Helga Maria Wolf
Rund um Peregrini#
Die Peregrini-Kapelle der Servitenkiche in der Rossau, Wien 9, wurde 1727 erbaut, 1766 vergrößert und 2014 nach grundlegender Sanierung und Restaurierung wieder eröffnet. Im Mittelpunkt steht der Ordensheilige Peregrin, den Papst Benedikt XIII. zu Regierungszeit Kaiser Karl VI. anno 1726 heilig gesprochen hat.
1726/27 regierte Kaiser Karl VI. (1685 - 1740, reg. seit 1711). Unter ihm wurde die österreichische Monarchie eine Großmacht und erlangte ihre größte Ausdehnung (Neapel, Sardinien/Sizilien, Mailand, Österreichische Niederlande, Nordserbien, Teile von Rumänien - 1736 und 1739 gingen wesentliche Bereiche wieder verloren). Er führte das spanische Hofzeremoniell in Wien ein und war ein bedeutender Bauherr (Karlskirche). Karl VI. wollte die erreichte Machtfülle in seiner Familie weitergeben, auch wenn er keine männlichen Erben besaß. Mit der 1714 verkündeten Pragmatischen Sanktion, die bis 1722 von allen Landtagen anerkannt wurde, konnte der Zusammenhalt der habsburgischen Länder auch unter der Erbfolge von Töchtern gesichert werden. Nach seinem Tod trat die Tochter Maria Theresia (1717-1780) die Regierung an.
Seit einigen Jahren (1724) war Benedikt XIII. (Pietro Francesco Orsini, 1649-1730) Papst. Der Adelige hatte sich gegen den Willen seiner Eltern dem Dominikanerorden angeschlossen und wurde schließlich Erzbischof von Benevent (Italien). Er galt als fromm, tüchtig und war um das Wohl der von ihm verwalteten Bistümer bestrebt. Die Papstwahl wollte er zunächst nicht annehmen und erließ als erste Amtshandlung Richtlinien gegen den Luxus geistlicher Würdenträger und über klerikale Kleidung.
1725 sprach Benedikt XIII. die "Sieben Gründerväter des Servitenordens" selig. Die wohlhabenden Herren hatten 1233 in Florenz den Ordo Servorum Mariae (OSM) gegründet, der 1304 päpstlich anerkannt wurde. Nachdem sie ihren Besitz aufgegeben und ihre Familien versorgt hatten, lebten sie nach den Augustinerregeln, verehrten die Muttergottes und widmeten sich dem Dienst an Armen und Kranken.
Am 27. Dezember 1726 kanonisierte Benedikt XIII. den - schon seit 1609 seligen - Italiener Peregrin Laziosi. Peregrinus (Pellegrino) Latiosus von Forlì (um 1265-1345) war ein Sohn aus gutem Hause. 1283 beteiligte er sich an einem Aufstand gegen den Kirchenstaat und soll dabei den Ordensgeneral der Serviten, Philippus Benitius, der im päpstlichen Auftrag als Friedensstifter kam, geohrfeigt haben. Ein Jahrzehnt später trat er selbst in den Orden ein, wirkte als Seelsorger und unterwarf sich strengen Bußübungen. Diese waren wohl der Anlass für ein lebensgefährliches Beinleiden. Vor der geplanten Amputation hatte er beim Gebet vor dem Kruzifix eine Vision: Der Gekreuzigte neigte sich zu ihm und berührte die Wunde. Peregrinus war geheilt, und er erreichte das damals hohe Alter von 80 Jahren. Der Heilige wurde zum Fürsprecher der Beinleidenden, Lohnkutscher, Rheuma-, Gicht- und Pestkranken. Im 20. Jahrhundert kamen Patronate für Krebspatienten (angeblich in den 1960er Jahren von Amerika ausgehend) und AIDS-Kranke dazu.
