Stadt der träumenden Turmspitzen #
Mit seiner Elite-Universität ist Oxford ein Paradies des Wissens, das jährlich Tausende von Studierenden und Abertausende von Touristen in seinen Bann zieht. Eindrücke vom historischen Glanz und vom akademischen Alltag rund um die englische Hochschule. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (22. November 2018)
Von
Martin Poltrum
Uni-Leben. Studierende in Oxford brauchen ausgezeichnete Noten und das nötige Kleingeld. Der Speisesaal an der Uni erinnert mitunter an Harry- Potter-Filme (Mitte). Nach den strengen Prüfungen feiern die Studierenden mit expressiven Ritualen.
Oxford ist im historischen Zentrum von teils an die 500 Jahre alten Universitätsgebäuden umgeben, die einen einzigartigen, erhabenen Flair aus einer anderen Zeit verströmen. Die Philosophen Wilhelm von Ockham, Thomas Hobbes und John Lock; die Schriftsteller Oscar Wild, John R. R. Tolkien und Lewis Carrol; die Naturwissenschaftler Albert Einstein, Stephen Hawkings und Richard Dawkins; 27 britische Premierminister; an die 70 Nobelpreisträger sowie Thomas Morus, Bill Clinton und Indira Gandhi haben allesamt gemeinsam, dass sie hier studiert oder gelehrt haben.
Spirituelle Atmosphäre#
Laut „Times Higher Education World University Ranking“, das jährlich die 1000 besten Hochschulen vergleicht, ist die Universität Oxford weltweit die Nummer eins. Seine 23.000 Studierenden stammen aus 138 verschiedenen Nationen; mehr als ein Drittel kommt aus dem Ausland. Die Universität Oxford ist eine der renommiertesten und ältesten Universitäten der Welt, deren Geschichte bis in das 12. Jahrhundert zurückreicht. Zudem gibt es in der 90 Kilometer nordwestlich von London gelegenen Stadt noch die Oxford Brooks Universität, die sich Anfang der 1990er-Jahre etablierte und ebenfalls spannende Studienmöglichkeiten bietet -- auch wenn sie mit der Nummer-eins-Universität nicht mithalten kann.
Wer in Oxford studieren möchte, braucht nicht nur ausgezeichnete Noten und gute Englischkenntnisse, sondern auch das nötige Kleingeld. Die Studiengebühren in England betragen jährlich circa 9000 Pfund, egal, ob man in Oxford, Cambridge oder Kent studieren möchte. Im Fall einer Aufnahme an die Eliteuniversität Oxford kommen noch die Kosten dazu, die an eines der 38 Colleges zu entrichten sind, in dem man wohnt, in dessen „Hall“ (die mitunter so aussieht wie der Speisesaal bei Harry Potter) man isst, in dem man sein Sozialleben verbringt und einmal wöchentlich in einem Eins-zu-eins-Tutorium Spezialunterricht bekommt. Neben der „Hall“ hat fast jedes College auch eine Kapelle, die nicht nur daran erinnert, dass sich die Universitäten aus den mittelalterlichen Kloster- und Domschulen entwickelten, sondern lebendiger Teil der anglikanischen Kirche sind. Wer religiös ist, kann seinen Studientag mit dem Morgengebet beginnen und mit dem Abendlied abrunden, die mehrmals die Woche stattfinden und öffentlich zugänglich sind. Viele College-Chöre, die dort eine zauberhaft-spirituelle Atmosphäre erzeugen, haben internationales Spitzenniveau.
An der weltweiten Nummereins- Universität zu studieren, heißt freilich auch, dass man nur ein halbes Jahr, genau genommen drei mal acht Wochen, in seinem College lebt, da hier noch zweimonatige Trimester das Studienjahr strukturieren. Dass diese Zeit intensiv genutzt werden kann und möglicherweise Askese abverlangt, zeigt nichts deutlicher als die jährlichen Examensrituale, welche die expressiv-dionysische Entladung nach der absolvierten Disziplinierungsphase dokumentieren. Wer sich Anfang Juni in Oxford befindet, wird nicht wenigen Studierenden begegnen, die nach streng akademischen Vorschriften gekleidet, die High Street entlang in die zentrale Prüfungseinrichtung der Uni pilgern und, von oben bis unten mit Farbe, Schaum und Konfetti bespritzt und mit Alkohol beladen, durch die Stadt ziehen. „Trashing“ nennt sich dieses seltsame und kontrovers diskutierte Ritual, bei dem Kommilitonen die Absolventen nach getaner Arbeit besprühen.
