Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Dauerthema Staubbelastung#

Im Wien des 19. Jahrhunderts boten dichte Staubwolken auf Straßen und Plätzen vielfach Grund zur Klage.#


Von der Wiener Zeitung (Fr./Sa./So., 14./15./16. August 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Thomas Hofmann


Ansichtskarte, 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert wurden unter anderem die allgegenwärtigen langen Kleiderschleppen der feinen Damen als Ursache der Staubmisere in Wien angesehen.
Foto: Ansichtskarte, Sammlung Thomas Hofmann

"Wenn man in der reizenden Oase sitzt, welche Wiener Bockkeller (Nußdorf) heißt, und man wendet den Blick gegen Wien, so sieht man von der Weltstadt nix, gar nix, bloß eine unheimliche Staubwolken - und in dieser Wolken loschiren wir!"

Derartige Bilder wie man sie in den "Jörgel Briefen" vom 3. August 1872 lesen konnte, waren im 19. Jahrhundert keine Seltenheit. Auch in der Stadt war es - selbst rund 20 Jahre später - keineswegs besser. "Eines der größten Staubnester in Wien besteht gegenwärtig auf dem Rathhausplatze. Ununterbrochen werden seit einiger Zeit die Staubwolken von den Winterstürmen nach allen Richtungen der Windrose gepeitscht und durch die ungenügend schließenden Fenster in die Bureaux getrieben." ("Neue Freie Presse", 24. Februar 1890).

Kein Wunder, dass der Wiener Staub im 19. und auch im frühen 20. Jahrhundert ein Dauerthema war. Heute hat das Staubthema eine andere Dimension, es heißt Feinstaub, doch das ist eine andere Geschichte und war damals in der Form noch kein Thema, wenngleich der Hausbrand schon bald als zweites Problem erkannt worden war. Vom Bürgermeister abwärts, über angesehene Wissenschafter und Journalisten bis hin zu einer Reihe von Besserwissern äußerten sich alle zum Thema Staub.

Staubquelle Sandstein#

So hielt etwa der junge Geologe Eduard Suess (1831-1914), der 1862 sein Buch "Der Boden der Stadt Wien nach seiner Bildungsweise, Beschaffenheit und seinen Beziehungen zum bürgerlichen Leben" veröffentlicht hatte, am 23. November 1863 im "Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse" einen Vortrag "Ueber den Staub Wiens und den sogenannten Wiener Sandstein". Hier differenzierte Suess organische und mineralische Bestandteile und konstatierte: "Die weissen Glimmerblättchen in unserem Staube beweisen daher, dass die Zersetzbarkeit des Sandsteines eine immerwährende Staubquelle für Wien ist."

Alfred Rodler (1861-1890), Assistent von Suess, sah 1889 in seiner Arbeit "Über den Staub" auch keine (Er)lösung in Sicht, ". . . so lange die Hügel des Wienerwaldes bestehen, und so lange West die vorherrschende Windrichtung ist". Eine weitere Staubquelle waren die großen Baumaßnahmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die 1858 mit dem Abriss der Stadtmauern begonnen hatten und ebenfalls viel Staub aufwirbelten - manchmal sogar metaphorischer Natur.

Die Hauptursache der enormen Staubmenge waren freilich die Wiener Straßen, Gassen, Plätze und Gehwege, die nur Schritt für Schritt gepflastert wurden, aber tagtäglich von tausenden Pferdegespannen befahren wurden. Diese wiederum sorgten mit ihren beschlagenen Hufen für steten Abrieb des Untergrundes und hinterließen darüber hinaus beträchtliche Mengen an Pferdemist, die Suess unter den organischen Bestandteilen als "kleine Stückchen von Stroh und Heu" identifiziert hatte.

Bei der Straßenpflasterung setzte Wien zunächst auf Sandsteinpflaster. Der sogenannte Wiener Sandstein wurde in Steinbrüchen zwischen Sievering und Hütteldorf gebrochen, war aber keineswegs ideal, wie der Arzt und spätere Geologe Adolph Senoner (1806-1896) im Jahr 1857 festhielt: "Der Wiener Sandstein verwittert sehr leicht und fällt allmälig zu Sand . . ." Dennoch, er war naheliegend im wahrsten Sinn des Wortes und ein begehrtes Gestein, das auch Otto Wagner (1841-1918) beim Bau der Stadtbahn und der Wienflussregulierung verwendete. "In industrieller Richtung findet Verwendung der Wiener Sandstein zu Pflastersteinen und Straßenschotter, zu Bau- und Werksteinen, zu Mühlsteinen", so Senoner.

