Höllerhansls Prozess in Graz #
Der legendäre Naturheiler Johann Reinbacher vulgo Höllerhansl, dessen Ruf sich bis nach Indien ausgebreitet hatte, stand in Graz vor Gericht – und wurde umjubelt.#
Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung
Am 5. Juni 1921 versammelte sich im Hof des Bezirksgerichts in der Grazer Paulustorgasse eine riesige Menschenmenge, die lautstark diskutierte. Denn an diesem Tag gingen die Emotionen so richtig hoch. Am 50-jährigen Johann Reinbacher vulgo Höllerhansl, einem weit und breit berühmten Naturheiler aus der Weststeiermark, schieden sich die Geister, auch die politischen.
In Graz herrschte damals seinetwegen fast eine Art Medienkrieg zwischen den Parteizeitungen. Die christlich-soziale „Tagespost“ rief zwei Tage vor Prozessbeginn die Menschen auf, als Zeugen für ihre Heilung durch den berühmten Wunderheiler Höllerhansl für ihn auszusagen. Das sozialdemokratische Kampfblatt „Arbeiterwille“ hingegen beschrieb gehässig die wartende Menge: „Die Physiognomien der Leutchen ließen auf eine christlich-soziale Wählerversammlung schließen. Agrarierschädel, abergläubische Kleinbürgerinnen, hysterische Jungfrauen und Jünglinge und fanatische Kerzenweiblein gaben dem Aufmarsch ein Gepräge von muffigem Klerikalismus . . .“ Das alles ist sehr ausführlich in Bernd E. Maders bemerkenswertem Buch „Naturheiler, Zahnreißer und Viehdoktoren. Bäuerliche Heiltraditionen“ aus dem Jahr 1999 nachzulesen.
Doch kein Kurpfuscher#
Von dieser begeisterten Anhängerschaft dürfte auch das Gericht recht beeindruckt gewesen sein. Denn der Angeklagte wurde bloß – wie schon ein Jahr zuvor in einem Prozess in Stainz – zu einer lächerlichen Geldstrafe verurteilt und schließlich von seinen Fans unter tosendem Applaus auf den Schultern weggetragen.
Angeklagt war der tiefgläubige Johann Reinbacher (1865–1935), der stets nur Spenden annahm, wegen Kurpfuscherei. Er war zu seiner Zeit bis in den Orient berühmt dafür, dass er aus der Farbe und dem Geruch des Urins seine Diagnosen stellte. Da die meisten seiner Patienten mit einem Fläschchen voller Harn aus der Landeshauptstadt zur Diagnose zwei Stunden lang mit der „Graz- Köflacher Eisenbahn“ nach Stainz fuhren, wurde diese Bahn bald schon von der steirischen Bevölkerung ironisch in „Flascherlzug“ umbenannt.
Als Medizin gab’s Tee#
Den weiteren Fußweg von Marhof steil einen Hohlweg hinauf nach Rachling konnte man fast nicht verfehlen, weil er ja links und rechts gesäumt war von weggeworfenen oder zerschlagenen Flaschen. Dabei darf man den wirtschaftlichen Aspekt für die Region nicht übersehen: Die Hilfe suchenden Menschen kehrten bei ihren Besuchen in jedem Gasthaus und auch bei den Bauern ein, um sich entsprechend für das lange Warten zu stärken. Viele Ratsuchende, die am selben Tag nicht mehr drangekommen sind, mussten für die Nacht ein Quartier suchen – und waren für jede Schlafgelegenheit dankbar.
An manchen Tagen mussten an die Patienten vor seinem Haus sogar Nummern ausgegeben werden, so groß war der Andrang. Das Vertrauen der Menschen in den Naturheiler war derart unermesslich, dass man sich folgende Geschichte erzählte: Eines Tages verletzte sich ein Holzknecht in der Südsteiermark schwer am Auge. Zufällig kam gerade der ihm bekannte Arzt und Dichter Dr. Hans Kloepfer daher und bot seine Hilfe an. „Na“, antwortete der Holzknecht, „beim Aug’ derf ma si net spüln, da geh i scho zan Höllerhansl!“
Weiterführendes#
- Mit Urin zum Höllerhansl
- Höllerhansl (Heimatlexikon)
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