Helga Maria Wolf
Wenn die Tage länger werden#
"Von Weihnachten bis Neujahr wächst der Tag, so weit die Mücke gähnen mag, bis Dreikönig wächst der Tag, so weit der Hahn krähen mag, nach Lichtmess wächst der Tag, so weit der Hirsch springen mag.“
Der Kinderreim fasst in Worte, worüber man sich im Ende gehenden Winter freut: Der helle Tag wird nun rasch länger, von 9 ½ Stunden Anfang Februar wächst er bis zum Monatsende auf elf Stunden. Auch die Kirche betont die Bedeutung des Lichts in den ersten Februar-Tagen. Das bis 1969 "Maria Lichtmess", jetzt "Darstellung des Herrn" genannte, Fest am 2. Februar fällt auf den 40. Tag nach Weihnachten. Es erinnert an die Geschehnisse im Tempel, die das Lukasevangelium überliefert (Lk 2,22-39). Dort pries der greise Simeon den kleinen Jesus als "Licht, das die Heiden erleuchtet." In den Kirchen werden Kerzen für den liturgischen und privaten Gebrauch geweiht, denen die Gläubigen besondere, sogar magische, Wirkung zusprachen. An Wallfahrtsorten kauften sie rote und schwarze Wetterkerzen, die gegen Hagel und Blitzschlag schützen sollten.
Gleich am nächsten Tag folgt mit dem Blasiussegen der nächste katholische Lichterbrauch. Der Priester spendet ihn den einzelnen Gläubigen unter Vorhaltung gekreuzter brennender Kerzen. Das Ritual, das "vor Halskrankheit und allem Bösen" bewahren soll, ist seit dem 17. Jahrhundert in Österreich, Böhmen, Süddeutschland und der Schweiz bekannt. Blasius war Bischof von Sebaste (Sivas, Türkei), damals Hauptstadt der römischen Provinz Armenia. Er starb als Märtyrer um 316. Nach einer Legende war sein „Bischofssitz“ zur Zeit der Christenverfolgung eine Höhle im Gebirge, wo er in der Nähe wilder Tiere lebte. Er heilte ihre Wunden, sie brachten ihm Nahrung und beschützten ihn. Ein Wolf, der einer armen Frau ihr einziges Schwein geraubt hatte, gab es ihr auf Befehl des Bischofs wieder zurück. Aus Dankbarkeit brachte sie Blasius das Schweinefleisch, dazu Brot und Kerzen. Blasius soll die jährliche Erneuerung dieses Kerzenopfers mit einem Segen verbunden haben. Eine andere Überlieferung erklärt das Patronat bei Halskrankheiten. Sein Gebet soll einen Knaben, der an einer Fischgräte zu ersticken drohte, gerettet haben.
Feuer und Licht gelten als "Ursymbole": Feuer kann wärmen und nähren - aber auch zerstören. Licht ist fast nur positiv besetzt: es erleuchtet und vertreibt "die Mächte der Finsternis". Dem entsprechend spielen Feuer und Licht zu allen Jahreszeiten bei Bräuchen eine große Rolle. Schon der Übergang in ein neues Jahr ist von Feuerwerken begleitet. Engländer waren 1757 die ersten, die Feuerwerkskörper aus Ostasien nach Europa brachten. Wenige Tage nach dem Jahreswechsel steht Epiphanie, der Dreikönigstag, im Kalender. Bekanntlich folgten die Magier, die das Jesuskind suchten, der Lichtspur eines Sternes. Manche Sternsingergruppen tragen bei ihrem Umzug einen leuchtenden Stern mit. Zu den Requisiten des Faschings zählen Lampions, die oft in Form von Sonnen und Monden den Lichtaspekt noch unterstreichen. In der Fastenzeit lodern in Westösterreich die "Funken", viele Meter hohe Scheiterhaufen. Ein markanter Kirchenbrauch in der Karwoche war die Pumpermette. Beim Stundengebet am Mittwoch, Gründonnerstag und Karfreitag brannte für jeden Psalm eine Kerze, die man nach dessen Ende löschte. Nur die letzte Kerze wurde brennend hinausgetragen, um die Auferstehung zu symbolisieren. Im Widerspruch zum Ernst des Karfreitags stehen die "heiligen Gräber" mit ihren bunten Glaskugeln, die das Kerzenlicht reflektieren.
Ostern ist ein bedeutendes Lichterfest mit kirchlichen und weltlichen Feuern. In der nächtlichen Liturgie entzündet man das Osterfeuer und die große Osterkerze, deren Licht an die Kirchenbesucher verteilt wird. Nach der vorkonziliaren Ordnung war die Osterkerze am 40. Tag aus dem Altarraum zu entfernen, jetzt bleibt sie bis Pfingsten stehen. Am 40. Tag, Christi Himmelfahrt, gab es "Auffahrtsspiele" als heilige Komödie. Eine von Kerzen umgebene lebensgroße Christusstatue und Engelsfiguren wurden an Seilen in das Kirchengewölbe gezogen. Aus dem Loch, in dem sie verschwanden, fielen dann zu Pfingsten "Feuer" und ein Regen aus Blütenblättern im Gefolge der Heiliggeisttaube auf die Gläubigen. Ein beliebter katholischer Schaubrauch war und ist die eucharistische Prozession zu Fronleichnam. Teilnehmer mit Kerzen und Windlichtern begleiten das Allerheiligste, das der Priester in einer Monstranz unter dem "Himmel" trägt. Zur Sommersonnenwende am 21. Juni sind Feuerbräuche naheliegend, sie wurden mit Heiligen verbunden. Der Geburtstag Johannes des Täufers steht am 24. Juni, ein halbes Jahr vor Weihnachten, im Kalender. Das Mittelalter machte aus dem Johannesfest ein "Sommer-Weihnachten" mit einer Mitternachtsmette.
Am 31. Oktober feiert man mit beleuchteten, geschnitzten Kürbisköpfen Halloween, was so viel bedeutet wie "All hallows evening" - Vorabend von Allerheiligen. Zu Allerheiligen und Allerseelen strahlen die Friedhöfe im Licht unzähliger Kerzen. Schon auf den Gräbern der Märtyrer entzündete man Lichter als Symbol der Verbindung über den Tod hinaus. Die Kerze sollte das Weiterleben der Seele in Gottes ewigem Licht versinnbildlichen. Aus der Zeit der Gotik sind Lichtsäulen - z.B. in Klosterneuburg - bekannt, wo Lichtstiftungen für die Verewigten Platz fanden. Das nächste Lichterfest ist der Martinstag am 11. November. Der alte Brauchtermin wurde in letzter Zeit neu entdeckt und ist u. a. durch die Laternenumzüge der Kinder populär. Früher bedeutete der Einschnitt im Jahreslauf den Beginn der Arbeit bei künstlichem Licht, daher erhielten die Handwerksgesellen von ihren Meistern eine "Lichtgans". In den Advent fällt am 13. Dezember das Fest der hl. Lucia, deren Name an das Licht erinnert. Zu den Kerzen am Adventkranz geselligen sich nun unzählige Lichterketten und strahlende Illuminationen von Geschäftsstraßen, öffentlichen Gebäuden und Einfamilienhäusern. Schließlich ist Weihnachten mit seinem hellen Symbol des Christbaums "das" Lichterfest des Jahres.
Erschienen in der Zeitschrift Schaufenster Kultur Region, 2017