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WARENHAUS ARCHITEKTUR#

1904: Von allen Künsten wird der Architektur der Schritt in die neue Zeit am schwersten. Seit Dezennien ringt sie danach, den neuen Stil oder einen neuen Stil zu finden, aber es gelingt ihr nicht, und immer wieder verfällt sie in Rekapitulationen und Reproduktionen. Wie passend wäre es nicht gewesen das Reichstagsgebäude des neuen Deutschen Reiches im neuen deutschen Architekturstil zu bauen! Aber dieser Stil war nicht vorhanden, und obwohl man sicherlich besser getan haben würde, von den vorhandenen Baustilen denjenigen zu wählen, welcher am meisten deutsch ist, griff man zu demjenigen, welcher am wenigsten deutsch ist, und schuf einen Bau, der – man mag ihn nun rühmen oder tadeln - seinem Stil nach ebenso gut in Brüssel oder Rom stehen könnte als in Berlin. Und ähnliches wiederholte sich beim Dombau und wird nicht gerade bei derartigen offiziellen Prachtbauten noch oft wiederholen.

Und doch ist es uns schon seit mehr als einem Dezennium klar, woher der neue Architekturstil uns komme muss; das Wahrzeichen der kommenden Architektur ist der Eiffelturm oder, wenn man will, die Maschinenhalle der 1889er Pariser Weltausstellung. Aus der Idee des Eisenmaterials muss der moderne Architekturstil geboren werden. Tatsächlich steckt in unseren eisernen Brückenbauten, Bahnhofshallen, Fabriksgebäuden und Maschinenhallen weit mehr fruchtbare architektonische Produktion als in jenen aus Nachempfindung, architektonischem Wissen und kunstgeschichtlicher Gelehrsamkeit „gemachten“ Steinbauten. Ein Blick auf das neue Reichstagsgebäude ist ein Blick in die Geschichte der Architektur. Ein Blick in die große Halle des Anhalter Bahnhofes in Berlin ist ein Blick in die Architektur der kommenden Zeit. Das Auge des modern empfindenden Menschen wird sich in der Maschinenhalle des neuen Borsigschen Etablissements in Tegel mehr weiden als am neuen Dom.

Am unfähigsten hat man sich bisher darin gezeigt, die architektonische Stilverbindung zwischen Eisen und Stein zu finden. Wo es sich darum handelte, nur in Eisen zu bauen, wie bei den Brückenbauten und Bahnhofshallen, reüssierte man glänzend. Sobald es sich darum handelt, auf dem eisernen Gerippe einen Steinbau zu errichten, war man vollständig ohnmächtig. Denn man hatte sich gewöhnt ans Nachmachen, ans Borgen und Betteln. Alles aber, was von architektonischen Formen wusste und hatte, passte auf den Steinbau, nicht auf den Eisenbau. Da nun eines der bedeutungsvollsten Kunstgesetze das ist, aus dem Geist des Materials heraus zu schaffen, wusste man weder aus noch ein. Gerade die Pariser Weltausstellung legt von dieser Unfähigkeit, den Eisenbau mit dem Steinbau zu verbinden, Zeugnis ab. Man verwendete den Stein dazu, das eiserne Gerippe, die eiserne Struktur zu verdecken und suchte den Anschein zu erwecken, als sei das ganze Gebäude aus Stein errichtet. Man hat also offenbar den verkehrten Weg eingeschlagen. Mit einer künstlerischen Lüge wollte man über die Eisenkonstruktion hinwegtäuschen, anstatt gerade danach zu streben, trotz der steinernen Umkleidung der Eisenkonstruktion zum Siege zu verhelfen. Aber man wusste nicht. Wie man Eisen und Stein architektonisch verbinden sollte, und um nicht diese künstlerische Ohnmacht zu verraten, griff man zu einer Lüge, pappte das eiserne Gerippe mit Stuck und Gips zu und baute im Barockstil weiter, in dem man zu Hause war.

