DER STREIK#
1892: Der Streik der Fiaker- und Einspännerkutscher hat während der letzten Tage die öffentliche Meinung lebhaft beschäftigt, lebhafter vielleicht, als es notwendig war. Der neue Fahrtaxtarif und dann die polizeiliche Bestimmung, dass die Hälfte aller an den Bahnhöfen erscheinenden Wagen geschlossen sein sollten, hat die Fuhrwerksbesitzer und ihre Bediensteten widerspenstig gemacht, und so weit hatten sie die Sympathien der Bevölkerung auf ihrer Seite. Denn Tatsache war, dass der Taxtarif Widersinnigkeiten enthielt und die Bestimmung hinsichtlich der geschlossenen Wagen zu weit ging. Das hat nun aber die Behörde auch eingesehen und sie hat Remedur geschaffen; die Fahrtaxe in die Freudenau wurde erhöht und die Zahl der geschlossenen Wagen auf ein Viertel herabgesetzt. Man hätte nun meinen sollen, die Mitglieder und Angehörigen der Fiaker- und Einspännergenossenschaften hätten den Erfolg als solchen gelten lassen und etwaige weitere Forderungen im friedlichen Weg durchzusetzen versucht. Doch nein - der Appetit kam auch bei ihnen mit dem Essen, sie forderten die Beseitigung der ganzen Taxe und das freie Recht, mit offenen oder geschlossenen Wagen zur Bahn zu kommen. Das war nicht klug. Man fährt in Wien ohnehin teuer, teurer als irgendwo, verteuern lässt sich in diesem Punkt nichts mehr, wenn nicht das Publikum und in letzter Reihe das Lohnfuhrwerk selbst geschädigt werden soll. Es ist eine unsinnige Redensart, dass Fiaker und Einspänner bei den bisherigen Einnahmen verhungern müssen, im Gegenteil, di Herren leben recht gut. Eingeweihte wollen wissen, dass ein Fiaker täglich seine drei bis vier Gulden verbraucht, das ist doch nicht so schlecht – welcher kleine Beamte kann so leben? Freilich, wenn der Kutscher streikt, dann hat er kein Einkommen und dann muss er auf das gewohnte Wirtshausleben verzichten. Und da geschah ihm in diesem Fall ganz recht. Der Streik war ein geradezu mutwilliger, und er musste mit Naturnotwendigkeit mit einer Niederlage der Streikenden enden. Heute hat er schon damit geendet. Und eines hat er wieder einmal gelehrt, nämlich die Tatsache, dass auch in unserer sogenannten aufgeklärten Zeit nichts leichter ist, als die große Menge durch hohle Schlagworte blindlings in irgend eine schädliche Bewegung hinein zu treiben. Die Kutscher werden an sich selbst das Schädliche in diesem Fall spüren.
QUELLE: Dillingers Reisezeitung 10. Mai 1892, S 7, ANNO Österreichische Nationalbibliothek.
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