Im ungeschützten Paradies#
Schutz der Biodiversität#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 16. Dezember 2010).
Von
Gerlinde Wallner
- 500 gefährdete Tier- und Pflanzenarten bevölkern die Flusslandschaft im nordöstlichen Weinviertel. Noch, muss hinzugefügtwerden: In den vergangenen Jahrzehnten sind 65 verschwunden.
- Die artenreichste Flusslandschaft Österreichs wird unzureichend geschützt.
- Warum Umweltgruppen nun einen „Nationalpark March-Thaya-Auen“ fordern.
In den Kronen der knorrigen Eichen, mitten in den March-Thaya-Auen, wohnt eine seltene, vom Aussterben bedrohte Ameisenart – so selten, dass es nicht einmal eine deutsche Bezeichnung für sie gibt. In den Stämmen der Eichen, vorzugsweise jener der absterbenden Exemplare, haben es sich die Larven des größten österreichischen Käfers gemütlich gemacht: jene des „Großen Eichenbockkäfers“. Bis zu sieben Jahre lang frisst sich die Käferlarve durchs Holz, bevor sie sich zum über fünf Zentimeter langen, schwarzen Eichenbockkäfer entwickelt. Die Lieblingshölzer von Käfer und Ameise sind in Österreich immer seltener zu finden: knorrige alte Eichen oder Hölzer, die im Wald vor sich hinmodern dürfen.
Kein Wunder also, dass beide zu den insgesamt 500 gefährdeten Tier- und Pflanzenarten zählen, die die Flusslandschaft des nordöstlichen Weinviertels bevölkern. Noch, muss hinzugefügt werden, denn alleine in den vergangenen Jahrzehnten sind 65 Arten verschwunden.
„Was die biologische Vielfalt anbelangt, sind die March-Thaya- Auen wirklich herausragend“, betont Gerhard Egger vom WWF die Bedeutung des Flussgebietes entlang der Grenze zur Slowakei und zu Tschechien. Um diese zu schützen, hat der WWF gemeinsam mit einem privaten Eigentümer über 1000 Hektar des insgesamt 16.000 Hektar umfassenden Naturschatzes aufgekauft und zu einem Naturschutzgebiet gemacht.
Das WWF-Auenreservat reicht von der niederösterreichischen Gemeinde Marchegg bis Zwentendorf. Drei Rundwanderwege führen Ortsansässige und Besucher durch den Auwald, im restlichen Wald- und Wiesengebiet darf der scheue Schwarzstorch in Ruhe brüten, der Urzeitkrebs sich ungestört in seiner Lacke tümmeln und die Europäische Sumpfschildkröte das stille Altarmwasser genießen. Für die Spaziergeher gilt abseits der Wege „Betreten verboten“.
Nicht nur das war wohl anfänglich gewöhnungsbedürftig für die ansässige Bevölkerung. Auch die Art und Weise, wie der Wald bewirtschaftet wird, nach dem Grundsatz „extensiv statt intensiv“, führte beim einen oder anderen zum Stirnrunzeln. Gerhard Egger liegen die Worte mancher Marchegger noch im Ohr: „So ein Saustall, ihr lasst ja den Wald verkommen.“ Tote Bäume, die, anstatt verwertet zu werden, im Wald „herumliegen“ dürfen, stießen anfänglich auf einiges Unverständnis. Egger erklärt, warum totes Holz zwar äußerlich abgestorben, aber innerlich voller Leben und für Biodiversität unentbehrlich ist: „Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass 2000 Käferarten alleine von dieser speziellen Nische leben. Es muss auch in unserer Landschaft noch Plätze geben, wo solche Lebensräume erhalten bleiben. Genau das ist das Ziel von einem Schutzgebiet wie diesem.“
Bedrohter Flussraum#
Einen Status als Naturschutzgebiet hätten die March-Thaya- Auen eigentlich schon vor über 70 Jahren dringend gebraucht, als sich die beiden Tieflandflüsse noch mäandrierend durch das Gebiet schlängelten: 1936 wurde beschlossen, March und Thaya zu regulieren. Bis in die 80er Jahre hinein, als andernorts längst wieder renaturiert wurde, wurde der Flusslauf mit insgesamt 35 Durchstichen begradigt, womit er sich um 14 Kilometer verkürzte. Die harte Verbauung blieb für das Auengebiet keineswegs folgenlos, erklärt Gerhard Egger: „Der Fluss hat sich stark eingetieft, circa zwei Meter, wodurch die Au immer weiter auflandet und sich entkoppelt.“ Die charakteristische Lebenswelt der Altarme und Augewässer, die Schotterbänke und Steilufer verschwinden zusehends aus der Flusslandschaft – mit ihnen auch Wechselkröte, Moorfrosch oder Donau-Kammmolch.
