Statt einer Betrachtung - Die Epoche Kaiser Karls VI. und des Prinzen Eugen von Savoyen-Carignan#
1. "Der Staat bin ich", sagte einmal – falls es wirklich stimmt – König Ludwig XIV. von Frankreich. Er strahlte so hell wie die Sonne. Um ihn kreiste alles – bis 1715. Die Politik des Äußeren und die Politik des Inneren. Um ihn standen eng Kirche und Adel. Und sogar die Sonne musste sich ihm unterordnen. Nur der berühmte Halley-Komet tat dies nicht.
Es war ein schräges Zeitalter mit noch schrägeren Typen. Am liebsten würde ich das Geschichtsbuch über die Zeit von 1685 bis 1740 schnell wieder zuschlagen, wenn es nicht die Ära des Prinzen Eugen gewesen wäre.
Es war das Zeitalter in dem ein Schloss Versailles und ein Schloss Schönbrunn hochgezogen wurden. Die Architektur des Barocks prägte die Landschaften Europas. Klöster und Schlösser verwandelten sich in Edelsteine der Barockarchitektur.
Aber es war auch das Zeitalter des Glaubens, Unglaubens, der Hexenverfolgungen, der Kriege um Erbfolge und Hegemonie. Das Zeitalter des Elends und für wenige des Überflusses. Ein Zeitalter inmitten der hellen Grauzone zur Aufklärung.
Offenbar war das Barockzeitalter Österreichs strukturellstes Jahrhundert.
Das ist die Beschreibung des Leben Kaiser Karls VI. und seiner Epoche. Seine Lebensspanne umfasste die Jahre zwischen 1685 bis 1740 – der Höhepunkt des österreichischen Barocks. Wirklich ein Höhepunkt in der österreichischen und europäischen Geschichte?
Wer den Roman und diversen Verfilmungen "Die drei Musketiere" kennt und liebt, soll hier aufhören zu lesen und das Buch sofort zuschlagen. Es war keine idealisierte Welt damals: Menschen mit all ihren Zweifeln, Sorgen und Empfindungen, egal ob sie an der obersten Sprosse der Leiter standen oder an der letzten Stufe der Gesellschaftspyramide, beherrschten die Szenerie.
Es ist schon eigenartig. In der österreichischen Geschichte herrschte einst ein Kaiser mit Namen Karl VI. Geboren 1685. Gestorben 1740. Er war der letzte Althabsburger. Nach ihm etablierte sich das Haus Habsburg-Lothringen. Er lebte im Barock. Das eine Kulturepoche des Seins und der scheinbaren Ordnung war. Sein Vater Leopold I. ermöglichte einen Prinzen Eugen den gesellschaftlichen Aufstieg bis in die Führungselite. Leopold I. führte mit Unbehagen Konflikte gegen Frankreich und gegen das Osmanische Reich. Ihm blieb nichts anderes über. 1683 war so ein Eckpfeiler in der Geschichte Österreichs. Dann kam noch der Pfälzische Erbfolgekrieg, in dem Ludwig XIV., der "Roi de Soleil" bis nach Süddeutschland brutal vorgestoßen war.
Mit dem Frieden von Rijswijk (20. September 1697) wurde die Auseinandersetzung mit Frankreich geendigt. Zumindest vorläufig. Ein weiter Blick in die Ahnengalerie gleicht weiteren Eckpunkten in der Weltgeschichte. Wir sehen Karl V. und sein Weltreich, das keinen Sonnenuntergang zu scheuen brauchte. Vor ihm sehen wir Rudolf I., römisch-deutscher König, dessen Ahnen aus dem Aargau gekommen waren.