In Wien feierten die Serviten in der Rossau schon wenige Monate nach der Heiligsprechung ein großes Fest. Der Name Rossau (bis 1999 Roßau) leitet sich von der 1377-1553 nachgewiesenen "Rossetränke" am Donauufer ab, wo die für die Schiffszüge benötigten Pferde weideten. Bis zu 60 davon zogen von hier aus die Schiffe stromaufwärts. Die Vorstadt war ursprünglich Teil des Oberen Werds, einer Donauinsel, die sich zwischen Liechtenwerder Platz und Morzinplatz bzw. Liechtensteinstraße und Salzgries erstreckte. Ihre Grenzen verliefen entlang der Berggasse, Liechtensteinstraße, Alserbachstraße und dem Donaukanal. Nach Zerstörungen in der Ersten Türkenbelagerung (1529) und Versandung des stadtnahen Donauarms entstand eine neue Ansiedlung, die nach der Zweiten Türkenbelagerung (1683) weiteren Zuzug erhielt. Die Rossau ist Teil der Welterbestätte Historisches Zentrum von Wien. Das Gebiet südlich von Berggasse, Schlickgasse und Türkenstraße gehört zur Kernzone, das Gebiet nördlich davon zur Außenzone. Zu den markantesten Gebäuden der Rossau zählen Kirche und Kloster der Serviten.
Im Zuge der Gegenreformation hatten sich die Serviten schon 1626 um eine Niederlassung in Wien bemüht. Kaiser Ferdinand II. (1578-1637) bewilligte diese, doch war die Standortwahl schwierig. Man hatte zuerst die Gegend von St. Peter in der Inneren Stadt, später den Prater ins Auge gefasst, entschied sich aber für die Rossau, wo es keine Kirche gab. Eine Witwe verkaufte ihr Grundstück samt Garten, Viehweide, Stadel und Haus, in das bald die ersten Mönche einzogen. Der Stadel wurde zur Kapelle "Maria Verkündigung" umgestaltet und 1639 in Gegenwart des Kaisers geweiht. Nun suchten die Serviten Geldgeber für den Bau einer repräsentativen Kirche. Fünf Wappen über dem Portal erinnern an die Wohltäter: Fürst Octavio Piccolomini, Erzherzog Leopold Wilhelm, Fürstin Dorothea Liechtenstein, Geheimrat Elias Schiller und Johann Thury. Octavio Piccolomini (1599-1656) war kaiserlicher General Wallensteins im Dreißigjährigen Krieg, Kommandeur der Leibgarde und Malteser-Ritter. Leopold Wilhelm (1614-1662), der jüngste Sohn Kaiser Ferdinands II., wirkte als Statthalter der spanischen Niederlande, war Jesuit, mehrfacher Bischof und hat vor allem Bedeutung als Kunstmäzen. Der "Ziegelschaffer" Johann Thury (+1659) wurde zum Namensgeber der Vorstadt, in der er sich 1646 als Erster ansiedelte. Er nützte den Lehmboden zur Ziegelgewinnung und kam dadurch zu Wohlstand. Einen Teil seines Besitzes schenkte er den Serviten. Piccolomini und Thury erhielten Gräber in der Servitenkirche.
Deren Bau begann 1651 und dauerte mit Unterbrechungen fast ein Vierteljahrhundert. 1670 erfolgte die Weihe, 1677 die Fertigstellung. Die Servitenkirche, eine der wenigen stilrein erhaltenen Frühbarockkirchen Wiens, gilt als Vorbild der Peters- und Karlskirche. Sie ist der erste typologisch bedeutende längsovale Zentralbau in Wien mit östlicher Doppelturmfassade und westlicher Choranlage. Südlich schließt das dreigeschossige Kloster an. Die Pläne zur Kirche stammen vom lombardischen Baumeister Carlo Martino Carlone (* um 1616 -1667). Er trug in Wien den Titel Baumeister der Kaiserin-Witwe. (Eleonora, Witwe Kaiser Ferdinand III.) Zu seinen Werken zählen das Barockschloss Esterházy in Eisenstadt und Teile der Hofburg (Amalienburg, Leopoldinischer Trakt). Nach Carlones Tod übernahm Carlo Canevale († um 1690), mit dem er schon im Schloss Petronell zusammengearbeitet hatte, die Bauleitung. Der österreichische Architekt Carlo Canevale stammte aus einer italienischen Baumeisterfamilie. In Wien errichtete er u. a. das Deutschordenshaus und die Mariensäule am Hof. Die prächtige und bedeutende Stuckausstattung schuf Giovanni Barbarini 1699. Die Kuppelfresken beziehen sich auf das Patrozinium Mariä Himmelfahrt.
