Die Zukünftige#
Die Braunschweig-Wolfenbüttlerin#
Seine zukünftige bessere Hälfte hieß Elisabeth Christine. Geboren wurde sie am 28. August 1691 in Wolfenbüttel als Elisabeth Christine von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel. Das Haus Wolfenbüttel stammte von den Welfen ab. Ihr Vater hieß Ludwig Rudolf von Braunschweig-Lüneburg und ihre Mutter Louise Christine von Öttingen.
Die Tochter wuchs beim Großvater – Anton Ulrich von Braunschweig – in Wolfenbüttel sowie Schloss Salzdahlum (Kreisstadt an der Oker, Niedersachsen) auf. Ihr Großvater nannte sie liebevoll "Lisbethchen" – Karl VI. wird sie zärtlich seine "weiße Liese" nennen. Die Ehefrau des Kaisers, Elisabeth Christine wuchs in einem gebildeten Umfeld auf. Es würde ein langer Weg werden für Elisabeth Christine. Ihr Großvater hatte bereits 1704 erste Gespräche mit dem Wiener Kaiserhof über ein Heiratsprojekt unternommen. Kaiserin Amalie Wilhelmine – ebenfalls eine Welfin – unterstützte das Vorhaben bedingungslos. Nach einer vom Wiener Kaiserhof abverlangten medizinischen Begutachtung der Prinzessin konnte eine endgültige Zustimmung gegeben werden. Jedenfalls ist es ein Zusammengehen der europäischen Hochadelshäuser Habsburg und der Welfen. Nachdem es offiziell wurde, dass der Wiener Kaiserhof sie als Gemahlin für den in Spanien weilenden Erzherzog Karl auserkoren hatte, war nur mehr ihr evangelisches Glaubensbekenntnis ein Hindernis. Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel entstammte einer norddeutschen lutherischen Hochadelsfamilie, deren Ursprünge noch von den Welfen herrührte, die allmählich zum Katholizismus überwechselte – ohne wirklich in dieser Glaubensrichtung heimisch zu sein. Sie musste einen Schnellkurs in Fragen der römisch-katholischen Konfession absolvieren. Zur Unterstützung durfte sie Theologieliteratur, die wegen Jansenismus in Frankreich verboten war, studieren. Eigentlich war das eine Lehre die den Katholizismus auf das Wichtigste im Zusammenhang mit der Bibel reduzierte. Der nachmalige Abt des Stiftes Göttweig, Gottfried Bessel reiste am 30. März 1707 nach Braunschweig-Wolfenbüttel, um die Prinzessin auf ihren Glaubenswechsel vorzubereiten. Am 19. April reiste Prinzessin Elisabeth Christine nach Bamberg. Die Konversion erfolgte öffentlich am 1. Mai 1707 im Dom zu Bamberg. Als die Evangelischen vom geplanten Religionswechsel der Prinzessin erfuhren drohten sie den Großvater mit dem Ausschluss vom Abendmahlkelch! Am 10. Januar 1710 konvertierte er ebenfalls – in Anwesenheit Bessels. Der Großvater von Prinzessin Elisabeth Christine von Braunschweig-Lüneburg wusste sehr genau als angeheirateter Verwandter des Habsburgerkaisers war es unumgänglich zum Katholizismus zu konvertieren. Den Gottesdienst zelebrierte der Kurfürst von Mainz, Lothar Franz von Schönborn. Als Zeugen waren damals kaiserliche Repräsentanten – in Vertretung Josephs I. – geladen. Ein reizvolles Detail am Rande: Später traten ihre Tanten Henriette und Dorothea ebenfalls zum Katholizismus über. Henriette war sogar trotz eines Sittenskandals ganz kurz Äbtissin von Gandersheim und Dorothea hatte eine Geldheirat bitter nötig. Wie wir sehen können ging es doch nur ums Geld. Kein Adliger will am Schluss ein Leben in Armut und Ausgestoßenheit fristen – eine Frage des Überlebens in Gesellschaft und Welt also! Die Kulturwelt des Barocks war eine Welt des Überlebens überhaupt. Das galt für den Armen wie auch für den Reichen. Viel Auswahl hatten die Menschen damals nicht. Zur Wahl standen: Hunger oder Pest. Zu verhungern oder an der Pest elendig zugrunde zu gehen. Also Anpassung an das Gegebene war die Option in der Welt der gloriosen Barockepoche.
Das war nichts ungewöhnliches, dass protestantische Prinzessinnen zum Katholizismus übertraten. Schon Josephs I. Ehefrau, die in Lüneburg geborene Amalie Wilhelmine von Braunschweig-Calenberg (1673-1742) trat vor ihrer Hochzeit im Winter 1699 zum römisch-katholischen Glauben über. Ihren ursprünglichen Namen Wilhelmine Amalie vertauschte sie bei der Gelegenheit in Amalie Wilhelmine!