An jeder Ecke Geschichten ... #
Möglicherweise gibt es aber auch während der Trimester Zeit für rauschhafte Freuden, wie Anekdoten suggerieren. So soll beispielsweise der 23. australische Premierminister Bob Hawke, der in Oxford studierte, einen Trinkrekord aufgestellt haben, in dem er ein „Yard of Ale“, eine Art britische Humpen-Variante, in elf Sekunden getrunken haben soll, und Bill Clinton wird nachgesagt, dass er in einem versteckten Pub im Zentrum von Oxford an einem Joint gezogen hat – aus Gruppenzwang und natürlich nicht inhalierend, wie sich später herausstellte.
Wer in Oxford im Stadtzentrum von der Cornmarket Street kommend in Richtung Broad Street abbiegt, kann an jeder Ecke Geschichten erleben. Vor dem Balliol College, einem der ältesten der Stadt, in dem der Nationalökonom Adam Smith, der Schriftsteller Aldous Huxley und der Hitler-Attentäter Adam von Trott studierten, findet sich ein Kreuz im alten Pflaster der Straße. Es erinnert an die Verbrennung von drei Bischöfen und zeigt, dass es Mitte des 16. Jahrhunderts entscheidend war, welchem Glauben man angehörte.
Am Ende der Broad Street befindet sich das von Christopher Wren im 17. Jahrhundert erbaute „Sheldonian Theatre“, das seine Entstehung einem anderen Konflikt verdankt: Damals gab es kein Gebäude für die universitären Zeremonien und die feierliche Verleihung von akademischen Würden. So musste auf die städtischen Lokale ausgewichen werden, in denen es aufgrund des chronisch schwelenden Konfliktes zwischen universitärer Zunft („Gown“) und einfacher Stadtbevölkerung („Town“) nicht selten zu Raufereien und Messerstechereien kam. Um diese „Town-and-Gown“-Eskalationen zu stoppen, wurde das Sheldonian- Theater gebaut, in dem heute noch Graduierungsfeiern stattfinden.
Gleich daneben befindet sich das Clarendon-Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, in dem ursprünglich die „Oxford University Press“ beheimatet war. Heute ist der größte und zweitälteste Universitätsverlag der Welt im schicken Stadtteil Jericho angesiedelt. Der Verlag bringt jährlich mehrere tausend Bücher heraus, beschäftigt weltweit mehr als 6000 Mitarbeiter und ist durch seine Einnahmen in Millionenhöhe, die aufgrund von Sonderregelungen nicht voll versteuert werden müssen, eine wichtige Finanzquelle der Universität. Ein anderes Herzstück der Stadt ist die Bodleian-Bibliothek, mit der heute noch als Lesesaal genutzten Duke-Humfrey’s- Bibliothek aus dem Jahr 1480 und der darunter gelegenen „Divinity School“ – einem göttlichen Vorlesungssaal für Theologie.
Mekka der Philosophie #
Als „Stadt der träumenden Turmspitzen“ hat der englische Dichter Matthew Arnold (1822– 1888) Oxford einmal bezeichnet. Wer an diesem Ort studiert, hat heute eine großartige Recherche- Infrastruktur zur Verfügung und Zugang zu den teils über 1000 Seiten dicken Oxford-University- Press-Handbüchern, die – egal um welches Erkenntnisinteresse es geht – die aktuellen Diskurse zum jeweiligen Wissensgegenstand nahezu allumfassend abbilden. Insbesondere für Forscher im interdisziplinären Feld der Philosophie und Psychiatrie scheint Oxford das Mekka schlechthin zu sein. Da gibt es etwa das „Zentrum für wertebasierte Praxis im Gesundheits- und Sozialwesen“ am St. Catherine’s College, dem es darum geht, sich vor allem im Bereich der Psychiatrie der philosophischen Wurzeln zu besinnen. Damit pflegt und leistet man sich hier auch Diskurse und Forschungsfelder, die bei uns bislang nur Raritäten-Status haben.
Der Autor ist Philosoph, Psychotherapeut und Professor an der Sigmund Freud-Privatuni Wien. Er war 2018 auf halbjährigem Forschungsaufenthalt in Oxford