Am 17. August 1727 feierten die Serviten ein großes Fest zur Heiligsprechung ihres Mitbruders aus dem Mittelalter. Es begann mit dem Geläute aller Wiener Kirchenglocken am Vorabend und fand am nächsten Tag mit einem Gottesdienst im Stephansdom seine Fortsetzung. Von dort wurde eine fast lebensgroße Figur des Heiligen in die Servitenkirche übertragen. Sie war aus Wachs gefertigt, mit echtem Haar und Bart sowie Stoffkleidern versehen. Das Kunstwerk, das sich jetzt im Kreuzgang befindet, wirkte so lebensecht, dass die Leute glaubten, ein Pater sitze in der Vitrine. Bruderschaften, Priester und Ordensleute, das Domkapitel, der Generalvikar in Pontifikalkleidung und eine "riesige Volksmenge" nahmen an der feierlichen Prozession teil. Sechs Serviten trugen die Statue, flankiert von sechs Fackelträgern, Kandidaten des Ordens in scharlachroten Mänteln. Der Zug ging von der Inneren Stadt durch das Schottentor in die Rossauer Kirche. Am Eingang in die Servitengasse stand ein erster Triumphbogen, ein zweiter auf dem Kirchenplatz und ein dritter beim Kirchenportal. Während der folgenden Festwoche zelebrierte täglich ein anderer katholischer Würdenträger das Hochamt. Die Oktav schloss mit einem Festgottesdienst, den Erzbischof Sigismund Kollonitz (1677-1751) in Anwesenheit des Kaisers, dessen Gemahlin und Tochter feierte. Der Kardinal nahm 1735 die Feier des Heiligen in das Offizium der Erzdiözese Wien auf und legte das Fest für 27. April fest (später beging man es am 1. bzw. 4. Mai).
Die Peregrin-Statue sollte dann im Kloster verwahrt werden, doch entschied man sich - angeblich auf Drängen des "Volkes" - für die Aufstellung im Kirchenraum. Vom 11. September 1727 datiert die Grundsteinlegung der Kapelle, die im folgenden Jahr erweitert und 1766 erneut vergrößert wurde. Wohltäter ermöglichten die Auftragsvergabe an namhafte Künstler. Josef Adam Mölk (1718-1794) gestaltete die Kuppelfresken, die Leben und Wunder des Heiligen darstellen. Mölk, ein Meister der perspektivischen Illusionsmalerei, stattete mehr als 40 Kirchen, Klöster und Schlösser mit Malereien aus. Er wurde zum "Bayrisch Churfürstlichen Hofmaler " und "Hofkammermaler in Tirol", ernannt, Maria Theresia erhob ihn als "Ritter von Mölk" in den Adelsstand. Die gewölbte Altarnische aus schwarzem Lilienfelder Marmor baute Melchior Hefele (1716-1794), der an der Wiener Akademie studiert hatte und einen Architekturpreis erhielt. Von ihm stammen u. a. der Marmorhochaltar und die Kanzel in der Wallfahrtskirche am Sonntagberg (Niederösterreich). Hefele wurde Hofarchitekt des Fürstbischofs in Passau (Deutschland) und arbeitete bei den bischöflichen Residenzen in Pressburg/Bratislava (Slowakei) und Steinamanger/Szombathely (Ungarn). Statt eines Bildes steht ein Schrein mit der plastischen Darstellung des Heiligen im Zentrum des Altaraufbaus. Das römische Servitenkloster spendete 1735 eine Reliquie an das Wiener.
