RÖMISCHE BAD LEOPOLDSTADT#
Von allen Lehren, die uns das Altertum hinterlassen hat, haben wir keiner weniger nachgelebt als „der Kunst des Badens“, ein Hochgefühl des Behagens, ein unnennbarer Genuss, der die ganze innere Kräftigung des Körpers, die Beruhigung des Gemütes im Gefolge hat; wir kennen es nicht, wir haben es seit vielen Generationen verlernt, wir baden nur gelegentlich, wenn wir äußerer Umstände halber müssen und nicht nach den ewig richtigen Grundsätzen der Makrobiotik.
Noch am Ausgang des Mittelalters waren die Traditionen Roms in Wien nicht ganz untergegangen, noch in jener Zeit war die Stadt reich an, wenn auch kleinen, Badestuben, und noch heute trägt ein Stadtteil, das Stubenviertel, von denselben seinen Namen.
Wer die Misère, um nicht geradezu Erbärmlichkeit zu sagen, unserer bisher bestandenen Badeanstalten kennt, mit ihrer zweifelhaften Reinlichkeit, mit jenem gänzlichen Mangel an dem zur Behaglichkeit unerlässlichen Komfort, der mag es wohl begreiflich finden, dass der Wiener um einen der höchsten Genüsse des Menschenlebens ärmer ist; dass er ein bisher ungekanntes Gefühl des Wohlseins und der Gesundheit empfinden wird, wenn er in die Gelegenheit kommt, „baden zu lernen“.
Was hat die Presse, was haben unsere Blätter nicht schon geschrieben, um diesem Übelstand abzuhelfen; es war umsonst - unsere Väter, so empfänglich für Festgenüsse des Bachus, hatten taube Ohren für jene reinen der Hygiea; und es war einer Gesellschaft anerkannt strebsamer Männer vorbehalten, unter tausend Nörgeleien, wie das schon bei uns so ist, den ersten Anstoß zu einer Verbesserung in dieser Richtung zu geben, der, so hoffen wir, auf die Gesundheit und das Wohlbehagen der Bevölkerung von den riesigen Folgen sein wird.
Einer unserer vorzüglichsten Barneologen, der als Erbauer des Raitzenbad und Institutor der Badeanstalten auf der Margaretheninsel in Ofen wohlbekannte und viel gerühmte Dr. J. N. Heinrich war schon seit 15 Jahren bemüht, ein Bad in Wien zu erbauen, das alle Vorzüge in verbessertem Masse in sich fassen sollte, die das Raitzenbad in Ofen zu einem ersten der Welt gemacht haben, aber leider, die hierzu erforderlichen Mittel waren lange nicht zu beschaffen. Da gelang es im Jahr 1872 einem guten Zufall und der energischen Vermittlung unseres wackeren Industriellen R. Ditmar, die allbekannten tüchtigen Männer und Philantropen, den Freiherrn von Hopfen, von Mayer, von Haber etc., eine Gesellschaft zu bilden, welche sich die Aufgabe stellte, Wien nach den Erfordernissen der rationellen Gesundheitspflege mit Badeanstalten zu versorgen.
Das erste und wahrlich staunenswerte Resultat der Bemühungen der konstituierten „Aktien-Gesellschaft für Hotels und Badeanstalten“ steht heute fertig vor uns - eine Kariathiden geschmückte Hauptpforte nimmt uns auf, wir treten die Stufen hinan – und stehen in einem stilvoll geschmückten Foyer und fühlen uns fast verlegen bei dem Anblick der ungewöhnlichen Pracht und des ruhigen anmutenden Empfanges von Seite des gebildeten Personals – wir sind im „römischen Bad“ zunächst der Praterstraße hinter dem Hotel Danube.
Der mit wahrhaften Genialität entworfene Plan verdankt den tiefen Erfahrungen des Dr. Heinrich auf balneologischen, des bekannten Architekten H. Claus auf architektonischem Gebiet sein Entstehen und es ist höchst anerkennenswert, wie scharfsinnig der unregelmäßige Raum ausgenützt und wie meisterhaft im Innern eine wohltuende Regelmäßigkeit und Symmetrie erzielt wurde.
