Bürofolklore#
Zu den neueren Forschungsfeldern der Europäischen Ethnologie, wie Alltags- oder Arbeiterkultur zählt auch die Bürofolklore. "Büroarbeit und andere Angestellten-Tätigkeiten sind in der Regel weniger laut, sauberer und mit weniger physischer Belastung verbunden als körperliche Arbeit in Landwirtschaft und Gewerbe. Dies hat wichtige Folgen für die verschiedenartigen Arbeits-Milieus und die verschiedenartige Arbeitskultur von Arbeitern und Angestellten", zitierte der Münchner Ethnologe Burkhart Lauterbach 1991, und stellte fest, dass die Forschungslage zur Arbeitskultur im Büro "alles andere als befriedigend" sei.
Wie im Fabrikssaal setzte man nach 1945 im Sinne straff rationalisierter Büroarbeit auf Massenarbeitssäle (Großraumbüros), dazu kam die zunehmende Automatisierung. Die Reaktion der Betroffenen waren selbst initiierte "rudimentäre Freiräume". Lauterbach fand fünf Gruppen von Arbeitskultur-Elementen:
- Formen des Umgangs mit dem eigenen Arbeitsplatz: Versuche der Individualisierung durch Bilder, Plakate, Fotos, Blumenschmuck, um eine "bedingt herrschaftsfreie Raumzone" zu schaffen. Er spricht von "Kleinmuseen", in denen die Bürodamen versuchen, mithilfe von Puppen, Tierfiguren, Aufklebern etc. ihre Computer zu "personalisieren".
- Formen des Umgangs mit der eigenen Tätigkeit und der innerbetrieblichen Hierarchie: Guten-Morgen-Sagen, Kaffeepausen, Tratsch, Büroflirt, Alkoholgenuss, Rauchen.
- Formen des Umgangs miteinander: Sozialkontakte und -kontrolle, Firmenjubiläen, Weihnachtsfeiern, Geburtstagsfeste, Einstands- und Abschiedsfeste, betriebliche Sportvereine, Betriebsausflüge.
- Formen der Kommentierung des Arbeitsplatzes, der eigenen Tätigkeit, der innerbetrieblichen Hierarchie und des jeweiligen Betriebs: Privatgespräche, Witze, Sprüche, Parodien, die vervielfältigt (jetzt: per mail verschickt) werden und Ventilfunktion ausüben.
- Formen kultureller Distinktion: Unterscheidungsrituale, die für die Angestellten den Sinn haben, sich von einander bzw. von den Arbeitern abzuheben. Dazu zähl(t)en Statussymbole wie Größe, Lage und Ausstattung des Arbeitsraumes, Art und Qualität der Kleidung.
Einen bis dahin undenkbaren Umbruch im Büroalltag brachte die Corona-Pandemie 2020. Nun sollte im Homeoffice gearbeitet werden. In der Anfangsphase war es nicht leicht, Arbeit und Privatleben zu trennen, umso mehr, als Kinder nicht in der Schule, sondern zuhause lernen sollten (Homeschooling ) und Freizeitaktivitäten daheim stattanden. Dafür waren viele Wohnungen nicht gedacht. Durch die neuen Erfordernisse wurden Räume umgestaltet, Arbeitsplätze eingerichtet, aber auch Küchen erneuert. Die durch den Entfall der Fahrzeiten in das und vom Büro entstand Freizeit. Man sagte Cooking is the new commute - Kochen ist das neue Pendeln. Bald sprach man von Hybrid home. Die Zukuntsforscherin Oona Horx-Strathern betonte in einem Interview die Vorteile ortsunabhängigen Arbeitens. Sie meint, dass sich Hybridlösungen durchsetzen werden. Firmen ermöglichen das "3-2-2-Modell": 3 Tage Büro, 2 Tage Homeoffice, 2 Tage Wochenende. Damit sparen sie Büroflächen, müssen aber lernen, ihre Flexibilität und das Vertrauen in ihre Mitarbeiter zu erhöhen. Viele Angestellte waren erleichtert, nicht ins Büro zu müssen.
Quellen:
Burghart Lauterbach: Kulturelle Aspekte der Büroarbeit heute. Tübingen 1991
Homeoffice: "Kurier", 20.1.2022
Bild:
Einladung zum Abschiedsfest eines ORF-Redakteurs. Wien 1992.