Hier erlangte der neue Heilige rasch Popularität, man betrachtete ihn sogar als inoffiziellen Stadtpatron. Andachtsbüchlein und Predigten priesen ihn in barocker Ausdruckskraft, wie 1740 "Peregrinus, heilig von Fuß auf". Mirakelbücher verzeichneten 1000 Gebetserhörungen. 1745 etablierte sich eine Fiaker-Bruderschaft zu Ehren des heiligen Peregrin. Hilfesuchende spendeten wächserne Votivgaben in Form von Beinen und Füßen. Der dafür bereitgestellte Korb soll sich in einer Stunde zweimal gefüllt haben. Die Pilger kamen allein oder in organisierten Wallfahrten: "Am 27. April aber strömen nicht nur Wiener aus allen Ständen, sondern auch Landleute aus Niederösterreich, Ungarn und Steiermark in die historische Kapelle, um dem Heiligen ihre Bitten vorzutragen. …Seit 1914 findet wieder eine Volksprozession statt, die am Ende der Octave des Festes des Heiligen von Liechtental in die Servitenkirche zieht und sich großen Zuspruches erfreut." (Reichspost, 27.4.1922) In einem Kirchenführer aus dem Jahr 2001 heißt es: "Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil wurde der gesamte Mai als 'Peregrini-Monat' gefeiert. Herzstück war die 'Peregrini-Novene', die vom 27. April bis zum Fest am 4. Mai begangen wurde. Jetzt besteht die Peregrinifeier aus einem dem Fest vorgeschalteten Triduum und dem Fest selbst. … Tradition hat auch die verlobte Wallfahrt aus Stammersdorf. Die Weinbauern dieser Gegend kommen regelmäßig seit dem Bau der Peregrinikapelle (1728)."
Wallfahrten wurden "verlobt" (feierlich gelobt, versprochen). Die Formel "ex voto" drückt den Akt der Anheimstellung (Votation) an eine heilige Person aus. Sichtbares Zeichen waren Votivgaben, die man als Bitte und zum Dank spendete. Wenn auch das gegenseitige Geben und Nehmen ("do ut des"-Prinzip) auffällt, sollte doch das Gelübde im Vordergrund stehen. Allerdings hat die "Volksfrömmigkeit" den spirituellen Glauben oft zu einem Handel mit den heiligen Personen umgedeutet. Zeugnisse für das - in allen Kulturen übliche - Votivwesen reichen 3000 Jahre zurück. Aus der römischen Zeit Österreichs fanden Archäologen Votivgaben, deren Form den heute bekannten ähnelt. Aus Wachs, in entsprechende Formen gegossen, wurden sie von Wachsziehern und Lebzeltern an Wallfahrtsorten, so auch beim Peregrinikirtag angeboten. Wachs als kostbares und leicht formbares Material erfreute sich in der Kirche großer Wertschätzung. Kerzen und nachgebildete Körperteile waren schon im 13. Jahrhundert beliebte Opfer. Sie konnten wieder eingesammelt, geschmolzen und mehrfach verkauft werden.
Neben solchen Spenden fand in den katholischen Wallfahrtsorten das Silbervotiv seinen Platz. Hof, Adel und Stadtbürger übernahmen seit der Barockzeit die aus den romanischen Ländern kommende Sitte. Je nach Vermögen der Gläubigen fanden Silbervotive Eingang in den kleinbürgerlichen und bäuerlichen Bereich. Die mit handwerklicher Kunstfertigkeit aus dem Edelmetall getriebenen Votive stellen - als Symbol der Anheimstellung - Figuren oder flammende Herzen dar, dazu kommen kleine Darstellungen der betroffenen Körperteile, im Fall Peregrins vor allem Beine. Sie mussten 1704, 1794 und 1810 zur Finanzierung der Kriegskasse abgeliefert werden.
Der Komponist Joseph Haydn (1732-1809), der in jungen Jahren selbst bei den Serviten eintreten wollte, zählte zu den Peregrin-Verehrern. Ebenso die Tochter seines Kopisten, Fanny Elßler (1810-1884). Sie war eine der prominentesten Tänzerinnen des 19. Jahrhunderts und stiftete nach einem Beinbruch einen silbernen Lorbeerkranz.
