Denkmal: Ein Imperativ aus zwei Wörtern#
Wo auch immer Monumente der Erinnerung stehen, ihr Platz ist oft Gegenstand langer Diskussionen, mitunter sogar Endpunkt einer Odyssee.#
Von der Wiener Zeitung (26. Septemner 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Ingeborg Waldinger
"Denkmale haben außer der Eigenschaft, dass man nicht weiß, ob man Denkmale oder Denkmäler sagen soll, noch allerhand Eigenheiten." Mit viel Ironie handelt Robert Musil im Essay "Denkmale" deren "Eindruckskraft" ab. Das Auffallendste an ihnen sei, dass man sie meist gar nicht bemerke: "Man muss ihnen täglich ausweichen oder kann ihren Sockel als Schutzinsel benutzen, man bedient sich ihrer als Kompass oder Distanzmesser, wenn man einem wohlbekannten Platz zustrebt (...), aber man sieht sie nie an und besitzt gewöhnlich nicht die leiseste Ahnung davon, wen sie darstellen."
Ganz unbemerkt sind die steinernen Sitz- und Stehriesen freilich nicht. Gerade die dichtende Zunft nutzt dieses "Verewigungsmedium" beflissen, ob für wertkonservative Symbolik oder für kulturkritischen Einspruch. Schriftsteller werden auch selbst in Denkmalgestalt verewigt, mitunter samt ihren Geschöpfen. Auf einer Danziger Parkbank etwa sitzt, in bronzener Witterungsbeständigkeit, Günter Grass mit Oskar Matzerath, dem Helden aus der "Blechtrommel". Die Wechselbeziehungen zwischen Denkmal und Literatur sind komplex - und anlässlich des aktuellen Bildersturms eine Betrachtung wert.
Denkmäler sind Teil des kollektiven Gedächtnisses und damit auch Gegenstand kritischer Erinnerungsarbeit. Gesellschaftliche Krisen und Umbrüche stellen ihre Standfestigkeit auf die Probe, wie auch die jüngste Geschichte zeigt. Die Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weißen US-Polizisten entfachte eine Protestwelle und rief gleichsam die Internationale der Denkmalstürmer auf den Plan. Ins Visier gerieten Symbolfiguren des Kolonialismus, Sklavenhandels und Rassismus; ihre Statuen wurden geköpft, versenkt oder beschmiert.
Abgespeckter Goethe#
Doch auch der Triumph der Ikonoklasten wirft Fragen auf. Wohin führt ihre wutentbrannte Symbolpolitik? Die Demontage von Statuen, Reiterstandbildern oder Büsten tilgt ja nicht die mit ihnen verbundene Geschichte. Wäre der Zerstörung nicht ein aufgeklärter Umgang mit dem Erbe vorzuziehen? Der Philosoph Konrad Paul Liessmann befand in der "Neuen Zürcher Zeitung", eine minimale Bildung genügte, "um all die verwitterten steinernen oder bronzenen Könige, Fürsten, Feldherren, Condottieri, Eroberer, Entdecker, Händler, Dichter und Denker dort zu belassen, wo sie nun einmal stehen".
Wo sie nun einmal stehen: Ihr Platz ist oft Gegenstand langer Diskussionen, mitunter sogar Endpunkt einer Odyssee. Davor ist selbst manch Dichter-Statue nicht gefeit. Goethe sollte von seiner Vaterstadt Frankfurt am Main noch zu Lebzeiten ein Denkmal bekommen. Dabei wurde nicht gekleckert. Eine prachtvolle Anlage war geplant, mit einem Rundtempel, Figuren aus Goethes Werken und einer Statue des Dichterfürsten.
Dafür reichten die Mittel nicht, auch der Spendenaufruf des Denkmalkomitees verhallte kläglich. Der Dichter kommentierte das pekuniäre Schlamassel in den "Zahmen Xenien": "Zu Goethes Denkmal, was zahlst du jetzt? / Fragt dieser, jener und der. - / Hätt’ ich mir nicht selbst ein Denkmal gesetzt, / Das Denkmal, wo käm’ es denn her?" Nun, es kam zwar von seiner Geburtsstadt, jedoch in abgespeckter Form. Eine Bronzestatue war das Ergebnis; ihren Sockel zieren Geschöpfe des Dichters. Von diesem stammt übrigens auch folgender Denkspruch: "Wer das Geld bringt, kann die Ware nach seinem Sinne verlangen." Die Enthüllung des Frankfurter Goethe-Denkmals fand 1844 statt, zwölf Jahre nach dem Tod des Dichters.