Das Gestein erster Wahl bei der Pflasterung war jedoch Granit. Im Gegensatz zu den Sandsteinen, die man in den Vororten abbaute, mussten die wesentlich härteren Granite aus dem Wald- und Mühlviertel angeliefert werden. Der Einsatz des Granitpflasters scheiterte aber auch - man glaubt es kaum - an Gründen wie der Lärmentwicklung. ". . . ein Granitpflaster kann der Platz [= Rathausplatz, Anm.] nicht erhalten wegen des Geräusches, das die Aemter und Bureaux zu erdulden hätten." ("Neue Freie Presse", 24. Februar 1890). Die steten Tritte der Hufe und die Eisenreifen der Wagenräder setzten auch dem harten Granit zu, der - freilich viel langsamer - ebenfalls zu feinem Staub zerbröselte. Wer sich davon ein Bild machen will, der möge heutzutage in der Wiener Innenstadt Stellen mit erhöhten Fiakerverkehr, wie etwa den Michaeler- oder Stephansplatz aufsuchen. Hier zeigen sich ganz deutlich die Abnützungserscheinungen an den harten Granitwürfeln.

Kehrmaschine
Dank moderner Maschinen und der nahezu vollständigen Versiegelung von Wien Straßen, Gassen und Plätzen, hat Wien heute kein Staubproblem, das vergleichbar wäre mit damals.
Foto: © Thomas Hofmann

Wenn das Wien des 21. Jahrhunderts ein Hundstrümmerlproblem hat(te), so machten im 19. Jahrhundert die Kleider der feinen Damen Probleme. Das Aufwirbeln von Straßenstaub durch lange, am Boden nachschleifende Kleiderschleppen, wirbelte - nicht nur in Wien - gehörig und im wahrsten Sinn des Wortes Staub auf. Zahlreiche Meldungen, satirische Notizen, bis hin zu hilfesuchenden Leserbriefen sind überliefert: "Herr Redacteur! Die Parkbesucher [gemeint ist der am 21. August 1862 eröffnete Stadtpark, Anm.] haben viel durch den feinen Kalkstaub zu leiden, welcher durch die langen Schleppkleider der Damen aufgewirbelt wird; es wäre deshalb sehr erwünscht, wenn die Gärtner bei Bespritzung der Blumenrabatten und Wasenpartien auch die Wege anfeuchten würden. Br. B." ("Die Presse", 17. Mai 1863).

Rigorose Verbote#

Im Kurort Gleichenberg in der Steiermark ergriff man schlussendlich rigorose Maßnahmen, indem man "bei Strafe die Verunreinigung der Straßen- und Promenadewege durch Ausspeien, sowie das Aufwirbeln von Staub durch Schleppkleider" verbot. ("Bade- u. Reise-Journal", 20. August 1900). In der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien wäre dieses Verbot in solch einer Radikalität freilich nicht möglich gewesen.

In der Tat hatte man zwei Probleme: ein Staub- und ein Kotproblem, denn als Sofortmaßnahme gegen den Staub galt das allseits praktizierte Aufspritzen, um Staub zu binden. Die Folge war allerdings, dass sich Kot bildete, der wiederum nicht entfernt wurde. "Der Koth bleibt in den Straßen meistens liegen, Niemand denkt ans Fortschaffen - es geschieht viel, wenn er mit eisernen Krücken an den Straßenrand zu kleinen Wällen formirt wird - kommt trockenes Wetter, so bildet sich aus dem Koth Staub, der wieder in alle Winde zerfliegt", berichteten die "Wiener Neuesten Nachrichten" vom 22. November 1897. Hier hatte man auch gleich eine Lösung parat: ". . . man benütze die Gelegenheit, nehme etwas Energie, guten Willen und tüchtige Kratzbürsten, sammle den Schmutz einmal gründlich zusammen und befördere ihn außerhalb der Stadt."