Für Gerhard Egger steht die Renaturierung der Flüsse deshalb ganz oben in seiner „To-do“-Liste für die March-Thaya-Auen. Zusätzlich sei es „höchste Zeit“, dass das gesamte Flussgebiet endlich jenen Status erhalte, den es „naturschutzfachlich ohne Zweifel verdient“: den eines Nationalparks. Es wäre der siebte in Österreich und einer, der bezogen auf Artenvielfalt sämtliche bisherige Nationalparks in so manchen Bereichen übertreffen würde.
Als Beispiel vergleicht Egger die Vogelvielfalt in den March-Thaya- Auen mit der Vogelwelt in den nahe gelegenen Donauauen – seit 1996 ein Nationalpark: Laut einer im Vorjahr präsentierten Studie von BirdLife beherbergen die Donauauen sieben national bedeutende Vogelarten. Im Naturraum entlang March und Thaya finden sich 31 bedeutende Arten: Platz eins in Österreich und dennoch kein Nationalpark. Für Egger ein „eklatantes Missverhältnis“.
Gerhard Neuhauser, der das WWF-Auenreservat land- und forstwirtschaftlich betreut, kritisiert ebenfalls den fehlenden Schutzstatus von „Mitteleuropas interessantestem Gebiet“: „Bis dato wurde bei der Unterschutzstellung für das Gebiet viel zu wenig getan. Der Naturschutz wird stattdessen in private Hände abgegeben. Die öffentliche Verwaltung entzieht sich rigoros ihrer Verantwortung.“
Die gesamten March-Thaya-Auen sind zwar als Natura2000-Gebiet europarechtlich geschützt, aber zum tatsächlichen, funktionierenden Naturschutz fehlt ihnen etwas Entscheidendes: eine umfassende Betreuung, ein Naturschutzmanagement.
Betreute Vielfalt#
Nationalparks zeichnen sich gerade durch betreuten Naturschutz aus. Der Betreuer des privaten WWF-Auenreservats, Gerhard Neuhauser, weiß aus seiner täglichen Arbeit im und vor allem außerhalb des Forsthauses, dass der Schutz von Artenvielfalt mit viel Aufwand verbunden ist. Nicht alle Arten im Naturschutzgebiet sind gleich willkommen. Im Auenreservat kämpfen heimische Arten vor allem mit der dominanten eingeschleppten amerikanischen Esche. Gerade Austandorte seien durch den Fluss als „hervorragendes Transportmittel für Samen“, wie Neuhauser erklärt, besonders gefährdet für „Neophyten“. Ziel und Zweck der Artenvielfalt sei es nicht, fügt er hinzu, „so viele Arten wie möglich zu haben, sondern das hier heimische Artenspektrum in seiner ganzen Vielfalt“. Zur heimischen Biodiversität gehören auch 36 Gelsenarten, die in den March-Thaya-Auen umherschwirren. Eine Vielfalt, die wahrscheinlich so manchem zu viel ist. Gerhard Egger relativiert: „Wobei nur zwei davon ,Gemeine Stechmücken‘ sind.“