Die Zeugnisse eines geistigen Zentrums#
Prunkstall im Unteren Belvedere: Passionsreliefs vom Wiener Stephansdom#
Mit freundlicher Genehmigung von der Wiener Zeitung (Dienstag, 29. Dezember 2009)
Von
Brigitte Borchhardt-Birbaumer
In der Barockzeit schon von einem Fenster durchbrochen, beschädigten auch die Bomben des Zweiten Weltkrieges Zyklus-Teile. Danach demontierte man die sechs verbliebenen Reliefs von ehedem elf und transferierte sie in den Innenraum als Altarinstallation für im Krieg gefallene Soldaten.
Buntheit in Pastelltönen#
Eine kürzlich vorgenommene Restaurierung musste 650 Stunden pro Relief investieren – und das obwohl schon 1581 namhafte Bürger und ihr Bürgermeister eine farbige Fassung zum Schutz der Reliefs veranlassten. Nun ist deren starke Buntheit zumindest in Pastelltönen wieder sichtbar, manches Detail an den Figuren musste ergänzt werden. Vor einer Neuaufstellung der Reliefs – möglicherweise als Art Kreuzwegstationen voneinander getrennt – sind die Passionsszenen in der mit dem Denkmalamt und der Dombauhütte seit 1992 laufenden Ausstellungsreihe "Gefährdet – konserviert – präsentiert" Gäste im Prunkstall des Unteren Belvedere, der Schausammlung für mittelalterliche Kunst.
Eigentlich ein Osterthema, doch die 1515/20 datierten Werke locken viel Publikum an, denn sie können hier aus nächster Nähe betrachtet werden.
An die Außenwand des Doms werden sie nie mehr zurückkehren. Zu sehr nagt der Säurefraß der Umweltverschmutzung am Sandstein – wie an der Kirchenarchitektur selbst.
Die sechs Szenen mit Christus vor Kaiphas und Pilatus, der Geißelung, der Dornenkrönung, des Ecce Homo und der Kreuztragung sind durch Pilaster in zwei schmale Scheinräume gegliedert, in denen sechs bis neun Personen Platz finden. Ihre dramatischen Posen und ein teils drastischer Gesichtsausdruck sind typisch für den Realismus am Beginn der Renaissance nördlich der Alpen und die Werkstatt des bekannten Wiener Steinmetz Michael Tichter. Er stellte auch das berühmte Marmorgrab Friedrichs III. im Innenraum auf. Mit dem Einsatz von teurem Zinnoberrot, Azuritblau und Malachitgrün neben Goldfolie, hat Tichter nichts zu tun – dieser starke Akzent kam erst 1581 dazu. Ein Stück Stadtgeschichte begleitet diese Werke.