Schon aus der Anfangszeit des Kults ist überliefert, dass sich der Kaiser und der gesamte Hof "bei Peregrini in der Rossau" einfand. Maria Theresia ordnete 1779 eine Novene an, um ihrem jüngsten Sohn, Erzh. Maximilian Franz (1756-1801), dem späteren Erzbischof und Kurfürst von Köln und Hochmeister des Deutschen Ordens (Bild), Heilung zu erbitten. Die Kaiserin spendete darauf hin ein kostbares Messgewand. Die Regierungszeit Kaiser Joseph II. (1741-1790, reg. ab 1765) brachte eine Reihe von Reformen in Religionsangelegenheiten. Die wichtigste war eine neue Pfarreinteilung, die mehr als 200 Jahre Bestand hatte. Im Zuge deren wurde die Rossau eine selbstständige Pfarre. Dem rationalistischen Denken der Aufklärung fehlte das Verständnis für althergebrachte Bräuche und Einrichtungen. Wallfahrten wurden eingeschränkt, religiöse Bruderschaften aufgehoben. Dieses Schicksal traf auch die Peregrini-Bruderschaft der Fiaker. Stiftungsgelder und Grundstücke des Ordens fielen dem Religionsfonds zu. Religion und Kirche sollten einem Wohlfahrtsstaat dienstbar gemacht werden.
1784 mussten die Kirchen dem erzbischöflichen Konsistorium melden, "was an Opfergehängen und Opfertafeln, an bekleideten und unbekleideten Bildern und Statuen vorhanden sei … ob Opfer in Gold, Silber oder Metall üblich sind, … Segenssprüche in und außer der Kirche stattfinden, was an Reliquien, Skapulieren, Breven, Bildkerzen, Pfennigen, geweihtem Brot, Öl, Lukaszetteln (Schluckbildchen) zur Verehrung gereicht werde." Bei den Serviten spielten die Peregrinistatue, 12 Kasten Votivgaben, ein Prager Jesulein, sowie eine bekleidete Marienfigur und Mariazeller Madonna eine Rolle.
Vergeblich versuchte Papst Pius VI. (1717-1799) den Kaiser von seinen Reformen abzubringen, die den päpstlichen Einfluss einschränkten. 1782 unternahm der Papst eine Reise nach Wien. Am Ostersonntag erteilte er den Segen Urbi et Orbi vom Balkon der Kirche Am Hof. Am 16. April besuchte Pius VI. die Servitenkirche und betete lange in der Peregrinikapelle. Eine Gedenktafel erinnert daran. Die Andacht war ein offizieller Programmpunkt: Auf dem Platz vor der festlich geschmückten und beleuchteten Kirche paradierten die Soldaten, alle Glocken Wiens läuteten. "Frenetischer Jubel der Bevölkerung empfing den Papst und geleitete ihn auf der Rückfahrt zur Hofburg."
Zwei Jahre nach dem Papstbesuch gab es "eine frevelhafte That", wie der Chronist Carl Hofbauer 1859 berichtete: "Im Mai 1784 opferte nämlich ein Unbekannter eine große Wachskerze hieher und entfernte sich wieder. Die Kapelle war mit Andächtigen gefüllt, als plötzlich unheimliches Gekrache und Getöse auf dem Altare entstand, wo die Opferkerze brannte. Manche wähnten ein Wunder des heil. Peregrin, viele andere eine Wirkung des Teufels und eilten hastig den Ausgängen zu. Doch keinem fiel es bei, die Ursache des Spuckes in jener Kerze zu suchen, deren Inneres Raketenstoff enthielt, und nur in der bösen Absicht überbracht worden war, Schreck und Verwirrung zu verbreiten. Es setzte auch im Gedränge allerlei Gliederverrenkungen und Gaunerstreiche ab." Als Reaktion erhielt die Kapelle einen Fluchtweg (den Ausgang in der Grünentorgass. Die Schriftsteller der Aufklärung spotteten über die Heiligenverehrung in der Rossau: "Wir haben einen heiligen Peregrinus in der Kirche der Serviten, welchen Vornehme und Reiche, die sich das Podagra (Gicht) an die Füße getrunken haben … mit silbernen Füßen bestechen," kritisierte ein Zeitgenosse, der an einem einzigen Tag 90 wächserne Hände und Füße auf dem Altar erblickt haben will.
