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FÜRST BISMARCK#

Deutschland
Otto von Bismarck, Alte Ansichtskarte

1884: Kaum ist der neugewählte deutsche Reichstag zusammengetreten und schon hat Fürst Bismarck die Gelegenheit vom Zaun gebrochen, um den versammelten Vertretern des deutschen Volkes zu verstehen zu geben, wie wenig er von ihnen halte und wie weit entfernt er davon ist, sich von dem deutschen Parlament und von dem Parlamentarismus überhaupt imponieren zu lassen. Der deutsche Kanzler gibt sich offen und ohne Scheu als einen Verächter des Parlamentarismus zu erkennen. Die Demokraten und Freisinnigen bezeichnet er als Republikaner, und das parlamentarische System, welches darauf basiert, dass durch einen Majoritätsbeschluss der Krone die Entlassung oder Einsetzung eines Ministeriums auferlegt werden könne, erklärt er mit dem monarchischen Prinzip für unvereinbar. Auch vor den Sozialisten empfindet empfindet er nicht die mindeste Scheu und seiner Ansicht nach sollte man ihnen eine Provinz überantworten, damit man endlich erfahre, was sie wollen und was sie können.

Wahr ist es allerdings, dass die Parlamente der europäischen Völker in den letzten Jahren eine eminente Unfruchtbarkeit an den Tag gelegt haben. Sie verloren sich in theoretische Streitigkeiten, sie wurden zum Tummelplatz von Parteikämpfen, welche mit den öffentlichen Interessen nichts gemein hatten. Das Misstrauen und die Unzufriedenheit der Wählerschaften wurde immer mit Nachdruck gegen sie rege. Aber das parlamentarische System hat dennoch große Verdienste aufzuweisen und verdient die Verachtung nicht, mit welcher ihm Fürst Bismarck entgegentritt. Die Teilnahme der Bevölkerung an der Regierung, wie sie durch die Parlamente ermöglicht wird, ist eine Schule des Patriotismus und der Hingebung an die öffentlichen Interessen. Wir schließen uns der Ansicht an, dass die sogenannten Berufs-Parlamentarier, die Männer ohne Beschäftigung, welche aus der Vertretung irgend eines Wahlbezirkes ein Gewerbe machen und von ihrem Mandate förmlich leben wollen, ein Unglück sind und sehr viel zur Kompromittierung der parlamentarischen Einrichtung beigetragen haben. Aber deshalb darf keineswegs das Kind mit dem Bad ausgeschüttet, darf nicht der Parlamentarismus in Bausch und Bogen verurteilt werden.

Wenn die Exekutive die bessere Meinung und die tüchtigeren Männer auf ihrer Seite hat, dann braucht sie sich vor keiner parlamentarischen Mehrheit zu beugen. Im Gegenteil, in einem solchen Fall wird sich die Mehrheit des Parlaments gerne der Führung des Kabinetts anschließen. Es kommt immer darauf an, wo sich die größeren geistigen Kapazitäten, die hervorragenden staatsmännischen Talente befinden, ob auf der Ministerbank oder im Parlament. Der Rückgang, welchen das Ansehen des Parlamentarismus in der letzten Zeit erlitten, ist auch hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass sich auf den Bänken der Abgeordneten keine bedeutenden Talente befinden. Fürst Bismarck würde sich gewiss nicht trauen, dem deutschen Reichstag mit solcher Geringschätzung entgegenzutreten, wenn er sich gegenüber, in den Reihen der parlamentarischen Größen. Männer sehen würde, die ihm gewachsen sind. Im ganzen deutschen Reichstag ist niemand, der mit dem eisernen Kanzler auch nur im Entferntesten einen Vergleich zu bestehen vermag. Lauter kleine Leute sind es, die Fürst Bismarck sich gegenüber sieht, und so ist er zu einem Verächter des Parlamentarismus geworden, während er sich gewiss ehrfurchtsvoll vor demselben beugen würde, wenn die Fahne des parlamentarischen Systems von Männern getragen würde, die ihm entweder geistig überlegen sind oder mindestens mit ihn auf der gleichen Höhe des geistigen Niveaus stehen. Die Wählerschaften sind selbst schuld daran, wenn in solcher Weise das parlamentarische System in seinem Ansehen geschädigt wird, denn indem sie unbedeutende Leute in das Parlament entsenden, welche den Männern der Exekutive nicht imponieren können, ziehen sie jene Verächter des Parlamentarismus groß, wie sich der deutsche Reichskanzler als einen derselben zu erkennen gibt. Vor einem Parlament, hinter welchem das Volk steht und in welchem die besten Männer Sitz und Stimme haben, wird kein Minister in so geringschätziger Weise von den parlamentarischen Einrichtungen zu sprechen wagen, wie das Fürst Bismarck bei jeder Gelegenheit zu tun gewohnt ist.

QUELLE: Morgen Post, 29. November 1884, Österreichische Nationalbibliothek ANNO

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