Rettung des Schützenhofes #
Von
Hasso Hohmann (Juni 2019)
1976 war ich noch Hochschulassistent an der heutigen Technischen Universität. Schon damals fuhr ich gewöhnlich mit dem Fahrrad von zu Hause in Graz-Waltendorf ins Institut an der Technischen Universität und auch wieder zurück. Zwischen TU und Waltendorfer-Hauptstraße boten sich mehrere Fahrtrouten an. Als ich am Freitag, den 17. September 1976 zu Mittag nach Hause wollte, wählte ich eine eher selten von mir gefahren Route durch die Naglergasse und kam so auch am Schützenhof an der Ecke zur Schützenhofgasse vorüber.
Dieser Bau war mir schon früher aufgefallen, weil er in einem sonst weitgehend homogen drei- bis viergeschossig verbauten Gebiet mit Blockrandverbauung aus der Zeit des Historismus mit ziegelgedeckten Satteldächern steht, selbst aber nur zwei Geschosse mit Walmdach aufweist und einige Besonderheiten wie einen Rücksprung von der Straßenflucht beim Eingang und zwei kleine Spitzbogenfenster bei einem Treppenvorbau zeigt. Diesmal fiel mir auf, dass fast alle Scheiben des mehrfach abgewinkelten Baues ohne Vorhänge waren und auch offensichtlich schon lange nicht mehr gereinigt wurden.
Das sah sehr nach baldigem Abbruch aus. Daher stoppte ich, fand die Eingangstür unversperrt und ging ins Gebäude. Auf dem hofseitigen Laubengang im Obergeschoss traf ich auf eine alte Dame, die ich fragte, wie das Bauwerk in diesen Zustand kommen konnte. Sie sagte mir, sie sei schon 84 Jahre alt und habe ihr gesamtes Leben in diesem Gebäudekomplex verbracht. Sie müsse aber nun ausziehen, da er abgebrochen werde. Sie müsse am Montag in der Früh nach diesem Wochenende beim Betreiber noch eine Unterschrift leisten und bekäme dann eine Ersatzwohnung in einem Neubau des Betreibers. Das gleiche gelte für den zweiten Bewohner Herrn Mondschein, der im Erdgeschoss noch eine Wohnung mit einem unbefristeten Mietvertrag habe. Ich fragte sie, ob so denn überhaupt ausziehen und in die Neubauwohnung umziehen wolle, was sie verneinte. Gleiches gelte auch für den zweiten Nochbewohner.
Alle anderen Bewohner des Komplexes seien schon ausgesiedelt worden. Viele hätten auch um ihre Sicherheit bereits gebangt. Es habe schon zwei ungeklärte Wasserrohrbrüche durch Sabotage gegeben, die durch Aufsägen von Leitungen entstanden und auch eine Brandlegung, bei der die gerufene Feuerwehr erst die versperrte Tür habe aufbrechen müssen, um den Brand löschen zu können. Ich riet ihr dennoch, am nächsten Montag nicht zu unterschreiben, und dies auch Herrn Mondschein zu empfehlen. Niemand könne sie zu so etwas zwingen. Dann versprach ich ihr, dass ich versuchen werde, mehr über den Bau herauszufinden und möglichst noch jemanden bei der “Kleinen Zeitung“ zu motivieren, der noch für die Wochenendausgabe etwas über den Bau schreibt. Ich konnte ihr natürlich nichts versprechen. Als ich von ihr hörte, dass an Stelle des Schützenhofes nun ein 12 Geschosse hohes Monster unweit der Herz-Jesu-Kirche entstehen sollte, war ich noch motivierter. Ich machte mir eine generelle Skizze vom Objekt.
Danach fuhr ich nicht nach Hause, sondern drehte um und steuerte als erstes das Grazer Stadtmuseum an, wo ich gerade noch Direktor Steinböck antraf, der mich ins Archiv ließ, wo ich eine Lithographie des Schützenhofes aus der Zeit um 1830 und einige ältere Fotos und auch einen Grundriss des Erdgeschosses fand, die ich kopierte. Danach fuhr ich nochmals ins Institut um meine Skizze zu einer Art Baualtersplan zu Papier zu bringen, wofür ich nicht sehr lange brauchte.
Mit all diesen Unterlagen fuhr ich dann mit bereits stark knurrendem Magen zur Redaktion der Kleinen Zeritung und suchte Max Mayr, der schon mein 1975 veröffentlichtes Buch über Ziegelgitter rezensiert und beworben hatte. Er war da, wusste schon länger von den Abbruchabsichten des neuen Eigentümers und hatte sogar ein Modellfoto des inzwischen auf 11 Geschosse reduzierten und bereits baubewilligten Projektes. Einziger Hinderungsgrund für den Baubeginn waren noch die letzten Bewohner im Schützenhof mit unbefristeten Mietverträgen.
Als Chef vom Dienst der Zeitung schlug er mir angesichts der Eile vor, dass wir gleich gemeinsam einen Artikel über das Bauwerk für die folgende Sonntagsausgabe formulieren. Der sollte dann gerade noch rechtzeitig vor den geplanten Unterschriften und dem dann folgenden Abbruch erscheinen. Der ganzseitige Zeitungsartikel erzielte den gewünschten Effekt. Am Montag nach dem Artikel und nach der Weigerung der letzten zwei Mieter, die vorbereiteten Verträge zu unterschreiben, rief mich der neue Eigentümer Alfred Marek erbost an und fragte mich nach meiner Namensnennung grußlos: “Welcher Mafia gehören Sie eigentlich an?“ Der Neubau konnte nun nicht mehr errichtet werden. Statt dessen durfte hier nun nur noch eine bestehende Baulücke zwischen Schützenhof und der historistischen Bebauung in der Naglergasse mit einem viergeschossigen Bauwerk geschlossen werden.
Die Sanierung des Altbaus wurde leider nicht wirklich optimal durchgeführt. Dennoch waren die letzten Bewohner im Schützenhof und auch alle in der gesamten Gegend wohnenden Nachbarn froh, dass das Monster nicht errichtet werden konnte. Der Zufall hatte gewollt, dass ich zum richtigen Zeitpunkt zum Schützenhof kam und entsprechend auf die Situation reagieren konnte.