen vom Rathaus den Auftrag, so viel Unzufriedenheit als möglich zu erzeugen. Das ist ein bolschewikischer Vorgang.

Die Bemühungen der Bürgervereinigung werden von der christlichsozialen Partei im Gemeinderat auf das Kräftigste unterstützt werden. Wir werden es als unsere heilige Aufgabe betrachten, die Wiener Bürger und Bürgerinnen bei der Verteidigung ihrer Rechte mit allen Mitteln zu unterstützen, und den bolschewikischen Akt der Entrechtung der Bürger hintan zuhalten.

Über einstimmigen Beschluss der Bezirksvertretung Alsergrund sollte eine Kommission in das Bürgerversorgungshaus gehen, um mit den Bürgern zu sprechen, wurde aber vom Verwalter nicht eingelassen. Also kann etwas nicht stimmen, wenn man die gewählten Gemeindefunktionäre die Humanität Anstalten nicht besuchen lässt. Änderungen kann es nur durch eine Wahl geben.

Der nächste Redner war der Abgeordnete Kunschak der stürmisch begrüßt wurde. Als die Bürgervereinigung gegründet wurde, haben die Bürger nicht daran gedacht, dass sie eine Kampforganisation sein sollte, sondern eine Stätte zur Pflege des Bürgersinnes und der Bürgertugenden. Damit das, was in Jahrhundert langem Werden geschaffen wurde, jetzt durch Willkür und Brutalität zerstört werde. Der Kampf, den die Sozialdemokraten gegen das Vermögen des Bürgerspital Fonds führen, ist Diebstahl an erworbenen Rechten, ein Raub dessen sich die Gemeinde schämen müsste. Das alles geschieht zu dem Zwecke, damit die Gemeinde eines schönen Tages sich auch formell in das Eigentum des Bürgerspital Fonds hineinsetzen kann.

Folgende Forderungen wurden aufgestellt:

So wurde gefordert, dass der Bürgermeister und Herrn Stadtrat Prof. Tandler auf, die Verfügung über die Auflassung des Bürgerversorgungshauses zurückzunehmen, da es nicht angeht, ohne notwendige Gründe die alte Heimstätte der alten Bürger und Bürgerinnen, welche Eigentum der Bürger, beziehungsweise des Bürgerspital Fonds ist, aufzulassen...

Ebenso stellen wir die dringende Forderung an die Gemeinde Wien , über das Vermögen des Bürgerspital Fonds genaue Rechnung zu legen, die Gründe Wälder und Häuser nach dem heutigen Werte einzuschätzen, jedoch nur im Beisein von zwei Mitgliedern des Präsidiums der Bürgervereinigung, damit eine richtige Vermögensaufstellung nach dem wahren Wert zustande kommt und nicht unrichtige Mitteilungen in den Zeitungen erscheinen, nach denen das Bürgerspital Fondsvermögen bereits aufgebraucht sei, während noch ein kolossaler Wert an Grund, Wald und Hausbesitz vorhanden ist. Weiters ersuchen wir um Austausch gegen Gründe oder um Verrechnung in Geld für die von der Gemeinde Wien verbauten Gründe des .Bürgerspital Fonds.

Das waren nur zwei von mehreren Forderungen.

Die Reichspost verfolgt den Raubszug gegen die Wiener Bürger und berichtet im September 1927:

„Nach jahrelangen Drohungen, den Wiener Bürgern das ihnen eigentümlich zugehörende Bürgerversorgungshaus im 9. Bezirk zu rauben, macht man nun im Rathaus Ernst, diesen Besitzraub durchzuführen. Am 13. Juli l. J. wurde im Gemeinde Ausschuss III für Wohlfahrtsangelegenheiten gegen die Stimmen der Vertreter der bodenständigen Wiener Beschluss gefasst, das Bürgerversorgungshaus aufzulassen und diesen Beschuss bis längstens Ende dieses Jahres durchzuführen. Nach früheren ähnlichen Fällen scheint man im Rathaus auch diesmal wieder auf die Lamm Geduld der betroffenen Wiener spekuliert zu haben. Diesmal aber scheint es, als sollten die Rathaus Bolschewiken auf Granit beißen müssen, zumal auch die Rechtslage klar und eindeutig gegen ihre Absichten spricht.

