Die Bibel als Prozession#
Die Karfreitagsprozession von Zebbug auf der Insel Malta#
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Foto: G. Jontes, unter CC BY 4.0
Die 80 km südwestlich von Sizilien liegende maltesische Inselgruppe Malta bildet den nach dem Vatikanstaat, Monaco und Liechtenstein viertkleinsten Zwergstaat von Europa. Seine drei Inseln Malta, Gozo/Ghawdex und Comino/Kemmuna werden von 430.000 Menschen bewohnt, was eine unerhört hohe Dichte von 1346 pro km² ergibt. Die Geschichte Maltas, dessen Einwohner zu 98% katholisch sind, ist seit der Antike eine der buntesten im Mittelmeerraum. Zudem war sie als Sitz des aus dem Heiligen Land vertriebenen internationalen Malteser-Ritterordens ein Bollwerk gegen den expansionslüsternen Islam und dessen Kriegsflotten. Und sie konnte sich auch im Zweiten Weltkrieg, als sie englische Kolonie war, als im Meeresgrund verankerter „Flugzeugträger“ der Angriffe der italienischen und deutschen Luftwaffen erwehren . Von hier aus wurden auch zahlreiche britische Bombenangriffe auf Österreich geflogen.
Die Malteser sprechen keine indogermanische Sprache, sondern einen altertümlichen nordafrikanisch-arabischen Dialekt, also eine semitische Sprache. Der römisch-katholische Glaube hat Malta zu einem Residuum von Frömmigkeit, Brauchtum, Kunst und religiösen Traditionen gemacht, wie man sie auf dem Festland nur mehr selten trifft. Dazu gehören vor allem Spielbräuche wie unglaublich prunkvolle und unzählige Mitwirkende umfassende Karwochenprozessionen, aber auch eine einzigartige Kultur der Weihnachtskrippe. Auf Malta gibt es angeblich 365 Kirchen, also für jeden Tag im Jahr eine, was nicht heißt, dass es wirklich so viele sind. Aber sehr, sehr viele sind es auf jeden Fall und an die 50 Pfarren tragen mit ihren Angehörigen das aufwendige Organisieren, Gestalten, die vielfältigen Kostüme und Requisiten. Trotz seiner geringen Größe hat Malta zwei Bistümer, eines für die Hauptinsel und eines für Gozo. Noch heute sind die Paläste und Kirchen des Malteserordens mit ihren Schätzen an Bildern, Skulpturen und Pietra dura-Arbeiten Teile des Weltkulturerbes dieses Staates.
Die Karwoche (maltesisch gimgha l’kbira „die große Woche“) hat ihren Höhepunkt am Karfreitag, dem Tag der Leiden und des Todes Christi. Nur in Malta, in Süditalien und im spanischen Andalusien haben sich Prozessionen, die diese Passion theatralisch darstellen, erhalten. Bei uns wurden solche Spielprozessionen, die auch mit den Passionsspielen zusammenhängen, bereits im 18. Jahrhundert im Zeitalter der Aufklärung untersagt. Auf Malta gibt es sie noch, wobei die von Mosta, Birgu , Qormi und Zebbug besonders hervorstechen. Wir folgen hier der Karfreitagsprozession von Zebbug, einem Ort mit etwa 11.000 Einwohnern, bei welchem man den Eindruck gewinnt, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung hier unmittelbar einbringt und das biblische Geschehen vom Alten Testament an bis zu Leiden und Tod Christi voller Ernst und Würde mit“spielt“. Tausende Zuschauer verfolgen das Stunden dauernde Spektakel.
Das Bild der Prozession wird bestimmt durch Personengruppen, Einzelgestalten mit ihren Attributen, zahlreichen durch große von zehn starken Männern geschleppten Tragebühnen mit den lebensgroßen Figuren der Passion Christi. Immer wieder gliedern als römische Legionäre kostümierte Männer den Zug. Kinder tragen erklärende Spruchbänder in maltesischer Sprache mit, prunkvolle Standarten weisen lateinische Texte auf.
Die Prozession beginnt mit von einer lokalen Musikbanda gespielten Trauermärschen. Und dann machen Ratschen auf den Kirchtürmen unentwegt bis zum Ende der Prozession einen Ohren durchdringenden Lärm, denn die Glocken schweigen ja. Das Portal der Kirche öffnet sich dann und aus ihm quellen nun stundenlang Gruppe für Gruppe der Prozession. Es ist überwältigend.