Trauung in Hietzing und Abreise nach Spanien#
Bei der Trauung in der Hietzinger Pfarrkirche (Wien-Hietzing) nahe Schönbrunn am 23. April 1708 abends vertrat Joseph I. seinen abwesenden Bruder. Ein Ambrosianischer Lobgesang wurde von 24 Salutschüssen von der Wiener Stadtmauer untermalt. Vier Tage später vollzog sie als offizielle Königin Elisabeth Christine von Spanien erste politische Aktionen, wie etwa in St. Pölten die Grundsteinlegung für das ehemalige Karmelitinnen-Kloster. Das Projekt war eine Idee ihrer Schwiegermutter Kaiserinwitwe Eleonora Magdalena und wurde von der verwitweten Fürstin Maria Antonia Montecuccoli, eine geborene Colloredo, mit 50.000 Gulden dotiert. Geld war immer da. Noch am Tag der "Trauung" reiste sie nach Hadersdorf, wo sie übernachtete. Am 24. April traf sie noch einmal mit dem Kaiserpaar zusammen und am darauffolgenden Tag mit ihrer Schwiegermutter. In Maria Brunn wurde ein Gottesdienst gefeiert. Ein von Emotionen getragener Abschied folgte. Begleitet wurde die "Braut" von Prinz Karl Joseph von Lothringen – er war Bischof von Olmütz und Bischof von Osnabrück –, welcher sie sicher bis zur Überfahrt geleiten sollte. Am 27. April 1708 – während der Reise von Wien nach Mailand – übernachtete sie im Stift Melk nächst der Wachau. Das damalige Gotteshaus stand im Umbau begriffen. Abt Berthold Dietmayr empfing sie mit allen ihren zustehenden Ehren. Nun die Reise der künftigen Ehefrau Karls und möglichen Königin von Spanien führte über Niederösterreich, Oberösterreich, nach Bayern, wo sie im Marienwallfahrtsort Altötting ihre Mutter und jüngere Geschwister noch einmal getroffen hatte. Dann über Tirol nach Italien. In Mailand blieb sie einige Tage, besuchte dabei ein Kloster. Zuletzt verbrachte sie zwei Tage in Genua, wo sie allerdings maskiert aufgetreten war, weil die Republik Genua sie und ihren zukünftigen Ehemann als königliche Oberhäupter von Spanien nicht anerkannte. Wochen später reiste sie – unter dem Schutz der britischen Flotte unter Admiral John Leake – nach Spanien, wo sie am 28. Juli nächst Mataró an der Mittelmeerküste erstmals mit Karl zusammentraf.Ein Vierteljahr dauerte ihre Spanienhinreise. Ihre Schönheit wurde von Zeitgenossen in prächtigsten Worten beschrieben. Dagegen stand: Sie war übermüdet von der langen Reise. Sie wurde am 25. Juli von 16.000 Mann empfangen und von einem Vertreter Barcelonas auf Katalanisch begrüßt. Am nächsten Tag fand zu ihren Ehren in der Pfarrkirche von Mataró ein Dankgottesdienst für die glückliche Ankunft der Königin statt. Admiral Leake und der Kapitän des Flaggschiffs erhielten Ehrenringe für die sichere Überfahrt der jungen Königin. Zuerst übernachtete sie an der Südküste, wachte dann von Mücken zerstochen auf. Mit Mühe wurden die Beulen mit einer scharfen Flüssigkeit verringert. Ihre Haut war dadurch nicht mehr glänzend, sondern matt. Voller Sorge begegnete sie ihrem Ehemann, den sie nur von Porträts und allgemeinen Beschreibungen kannte. Aber was kann das schon bedeuten?