Bei einem Kirtag sind kirchliche und weltliche Bräuche miteinander verknüpft, so auch beim Peregrinimarkt, der Ende April, bis Anfang Mai stattfand. In der Rossau, wo Schiffe anlegten und Waren verzollt wurden, gab es drei Jahrmärkte. Darüber schrieb Carl Hofbauer 1859: "Der erste mit Holzwaaren, Georgi- oder Peregrinimarkt, dauert durch 14 Tage, vom 24. April bis 7. Mai; ein zweiter mit Töpferwaaren, kurzweg Häfenmarkt, von Peter und Pauli durch 4 Wochen, von 30. Juni bis 26. Juli. Der dritte, Michaeli Holzwaaren- und Weinlesemarkt, währt vom 23. September bis 6. Oktober durch 14 Tage und liefert zur Lese die nötigen Holzgefäße, Bottiche, Butten, Fässer, Reifen etc. Diese Wirthschaftsgeräthe und Berchtesgadnerwaaren, aus Holz geschnitzte oder gedrehte Kinderspielsachen, langen theils aus Gmunden, Ebenzweyer und Hallein, die Töpferwaare (grünglasirte und schwarzgebrannte) aus Gmunden und Hafnerzell in Oesterreich ob der Enns, ihren vorzüglichen Erzeugungsorten, hieher. Unsere ökonomischen Hausfrauen halten oft längere Zeit mit dem Kaufe von Küchengeschirren inne, um hier gegen billigere Preise gute Waare zu bekommen.“ Der Chronist vermerkte, dass der Holzwarenmarkt zuvor auf dem Michaelerplatz, seit 1722 auf dem alten Fleischmarkt gehalten wurde und dass der Häfenmarkt 1742 in der Rossau seinen Platz fand.
Der Peregrinikirtag war äußerst populär: "So lange ich denken kann, hat sich nichts verändert. Es stehen noch immer dieselben Standln und es wird dort noch immer dasselbe verkauft: Naschwerk, Geschirr und Spielsachen. … Heute muss man sich bei vielen Dingen fragen, ob das noch die Ladenhüter von anno dazumal sind oder ob sie pietätvoll eigens für den Markt angefertigt werden. Dazwischen hat ein altes pfiffiges Weiblein eine Wahrsageambulanz eingerichtet … eine Unmenge von Planeten und Glücksbrieferln hat sie umgehängt, die sie alle im Laufe eines Tages an die Frau bringt." (Christl Leoster, o.J.) "Da wird fleißig eingekauft, manches Säckchen voll des Guten oder gleich ein großer Sack voll heimgetragen. Die Kinder, die für derlei große Vorliebe zeigen, sind von den Standln schon gar nicht wegzubringen, sie wollen bald von hier, bald von dort etwas, wünschen Naschwerk und andere Herrlichkeiten, deren es genug für Kinderherzen gibt." (1927).
Die Volksschuldirektorin Helene Tramer-Soeser (1901-1976), deren Vorfahren in der Grünentorgasse wohnten, erinnert sich, wie sie zur Zeit des Peregrinimarktes diese, die Kirche und den Markt besuchte: "Als ich ein Kind war, wirkte die lebensgroße, mit wirklicher Stoffkutte bekleidete Wachsfigur des hl. Peregrinus, die im unsicheren Licht der Kerzen ganz unglaublich lebendig aussah, wirklich erschreckend auf mich. Ein wachsbleicher Greis sitzt da in einem gläsernen Gehäuse. Engel und Opfergaben umgeben ihn. … Das Gruseln in der Peregrinikapelle war der Preis, der von uns Kindern für den Besuch und die Freuden des Peregrinimarktes bezahlt werden musste. Zuerst einmal bekamen wir jedes ein Peregrinikipfel, eine Spezialität, die … heute noch ein beliebter Leckerbissen ist. Dann durften wir die Budenreihen entlang gehen, schauen, staunen und wünschen. Es lockten Berge von türkischem Honig, Berge von Kokosbusserln, papierene Sonnenschirme für kleine Mädchen, Kindertrommeln aus Messing für die Buben, Ratschen, Lebkuchenherzen, hölzerne Pferdchen, Mundharmonikas und Kuchenreiter. Mehrere Standler hielten Häferln feil, die in verschnörkelter Schrift alle in Wien gängigen Rufnamen aufwiesen."
