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unbekannter Gast

Schillerdenkmal in Wien - liberal oder nicht liberal oder national?#

Von Ernst Zentner

WRANGEL.
Herr Gott im Himmel! Hat man hierzulande
Denn keine Heimat, keinen Herd und Kirche?

WALLENSTEIN.
Ich will Euch sagen, wie das zugeht – Ja,
Der Österreicher hat ein Vaterland,
Und liebts, und hat auch Ursach, es zu lieben.

(Friedrich Schiller: Wallensteins Tod. 1. Akt 5. Auftritt - Uraufführung am Weimarer Hoftheater, 20. April 1799)

Denkmäler großer Dichter sind ja nichts ungewöhnliches. In Wien wurde vor der Akademie der Bildenden Künste am 10. November 1876 ein eindrucksvolles Schillerdenkmal eingeweiht. Es war der 117. Geburtstag des deutschen Dichters.
Friedrich (Johann Christoph) Schiller wurde 1759 in Marbach am Neckar geboren. Er entstammte einfachen Verhältnissen, studierte Medizin, wurde Militärarzt, vortragender Professor für Geschichte, gründete eine Familie und starb in Weimar nach jahrelangem Leiden am 9. Mai 1805 - das ist mehr als 200 Jahre her.

Schillerdenkmal und Akademie der bildenden Künste, Schillerplatz, Wien
Das eindrucksvolle Schiller-Monument steht vor der Akademie der Bildenden Künste; eines der wenigen Denkmale in Wien, das sogar mit seiner Umgebung visuell korrespondiert. Vielleicht liegt das daran, dass Künstler im Denken frei und stets gegen erstarrte Konventionen besonders in der Gesellschaft kritisch eingestellt sind … - Foto: Thomas Ledl, Wikimedia Commons - Gemeinfrei

"So war Schiller's Nachruhm nicht dadurch geschmälert, daß ihm bis jetzt in Wien ein Standbild abging - aber dieses fehlte dem hauptstädtischen Ruhm und der Ehre Wiens. Nun ist denn diese Ehrenpflicht glänzend eingelöst. Seit wir politisch nicht mehr zu Deutschland gehören, ist das Bewußtsein der geistigen Zusammengehörigkeit mit der großen deutschen Culturwelt in uns doppelt gesteigert und auch von drüben kommen uns wärmere Stimmen des Antheils und nationalen Brudersinns entgegen ... / Wien feiert jetzt seinen bedeutsamsten Schillertag nach dem großen allgemein=deutschen hundertjährigen Fest von 1859. Auf die jährlich wiederkehrende Gewohnheitsfeier Schiller's kommt nun ein Fest, das Wien insbesondere angehört. Der monumentale Schiller bekommt das Ehrenbürgerrecht Wiens; wie wir immer zu ihm gehört, unter seinem ideal=erweckenden Einfluß gestanden, so gehört er jetzt auch sichtbar, im plastischen Stoffe verkörpert zu uns. Wir können zu ihm physisch aufblicken, sowie wir geistig seit jeher thaten. / Schiller - der deutscheste Dichter! ... / Dann aber begrüßen wir alle gemeinsam den hohen, monumentalen Gast auf dem Schiller=Platz und nenne ihn freudig auch den unseren - für alle Zeiten!" (Jos. Baher, Zur Enthüllung des Schiller-Denkmals in Wien. In "Die Presse", 9. November 1876, Seite 1 - 3)
Punkt 12 Uhr Mittags traf seine Majestät Kaiser Franz Joseph von Österreich-Ungarn ein. Der Schillerplatz war mit Fahnen geschmückt. Die Akademie der Bildenden Künste stand bald vor der Fertigstellung. Militär-Musikkapellen spielten die Volkshymne. Die dichtgedrängte Volksmenge jubelte dem Monarchen zu. Im eigens aufgestellten Kaiserzelt warteten schon drei Erzherzoge, der Ministerpräsident Fürst Auersperg, Reichs-Kriegsminister Graf Bylandt-Rheydt, dann weitere Minister, der Präsident des Abgeordnetenhauses und zahlreiche Abgeordnete des Reichsrates, der Polizeipräsident, dazu noch der Vizebürgermeister Newald. Die Anwesenden begrüßten den Kaiser "ehrfurchtsvollst". Der Präsident des "Schiller=Denkmal=Comité", Ludwig August Frankl bestieg die Redner-Tribüne und begann seine Ansprache mit einem Gedicht: "Freude hat 'uns' Gott gegeben, / Sehet, wie ein gold'ner Stern / Aus der Hülse, blank und eben, / Schält sich der metall'ne Kern." Dann setzte Frankl mit einer pathetischen Rede fort: "Die Gestalt Friedrich Schillers, von eines Meisters Hand geformt. / Wenn sein Name ertönt, geht ein mächtiger, ein melodischer Klang durch die Herzen und Geister der ganzen großen deutschen Welt, weht ein warmer Hauch der Liebe durch die Herzen und Geister Oesterreichs, dessen Volk und Fürsten von alten Zeiten her die Dichtkunst liebten und ehrten." ("Wiener Zeitung". 10. November 1876, Seite 2-3)
In der Wiener Zeitung warb ein Kunstverlag für Fotografien des Schillerdenkmals in verschiedenen Größen zu 1 Gulden, 50 Kreuzer oder 25 Kreuzer.
Während der Enthüllung brachten sämtliche Gesangsvereine Wiens das Festlied "An die Künstler" von Schiller mit der Musik von Mendelssohn-Bartholdy.
In den Ansprachen wurde Schiller als bedeutender Schriftsteller und Dichter deutscher Sprache geachtet. Das Komitee, das die Schaffung des Denkmals arrangierte, übergab das Monument als Geschenk an die Stadt Wien. Entworfen wurde es vom Dresdener Bildhauer Johannes Schilling (1828-1910) und verwirklicht wurde es von der k. k. Kunst-Erzgießerei Franz Pönninger (1832-1906) und Johannes Röling. Pönninger war damals ein anerkannter österreichischer Bildhauer und Medailleur des 19. Jahrhunderts. Er leitete die Erzgießerei von 1866 bis 1896. Er schuf die Skulptur 1875/1876.

