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OBDACHLOSENELEND#

Heim
Obdachlose

Jänner 1927 Seit Wochen versuchen die Obdachlosen von der Gemeinde und von der Regierung auf gütlichem Wege etwas zu erreichen. Ihre Hauptforderung ist: Schaffung menschenwürdiger Unterkünfte. Es wurde ihnen viel versprochen, doch nichts gehalten.

Zuerst ließ man sie überhaupt auf der Straße. Bis Anfang Dezember mussten im sozialdemokratisch verwalteten Wien Obdachlose unter den Donaukanalbrücken und in den Prater Auen schlafen.

Anfang Dezember hatte man erst die Wärmestuben eröffnet. Viel war den Obdachlosen durch diese Eröffnung nicht gedient, denn in den Wärmestuben – oder wie es die Obdachlosen fachmännisch nennen – am Sprießl sitzend schlafen, bedeutet nicht nur, dass man die ganze Nacht kein Auge schließen kann, dass man in der Früh müder ist als am Abend, sondern auch vollständige Verlausung. Über die Zustände im Asyl hat die „Rote Fahne“ vor drei Tagen berichtet, und es ist nicht zu verwundern, dass es die Obdachlosen nicht dorthin zieht, um so mehr, als unter ihnen, viele sind, die laut Verfügung der Verwaltung das Gebäude nicht betreten dürfen. Um endlich mit diesem Zustand Schluss zu machen und die Obdachlosen als die Entrechteten in dieser Stadt zum Kampf zu mobilisieren hat das Aktionskomitee der Obdachlosen Wiens für gestern nachmittags in die Schellelauer Bierhalle eine Massenversammlung einberufen, die von etwa vierhundert obdachlose Männer und Frauen besucht war. Der Vorsitzende des Aktionskomitees erstattete einen ausführlichen Bericht über die bisherige Arbeit des Aktionskomitees und über die Lage und Behandlung der Obdachlosen. Die Regierung hat Milliarden an die Banken verschenkt, aber für uns Obdachlosen hat sie nichts übrig.

Das Wohnungsanforderungsgesetz wurde aufgehoben, so dass die Bourgeouisie ruhig in ihren Zehn- und mehr Zimmer Wohnungen wohnen können, während wir auf der Straße sitzen. Auch bei der Gemeinde konnten wir trotz wiederholter Vorsprache beim Stadtrat Tandler nichts erreichen. Tandler sagte in einer der letztrn Gemeinderatssitzungen, dass im Asyl fünfhundert Betten frei sind. Ja sind das Betten? Kann man schmutzige, rostige Drahtgitter als Betten bezeichnen. Doch selbst diese Pritschen sind vielen Obdachlosen unzugänglich, entweder, weil sie das Pech haben, nach Mödling, Pottendorf oder Wr. Neustadt zuständig zu sein, oder weil sie es wagten auf zu mucksen und deshalb hinaus geschmissen wurden. Endlich muss mit diesem Zustand Schluss gemacht werden. Deshalb haben wir die Versammlung einberufen, um den Kampf für unsere Forderung zu führen, die ist Obdach und Arbeit.

Ein Vertreter jener Obdachlosen die vor einigen Wochen eine Baracke im ehemaligen Grinzinger Kriegsspital bezogen hatten, schilderte den Kampf den diese Menschen um das Stück Dach, das sie endlich gefunden haben, führen müssen. 64 Menschen hausen on dieser Baracke. Sie müssen auf der Erde schlafen und haben keine Decken zum Zudecken. Das elektrische Licht, das früher eingeleitet war, wurde von der Gemeinde abgesperrt.

Trotzdem sind sie lieber draußen als im Asyl oder in der Wärmestube, in denen es ärger zugeht als in einem Gefängnis. Hinter ihrem Rücken hat aber die Gemeinde Wien die Baracke an den Holzhändler Hartl verkauft, der sie nunmehr demolieren will. Seit Wochen geht der Kampf um diese Baracke, und die gesamten Obdachlosen müssen sich zusammen tun, um zu verhindern, dass eine gute Baracke demoliert wird, 64 Menschen mitten im Winter auf die Straße gesetzt werden, damit die Gemeinde Wien Geld bekommt für den Grund und der Holzhändler Hartl seinen Lagerplatz vergrößern kann.