Ein Journalist schrieb in der Zwischenkriegszeit: "Buntes Gewimmel wurlt auch im nahen Servitenkeller, wo der köstliche Peregriniwein funkelt und nach altem Brauch zahllose Powidlbuchtel vertilgt werden, die außer ihrer leckeren Fülle - Glücksnummern für Lottofreunde enthalten … Und im Herzen des Schlaraffenlandes locken die berühmten, knusperigen Peregrinikipfel! … Derzeit laufen häufig Bestellungen von im fernsten Ausland ansässigen Wiener Familien ein, denen das Flugzeug in ein paar Stunden diese schmackhafte Spezialität prompt für den Frühstückstisch liefert."
Die oft erwähnten Peregrinikipfel unterschieden das Angebot dieses Marktes vom üblichen Kirtagsortiment. Seit 1817 besaß die Familie Plank das "Bäckerhaus" in der Servitengasse 6. Die in allen Dimensionen angebotenen Kipfel sind untrennbar mit ihrem Namen verbunden. Um die Jahrhundertwende musste das Vorstadthaus einem vierstöckigen Jugendstilbau Platz machen.
Das Illustrierte Wiener Extrablatt, das zuvor die Demolierung beklagt hatte, brachte 1905 einen Bericht über "Die k.u.k. Hofbäckerei Plank". Drei Zeichnungen unterstreichen die Schilderung. Die Zeitung lobt die moderne Bäckerei, den in Wien einzigartigen maschinellen Betrieb mit vier Backöfen, das vornehme Verkaufslokal und die ausgezeichneten Backwaren: "Besonders die Peregrinikipfel sind schon seit alter Zeit durch ihren Wohlgeschmack so bekannt, daß zu Peregrinizeiten ganze Wallfahrten in die Servitengasse unternommen werden. Jeder echte Wiener vermißt nur sehr ungern zu dieser Zeit beim Frühstück- oder Jausenkaffee ein echt Plank'sches Peregrinikipfel. Es hat auch bis jetzt kein zweites Backwerk einen nur annähernden Grad von Beliebtheit erreicht. Schon zur Zeit Kaiser Franz I. mußten alljährlich frische, warme Kipfeln in die Hofburg und auf den Hradschin in Prag gesandt werden." Nach der Regierungsübergabe 1848 lebte Ferdinand I. zurückgezogen in der königlichen Burg in Prag. Eine Reiterstafette brauchte dem Exkaiser die ofenfrischen Kipfel.
Pro Saison sollen 60.000 Stück verkauft worden sein. Seit den 1860er Jahren schaltete der Bäcker Inserate in der Wiener Zeitung und anderen Blättern. Der Wortlaut änderte sich in all den Jahren kaum: "Peregrini-Kipfel. Gefertigter hat die Ehre hiemit die Anzeige zu machen, daß während des Peregrini-Festes vom 24. April bis 7. Mai bei ihm die seit vielen Jahren so beliebten Peregrini-Kipfel täglich zu jeder Stunde frisch in allen Größen zu haben sind. Rudolf Plank, Bäckermeister, Roßau,Servitengasse Nr. 6." Der auf Werbung bedachte Bäckermeister machte es sich zum Brauch, den Wiener Honoratioren besonders große Exemplare des wohlschmeckenden Backwerks, geziert mit Seidenbändern, zu überreichen.