Noch vertrackter gestaltete sich die Planung des Goethe-Schiller-Denkmals in Weimar. Das 1827 gegründete Denkmalkomitee brauchte gut zwanzig Jahre, bis ihm ein Entwurf zusagte. Den aber lehnte König Ludwig I. von Bayern ab. Er wollte die Dichter nicht in antiker Tracht sehen, sondern in deutschem Kostüm. Das wiederum kam für Daniel Rauch, den Künstler, nicht in Frage. Der Auftrag ging letztlich an Ernst Rietschel. Seine Skulptur wurde 1857 enthüllt.
Ein buchstäblich säkularer Streit entbrannte 1887 um Heine-Denkmäler in Deutschland. Die Stadt Düsseldorf wollte ihren Sohn zum 100. Geburtstag mit einer Statue ehren - und stieß auf heftigen Widerstand. Adolf Bartels verfasste den galligen Aufsatz "Heinrich Heine. Auch ein Denkmal", in dem er das Vorhaben als "Kotau vor dem Judentum" geißelte. Die völkisch-nationalistische Presse attackierte mit aller Wucht, der Stadtrat blies zum Rückzug. Das von Ernst Herter bereits ausgeführte Denkmal, ein Loreley-Brunnen aus Marmor, fand seinen Platz 1899 - im New Yorker Stadtteil Bronx. Kurt Tucholsky quittierte den Denkmalstreit mit Sarkasmus: "Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist." Es war nicht das letzte Düsseldorfer Ringen dieser Art. Heute zählt die Stadt insgesamt fünf Heine-Denkmäler.
Eine große Heine-Verehrerin war Kaiserin Elisabeth (die auch selbst gerne Verse schmiedete). Sie wollte das erste Düsseldorfer Denkmalprojekt mitfinanzieren, nicht zur hellsten Freude ihres Gemahls. Von der Presse als "Judenknecht" geschmäht, konterte die Kaiserin: "Ich hab’ des Tadels Stachel nicht empfunden. / In seiner Seele hätt’ ich mich zu tief versenkt / Und zu begeistert Ihm den Kranz gewunden? / Der solche Kritik über mich verhängt, / Der Arme bellt mir gut mit andern Hunden."
Rückholinitiativen#
Elisabeth gab dann privat ein Heine-Denkmal in Auftrag. Standort dieses weißen Marmor-Denkmals von Louis Hasselriis war der Park des Achilleion auf Korfu, Sisis Sommerschloss. Nach ihrem Tod erwarb Kaiser Wilhelm II. die Residenz; die Statue des "größten Schmutzfinken im deutschen Dichterwald" verkaufte er an den Hamburger Verleger Heinrich Julius Campe. Der bot sie dem Hamburger Senat an, doch die Stadtväter winkten ab. Campes Tochter rettete das Denkmal vor den Nazis.Sie holte es an ihren Wohnort Toulon, wo es nun, als Eigentum der Stadt, im Botanischen Garten steht. Rückholinitiativen an die Elbe (etwa durch den Schriftsteller Hans Henny Jahnn oder den Schauspieler Christian Quadflieg) blieben erfolglos. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Heine 2010 in die Walhalla, die Hall of Fame der Deutschen, Einzug hielt: Er hatte diesen Erinnerungsraum als "marmorne Schädelstätte" verspottet.
Unsteten Aufenthalts war lange Zeit auch das Denkmal einer österreichischen Dichtergröße. 1926 konstituierte sich der Bund der Nestroyfreunde mit dem Ziel, "dem Wiener Aristophanes in seiner Vaterstadt Wien ein würdiges Denkmal zu errichten". Drei Jahre später wurde der bronzene Nestroy vor dem Carl-Theater aufgestellt. Die Statue musste zwar nicht ins Exil, wurde 1942 jedoch abgebaut - und nach dem Krieg auf einem Schrottplatz entdeckt. Sie übersiedelte zunächst in den Hof des Reinhardt-Seminars, 1983 kehrte sie dann in die Leopoldstadt zurück.