Als Auftakt zur Abwehr des Raubzuges einer Gemeindeverwaltung gegen ihre eigenen Bürger - ein Unikum in der Weltgeschichte – veranstaltete die Wiener Bürgervereinigung gestern Sonntag im großen Saal der Bäckergenossenschaft eine Protestversammlung, die so massenhaft besucht war, dass eine zweite Versammlung im sogenannten „Rufsaal“ abgehalten werden musste und trotzdem noch hunderte Bürger keinen Platz fanden. Die Stimmung war eine äußerst erregte und zeigte. Dass die Wiener Bürger nicht gewillt sind, den geplanten Raub hinzunehmen.

Abgeordneter Kunschak äußerte sich indem er sagte, dass die Bürger Wiens eine Einrichtung ist die keinen parteipolitischen Charakter trägt und durchaus keine ist, erst jetzt eine Erfindung der neueren Zeit ist. Solange es ein deutsches Gemeinwesen gibt, hat es Männer und Frauen gegeben, die sich um solche Gemeinwesen verdient gemacht haben und denen man als Auszeichnung das Bürgerrecht verliehen hat. Das war in den ältesten Zeiten so und die Achtung und Ehrfurcht vor dem Bürger und seiner Würde ist bis zum heutigen Tag in allen deutschen Gemeinwesen geblieben mit Ausnahme eines einzigen, mit Ausnahme von Wien. Hier hat es sich die Gemeindevertretung in den Kopf gesetzt, mit dem Bürgerrecht überhaupt aufzunehmen. Es werden keine Bürger mehr ernannt; das war der Grundsatz mit dem die Sozialdemokraten in den Gemeinderat eingezogen sind und die Herrschaft übernommen haben. Sie konnten freilich diesen Grundsatz praktisch nicht aufrecht erhalten, denn es hat sich bald gezeigt, dass auch waschechte Genossen Wert darauf legen, auch eine Auszeichnung und zwar in der Gestalt des Bürgerrechtes zu erlangen. Nun ist die Verleihung des Bürgerrechtes zu einer Protektions Sache der herrschenden Partei geworden. Nicht mehr Verdienst und Würdigung, sondern die Gunst der in der Gemeinde Herrschenden vermag zum Bürgerrecht zu verhelfen. Aber auch da liegt ein starkes Stück Unaufrichtigkeit und Heuchelei zugrunde.

Nicht lange mehr und es wird das gesamte große Vermögen des Bürgerspital Fonds das aus vielen Milliarden besteht, überhaupt verschwunden und in das Eigentum der Gemeinde übergegangen sein.

Seinerzeit hat Dr. Kronawetter über Ersuchen Dr. Luegers ein Rechtsgutachten über die rechtliche Lage des Bürgerspital Fondsvermögen verfasst, aber der Akt ist jetzt nicht mehr zu finden.

Die Gemeinde Wien hätte die Verpflichtung, das ganze Vermögen an die Bürger selbst aus zu folgen und es diesen zu überlasse, es selbst zu verwalten. So aber greift die Gemeinde Wien auch nach dem Hausbesitz selbst. Systematisch werden aus dem Bürgerversorgungshaus die Insassen verdrängt, brutal abgeschoben und neue Bewerber nicht mehr untergebracht.

Wie aus der Arbeiter Zeitung 1927 hervorgeht hatte Dr. Tandler Fachleute darunter Prof. Schönbauer, in das Bürgerversorgungshaus zur Besichtigung geschickt die darüber ein Gutachten erstellten in dem es hieß, dass durch den starken Verkehr die Pfleglinge keine Ruhe hätten, die Überquerung der Kreuzung eine große Gefahr für sie und deren Besucher wäre. Und eine Modernisierung viel zu teuer käme.

DEMOLIERUNG

Am 13. Juli 1927 war das endgültige Urteil über das Bürgerversorgungshaus gefallen, eine Beschwerde von Wiener Bürgern vor dem Verfassungsgerichtshof. Großer Andrang, daher musste der Saal geräumt werden. Die Bürgervereinigung war durch Gemeinderat Roth und Dr. Hans Gürtler vertreten. Die verbliebenen Pfleglinge noch 253 kamen nach Lainz. 1928 begann man mit der Demolierung und somit war das Bürgerversorgungshaus Geschichte.

Die Kapelle im Bürgerversorgungshaus soll erhalten bleiben. Da sie anscheinend keinen künstlerischen Wert hatte, wurde sie genau so demoliert wie das Versorgungshaus.

demoliert
Kapelle

Beim Abriss des Wiener Bürgerversorgungshauses wurden die Steinfiguren in mehrere Teile zerlegt und in ein städtisches Depot verfrachtet. Von dieser einst schönen Gruppe verblieb nur eine 115 Zentimeter hohe Büste der Vindobona erhalten. Das zeigt bereits wie viel man für Kunst in dieser Stadt übrig hat.