Abgesehen von den später zu erwähnenden Vorkehrungen zur Erzielung des sanitären Zweckes wurde, als eine wirksame Unterstützung für Befriedigung der Sinne und der Beförderung innerlichen Behagens durch eine artistische Ausstattung gesorgt, welche ihres Wertes halber und ihrer stilistisch, planmäßigen Zusammenstellung, als ein Muster für alle öffentlichen Anstalten gelten kann. Wir erwähnen von besonderen Kunstleistungen vor allem der beiden Ölgemälde Canons im Drawing room der Herren der prächtigen Landschaften Heinrich Ottos, dem Deckengemälde:Bacchantinnen von dem trefflichen Maler Löffler; in dem Konversationssaal der Damen hat sich Löffler durch seinen poetisch gedachten Bilderzyklus zum „Dornröschen“ geradezu übertroffen.
Die Skulpturen entstammen der Meisterhand Melnitzky, ein Bildner, dessen Name genügt, um das Tüchtige zu bezeichnen Im . Fonde der Duschhalle steht die allegorische Statue des „Donauweibchens“ vorläufig im Gipsmodell; die Marmorstatue steht zur Zeit noch in der Kunsthalle. Der rein architektonisch-ornamentale Teil ist das Verdienst H. Claus und wenn schon die schönen, ebenmäßigen Anordnungen desselben an der Portal- und Langfront im greco-romanischen Stil meisterhaft genannt werden können, so sind dieselben im Innern nicht minder von tiefem Verständnis und dem Zweck entsprechend - mit einem Wort: das römische Bad ist ein Bijou, dessen Bildung der Wiener Kunst würdig ist und das will viel sagen.
Und wie finden wir die Worte, um die sanitären Einrichtungen des Anordners dieses Meisters der Higyastik nach Gebühr zu würdigen? Schreiber dieses war ein alter Badegast im Raitzenbad zu Ofen, war durch Erfahrung ein Verehrer Heinrichs; aber wir müssen gestehen, dass wir beim ersten Anblick der Einrichtungen im römischen Bad zu Wien im höchsten Grad überrascht waren.
Das Bad bietet die durch langjährige Erfahrungen bewährte Einrichtungen; es gebietet stündlich über 2000 Kubikfuss frischen Brunnenwassers, welches aus zwei mächtigen Speichern mittels Dampfkraft geschöpft wird. Durch diese Tatsache ist schon allein der Wert des Bades für die Gesundheit dokumentiert.
Die Zahl der Herrenkabinen beträgt 400, jene der Damen 200; sie sind in drei Preisklassen geteilt, welche zwischen 1 Gulden, 50 kr, und 80 kr., variieren; ein Preis der gewiss mäßig genannt werden muss und selbst dem minder Bemittelten diese Wohltat zugänglich macht. Die eigentlichen Bäder teilen sich stufenweise in den Raum für das warme Bad, die Räume für gradatim sich steigernde warme Luftbäder, die Frottierkammern, die Dampfbäder, die lauen und kalten Bassins zur stufenweisen Kühlung, dem großen Dusch Saal und den Abtrocknungsraumö
Überdies harren dienende Geister jedes Winkes gewärtig den Gast von allen kleinen lästigen Überflüssigkeiten des Körpers, vom Barthaar bis zum Hühneraug zu befreien – und nach Wunsch wird in der kurzen Zeit des Badegebrauches – selbst die Wäsche gewaschen und auf das Feinste geglättet.
Zur weiteren Pflege des Ichs besteht im Haus ein elegantes Café-Restaurant, welches bei sehr mäßigem Preis in Küche und Keller Anerkennenswertes leistet.