Seine Nachfolger pflegten die Tradition bis zum Ende der Bäckerei. So brachten Zeitungen in den 1960er Jahren Bilder, wie Kardinal Franz König und der Wiener Bürgermeister Franz Jonas die Riesenkipfel in Empfang nahmen. Von Bürgermeister Jonas erhielt der Produzent einen persönlichen Dankbrief: "Für das mir heute freundlichst übermittelte frisch gebackene Peregrini-Kipfel sage ich besten Dank; es schmeckt ausgezeichnet. Ich freue mich, daß Sie an der Tradition ihrer alten Wiener Bäckerei festhalten. Ihrem Betrieb wünsche ich einen guten Geschäftsgang und viel Erfolg. "
Vier Jahrzehnte später war der - immer bescheidener gewordene - Markt verschwunden, und auch die Tage der Bäckerei gezählt. Nun versuchten die Kaufleute des Servitenviertels die Wiederbelebung, bis 2012 fand wieder ein Peregrimarkt statt.
Oft hat man die Ursprungsfrage nach dem köstlichen Brauchgebäck gestellt. Noch der sonst verdienstvolle Heimatforscher Gustav Gugitz (1874-1964) vertrat die Theorie vom "Gebildbrot". So nannte man früher Gebäcke aus Germteig, die man mit der Hand frei formt. Der Begriff entstand im 19. Jahrhundert, im Sinne einer Zeit, die geneigt war, hinter harmlosen Backwerken "kultische" Ursachen festzustellen. So sollten die Formen angeblich aus vorchristlicher Zeit stammen. Die Meinung, freihändig geformtes Festtagsgebäck, wie Striezel, Kipfel, Brezel usw. sei als Ablöse heidnischer Speiseopfer zu sehen, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Eher müsse mit dem "persönlichen Bildnertrieb des Herstellers und mit Bäckerlaunen" gerechnet werden, meint das Wörterbuch der Deutschen Volkskunde. Auch die Herleitung vom türkischen Halbmond ist absurd, da Wiener Bäcker ihren Herrschern schon im Mittelalter Kipfel verehrten. Im Fall der Ross-Au bietet sich noch eine andere Deutung an: die Facon der Kipfel könnte an glückbringende Hufeisen erinnern.
Der Wiener Heimatforscher und Mundartdichter Josef Ludwig Wolf (1896-1960) hat der Peregrini-Wallfahrt humorvolle Verse gewidmet: "O du heiliger Peregrini, / meine Füaß san wech, drum bin i / Von Meidling extra einaghatscht ,/ Hab d Sohln gschmiert und d Wadeln gfascht, / I bitt di vielmals um dein Segn, / Vielleicht bringst du mi bessa z wegn. / I bin an alter Tischlergsell, / Ka Wunder alstern, / wann des Gstell / Vur lauter Arbeit roglert wird, / De Glenk ghörn halt scho repariert, / Und durt du da und obn und unt, / Geht a schön langsam alles z Grund, / Do frumm und kindli is mei Sinn: / Geh hilf mir, heiliger Peregrin! / I will di nimmer länger störn, / Du sollst ja andre a no hörn, Do i versprich dir a guats Werk … / Jetzt war s grad Zeit, daß i mi stärk, / So a Wallfahrt nimmt an her, / O God, o God, des Gehen is schwer, / Da muß do wo a Wirtshaus sein, / I hätt an Gusto auf an Wein, / Dazu a Peregrinikipfl, / Des passert zsamm wia s 'i' mitn Tüpfl. - / Er findt sei 'Restauration', / Nach ein paar Vierterln merkt er schon / Wie in eahm alls lebendi wird, / Des Gfühl hat er schon lang net gspürt, / Er laßt n Peregrini leben, / Tuat no recht of sein Glas erhebn. / Do endli, s war schon höchste Zeit, / Macht er zum Hamgehn si bereit. / Es wird ihm schier die Gassn z eng, / so leicht bewegli warn die Glenk. / A Kirzen hätt er gern anzundn, / Doch hat er d Kirchn nimmer gfunden. / A Wunder aber wars ganz gwiß, / Wia der nach Meidling kumma is. / Sei Weiberl rennt ihm grad entgegn / und gibt eahm s zweitemal an Segn / Doch in der Predigt hats eahm droht: / Du wirst man nimmer fuaßmarod!"
Vortrag anlässlich der Peregrini-Festwoche, 10.5.2014
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