Franz Pönninger (1832-1906), Bildhauer und Medailleur
Franz Pönninger (1832-1906) war ein anerkannter Bildhauer und Medailleur des 19. Jahrhunderts. Er schuf nach einem Modell des in Dresden lebenden Bildhauers Johannes Schilling das Schillerdenkmal - Foto: ? Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Ein Großteil der Wiener Denkmäler wurde durch Spenden finanziert.
Friedrich Schiller war der erste Künstler, dem ein Denkmal auf einem öffentlichen Platz gewidmet wurde. Sonst war das nur für Herrscher und Feldherren üblich gewesen.
Eine Abschrift der Schenkungsurkunde wurde im Schlussstein versenkt. (Wiener Zeitung. 10. November 1876, Seite 2-3). Nach der Denkmalenthüllung besichtigte es der Kaiser und begab sich unter Hochrufen und den Klängen der "Volkshymne" in seine Kutsche und fuhr in die Hofburg zurück. Die Kapellen der Infanterieregimenter Hoch- und Deutschmeister Nr. 4 und Friedrich Wilhelm, Kronprinz des deutschen Reiches Nr. 20 spielten einen Festmarsch. Damit endete auch die allgemeine Besichtigung des Denkmals.
Der damalige Bürgermeister Cajetan Felder übermittelte eine schriftliche Grußbotschaft, in der er versprach, das Schiller-Denkmal zu erhalten.
Am Abend veranstaltete die Hochschülerschaft einen Fackelzug, der über die Ringstraße führte. Damals war eiskaltes Wetter und Schneegestöber. 600 Fackeln erhellten die dunkle Novemberstimmung. Die Studenten stellten sich um das Denkmal. Der Akademische Gesangsverein brachte "An die Freude" - dazwischen eine Rede - und danach das "Gaudeamus". (Wiener Zeitung. 11. November 1876, Seite 1-2)
An diesen Abend gab man im k. k. Hofburgtheater "Demetrius" (ein Dramenfragment, 1805, Schiller), danach wurde noch Schillers "Das Lied von der Glocke", illustriert mit lebenden Szenen (mit Akteuren vom k. k. Burgtheater) gebracht; einen Tag darauf in der Hofoper gab man ironischerweise Richard Wagners "Rienzi, der Letzte der Tribunen". Friedrich Schillers Hauptwerke waren die Reflektion auf die deutsche Blüte der Klassik - neben seinem Freund Goethe - und hießen unter anderem "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua", "Kabale und Liebe", "Wallenstein", "Don Carlos - Infant von Spanien", "Die Braut von Messina". Auch eindrucksvolle Dichtungen brachte Schiller zusammen: "Der Taucher", "Die Bürgschaft", "Das Lied von der Glocke". Mit dem Dichterfürsten schrieb er die "Xenien". Dank Goethe übernahm Schiller, der sich auch als Historiker einen Namen gemacht hatte ein Lehramt für Geschichte und Philosophie in Jena. 1802 wurde er in den Adelsstand erhoben.

Denkmal beider Dichtergenies Goethe und Schiller in Weimar
Das weltberühmte Denkmal beider Dichtergenies Goethe und Schiller in Weimar. Vom deutschen Bildhauer Ernst Rietschel zwischen 1852 und 1857 im Spätklassizismusstil geschaffen - Foto: MjFe, Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Bereits in Weimar hatte der deutsche Bildhauer Ernst Rietschel (1804 - 1861) schon 1852 bis 1857 ein Goethe-Schiller-Denkmal geschaffen. Das Weimarer Monument prägte das intellektuelle Bild Deutschlands bis in die Gegenwart.
Das Weimarer Monument beider großen Dichter steht dem Spätklassizismus völlig nahe, während die Wiener Version der Einzelfigur so ziemlich streng historisierend wirkt. Das Wiener Schillerdenkmal steht dem Goethemonument gegenüber.
Sehen wir uns die Entstehungsgeschichte des Schillerdenkmales an: 1859 wurde der 100. Geburtstag des deutschen Dichters gefeiert. Damals war die Errichtung eines Denkmales entschieden worden und wurde erst 1868 realistisch. Ein Komitee wurde institutionalisiert, ein Spendenaufruf und die Ausschreibung eines Wettbewerbes unter allen deutschen Künstlern folgte. In Schiller wurde der "Apostel der Freiheit" gesehen, die Inkarnation des politischen Liberalismus, Akzeptanz der konstitutionellen Staatsform. Natürlich auch ein Aufruf zur nationalen Einheit der damaligen deutschen Einzelstaaten. Nach dem Drama von Königgrätz wurde Österreich aus dem Deutschen Staatenbund ausgeschlossen. Die Kleindeutsche Lösung unter der Führung Preußens (Hohenzollern) etablierte sich.[1]