Die Verhinderung, Versetzung oder Zerstörung von Denkmälern füllt nicht nur Chroniken. Diese Form von Bilderfurcht und Bilderstürmerei bietet auch Dichtern ein lohnendes Motiv: Joseph Roth schrieb seine Novelle "Die Büste des Kaisers" im Pariser Exil. Die Geschichte spielt in seiner Heimat Ostgalizien. Graf Xaver Morstin heißt der Held, ein Grundherr altpolnischen Adels mit italienischem Einschlag, sozial - und "übernational" im Sinne des k.u.k. Vielvölkerstaates. Vor seinem Palais steht eine Kaiser-Büste. Den Krieg überdauert sie im Keller, danach wird sie wieder hervorgeholt. Doch nun steht Franz Joseph auf polnischem Boden. Sehr zum Missfallen eines Woiwoden aus Lemberg, der das gräfliche Gut inspiziert und die Entfernung des Kultobjekts verfügt. Joseph Roth träumte von der Restauration der Monarchie. Doch sein geliebtes Altösterreich war auf immer verloren. Entsprechend bildstark wird es von Graf Morstin nochmals zu Grabe getragen: Er lässt die Kaiserbüste einsargen und mit allen Würden beerdigen.
Solch Ehrenbezeigung wird Wilhelm I. in Heinrich Manns Roman "Der Untertan" nicht zuteil: Zum 100. Geburtstag des deutschen Kaisers wird im fiktiven Netzig ein pompöses Reiterstandbild des Imperators enthüllt. Der "Untertan" Diederich Heßling - er hat es zum Fabrikanten und Lokalpolitiker gebracht - will nun als Festredner imponieren. Er preist die "erreichte Höhe germanischer Herrenkultur" und sakralisiert den Geehrten: "Im Mittelalter wäre Wilhelm der Große heiliggesprochen worden. Heute setzen wir ihm ein erstklassiges Denkmal!" Da bricht ein endzeitliches Unwetter los und übertönt das nationalistische Gepolter.
Doch "die apokalyptischen Reiter flogen weiter (...), sie hatten nur ein Manöver abgehalten für den Jüngsten Tag, der Ernstfall war es nicht". Tatsächlich wurden 1897 deutschlandweit Kaiser-Wilhelm-Denkmäler errichtet, auch ein riesiges Reiterstandbild in Koblenz. Es hielt gleichsam "Wacht am Rhein" - gegen den Erzfeind Frankreich. Kurt Tucholsky quittierte es mit dem Prädikat "Faustschlag aus Stein" ("Denkmal am deutschen Eck", "Weltbühne", 1930).
Elastischer Kanon#
Als "großen Liebhaber von Reiterstatuen" bezeichnet sich Patrick Deville in seinem Roman-Essay "Pura Vida". Das meint der französische Schriftsteller durchaus selbstironisch. In "Pura Vida" rollt er die Vita des Politabenteurers William Walker und die Revolutionsgeschichte Mittelamerikas auf. Am Beispiel eines Reiterstandbildes von Simón Bolívar erläutert Deville die "symbolische Nomenklatur" dieses Denkmaltyps: Bäumt sich das Pferd auf und wirft beide Vorderhufe in die Luft, ist der Held im Kampf gestorben. Ist nur ein Bein angehoben, erlag der Gerühmte seinen Verwundungen. Steht das Ross hingegen fest auf allen vieren, entschlief der Held im Bett, "fern des nachlassenden Schlachtenlärms". Eine symbolische Ordnung, die, so der Autor, keineswegs immer beachtet wurde.
Der Kanon an Ruhmeswürdigen ist elastisch. Dennoch sind es meist nur die Großen der Weltgeschichte, die in Glanz und Glorie erstrahlen. "Im Wiener Stadtpark steht ein Männlein ganz still und stumm, das hat von lauter Golde ein Röcklein um", ätzte Alfred Polgar in seinem Text "Denkmal" - und meinte Johann Strauß. "Man sollte denen Denkmäler setzen, die sonst vergessen würden, nicht jenen, die schon ohnehin ihrer Unvergeßlichkeit sicher sein können", so der Autor, um die "gesunde Praxis des steinernen Ruhms" gleich nochmals zu relativieren. "Denn das sozusagen Geistige der Denkmäler verwittert ungemein rasch, viel rascher als das Materielle."
Das "sozusagen Geistige" der Denkmäler hat in der Geschichte seine Spuren hinterlassen, flüchtige wie tiefe, schöne wie hässliche. Halten wir es mit diesem Erinnerungsmedium doch wie der Kabarettist Fritz Grünbaum: "Für mich ist Denkmal ein lebenslanger Imperativ, der aus zwei Wörtern besteht."
Weiterführendes
- Schillerdenkmal in Wien (Essay von Zentner E.)
-- Lanz Ernst, Mittwoch, 2. Dezember 2020, 21:45