"So etwas Vertrotteltes habe ich noch nie gesehen!"#
Wie aus der Welt-Schuhfabrik neben dem Grazer Südbahnhof ab 1872 Schuhe in die halbe Welt geliefert wurden und in den 1970er-Jahren der Werbeschrei „Franz“ Österreichs Fernseher verstörte.#
Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung
Im Juni 1872 gründete der Unternehmer David Heinrich Pollak nahe dem Grazer Südbahnhof die „Welt-Schuhfabrik“ - und schrieb damit Geschichte. Denn schon in kurzer Zeit wurden hier 20.000 Paar Schuhe pro Woche erzeugt, die über ein weitgespanntes Filialnetz in der gesamten Monarchie Österreich-Ungarn verkauft wurden. Unter der Firmenbezeichnung „Goodyear Weltschuhfabrik“ wurden sie sogar weltweit exportiert, vor allem England, Frankreich, Dänemark und Rumänien wurden mit starkbesohlten Männerschuhen und feinen Damenschuhen beliefert. Dazu wurden auch Niederlassungen in Konstantinopel (heute Istanbul), Philipoppel (heute Plovdiv, Bulgarien), Sofia und Berlin gegründet. Der Nachteil: Die kleinen Schumacher im Land gaben reihenweise ihre Geschäfte auf. Doch 1889 trennte sich Pollak von mehreren Teilhabern, gleichzeitig überschwemmten billige maschingefertigte Schuhe aus Böhmen den Markt und stürzten die „Welt-Schuhfabrik“ in die Krise, berichtet Bernhard Reismann in seinem Buch „Schicksalstage der Steiermark“ (Styria). Auch erste Fachmaschinen für die Schuherzeugung kamen nun aus Amerika und förderten neue kleine Konkurrenzfirmen.
Das Ende der Krise kam erst, als 1904 der Unternehmer Carl Rieckh, Inhaber der Grazer Lederfabrik Franz Rieckh Söhne in der Idlhofgasse „die Fabrik kauft, modernisiert und unter dem alten Namen weiterführt“. Da Rieckh nicht nur erster Obmann des 1902 gegründeten Fußballclubs GAC (später GAK), sondern auch Mitglied im Heereslieferverband war, wurde die „Welt-Schuhfabrik“ im Ersten Weltkrieg auch Heereslieferant und machte gute Geschäfte. Nach Kriegsende ging ein Großteil des alten Filialnetzes verloren und unter seinem Schwiegersohn Dr. Felix Alexander Mayer entstand die neue „Humanic Leder- und Schuh-AG Wien-Graz“ (den Namen Humanic hatte ein US-Werbetexter 1907 erfunden), die im nunmehr kleinen Österreich 60 Verkaufsläden betrieb und ab 1938 wieder für eine Armee produzierte. 1945 mussten die schweren Kriegsschäden an der Fabrik in Graz durch Bomben und Plünderungen erst einmal verkraftet werden, aber um 1950 beschäftigte die Firma schon wieder 650 Arbeiter, dazu 80 Meister und Angestellte und betrieb bereits 50 Geschäfte in ganz Österreich. Dazu wurden auch Produktionsstätten in Deutschlandsberg, Radkersburg, Eibiswald und Feldbach errichtet.
In den 1970er-Jahren wurde Humanic schließlich weit über die Landesgrenzen hinaus durch seine Avantgarde-Werbelinie bekannt, für die der Grazer Horst Gerhard Haberl verantwortlich zeichnete. Denn mit Haberl kam auch Franz in die Werbewelt - und Franz war die werbliche Anarchie schlechthin. In den Fernsehwerbespots sah man keine Produkte der Schuhfirma Humanic, dafür aber explodierende Schuhschachteln, zu Stiefeln sich auftürmende Haare oder Krokodile im Swimmingpool. Untermalt von moderner Lyrik und Musik - schwer verdaulich für den Durchschnittsösterreicher der 1970er-Jahre. Ein Skandal jagte den anderen, denn man entkam diesen aktionistischen Werbespots fast nicht, da sie in den zwei ORF-Fernsehhprogrammen, die es damals als einzige gab, durchgeschaltet waren. „So etwas Vertrotteltes habe ich noch nie gesehen … die müssen einen Klopfer haben“ oder „In die Psychiatrie mit ihnen“ hieß es 1974 in Leserbriefen.
Hinter Franz stand aber die Creme der österreichischen Avantgardekünstler dieser Zeit - von H.C. Artmann, Wolfgang Bauer, Karl Neubacher, Otto M. Zykan, Richard Kriesche bis zu Regisseur Axel Corti und dem jungen Claus Schöner. Mit dem Schrei „Franz!“ der am Ende jedes Spots aus dem Off ertönte, machte Haberl nicht nur Furore, sondern verpasste Humanic ein modernes Image. Franz hatte damals einen Bekanntheitsgrad von nahezu 98 Prozent und hätte damit locker bei allen Wahlen kandidieren können. Doch nach 26 Jahren Werbetätigkeit kam das Aus für Franz und die Werbelinie für Humanic wurde geändert. Franz wurde sozusagen auf Eis gelegt und die Werbung wieder schuhgerecht.
1994 hat sich die „Leder & Schuh AG“ aus der Schuherzeugung zurückgezogen, dafür wurde das Filialnetz stetig ausgebaut. Heute beschäftigt die Firma rund 2.771 Mitarbeiter an mehr als 213 Standorten in elf europäischen Ländern. Die Schuhe wurden unter den Marken „Corti“, „Humanic“, „Jello“, „Shoe4You“ und ab 2011 auch „Stiefelkönig“ vertrieben. Heute sind alle Einzelmarken in „Humanic“ und „Shoe4You“ eingegegliedert.
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