Barockes Wienn in kleinen Beispielen der Baukunst#
Fotos und Text von Ernst Zentner
Wenn ich mir so alte Wienansichten betrachte, so etwa eine Stadtvedute von 1740, die sich im Besitz des Wien Museum befindet, so fühle ich bei ihrer Darstellung sowas wie einem Atem unergründlicher Depression darüber schwingen. Unverarbeitete Ängste ließen den Städter unüberwindliche Hürden schaffen.
Eine englische Lady namens Montague - sie war die Ehefrau des englischen Botschafters in Konstantinopel - bereiste die Reichs- und Residenzstadt Wien und war erschüttert über die Enge der Gassen - ebenso beeindruckten sie die mehrstöckigen Häuser. Bis zu fünf Stockwerke hoch war so ein - barockes - Mietshaus. Bei Besuchen konnte die Britin die Pracht des Interieurs
der Palais begutachten: "Sie bestehen gewöhnlich aus einer Reihe von acht oder zehn großen Zimmern, alle mit ausgelegter Arbeit, Türen und Fenster reich an Bildhauerarbeit und vergoldet, selbst bei höheren Beamten eine Ausmöblierung, wie man sie anderswo kaum in Palästen regierender Fürsten findet. Ihre Zimmer sind mit den schönsten Niederländer-Tapeten behangen, mit ungeheuer großen Spiegeln in silbernen oder mit Silber verzierten brillantierten Glasrahmen, japanischen Tischen, schweren reichen Stühlen, Betten etc., mit Fenstervorhängen geziert, die von dem schwersten Damast und beinahe ganz mit goldenen Borten bedeckt oder gestickt sind. Endlich sieht man darin auch herrliche Gemälde, Vasen von japanischen Porzellan, kunstreiche Uhren und große Kronleuchter von Bergkrystall.
Ich habe auch die Ehre gehabt, von verschiedenen Kavalieren und hohen Staatsbeamten zur Tafel geladen zu werden, und ich muss ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass der gute Geschmack und die Pracht ihrer Tafel vollkommen mit ihren schönen Geräten übereinstimmt. Mehr als einmal wurde ich mit wenigstens fünfzig Gerichten bewirtet, die alle in Silber aufgetragen
und wohl zubereitet waren, diesen folgte ein Nachtisch in dem schönsten chinesischen Porzellan. " Schockiert reagierte sie über das Faktum, dass Wand an Wand ein Adeliger neben einem Handwerker leben konnte. Indigniert verließ bald die Lady Wien.
Nun was blieb von der Architektur über? Eher wenig. Die meisten Häuser wichen noch seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Neubauten oder wurden visuell umgewandelt. Generell tragen sie innen und außen ein historisierendes Gepräge.
Üblicher waren zu dieser Zeit Stadtpalais. Sie waren generell ein Ausdruck um die Bindung an den Kaiserhof zu unterstreichen. Diese Paläste verkörperten schon von der Fassade her Luxus und Pracht, gemäß der Ansicht des fürstlichen Architekturtheoretikers Karl Eusebius von Liechtenstein der schon 1678 meinte: "Denn was brachtig ist in einem Gebäu, wil ein Lang haben - und jene lenger, jene vornehmer - dan dieses ist das greste Ansehen und Herrlichkeit, eine grosse Anzahl der Fenster und der Seilen zu sehen ... Welschland in denen Gebäuden übertrifft die ganze Welt, und also solcher Manier mehr als keiner anderen zu folgen, den ihr Ahrt ist schen und brachtig und majestetisch."