Ludwig August Frankl von Hochwart
Ludwig August Frankl von Hochwart (1810-1894) war Arzt, Journalist, Menschenfreund, Schriftsteller und Präsident der Schillergesellschaft - Bildnis von Leopold Pollak, vor 1876? Standort? - Foto: ? Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Frankl (1810-1894) entstammte dem jüdischen Bürgertum, im Revolutionsjahr 1848 stand er an der vordersten Spitze. Er arbeitete als Arzt, Journalist und Schriftsteller. Er gründete die Blindenanstalt Hohe Warte. Deswegen wurde auch zum "Ritter von Hochwart" des erbländisch-österreichischen Adelsstand erhöht. Er stand als Präsident der Schillergesellschaft vor (1873). Dazu wurde er noch zum Präses der Wiener israelitischen Kultusgemeinde ernannt. Gemeinsam mit seinen Mitstreiter dem politischen Lyriker Anastasius Grün, eigentlich hieß er Anton Alexander Graf von Auersperg (1806-1876), realisierte er die Idee des Schiller-Denkmals.
Sehen wir uns das Denkmal an: Es steht in einer genauen Mittelachse zur Kunstakademie, die von Theophil von Hansen entworfen, und danach visuell ausgerichtet wurde. Der Dichter wird als jugendlicher Held im Kostüm seiner Zeit dargestellt. Auf dem Sockel sind die Allegorien der vier Lebensalter und Relief mit Darstellungen für Genie, Poesie, Wissenschaft und Liebe zur Heimat zu sehen. Natürlich steht da die Frage im Raum, ob es hier nicht nur um die Verherrlichung eines deutschen Dichters geht. Aber jedenfalls im Herbst der Donaumonarchie standen in Mitteleuropa Nationalstaaten im Mittelpunkt. Zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn lagen Welten, die Konsequenzen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts brachten. Wütende Zeitgenossen meinten im Monument hätte sich das - liberale - Großbürgertum ein Denkmal gesetzt.[2] Noch etwas: Gegenüber an der Ringstraße steht das mächtige Goethe-Denkmal (1900 enthüllt; Opernring). Es zeigt den Dichterfürsten als überirdisches Wesen, geradezu sitzend im Olymp des literarischen Daseins. Das von Edmund Hellmer als Bronzestatue geschaffene Bildnis sollte eine Antwort auf das Schiller-Denkmal sein und wirkt eher unangenehm.[3]

Schillerplatz, Rückseite des Denkmals, Blickrichtung zum Goethedenkmal am Opernring
Schillerplatz, Rückseite des Denkmals, Blickrichtung zum Goethedenkmal am Opernring. Ausschnitt eines Foto: Gugerell, Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Im 19. Jahrhundert hatten viele gesellschaftlich engagierte Menschen Friedrich Schiller weniger als Denker und Dichter denn mehr als Verfechter der Freiheit gesehen und dabei vergessen, dass Freiheit auch Verantwortung bedeutet. Schillers Werk lebt von geistigen Spitzen gegen Alteingesessenes. Hitler ließ "Wilhelm Tell" verbieten, weil es Tyrannenmord andeutet. In der DDR wurde "Don Carlos" von den Spielplänen genommen, weil der Satz "Geben Sie Gedankenfreiheit" die Staatsführung beunruhigte.

Anmerkungen
[1] Nina Nemetschke - Georg J. Kugler, Lexikon der Wiener Kunst und Kultur. Unter Mitarbeit von Ulrike Müller-Kaspar. Wien 1990, Seite 328-329
[2] Nemetschke - Kugler - Müller-Kaspar, 329
[3] Nemetschke - Kugler - Müller-Kaspar, 120-121

Quellen

  • Dehio-Handbuch Wien. I. Bezirk – Innere Stadt. Horn 2003
  • Nina Nemetschke - Georg J. Kugler, Lexikon der Wiener Kunst und Kultur. Unter Mitarbeit von Ulrike Müller-Kaspar. Wien 1990
  • Die Presse, 10. und 11. November 1876
  • Wiener Zeitung, 10. und 11. November 1876
  • Oellers, Norbert, "Schiller, Friedrich von" in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 759-763 (Online-Version); URL:
https://www.deutsche-biographie.de/pnd118607626.html#ndbcontent

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