Derselbe Obdachlose berichtete auch darüber, wie es im Asyl zugeht. Ein junger Arbeiter, der schon über ein Jahr arbeitslos war und da er keine Schuhe hatte und barfuß ging ersuchte beim Fürsorgerat um Schuhe: „Gehens einige male auf und ab, dann wird Ihna warm werden“ war die Antwort des Beamten.

Stürmisch begrüßt, erklärte Genosse Bittner im Namen der Kommunistischen Partei, dass sie den Kampf der Obdachlosen wie bisher nach Kräften unterstützen wird. Ihr habt ein Recht auf Wohnung und Arbeit, doch müsst ihr euch in diesem Staate euer Recht erkämpfen! Die revolutionäre Arbeiterschaft steht hinter euch.

Bürgermeister Seitz lehnte die Forderungen der Obdachlosen ab, und ließ seine negative Antwort durch die Arbeiter Zeitung veröffentlichen.

Die Antwort ist nicht nur eine glatte Ablehnung, sondern beinhaltet darüber hinaus eine infame Verleumdung und Verhöhnung der Obdachlosen, ins besondere jener die gezwungen sind im städtischen Asyl zu nächtigen. Unter dem Titel „Was die Gemeinde für die Obdachlosen macht,“ wird erzählt was die sozialistische Gemeindeverwaltung für Ärmsten der Armen getan hat. Von mehr Taten weiß selbst die Arbeiter Zeitung nichts zu berichten.

Denn alles andere was man in den Artikel steht sind Ablehnungen der Forderungen der Obdachlosen und zum anderen Teil freche und dumme Verleumdungen. So z.B. wird die Forderung nach Tag Räumen im Asyl, deren Erfüllung übrigens Stadtrat Tandler bereits wiederholt zugesagt hat und auch im Sozialdemokratischen „Abend“ begrüßt wurde, als undurchführbar bezeichnet.Die Klagen, dass die Obdachlosen ihre Frühstück- und Nachtmahl Suppe stehend einnehmen müssen, sind berechtigt anerkennt die Arbeiter Zeitung doch das muss weiter so sein, denn augenblicklich kann dieser Wunsch nach Sitzgelegenheiten nicht erfüllt werden. Offenbar bringt die Gemeinde Wien das Geld nicht auf.

Sonst wird in dem Artikel die ganze Obdachlosen Bewegung als eine kommunistische Parteisache bezeichnet, was uns nicht weiter wundert, denn schließlich wird ja sowohl von Seipel als auch von Schober jede Bewegung, die im Interesse der Arbeiter geführt wird, wenn sie den Herren nicht genehm ist, also kommunistisch bezeichnet. Warum soll denn Seitz eine Ausnahme machen? Viel wichtiger ist, dass man die Obdachlosen beschuldigt, aus dem Asyl eine Versorgungsanstalt der arbeitsfähigen Menschen zu machen. Also die vielen Obdachlosen die im Asyl nächtigen und keine Arbeit haben sind arbeitsscheu, wollen nicht arbeiten und wollen sich im Asyl behaglich einrichten. Diese freche Verhöhnung der Arbeiter schließt sich würdig dem „Kleinen Blatt“ an, das darauf , gekommen ist, dass an der finanziellen Not der Arbeiter nicht die geringen Löhne, nicht die Teuerung, nicht die hohen Zölle, nicht die Seipel Sanierung schuld ist, sondern die schlechte Einteilung. Sie predigt den Arbeitern die Kunst sichs einzuteilen. Und Seitz, die sozialdemokratische Gemeindevertretung und die Arbeiter Zeitung beschuldigen nun jene Obdach- und Arbeitslosen, die sich täglich die Füße wund laufen um Arbeit und Quartier zu bekommen, dass sie sich eine Versorgungsanstalt schaffen wollen.

Die Obdachlosen haben dem Herrn Bürgermeister und der Arbeiter Zeitung gestern in einer von etwa 800 Personen besuchten Versammlung eindeutig und klar die Antwort erteilt.