Begegnung mit dem Habsburger#
Eine erste persönliche Begegnung fand am 30. Juli statt. Überraschung! Der Habsburger war offensichtlich von der jungen norddeutschen Prinzessin begeistert gewesen und verliebte sich in sie. Sie zählte damals 17 Jahre, besaß einen hellen Teint, blonde Haare, war schlank, blauäugig, hielt einen feinfühligen Umgangston inne, schätzte die Geselligkeit und bewies unbefangenen Menschenverstand. Nach der Beschreibung der Wunschtraum eines jeden Mannes? Karl schrieb in sein Tagebuch folgendes: "Königin sehr schön, gar content … Königin Nacht gar lieb". Karl VI. dürfte sie anfangs kaum ordentlich betrachtet haben – vielleicht brachte er vorerst Skepsis auf. Später schrieb Karl von Österreich voller Freude und Begeisterung – am 8. August 1708 – an ihren Großvater: "Obwohlen schon vorhero von allen Orten die große Schönheit und vollkommene Qualitäten (mit welchen sie alle Herzem einnimbt) mir angerühmet worden von meiner englischen Gemahl und Königin, so ist doch alles wie ein Schatten gegen die Sonne mir vorkommen, nachdem das Glück und Trost gehabt, die Königin selbst bedienen zu können. Wünschte nur, daß meine Königin ein ihr Meritirten bekommen hat, sowohlen wohl alls dahin trachten werde, umb mich in allen ein treuen Ehegemahl zu erzeigen." Karl an Wratislaw brieflich am 25. August 1708: "... hab nicht ehender geantwortet weill dass vorige schiff so geschwind weg vnd ich auch mein beylager gehabt hab vnd kan wohl sagen dass ich vollig mit einer so vollkomnen Königin vergnügt bin ..." Offenbar ein Hinweis auf die Flitterwochen?Die richtige Hochzeit #
Karl begegnete seiner Braut einem alten Zeremoniell zufolge unerkannt – doch inmitten seiner ihm höflich ergebenen Kammerherren ein mühevolles Unterfangen. Alles umrahmt mit tagelangen Festivitäten mit Musik und Feuerwerken. Am 31. Juli 1708 saßen beide beim Mittagmahl in San Andrés – eine Stunde von der katalanischen Hauptstadt entfernt. Die Gespräche bestanden wohl aus der inneren Ursache des gegenseitigen Kennenlernens. Auch werden wohl beide heftig geflirtet haben – wenn auch auf höchster politischer Ebene. In Barcelona fand am 1. August 1708 die richtige Trauung in der dortigen gotischen Kathedrale Santa Maria del Mar statt. Die Trauung vollzog der Erzbischof von Tarragona, Joseph Llinar i Azuar de Broto. In Spanien hießen sie Isabel Cristina und ihr Ehemann Carlo tercero. Der König von Portugal, Juan V de Portugal, ließ ihnen vor Barcelona ein Zelt errichten. Von dort bewegte sich der Festzug zur Kirche. Die königliche Leibwache, flankiert von Pauken und Trompeten galoppierte voran. Danach ritt Karl auf einem andalusischen Hengst. Das war wahrhaftig ein Schauspiel! Nach ihm folgte die von acht Pferden gezogene vergoldete Karosse mit Elisabeth Christine. Faktisch war sie längst seine Ehefrau. Noch am gleichen Tag notierte Karl in seinem Tagebuch, das er seit dem vergangenen Jahr begonnen hatte, folgendes über seine Ehefrau: " Königin komen … Königin lib, schön, gut. " War das ein Kompliment oder bezog sich das auf ein gemeinsames erstes anreizendes Beisammensein? Die offiziellen Festivitäten dauerten noch drei Tage und wurden unterstützt durch umfangreiche Dekorationen und musikalischen Ereignissen. In den Nächten wurde Barcelona mit Fackeln und mit prachtvollen farbenprächtigen Feuerwerken erhellt. Am 2. August 1708 fand im gotischen Festsaal der Seebörse (Llotja de Mar) in Barcelona eine Opernaufführung zu ehren der neuen Königin statt: "Il più bel nome". Es war die erste Opernaufführung in Barcelona in diesem Saal überhaupt. Das Libretto stammte von Pietro Pariati und die Musik von Antonio Caldara. Der Inhalt war simpel: Gottheiten im Disput um Schönheit und Tugenden und bezogen sich auf Elisabeth und Karl …Noch bevor seine Ehefrau Elisabeth Christine nach Spanien kam, ließ er die königlichen Gemächer kostbar ausstatten. Damals waren die fürstlichen Wohnmöglichkeiten wegen des Bürgerkrieges ziemlich beeinträchtig. Die frisch angetrauten Eheleute residierten im Palast des Vice-Ré (Vizekönig), dessen Bausubstanz aus dem 14. bis 18. Jahrhundert stammte. Der tiefreligiöse Habsburger ließ die hauseigene Kapelle ausbauen. Ihre Fertigstellung fand am 6. Januar 1708 mit der Aufstellung der Reliquien der Märtyrer Fortunat und Clemens statt. Karl und Elisabeth Christine besaßen in dieser Residenz Ölporträts, Kupferstiche oder Marmorbüsten von den Eltern und irgendwelche Andenken von liebsten wie wichtigsten Angehörigen. Um seiner Gefährtin den Aufenthalt in Spanien erträglich zu gestalten befahl er die Herbeischaffung entsprechenden Mobiliars aus dem Palast des Vizekönigs in Neapel. Doch davon bekamen weder Elisabeth Christine noch ihr liebender Ehemann Karl nichts zu Gesicht. Beide Schiffe mit der kostbaren Ladung entschwanden wie so vieles in den Gewahrsam der Franzosen. Es könnten auch Piraten der Barbareskenstaaten die wertvolle Fracht entwendet haben. Auch sie wollten Luxus haben.
