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Über den Sinngehalt der Bruchzeichen #

Ein zentrales jagdliches Brauchtum sind die Bruchzeichen, die auch bei Nichtjagenden öfters ein gewisses Interesse erwecken. Doch wie verhält es sich mit den Brauchtumsbrüchen aus kulturgeschichtlicher Sicht? Was können wir über ihre Ursprünge wirklich sagen, welche Bedeutung können sie für uns heute noch besitzen? #

Eine Spurensuche unseres Kulturhistorikers Dr. Harald Vetter #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Der Anblick 4/2018


Bruchzeichen, Foto: R. BERNHARDT
Bruchzeichen
Foto: R. BERNHARDT

Mich hat das Brauchtum rund um die Brüche schon seit meiner Kindheit fasziniert, vor allem aber die souveräne Selbstverständlichkeit, mit der z. B. der Beutebruch überreicht oder der letzte Bissen in den Äser gezogen wurde. Es ist wohl gerade an dieser Stelle nicht notwendig, die diversen Mitteilungsbrüche näher zu beschreiben, das sollte bei der Jagdausübung letztlich ganz selbstverständlich sein. Nur dass diese in Zeiten moderner Kommunikationsmittel langsam abgekommen sind, ist eben auch Realität. Ein jeder Lehrprinz vermittelt die Bruchzeichen mit Eifer weiter, denn Traditionen sind gerade fürs Weidwerk nicht von ungefähr wichtig. Sinnhaft jedoch sind Traditionen nur, wenn ihr Innerstes bedacht wird. Lediglich leere Rituale aber werden irgendwann einmal abkommen. Die brauchtumsmäßige, „gerechte“ Jägerausbildung erfolgte spätestens ab der Renaissance bzw. dem Frühbarock im deutschen Kulturraum in den herrschaftlichen Jagdhöfen, wovon das heute noch gut erhaltene hessische Jagdschloss Kranichstein bei Darmstadt ein prachtvolles Zeugnis ablegt. Und natürlich wird die Bedeutung der Bruchzeichen auch in den verschiedenen „Jagd-Practica“ besonders der Barockzeit und später mehr oder weniger ausführlich beschrieben. Einer der bekanntesten Verfasser solcher Werke war der preußische Oberlandforstmeister Georg Ludwig Hartig (1764–1837) mit seinem „Lexikon für Jäger und Jagdfreunde oder waidmännische(n) Conversations- Lexikon“ bzw. dem „Lehrbuch für Jäger“. Doch schon seit dem 13. Jahrhundert gab es vor allem im französischen Sprachraum lehrbuchartige Handschriften über das Weidwerk. Sicher scheint immerhin, dass das Brauchtum um den Bruch aus der höfischen Gesittung des Hochmittelalters entsprungen ist. So war es bei den später immer beliebter werdenden Hirschhatzen üblich, dem Landesherrn den Todesstoß mit der blanken Waffe zu überlassen. Als Trophäe bekam dieser dann vom knienden Jagdleiter oder Forstmeister den rechten Vorderlauf des Stücks überreicht. Wie man daran sieht, ähnelt diese streng inszenierte Zeremonie ebenso der Übergabe des Beutebruchs auf dem Weidblatt oder Hirschfänger. Als „weidgerechte“ Brucharten gelten traditionsgemäß Tanne, Fichte, Föhre, Latsche, Eiche oder Erle, nötigenfalls auch Almrausch und Preiselbeere. Wie schon der Namen sagt, sollen diese runen- bzw. kreuzförmigen Zweiglein abgebrochen und nicht abgeschnitten werden. Von großer Symbolik daran ist insbesondere das „Immergrüne“, das das ewige Leben versinnbildlicht. Man erinnere sich hier nur an den antiken sprichwörtlichen Lorbeerkranz. Ebenso gewinnt das Benetzen des Bruchs mit dem Schweiß der Beute viel Sinnbildliches, wenn man an die religiöse Bedeutung von Blut und Wein denkt. Das Wort Bruch (ahd. bruh) meint etwas zerbrechen, und zwar unwiderruflich. So ist auch der alte Rechtsbrauch zu verstehen, wenn über einen zum Tode Verurteilten „der Stab gebrochen wird“.