Wir haben nach oberflächlicher Aufzählung nicht zu viel gesagt, wenn wir behaupten, dass das römische Bad alles auf dem Gebiet der Balneologie in der raffinierten Ausnützung leistet, was nur zur Pflege der Gesundheit und des Wohlbehagens, der heutige Stand der Kultur zu bieten im Stande ist; dass diese Anstalt geeignet ist uns Wienern „das Baden zu lernen“, und dass die Erbauerin: Die Aktiengesellschaft für Hotel und Badeanstalten sich mit Recht den Dank der Wiener verdient hat. Und noch eins! . Ebenso wenig als schon im alten Griechenland nicht alle nach Korinth reisen konnten, können alle Wiener nach dem Praterstern gehen und noch weniger hin fahren, um ihrer eigenen Gesundheit den Tribut zu zollen; der massenhafte Besuch des römischen Bades von heute schließt schon an und für sich eine solche Eventualität aus. Es steht zu hoffen, dass nach diesem eklatanten Beispiel einer tüchtigen Gesellschaft im Kreis unseres Gemeinderats die richtige Ansicht Platz greift, dass die Kommunität ebenso, wie sie die Bevölkerung mit Trinkwasser versorgt, die Verpflichtung hat, dieselbe mit rationell eingerichteten Badeanstalten zu versorgen - oder wenigstens diejenigen, welche es tun wollen, nach Möglichkeit in der Platz- und Wasserfrage zu unterstützen.
Es ist ein unabweisliches Bedürfnis in jedem Bezirk ein hygienisches Bad nach dem Muster Heinrichs zu erbauen, das, wenn auch nicht gerade jenen Aufwand an äußerem Prunk zeigt, doch den Eindruck der Gefälligkeit und Schönheit macht. Gerade jetzt, gelegentlich der Installation der Wasserleitung und je nach der sich praktisch erweisenden Wassermenge, wäre die energische Aufnahme dieser Frage in das nächste Programm geboten; damit wäre auch der alten Seeschlange, die noch von Vater Kleyhooz Zeiten so oft die behagliche Ruhe unserer Stadtväter störte, der Kopf zertreten.
Das römische Bad zählte nach seiner Eröffnung zu den Sehenswürdigkeiten Wiens und schilderten in ihren Blättern über diese neue Einrichtung: Wie mit einem Zauberschlag hat die Stadt Wien in verhältnismäßig kurzer Zeit ihr altes, patriarchalisches Gewand , das wohl viel Interessantes an sich hatte, aber in unser Säkulum nicht mehr recht hineinpassen wollte, abgestreift und in verjüngter Kraft einen mächtigen Aufschwung genommen. Die Kapitale des großen Reiches ist das geworden, was sie naturgemäß sein muss, ein Brennpunkt von sozialen Instituten, welche den Schönheitssinn und die verfeinerten gesellschaftlichen Anforderungen des Bürgertums befriedigen und gleichzeitig den weitgehenden Ansprüchen der Gesamtbevölkerung in verhältnismäßig billiger Weise Rechnung tragen. Es hat das Herz jeden Österreichers mit Stolz erfüllt, zu sehen, wie Staat und Private in edlem Wetteifer einander überboten, die Stadt mit mustergültigen Kunst-, Industrie- und Lehr-Instituten zu bereichern. Auch Vergnügungs Etablissement, die üppig entstanden, bestrebten sich, den erhöhten sozialen Leben der Population gerecht zu werden.
Desto betrübter war die Tatsache, dass in einem Punkt, der in sanitärer Beziehung, wie in Rücksicht auf Vergnügen, eine gleich große Rolle spielt, keine Wendung zum Bessern eintrat. Wir meinen den Abgang eines Bade Etablissements, welches sich auf der Höhe der Ansprüche erhalten hätte. Was bisher in diesem Punkt geboten wurde, war eher geeignet, den Mangel eines Bades, wie es sein soll, recht markant hervortreten zu lassen, als das Bedürfnis zu befriedigen. Mit ungeheuchelter Freude begrüßen wir darum das neu gegründete Römerbad....
QUELLE: Allgemeine Wr. Med. Zeitung 26. August 1873 S 4 u. 5, Wr. Weltausstellungs Zeitung, 15. August 1873, S 2, Bilder Seite 1, und 3. ANNO Österreichische Nationalbibliothek
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