Diese Ehe blieb wegen der Kriegswirren und anderer Probleme – wohl die sexuelle Konstitution des Habsburgers schuf anfangs Schwierigkeiten – lange Jahre kinderlos – Stress in einem von militärischen Auseinandersetzungen gepeinigten Land – und lange nach dem Sommer 1713 – erst im ruhigen beschaulichen Wien gebar die Kaiserin vier Kinder: Einen Sohn, der nur acht Monate alt wurde, und drei Töchter, von denen die älteste die große Maria Theresia wurde. Es mag aus heutiger Sicht verwunderlich erscheinen – wie mag das Karl VI. bloß angestellt haben, zumal die spätere Nachwelt ihn einer gewissen sexueller Orientierung bezichtigt. Er wird gewiss lichte Momente erfahren haben. Im Kaiser sahen die Panegyriker Herrschergestalten aus der Mythologie und der Antike, während Elisabeth Christine mit Minerva verglichen wurde, der Göttin des Handwerks, der Weisheit und der schönen Künste. Ohne Zweifel vermittelte die Wolfenbüttelerin trotz allem ihrem kaiserlichen Ehemann die geistige Basis zur frühaufklärerischen Tendenz. Mit Karl und Elisabeth Christine kamen zwei Mentalitäten – gemütliches Wienertum, vielleicht hispanisches Machotum und norddeutsche Gründlichkeit – zusammen ohne Einander unbedingt zu entzweien. Arrogant wie der austro-hispanole Ehemann nun einmal war, verlangte er von ihr im Sinn des spanischen Hofzeremoniells, sie habe ihn mit "Eure Majestät" zu titulieren. Wer weiß, wie ein Ehestreit abgelaufen war.
Falls das stimmt war sie streng genommen nach ihren Ehemann Titular-Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. (Genauso wie ihre Vorgängerin neben Kaiser Joseph I.) Sie wird später eine Tochter zur Welt bringen, die noch berühmter sein wird als ihre Eltern: Maria Theresia (1717 – 1780), und sie wird auch nur Titular-Kaiserin sein.
Elisabeth Christine wurde im Oktober 1714 in Pressburg zur Königin von Ungarn gekrönt.
Die Kaiserin als Schönheit#
Um 1715 beschrieb Lady Montague die Kaiserin als anbetungswürdige Schönheit vergleichbar der Botticellischen Venus: "Wenn sie lächelt, so geschieht dies mit solchem Liebreiz, dass sie in der Tat zur Anbetung zwingt. Um von ihrer Gestalt zu reden, muss die Sprache der Dichter zu Hilfe genommen werden. Alles was sie von Juno's Hoheit und den Reizen der Venus gesagt haben, erreicht hier die Wahrheit nicht. Die Grazien leiten ihre Bewegungen, und der berühmten Statue der Venus von Medici ist nicht in feineren Verhältnissen geformt; nichts vermag der Schönheit ihres Nackens und ihrer Hände gleichzukommen. Bis ich sie sah, habe ich nicht geglaubt, daß die Natur eine solche Vollkommenheit hervorzubringen im Stande sei."
Elisabeth Christine schien neben ihrem Ehemann, dem Kaiser offenbar – realistisch nur scheinbar – gleichberechtigt. Jedoch: Auf ihr lastete die biologische Bürde der Vollendung der Reproduktion: Die Schaffung eines Thronerben. Und wenn möglich, einen männlichen Nachfolger. (Und tatsächlich war der "Nachfolger" eine Frau: Maria Theresia!)
Es ist interessant zu erfahren, dass Karls VI. Ehe mit Elisabeth Christine eine echte Liebesbeziehung gewesen sein dürfte. Im Kreis hochgestellter Persönlichkeiten damals – wie heute – eine wahre Rarität. Wenn man in den offiziellen unterhaltsamen Showbusiness-Zeitschriften gegenwärtige Ehepaare aus „Hochadelskreisen“ anguckt, wirken sie so als ob es nie Krisen gäbe. Das sieht von heute gesehen einfach aus. Damals waren Mätressen modern, bei Karl VI. waren es möglicherweise von Zeit zu Zeit attraktive Stallburschen ... – wenn es wahr ist. Paradox? Da sollten wir uns heute europäische Königsfamilien mal ansehen. Wir kämen nicht aus dem Staunen heraus.