Besonders in den großen Geschäftshäusern und Warenhäusern trat dieses Unvermögen, eine architektonische Stilverbindung zwischen Stein und Eisen zu finden, zutage. Bei diesen Gebäuden hatte man es im Gegensatz zu den älteren Bauten mit ganz neuen Faktoren zu tun. Man brauchte möglichst viel Licht und möglichst viele Fenster. Das Baumaterial selbst sollte dagegen so wenig Raum als möglich einnehmen. Die Mauerfläche kam damit zum größten Teil in Fortfall. Und da man viele Stockwerke nötig hatte, zu deren Unterstützung man, wenn man in Stein gebaut hätte, Pfeiler, Säulen und Wände von großem Umfang und großer Dichtigkeit gebraucht hätte, stellte man das Gerippe in Eisen her; dadurch gewann man an Raum und infolgedessen auch an Licht. Nun aber kamen die Schwierigkeiten. Nicht nur dass das Fundament, in dem die eisernen Stützen ruhten, Stein sein musste, sondern auch der obere Anschluss des Hauses, ferner alles, was von Mauerflächen blieb, musste von Stein sein. Und der Aufbau des ganzen Hauses durch viele Stockwerke hindurch hatte eine außerordentlich einseitige Betonung der Vertikalen zur Folge. Man sehe sich daraufhin z. B., das Wertheim Warenhaus in Berlin in der Leipziger Straße an. Hier sieht man nur zwei Dinge: Fenster und gewaltige aufragende Pfeiler, die Vertikale ist nicht nur ganz einseitig und außerordentlich stark betont, sondern es ist auch nichts geschehen, um ihr durch gleichzeitige Betonung der Horizontalen das Gleichgewicht zu halten. Wer dagegen an der Hand der klassischen Baudenkmäler einigermaßen architektonisch fühlen gelernt hat, wird wissen, dass auf das Gleichgewicht der Horizontalen und Vertikalen beim Gebäudestil fast alles ankommt. Im besonderen haben die Baukünstler der italienischen Renaissancepaläste gerade auf diesen Punkt ihr ganzes Augenmerk gerichtet.

Außerordentlich interessant ist in dieser Hinsicht das neue Tietze Warenhaus in Berlin das von der Leipziger Straße nach der Krausenstraße durchgeht. Der Architekt dieses Baues hat die angeregten Schwierigkeiten offenbar wohl erwogen, und er hat versucht, sie zu überwinden, und es ist ihm dies im hervorragender Weise geglückt. Und zwar hat er zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zwei verschiedene Wege eingeschlagen. In der Hauptfassade der Leipzigerstraße nämlich hat er das eiserne Gerippe mit den stützenden Pfeilern ganz und gar in das Innere des Hauses verlegt; die Stockwerke selbst lässt er über die Pfeiler hinaus sich fortsetzen und gewinnt nun als Fassadenfläche einen einheitlichen großen Rahmen mit Fenstern. Das erscheint uns als eine außerordentlich glückliche Lösung der schwierigen Frage, über die aufdringlichen eisernen Stützen in ästhetischer Beziehung Herr zu werden; und wir haben es hier nicht wie bei der Verkleidung mit Stein und Gips mit einer künstlerischen Lüge zu tun, vielmehr bleibt das eiserne Gerippe als solches auch in stilarchitektonischer Beziehung erhalten, nur dass, wie beim menschlichen Körper die Knochen, so hier das eiserne Gerippe als Gerippe nach innen verlegt ist. Um aber nicht bloß einen eintönigen Rahmen mit Fenstern als Fassade zu bieten, nahm der Architekt eine Dreiteilung vor: er baute den Eingang zu einem Portalbau großen Stils aus und verlegte die Fassadenrahmen mit den Schaufenstern auf die beiden Seiten des Portalbaues. Und um den letzteren ein Gegengewicht zu bieten, baute er auch die beidseitigen Gebäudeecken architektonisch aus, so dass er zu guter Letzt ein einheitlich gegliedertes, organisches Ganzes vor sich hatte. Für Ausbau und Schmuck des Portalbaues und der Gebäudeecken wurde die Steinskulptur in verschwenderischer Weise angewendet.

Auf ganz andere Weise verfuhr der Architekt bei der anderen Fassade nach der Kausenstraße zu. Hier beließ er die eisernen Stützen außen, war aber nun bestrebt, gegenüber dieser außerordentlichen Betonung der Vertikalen auch die Horizontale zu betonen, was er dadurch erreichte, dass er die Flächen zwischen den Stockwerken Fries artig außerordentlich reich mit dekorativen Reliefs schmückte, welche übrigens auch für sich betrachtet als sehr gelungen zu betrachten sind. Diese horizontal verlaufenden breiten Friese betonen nun in der Tat die Horizontale so stark, dass diese der, durch die mächtigen, vertikal aufragenden Pfeiler stark betonten Vertikalen das Gleichgewicht hält, wozu noch kommt, dass auch das Dach, indem es stark vorspringt, die Horizontale betont.

Überwunden hat also der Architekt die Schwierigkeiten uch bei der Fassade der Krausestraße. Das Eisen kann immer nur als Gerippe angewendet werden, nicht als Füllung und deshalb muss die Eisenkonstruktur nach innen verlegt werden. Dr.Heirich Pudor

QUELLE: Der Architekt 1904, ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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