Der Obmann der Obdachlosen hatte mit dem Vertreter des Stadtrat Tandler, Weber gesprochen und dieser sagte: „Es ist nicht in unserem Interesse im Asyl Verbesserungen zu schaffen.“ Mit der Begründung, wenn es den Obdachlosen gut gehen würde, keine Arbeit suchen, und man muss sie zwingen sich selbst eine Arbeit zu suchen. Und nur 5 Prozent der Gemeindewohnungen den Obdachlosen zur Verfügung zu stellen, lehnte man ab.

Die Obdachlosen kämpfen nicht aus purer Freude sondern kämpfen müssen weil die Not immer mehr steigt.

Bei der kommenden Wahl so meinte der Obmann bei der Versammlung, dass es für die Obdachlosen nur die revolutionäre Arbeiter Partei gäbe, die Kommunistische Partei. Damit war die Versammlung beendet.

Im September 1929 Im Obdachlosenheim der Gemeinde Wien auf dem Schoberplatz in Simmering kam es dieser Tage zu einer großen Protestaktion von hunderten Obdachlosen gegen ihre Behandlung die die Heimverwaltung gegen die unglaublichen Schikanen denen diese Ärmsten der Armen wehrlos ausgesetzt sind.

Das Heim ist in einer Männer- und Frauen Abteilung eingeteilt. In der Frauenabteilung befinden sich 400 Frauen. Der Einlass ist ab 6 Uhr abends gestattet. Nun, da es kühler wird sucht man ein schützendes Dach und daher kommen sie alle auf einmal um einen Platz zu bekommen. Das war der Grund zum Tumult. Der Verwalter Deka lässt einfach nur eine Kasse öffnen und so sind die Obdachlosen gezwungen eineinhalb Stunden in langen Schlangen auf der Straße zu stehen bis sie Einlass in das Heim finden. Darunter befanden sich kranke, schwache, alte Frauen die durch das lange Stehen ohnmächtig werden und dies nur weil die sozialdemokratische Gemeindeverwaltung bei ihrer großen „Aufbauarbeit“ es noch nicht zustande gebracht hat im Hof des Heims irgendeine Baracke als Warteraum oder Holzüberdachung zu schaffen damit die Obdachlosen nicht im Freien stehen müssen. Und der Schluss 85 Frauen sind wieder auf die Straße geschickt worden und das im September, wie wird das erst im Winter? Dass es genügend Plätze für die Obdachlosen gäbe war also unwahr. Es gab genügend Männersäle doch bei den Frauensäle sah es schlecht aus.

In Favoriten gab es noch ein Männerheim, dort standen Säle sogar leer.

Gegen 8 Uhr am Abend kam es zum Tumult. Die Obdachlosen riefen nach dem Verwalter, der natürlich aus Feigheit nicht erschien. Die Obdachlosen protestierten gegen diese schikanöse Behandlung, Die Antwort, die Polizei wurde gerufen, die im Überfallauto vorfuhr und der Gemeinde Wien zu Hilfe kam. Die Schober Polizisten gingen nun mit brutaler Gewalt mit der Gummiwurst auf die Obdachlosen los. Ein Obdachloser sollte verhaftet werden, aber er entzog sich dann doch der Verhaftung indem er den Rock an dem er gehalten wurde auszog und entschwand.

Auch sonst sind die Zustände im Obdachlosenheim ziemlich nett. Für sämtliche Krankheiten von denen die Obdachlosen befallen werden, verschreibt der Arzt Aspirin, der Arzt ist dafür nicht verantwortlich zu machen, da ihm diese einzige Medikament von der Gemeinde vorgeschrieben wird. In dem Heim in dem fast 2000 Menschen leben, gibt es kaum Verbandstoff. Am Morgen und am Abend bekommen die Obdachlosen ein Achtel Liter Suppe. Die Suppe die man im Gefängnis bekommt soll besser sein.

Aber das Ungeheuerlichste ist, dass die Gemeinde noch immer nicht versucht hat, auch Räume für obdachlose Familien zu schaffen und so muss der Mann ins Männerheim und die Frau mit Kinder ins Frauenheim gehen.

Die Gemeindeverwaltung glaubt mit den Obdachlosen umspringen zu können wie es ihnen beliebt.

Das, was die Gemeinde den Obdachlosen gibt, oder geben soll ist ihre Pflicht, ist nicht ihre Mildtätigkeit zu verdanken sondern ihre Pflicht.

Quelle: Die Rote Fahne ÖNB

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