Der französische Palaisstil wurde von vornewegs abgelehnt und das lag außenpolitisch begründet. Damals versuchten die Adeligen auch beim Hof in nächster Nähe zu verweilen. Nebenbei errichteten sie in den Vororten der Stadt liebreizende Land- oder Jagdschlösser. Besser gesagt Gartenpalais mit Parks, deren Vorbilder an englische [?] Gartenlandschaften gemahnten. Das Belvedere des Prinzen Eugen kann da als ausgezeichnetes Beispiel angeführt werden - so auch das Palais Liechtenstein am Alsergrund. Außerhalb Alt-Wiens gedachte der Kaiser den Bau eines Schlosses, das an Versailles heranreichen sollte: Schönbrunn. Fischer von Erlach lieferte die Pläne und begann den Bau 1696/97. Lassen wir nochmals Lady Montague bezüglich der Vorstädte zu Worte kommen: "Ich habe nie etwas so Vollkommenes, Angenehmes und Reizendes gesehen, als die Wiener Vorstädte. Sie sind sehr umfangreich und bestehen fast gänzlich aus schönen Palästen, die wegen ihrer Lage und Bauart zum Entzücken sind."
Für Kunsthistoriker Rupert Feuchtmüller war die Epoche des Barock, die Zeit von Kaiser Leopold I. bis Maria Theresia. Also von 1657 bis 1780.
Eine belanglose Vorbemerkung: Manche Stadtpaläste stehen in relative enge Gassen, wodurch sie vom Boden her fotografiert steil wirken. Der Mensch des 18. Jahrhunderts hat sie auch nicht anders gesehen. Ihr Aussehen war oft respekteinflößend. Das hieß lediglich: Hier wohnt ein wichtiger Mensch oder Potentat …
Die früheren Inhaber dieser manchmal eigenartig wirkenden Paläste waren Auftrag- und Geldgeber. Die Baustellen boten für viele Menschen Arbeitsplätze und Einkommen. In einer Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges, der Konflikte gegen die Osmanen und ...
Ehem. Windischgrätz-Palais. Beispiel eines typischen barocken Adelspalast. Wien-Innere Stadt, Renngasse 12. Eingezwängt zwischen 19./20. Jahrhundert und 21. Jahrhundert. Unter Einbeziehung vorhandener, älterer Bausubstanz (17. Jh.) erbaut nach 1702 von Christian Alexander Oedtl für Johann Carl Freiherrn von Geymann; seit 1756 im Besitz Windischgrätz (17. Juli 2016, 11:48:44) - Foto: Ernst Zentner
Fünf Fensterachsen und dreistöckig. Das Erdgschoss gebändert (17. Juli 2016, 11:49:26) - Foto: Ernst Zentner
Barockes Bürgerhaus, um 1730; Fassade in der Art des Johannes Lucas von Hildebrandt; Wien-Innere Stadt, Am Hof 12 (26. Oktober 2017, Österr. Nationalfeiertag - 11:36:44) - Foto: Ernst Zentner
Blick auf die Fassade. vier Fensterachsen und fünf Stockwerke (26. Oktober 2017 11:36:56) - Foto: Ernst Zentner
Einstige Böhmische Hofkanzlei, Judenplatz 11, Wien-Innere Stadt (26. Oktober 2017, Österr. Nationalfeiertag - 11:40:46); Frontispitz, Muschelwerk, unten teilweise sichtbar gebänderte Sockelzone - Foto: Ernst Zentner
Detail eines barocken Monumentalbaues, einstige Böhmische Hofkanzlei, Torportal mit teils vergoldeten Zierrat (Voluten, Festons usw.); Wien-Innere Stadt, Judenplatz 11 (26. Oktober 2017 11:42:22) - Foto: Ernst Zentner
