Bruckmüller#
(Ein Samstag im Februar)#
von Martin KruscheEins#
Manchmal scheint mir, die Gesten von Händen stehen der Mimik eines Gesichts nichts nach. Und. Bücher in Händen zu halten ist eine Pose, die gleichermaßen in die Vergangenheit wie in die Zukunft weist.Zwei#
Sie sagt: „Ich habe mich für das Fotografieren entschieden, weil es mir Zeit fürs Schauen läßt.“ (Wozu mir einfällt: An den Filmen von Akira Kurosawa habe ich etliche lange Einstellungen bestaunt, die nahelegen, sich viel Zeit fürs Schauen zu nehmen.)Drei#
Als sie ihr Exemplar von Helmut Eisendles „Tod & Flora“ aufschlägt, werden Bleistiftzeichnungen sichtbar, die ihre Tochter im Buch hinterlassen hat. Was in meinen eigenen Kindertagen als Ausdruck von Kulturschande galt, derlei Kritzeln in Büchern, ist eigentlich Ausdruck dessen, was unsere Kultur begründet: symbolisches Denken. (Volkstümlich: Fantasie)Vier#
Als ich ein kleiner Bub war, ratlosen Erwachsenen ausgeliefert, galt es noch als salonfähig, daß man fragte: „Was will uns der Künstler sagen?“ „Das soll Kunst sein?“ Häufig taten sich jene mit dem geringsten Vorrat an Inspiration so hervor: „Das kann ich auch!“ (Ich hab nie gesehen, daß es jemand dann konnte.)Fünf#
Ich bin schon als Kind von so vielen Maulhelden und Plaudertaschen hinters Licht geführt worden, von Erwachsenen, die zwischen den Mühlsteinen ihres Alltagslebens die Neugier, den Wissensdurst und die Leidenschaft für das, was in ihnen vorgeht, verloren haben. Wenn ich aber Menschen begegne, welche in die Kunst gegangen sind, nicht einem selbstreferenziellen Dekorationsgeschäft verschrieben, sondern der Kunst, dann herrscht plötzlich zu all dem eine Fraglosigkeit und wir sind ganz mit dem befaßt, was die Kunstpraxis auslöst, aber auch mit dem, was sie verlangt.Zur Sache#
Ursula Glaeser (Kulturbüro Stainz) kam in Gesprächen mit Künstlerin Michaela Bruckmüller zum Schluß, daß sie ein paar gemeinsame Schritte tun werden. In ihrem vertrauten Umgang mit Astrid Kury (Akademie Graz) entschied sich die Wahl des Ortes. Dieser Ort, erst seit kurzer Zeit der neue Standort der Akademie, hat eine vorzügliche Lage und eine sehr ansprechende Dimension.Ich erwähne das, weil all diese Aspekte dann solche Stunden ergeben, in denen sich anschaulich manifestiert, was ein geistiges Leben ausmacht, in dem sich Menschen treffen können. Die Ausstellung „…sollst sanft in meinen Armen schlafen… oder das dualistische System der toxischen Flora“, in Korrespondenz mit dem eingangs erwähnten Buch von Helmut Eisendle, ist zugleich Rahmen und Inhalt so einer Situation.
Brückmüller verknüpft dabei zwei scheinbar widersprüchliche Erfahrungsmöglichkeiten, einerseits die Lektüre von Text, andrerseits die sinnliche Naturerfahrung. Das löst sich schließlich in dieser künstlerischen Praxis auf, in der solche konkreten Bildserien entstehen. Blätter von dieser betörenden Tiefe, wie sie uns von der Nacht geboten wird, die keinen Horizont hat, sondern eben jene Weite, die unmöglich abschätzbar ist, also: unermeßlich.
In dieser Räumlichkeit zeigen sich dann Darstellungen der Pflanzen, größer als sie gewachsen sind, mit all den Farben, Details, dem Filigranen und dem Körperlichen. Das hat eine eigentümliche Parallele zu den Bleistiftstrichen der Tochter im Eisendle-Buch, denn was immer es ist, das da in uns Menschen wirkt, um uns in einen Fluß von Wahrnehmung, Reflexion und Kommunikation zu ziehen, es handelt von einer vitalen Beziehung zu allem, was um uns ist. Das möchte sich ausdrücken, sei es in einem Dialog mit dem Publikum oder einem Dialog mit sich selbst.
Wo Bruckmüller ins Serielle geht, wie etwa in der Blattfolge „fade away“, kommt das den oben erwähnten langen Einstellungen von Kurosawa gleich. Es empfiehlt das geduldige Schauen statt dem suchenden Blick, der auf markante Ereignisse lauert. Selbstverständlich verschwimmt dann, was dabei Eindruck von außen ist und was in einem Inneren entsteht. Aber genau darum geht es ja, wo sonst genügen würde, daß man Wegweiser aufstellt, Hinweisschilder anbringt und Gebrauchsanweisungen verteilt. Ein Verschwimmen von Außen und Innen, bei dem es dann auch darauf ankommt, wie und wovon jemand selbst klingt.
Manchen Menschen muß immer noch der Tip hinterlegt werden: Ästhetik leitet sich vom griechischen Aisthesis her, das bedeutet Wahrnehmung. Wie wunderbar die Verknüpfung mit der Tatsache, daß Giftpflanzen uns Substanzen anbieten, die im Falle einer Dosierung, von der man nicht stirbt, radikal verändernd auf unsere Wahrnehmung einwirken.
Autor Eisendle, der 2003 verstorben ist, hatte übrigens selber reichlich von solcher Wirkung an sich. Er war quasi eine fröhliche Giftpflanze, die sich in moderater Dosis sehr anregend auswirkte. Aber wenn man ihn verärgerte, konnte die Dosis schlagartig ungesund werden.
All das hat auch seine Bedeutung für die Akademie Graz, für diesen gut dimensionierten Raum in der Neutorgasse, der keine großspurigen Inszenierungen nahelegt oder erlaubt, sondern ein gutes Maß hat, daß sich solche Ereignisse herbeiführen lassen, bei denen ganz verschiedene Wahrnehmungs- und Reflexionsebenen ineinanderführen, ergänzt um die Begegnung mit neugierigen Menschen, die sich dazu eingefunden haben. Überschaubar. Erfahrbar. (Das Unermeßlich dann eben im Inneren.)
Post Scriptum:
Es mag ja sein, daß eine Gesellschaft nicht ohne große Gesten und große Ereignisse bleiben kann, daß ein wie immer geartetes „Wir“ sich immer wieder in Hallen, auf Plätzen, im Schatten von Monumenten finden muß. Aber die Kontinuität im Ringen um nächste Klarheiten, das geistige Leben eines konkreten Lebensraumes, ist auf die Überschaubarkeit solcher Räume angewiesen, in denen reale soziale Begegnung möglich bleibt, persönliche Kommunikation gelingt, in genau solchen Räumen, die den künstlerischen Prozessen einzelner Menschen einen öffentlich zugänglichen Ereignisort bieten. Wir brauchen unendlich viele solcher Räume, weil die wesentliche Arbeit nicht im Schatten von Monumenten stattfindet und nicht in einzelnen Events erledigt ist.