Die Habsburger wurden erst mit Friedrich III. so richtig mit dem Kaiseramt vertraut, das schließlich unter Maximilian I., dem letzten Ritter ausgespiegelt wurde. Das vorhin erwähnte Weltreich sollte das Weltreich der Römer ersetzen. Tat es aber nicht, weil es aus internen Ursachen instabil war. Vor allem auch die Begründung auf übernationalen Charakter mehr oder weniger angeführt durch "teutsche" Protagonisten seit dem Mittelalter stand diesem interessanten Reichsgebilde auf europäischen Boden im Wege. Heute streiten Geschichtskenner aller politischen Farben über das Heilige Römische Reich – nur sie kamen nicht sonderlich voran, vor allem in sachlicher Natur … Belastend war der Umstand, dass stets auf den männlichen Erben größter Wert gelegt wurde. Doch irgendwann erschöpft sich jegliche Leistung familiärer Auffassungen. Aber dieses Problem hatten auch Adelsfamilien niedriger Klasse. Bald war die Aufteilung des Kontinents durch einzelne Hochadelsfamilien üblich und beanspruchte die Geduld vieler regionaler Fürsten und Herrscher. Kriege so glaubten sie – einer so dumm wie der andere – lösten jegliches Problem. Die römisch-katholische Kirche wachte über Moral und Sitte und stand seit dem 16. Jahrhundert – eher schon viel früher – jeglichen neuen Lehren skeptisch gegenüber. Der Protestantismus stand vor der Ausmerzung, aber kluge Politiker verhinderten dies stets um ein Gegengewicht zu Rom aufbieten zu können. Der sogenannte "Dreißigjährige Krieg" bot Gelegenheit Untertanen zu erniedrigen und sie um Hab und Gut zu bringen. Mit dem Westfälischen Frieden (1648) war offenbar Genüge getan, um den jeweiligen Fürsten zu bestimmen und zu erlauben welche Religion (römisch-katholisch oder evangelisch) er zulassen mochte. Eine andere Gefahr kam vom Südosten. Seit dem Fall von Konstantinopel 1453 sah die Hohe Pforte ihr Heil darin, das Osmanische Reich zu größtmöglicher Blüte, sei es militärisch oder kulturell, zu beeinflussen. Über Jahrhunderte ging das. Mit der für den Westen erfolgreichen Entsatzschlacht bei Wien 1683 wurden die Osmanen vom adriatischen Balkan verdrängt und mussten sich mit den Ergebnissen des Friedens von Karlowitz (Sremski Karlovci) 1699 zufriedengeben. Das private Reich Habsburg-Österreich war am Anfang seines Zenits angelangt. Seine Fläche reichte von Böhmen, Ungarn bis in die Gebiete des heutigen Rumäniens. Der geopolitische Aufstieg ging vonstatten. Seinen geopolitischen Aufstieg hielt nichts mehr auf. Eine Supermacht in Mittel-, Süd- und Osteuropa war erblüht. Doch ihr Gegner war Bourbon-Frankreich. Stets herrschten zwischen den Staaten Machtkämpfe um die Vorherrschaft in Europa. Die Konstellationen waren denkbar einfach, obwohl die Könige und Herrscher sowie der Kaiser irgendwie um sämtlichen Ecken Verwandte waren, standen Gegensätze und Widersacher im Raum. Wien musste ständig zur Kenntnis nehmen, dass Konstantinopel und Versailles Beziehungen unterhielten. Versailles blickte mit Argusaugen auf den Escorial. Lissabon saß die Angst einer Rückholung an Spanien im Nacken. St. Petersburg achtete auf seine in Osteuropa gelegenen Besitzungen und lag mit Stockholm im Widerstreit. Über allem lag die Klammer persönlicher Wirtschaftsinteressen, die jederzeit in den umfangreichen Friedensverträgen eigene Artikel und mühevoll eingehaltene Bedingungen enthielten. Die verwandtschaftlichen Sachlagen waren ein eigenes Thema. Politisch wurde das seit Jahrhunderten durch Eheschließungen geregelt, nahezu bis zum Inzest, und bildete oft die ordentliche Bekräftigung durch umständlich arrangierte, durch Abkommen bestätigte Beziehungen. Oft dienten sie zum gegenseitigen Auskommen und allgemeiner Akzeptanz. Oft wurde über im Kindesalter stehende Prinzessinnen und Prinzen entschieden, nur um eine bestehende familiäre Linie zur Fortsetzung anzuregen. Die daran beteiligten Protagonisten standen unter Druck. Das war klar.
Der britische König Wilhelm III. (Oranien) sah schon lange das Problem eines enormen Machtzuwachses entweder in der Machtgruppierung der Monarchien Österreich-Spanien oder Frankreich-Spanien – das bedeutete auf jeden Fall und in welcher Weise auch immer, ein neues Weltreich – wie einst Karl V. es regiert hatte – spukte als Schrecknis über das von Wirtschaftsinteressen gelenkte britische Volk. Im Grunde genommen war das auch nicht so schlecht. Man konnte damit Außenpolitik betreiben. Harcourt hatte ihm nahegelegt zwischen Habsburg und Bourbon Teilungsverträge zu erreichen. Das geschah auch: Am 11. Oktober 1698 wurde im Haag ein Abkommen entschieden.