WOLKENKRATZER

Mit diesem schönen großen Areal hatte die Gemeinde Wien etwas Besonderes vor, Wohnbauprojekte hatte die Gemeinde einen Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich sieben Architekten beteiligten. Die Projekte wurden in der Volkshalle ausgestellt. Bei diesen Bauten handelte es sich um gewaltige Hochhäuser. Wien soll seinen ersten Wolkenkratzer bekommen, ein Riese der modernen Zeit. Man entschied sich für das Projekt des Architekten Rudolf Frass. Der Architekt hatte die Verbauung achsial angelegt, den Hauptbau von der vorderen Baulinie zurückgeschoben, so dass er diesem Block an beiden Seiten Kulissen artige Flügel vorlegen konnte, die den Übergang vom Hauptbau zum Vorderbau vermitteln. Das Projekt sieht sechzehn Stockwerke im Hauptblock vor, die übrigen Bauteile stufen sich Stockwerk mäßig ab, in der Gesamtanlage sind 245 Wohnungen geplant. Der erste Wolkenkratzer in Wien ist eine revolutionäre Tat. Das Rathaus schwelgte in höchstem Stolz über das künftige monumentale Bauwerk.

Wien
Geplante Wolkenkratzer

1931 hieß es in einer Zeitung: Auf dem Platz in der Währinger Straße, wo früher das Bürgerversorgungshaus stand, sollte bekanntlich ein Wolkenkratzer, der erste in Wien, wie sich die damals noch hochmütigen Herren im Rathaus rühmten, erbaut werden. Der Bau verzögerte sich, weil die Gemeindekasse an fortschreitendem Schwund litt. Als es dann mit dem Wolkenkratzer Bau in der Herrengasse, der mit dem Rathaus nichts zu tun hat, ernst wurde, verlor die Gemeinde alle Freude an ihrem projektierten Hochhaus, verzichtete auf den Ruhm des Pioniers amerikanischer Bauweise in Wien und auf die Einrichtung der als unbedingt notwendig empfundenen Karl Seitz-Lesehalle, die im geplanten Wolkenkratzer einen Ehrenplatz haben sollte, und begnügte sich mit der Ausgestaltung des Platzes zu einer Gartenanlage, die allerdings auch erst als Beschluss existiert. Seit Jahren hat die Bevölkerung nur das greuliche Bild einer Planke, mit der der Bauplatz umsäumt ist, die Bürger haben unnötigerweise ihr altes Heim verloren und die Gemeinde Wien 140.829 Schilling. So hoch waren nämlich die Kosten des Wolkenkratzer Projektes. Bei einer solchen Wirtschaft müssen ja die Finanzen der Gemeinde auf den Hund kommen.

VERZÖGERUNG

1931 hatte Stadtrat Breitner sein Veto eingelegt, das sich auf die allgemeine wirtschaftliche Notlage gründete, die einen so kostspieligen Bau aus Steuergeldern nicht zulasse. Der Baubeginn wurde verschoben. Die Gemeinde hatte eine vorübergehende Lösung beschlossen, die in der Errichtung einer Gartenanlage auf diesem Platz besteht.

Dieses Bürgerversorgungshaus wurde aus dem Bürgerspital Fonds erhalten, dieser Fonds wurde aus dem Ertrag von Häusern und Liegenschaften gespeist und ist nun wie dies allem Haus- und Grundbesitz in Wien geschehen ist, in der Inflation Zeit entwertet worden, so dass er keinen Ertrag mehr abwirft. Trotzdem hat die Gemeinde den Fonds nicht aufgelöst, sondern bestehen lassen und zahlt jährlich eine Million Schilling in den Fonds, damit er seinen Zweck erfüllen kann. (Arbeiter Zeitung)

Der Bürgerspital Fonds konnte bisher jede Situation meistern, so hätte er die Inflation Zeit ebenfalls gut überstanden, nur die gierige Gemeinde Wien hatte den Fond an sich gerissen und wie üblich keine Ahnung von derlei Geschäften und zum Schaden noch den Spott.

Der Baumbestand bleibt erhalten, so dass eine mehr als 70.000 m² große, mitten im verbauten Gebiet liegende hübsche Erholungsstätte zur Verfügung stehen wird. Bekanntlich ist an dieser Stelle eine Station der zukünftigen Untergrundbahn geplant. Man rechnet, dass die Gartenanlage Mitte April der Benützung übergeben werden kann.

Aus dem Provisorium von damals, entstand der Arne Carlsson Park

Quelle: Reichspost und andere Zeitungen der ÖNB

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