Das berühmte "Dreimäderlhaus", das aus dem Biedermeier stammen soll, Schreyvogelgasse 10/Mölker Steig. Tatsächlich ist es aus der Zeit des Spätbarock bzw. josephinischen Klassizismus. Die Bezeichnung "Dreimäderlhaus" ist eine Legende und beruht auf einem Schubert-Roman (1912). An der linken äußeren Ecke die Rückseite des sechsstöckigen Beethovenhauses, auch als "Pasqualati-Haus" bekannt
Portal des Dreimäderlhauses. Oben an der Dachzone Zopfstil (07. August 2019 16:14:36) - Foto: Ernst Zentner
"Schubladkastenhaus", Freyung 7; Wien-Innere Stadt. Es war einmal das ehemalige Prioratshaus des (links anliegenden) Schottenstiftes. Auf dem Grund des 1751 aufgelassenen Klosterfriedhofes. Der Architekt hieß Andreas Zach und errichtete das Wohnhaus 1773/74 als "schotttisches Freihaus auf dem Voglsang". Die Wienerinnen und Wiener sahen im wichtigen Beispiel für die Wohnhausarchitektur des Barockklassizismus eher eine überdimensionierte Kommode, daher der Name Schubladkastenhaus. Vorne der Austria-Brunnen von Ludwig Schwanthaler (1846). Links die Klosterkirche des Schottenstiftes (15. Juni 2008 11:53:26) - Foto: Ernst Zentner
Ehem. Esterházy-Palais, Wallnerstraße 4. Ab 1687 vermutlich von Francesco Martinelli erbaut, 1695 vollendet. Gilt als bedeutendes mehrfach im Rokoko und Klassizismus adaptiertes Palais. Das ist hier nur die Hauptfassade. Auch das Innere des Palais ist sehenswert (15. Juni 2008 12:03:16) - Foto: Ernst Zentner
Ehem. Esterházy-Palais, Wallnerstraße 4. Stabportal mit Schmiedeeisengitter auf rechteckigem Balkon. Dazu das vergoldete Esterházysche Wappen mit Fürstenkrone (15. Juni 2008 12:02:14) - Foto: Ernst Zentner
Ehemaliges Daun/Kinsky-Palais auf der Freyung 4. Johann Lucas von Hildebrandt erbaute es 1713-19 für den Feldmarschall Wirich Philipp Lorenz Graf Daun. Eines der eindruckvollsten Palais Wiens aus der Epoche des Hochbarock. Seine Innenausstattung ist kostbar. Die fast 100 Meter tiefe Bauparzelle umfasst zwei Innenhöfe. Mehrmaliger Besitzerwechsel; seit 1777 vorübergehend im Besitz der Fürsten Kinsky. Das Portal mit seinen durchbrochenen Giebel lädt zum Verweilen in dem Palais. Allein schon die Hauptfassade ist ein baukünstlerischer Hingucker. Kein Wunder: Hildebrandt stand im Dienst des Prinzen Eugen (Belvedere) und entwarf sogar den Neubau des Stiftes Göttweig (22. Mai 2008 11:22:20) - Foto: Ernst Zentner
Unglaubliche Fassadengestaltung aus dem 18. Jahrhundert. Pilaster, Balustraden, Zierrat und Figuren. Erinnert an das Untere Belvedere (22. Mai 2008 11:22:26) Foto: Ernst Zentner
Ehem. Daun/Kinsky-Palais, Freyung, Wien-Innere Stadt (30. Juni 2007, 20:35:12). Hier ist das hellrote Ziegeldach zu sehen und fügt sich zum Barockstil - Foto: Ernst Zentner
Ehem. Daun/Kinsky-Palais, Freyung, Wien-Innere Stadt - Kupferstich von Salomon Kleiner, um 1750? Hier das ursprüngliche Dach! - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
Ehem. Daun/Kinsky-Palais, Freyung, Wien-Innere Stadt - Deckenfresko Apotheose des Wirich Philipp Lorenz Graf Daun als siegreicher Kriegsheld und Förderer der Künste, Carlo Carlone nach Entwurf von Antonio Beduzzi, 1716-1718 - Foto: Gryffindor, Wikimedia Commons - Gemeinfrei