Doch beim Schützen- bzw. Beutebruch, dem Letzten Bissen und der kurzen knieenden oder hockenden „Totenwacht“ samt Hutabnahme (bei Gesellschaftsjagden das Verblasen der Strecke) geht es wohl um etwas ganz anderes. Diese Brüche und das Verhalten beim erlegten Stück unterscheiden sich z. B. von den Standesbrüchen, die bei Veranstaltungen, Messen oder Begräbnissen bekanntlich an der linken Hutseite getragen werden, einigermaßen deutlich. Die Symbolkraft des sich selbst angeeigneten oder übergebenen Beutebruchs ist eine außerordentliche! Denn können der Letzte Bissen und die besagte Totenwacht durchaus noch als „Versöhnungsakt“ mit dem erlegten Tier durchgehen, dessen „dämonischer Geist“ ansonsten über den Erleger käme, so könnte der Beutebruch, wie eine Art stellvertretende Trophäe etwa vom Jagdherrn überreicht, voller magischer Energie sein. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ging es unseren Altvorderen um die Aneignung der vitalen Kraft, die eben noch im Wild gesteckt hat. Dieser „Sympathieglaube“ war übrigens bei verschiedenen indigenen Volksstämmen verbreitet. So fand in Peru das „Aschetrinken“ statt, in Papua-Neuguinea verspeiste man mitunter die Gehirne Verstorbener. Insgesamt kann man hier sicher von „Elementargedanken“ sprechen, wie das der deutsche Völkerkundler Adolf Bastian (1826–1905) postuliert hat. Der genialische Schweizer Ethnologe und Arzt Eduard Renner (1891–1952) hat in seinem höchst originellen Werk über die Bergler im Kanton Uri, „Goldener Ring über Uri“, zur magischen Austauschung zwischen Tier und Jäger bemerkt: „Die Tiere benehmen sich wie Menschen, die Tiere können Menschen sein, kurz, es lebt in jenen Helgen (Anm. des Autors: Damit sind die einschlägigen Öldrucke in den Bauernstuben gemeint) die Vorstellung von der magischen Wandelbarkeit der Formen und vom Wandeln.“ Magie und Mythos sind also die treuen Begleiter und Wiedergänger des Weidwerks!

Unzweifelhaft haben Inbesitznahme- und Standesbruch als auch der Letzte Bissen nach wie vor beträchtliche Symbolkraft und sind daher auch aus der gegenwärtigen Jagdkultur nicht wegzudenken. Dass auch diese im Laufe der Zeit einen gewissen Bedeutungswandel – von der „Jagdgerechtigkeit“ hin zur „Jagdethik“ – durchgemacht haben, scheint evident zu sein. Was deren Herkunft und Motive betrifft, so muss vieles im Dunkeln bleiben, was aber dieses zentrale Brauchtum – neben der vielfältigen Jägersprache – eben doch gerade auch so spannend macht. Die starke Symbolik, mit der das Weidwerk solcherart „aufgeladen“ wird, hebt das Weidwerk über den Alltag der reinen Wildstandsregulierung hinaus.

In diesem Zusammenhang ist vielleicht eine aktuelle soziologische Studie des Marktforsches Werner Beutelmeyer recht interessant, in welcher diverse Daten über die Jagdausübung in Österreich aufgeschlüsselt werden (siehe DER ANBLICK, Sept. 2017). Tendenziell schätzt der sogenannte Einladungsjäger u. a. nämlich besonders das Brauchtum um die Bruchzeichen, was schließlich ja nur naheliegend ist. Alles in allem: Die innere Notwendigkeit von festen Ritualen und Brauchtümern wird wohl kaum jemand in Zukunft infrage stellen wollen, wenn sie denn begründbar sind und – jenseits von diversen folkloristischen Bestrebungen – überzeugt und ernsthaft gelebt werden.

Bruchzeichen, Foto: R. BERNHARDT
Bruchzeichen
Foto: R. BERNHARDT
Bruchzeichen, Foto: R. BERNHARDT
Bruchzeichen
Foto: R. BERNHARDT
Bruchzeichen, Foto: R. BERNHARDT
Bruchzeichen
Foto: R. BERNHARDT
Der Anblick 4/2018


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