Doch so einfach schien es auch wieder nicht zu gehen, denn Wien hatte nicht nur ein Staub- und Kotproblem, sondern zusätzlich ein personelles Problem mit der Straßenreinigung. "Es gibt in der That keine zweite Großstadt, in welcher so primitiv das Gassenkehren gehandhabt wird. [. . .] Zumeist sind es alte, abgezehrte Leute, die kaum noch den Besenstiel mit sicherer Hand zu handhaben verstehen, und stößt man ab und zu auf kräftigere Gestalten, so scheint es den Letzteren einen Jux zu bereiten, vorübergehenden Leuten, insbesondere Damen den Unrath ins Gesicht oder auf die Kleider zu fegen." ("Neue Freie Presse", 24. Februar 1890).

So konnte es also nicht weiter gehen, alternative Lösungen waren gefordert - und wurden auch prompt, wiederum von einem Journalisten (in der "Reichspost", 13. Mai 1898), vorgeschlagen: "Will man dem Straßenstaub energisch zu Leibe rücken, so muß man es durch die ausgiebigste Straßenwaschung - die bis jetzt geübte Bespritzung genügt absolut nicht - thun. Dazu braucht man Wasser, so viel Wasser, daß man, wie in anderen großen Städten, in den frühen Morgenstunden die Straßen gleichsam überschwemmen kann." Dafür aber fehlte in Wien, das zwar seit 1873 eine Hochquellenwasserleitung hatte, eine leistungsfähige Nutzwasserleitung.

Um dem steten Thema Staub effizient begegnen zu können, wurde 1905 sogar eine "Österreichische Gesellschaft zur Bekämpfung der Rauch- und Staubplage" gegründet, die von der Stadt Wien gefördert wurde. Sie schien jedoch wenig effizient gewesen zu sein, denn 1917 strich der Wiener Gemeinderat die Subventionen, "weil der Verein bisher immer nur alljährlich eine Broschüre von vier bis sechs Seiten heraus gegeben hat. . ." ("Reichspost", 10. Jänner 1917)

Staubtrockener Humor#

Da offenbar alle Bemühungen nichts nutzten, den Staub nachhaltig zu entfernen, arrangierte man sich in gewisser Weise mit ihm. Den Beweis lieferten zahlreiche Satiren, wie etwa ein Vers aus der Zeitschrift "Der Floh" (29. September 1889): "Ist der Wiener Duft auch peinlich/ Und die Wiener Luft nicht reinlich,/ Bläst der Staub uns in’s Gesicht;/ Malträtirt uns Herr und Diener -/ Einen ordentlichen Wiener,/ Den genirt so etwas nicht!"

Natürlich durfte auch auf Faschingsumzügen der Wiener Staub nicht fehlen, wie etwa anlässlich des Narrentreibens, das der Wiener Männergesangsverein im Jahr 1863 abhielt, wo der Wiener Staub "durch eine Figur in bläulich-grauer Tunika und rothen Tricots; auf dem grauen Haupte eine Krone aus demolirten Basteimauern, in der rechten Hand einen riesigen Abstauber, unter dem linken Arm ein Fascikel mit dem Bescheid: Ad acta tilgend" vertreten war ("Fremden-Blatt" 3, Februar 1863).

Eine positive Seite hatte der Staub auch als Therapie für ein "gemüthsleidendes Kameel", das offenbar an Heimweh litt - und dem kein Tierarzt helfen konnte. Als es eines Nachmittags von einem Wärter in den Stadtpark geführt wurde, geschah förmlich ein Wunder: ". . . von diesem Augenblicke an ward es gesund, denn mehr Staub, als im Wiener Stadtpark, kann selbst ein Kameel nicht von der Wüste Sahara verlangen!" ("Kikeriki", 15. April 1894).

Heute hat sich vieles gebessert, der alte - man ist fast versucht zu sagen - "klassische" Wiener Staub von einst, die hausgemachte Mischung aus Pflasterabrieb, Staub der trockenen Straßen und Pferdemist, ist in der Form kein Thema mehr. Wiens öffentlicher Raum ist nahezu vollständig versiegelt, die zuständige Magistratsabteilung (MA 48) mit modernsten Maschinen ausgerüstet und deren Mitarbeiter dank flotter Sprüche hoch motiviert: "We kehr for you!"

Thomas Hofmann, geboren 1964, ist Leiter von Bibliothek, Verlag und Archiv der Geologischen Bundesanstalt in Wien. Zahlreiche Veröffentlichungen (geologische und regionale Themen).

Wiener Zeitung, Fr./Sa./So., 14./15./16. August 2015