Ehem. Caprara/Geymüller-Palais Wallnerstraße 8, Wien-Innere Stadt. Eines der bedeutendsten und frühen Palais der Wiener Epoche des Hochbarock. Erbaut 1694-98 von Domenico Egidio Rossi für den kaiserlichen Feldmarschall Enea Silvio Caprara. Besitzerwechsel und Ende 1798 im Besitz der Bankiers Geymüller (15. Juni 2008, 11:58:00) - Foto: Ernst Zentner
Ehem. Caprara/Geymüller-Palais Wallnerstraße 8, Wien-Innere Stadt, ausdrucksstarkes Atlantenportal (15. Juni 2008, 11:59:46) - Foto: Ernst Zentner
Ehem. Questenberg/Kaunitz-Palais. Erstes Portal Johannesgasse 5 Wien-Innere Stadt. Auch ein bedeutender Bau des Hochbarock mit zwei Portale. Errichtet in drei Bauabschnitten für Johann Adam Graf Questenberg. Dazu wurde ein älterer Vorgängerbau (16. Jahrhundert) adaptiert. Die Bauausführenden von 1698 bis 1693 und 1701-03 waren Christian Alexander Oedtl und Georg Pawanger. Die einheitliche Fassadierung soll Jacob Prandtauer durchgeführt haben. Später weiterer Ausbau und von 1752 bis 1815 im Besitz Kaunitz (09. Juni 2007 11:41) - Foto: Ernst Zentner
Ehem. Questenberg/Kaunitz-Palais, Johannesgasse 5-5a, Wien-Innere Stadt. Links erstes Portal (09. Juni 2007 11:43) - Foto: Ernst Zentner
Ehem. Questenberg/Palais, Johannesgasse 5-5a, Wien-Innere Stadt. Zweites Portal (09. Juni 2007 11:43) - Foto: Ernst Zentner
Ehem. Questenberg/Palais, Johannesgasse 5-5a, Wien-Innere Stadt. Die Fassadierung wird auf Jacob Prandtauer zugeschrieben. Fensterachsen. Zwillingsfenster. Dieses Motiv der Doppelfenster finden sich auch in Stift Melk - von Jacob Prandtauer entworfen und hochgezogen - und am Mozarthaus (Figarohaus) (09. Juni 11:43)
Mozarthaus (Figarohaus, Camesina-Haus, Domgasse 5), Schulerstraße 8, errichtet Ende des 17. Jh.s, umgebaut 1716 vom Architekten Andrea Simone Carove. Eigentlich ist das hier die Fassade der schmäleren Rückseite: Auch hier Zwillingsfenster (mit Verputzfelder) - Foto: Ernst Zentner
Batthyány-Schönborn-Palais, Renngasse 4, Wien-Innere Stadt (30. Juni 2007 11:32) - Foto: Ernst Zentner
Batthyány-Schönborn-Palais, Renngasse 4, Wien-Innere Stadt (30. Juni 2007 11:33) - Foto: Ernst Zentner
Benützte Quellen (in Auswahl)
- Dehio Wien I. Bezirk - Innere Stadt. Horn/Wien 2003
- Isabella ACKERL, Die Chronik Wiens. Unter Mitarbeit von Ferdinand OPLL und Karl VOCELKA mit Fotos von Professor Franz HUBMANN. Dortmund 1988
- Die Kunst des Barock in Österreich. Hrsg. v. Günter BRUCHER. Mit Beiträgen von Günter BRUCHER, Michael KRAPF, Hellmut LORENZ, Helmut SCHMIDHUBER, Franz WAGNER. Hrsg.: RESIDENZGALERIE SALZBURG. Salzburg - Wien 1994
- Fred HENNINGS, Das barocke Wien. 1. Teil 1620 - 1683. Wien - München 1965/1974
- Derselbe, Das barocke Wien. 2. Teil 1683 - 1740. Wien - München 1965/1974
- Wolfgang KRAUS/Peter MÜLLER, Wiener Palais. München - Wien 1991
- Nina NEMETSCHKE/Georg J. KUGLER, Lexikon der Wiener Kunst und Kultur. Unter Mitarbeit von Ulrike MÜLLER-KASPAR. Wien 1990
Siehe auch