Der Kurprinz Joseph Ferdinand von Bayern (Wittelbach) solle König von Spanien werden. Allerdings gingen Neapel, Sizilien und Sardinien an den zweiten Enkel des Sonnenkönigs, Herzog Philipp de Anjou und Erzherzog Karl von Österreich war das Herzogtum Mailand zugedacht. Fast alle Verhandlungspartner empfanden diese Lösung als gelungen. Für Karl II. war das schlicht eine Zerstückelung seines Reiches und er verlor darüber seine Contenance. Beeinflusst durch den mächtigen Kardinal Portocarrero, ein entschiedener Gegner der Habsburger und Freund Frankreichs, akzeptierte Karl II. den jungen Wittelsbacher als Nachfolger. Im Alter von sieben Jahren verstarb der Wittelsbacher-Prinz an einer Virus-Infektion in Brüssel und fand in der Kathedrale St. Michel et Gudule seine letzte Ruhestatt. Kurfürst Emanuel von Bayern vermutete wohl einen Giftmord, befohlen vom Wiener Kaiserhof – aber diese Idee war schon damals hirnrissig gewesen – und unterstützte seither Ludwig XIV. Ein neuer Teilungsvertrag musste rasch geschaffen werden. Vier Wochen später, am 2. März 1700, handelten ganz rasch Frankreich, Großbritannien und Holland neue Bedingungen aus: Philipp de Anjou erhielte Neapel und Sizilien, Sardinien und die spanischen Plätze (Häfen) an der toskanischen Küste; der Herzog von Lothringen würde durch Mailand entschädigt; Erzherzog Karl von Österreich solle die spanische Monarchie (Spanien und Indien) erben. Spanien dürfe niemals mit Frankreich verbunden werden. (Gegen Aufwiegler würden die Mächte vorgehen.) Dazu wurde durch einen geheimen Artikel vereinbart, dass solange Karl II. am Leben war, Erzherzog Karl weder nach Spanien noch nach Mailand reisen dürfe. Karl II. war darüber nicht erbaut, sandte den Herzog von Moles nach Wien, wo er verlangte, dass Karl selbst nach Madrid käme und ein 12.000 Mann starkes Truppenkontingent vom Kaiser nach Italien geschickt würde, wo die spanischen Gouverneure den kaiserlichen Befehlen folgen. Daneben soll in Madrid der Erzherzog von Österreich in Anwesenheit Karls II. sich als Erbe des gesamten spanischen Reiches deklarieren. Die Idee versickerte dank des neuen Teilungsvertrages in die Unrealisierbarkeit. Weder der Kaiser noch der Sonnenkönig anerkannten das ihnen aufgedrängte Abkommen.Zusammengefasst gesehen: Der erste Teilungsvertrag 1698 sah den jungen Kurprinzen von Bayern (Wittelsbach) als Nachfolger vor und der zweite Teilungsvertrag (1700) sah den zweiten jungen Kaisersohn als Nachfolger einer Sekundogenitur-Linie (Habsburg) in Spanien samt den Kolonien vor.
2. Wie auch immer, beide Verträge wurden nie so richtig anerkannt weder von Wien noch von Versailles – obwohl Leopold I. und Ludwig XIV. auch gewisse Zugeständnisse andeuteten. Aber die Meinungen beider Herrscher blieben verhärtet wie die aufgetürmten Ziegelbauten prachtvoller Barockschlösser. In diesem Klima war Erzherzog Karl aufgewachsen und erzogen worden. Der Tod des letzten spanischen Habsburgers löste in halb Europa an den Höfen eine Schockwelle aus. Hatte es der Bourbonen-König doch geschafft seine Riesenmacht noch mächtiger auszuwalzen. Und das im 900. Jahre des Heiligen Römischen Reiches! Der inzwischen 60 Jahre zählende Kaiser Leopold I. musste sich von seiner eigenen Ministerschar belehren lassen, dass das nicht hinnehmbar war. Seine Söhne Joseph (21) und Karl (15!) wetterten gegen den Sonnenkönig und riefen nach militärischer Vergeltung. Prinz Eugen und Hofkriegsrat Ernst Rüdiger Graf Starhemberg – beide kämpften schon 1683 – betonten wie wichtig es nun sei, Frankreich in die Schranken zu weisen. Der Spanische Erbfolgekrieg zählte zu den frühesten Weltkriegen der Neuzeit. Generell fand er als Kabinettskrieg statt und die reellen Schlachten geschahen auf europäischem Boden. Das Wort Weltkrieg ist überspitzt – aber Spanien besaß Besitzungen in der neuen Welt, in Übersee. Durch eine internationale und verwandtschaftliche Konstellation der österreichischen Habsburger mit den spanischen Habsburgern und den französischen Bourbonen wurde die Furche zu einem viertelglobalen Konflikt gelegt.
Ein Weltkrieg wurde damit ausgelöst. Ludwig XIV. befahl seinen Offizieren über die Pyrenäen nach Spanien einzumarschieren und am vierten Tag des Christmonats 1700 stellte er seinem Staatsrat den neuen König von Spanien vor: Philipp V. Der Sonnenkönig hatte mit ihm auch seinen eigenen potentiellen Nachfolger vorgestellt. Für die übrigen Mächte in Europa ein kalter Schauder: möglicherweise Philipp V. als König von Spanien und König von Frankreich. Undenkbar! Der junge Anjouaner langte gegen Maria Lichtmess in Madrid ein, wo er die Huldigungen seiner profranzösischen Untertanen – und gewiss nicht weniger Opportunisten – nach der Februarmitte entgegennahm, und zwar als "Felipe V." ["Felipe el Quinto"]
Zurück