Imagepolitur im Zwergerlgarten #
San Marino hat das jüngste Staatsoberhaupt der Welt. Dieses will mit seinem Mitregenten die älteste Republik der Welt aus der Geldwäsche-Schmuddelecke führen. #
Mit freundlicher Genehmigung aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (2. August 2018)
Von
Wolfgang Machreich
Der von Größenwahn getriebene Napoleon war genauso ein Fan von San Marino wie der Small-is-beautiful- Philosoph Leopold Kohr. Und Abraham Lincoln antwortete auf ein Gratulationsschreiben aus San Marino zu seiner Wahl zum amerikanischen Präsidenten mit einer Lobeshymne auf den winzigen Adriastaat: „Große und gute Freunde, obgleich Ihr Staatsgebiet klein ist: Ihr Staat ist einer der meist geehrten der Geschichte.“ Grund für Lincolns Begeisterung war, dass San Marino über Jahrhunderte bewiesen habe, „dass eine auf republikanischen Prinzipien gegründete Regierung so gestaltet werden kann, dass sie sicher und von Dauer ist“. 1861, als Lincoln seinen Brief nach San Marino schickte, war der Klub der Republiken sehr überschaubar. Der Siegeszug dieser Staatsform hatte noch nicht einmal richtig angefangen. Nichts geändert hat sich jedoch bei den Empfängern der Post aus den USA. Die waren damals die beiden Capitani Reggenti, die sind es heute, wird ein Brief an die Staatsspitze der offiziell im Jahr 301 gegründeten Republik geschickt.
Jüngstes Haupt des Staates #
Seit 1. April heißen die beiden Kapitänregenten Stefano Palmieri und Matteo Ciacci. Zweiterer ist 28 Jahre alt und damit das jüngste Staatsoberhaupt der Welt. Aber nur für ein halbes Jahr, denn die Amtszeit des Capitano Reggente-Duos ist auf sechs Monate beschränkt. Im Herbst werden zwei neue Capitani Reggenti aus den 60 Abgeordneten des Parlaments gewählt. Den vorigen Capitano- Turnus hatten zwei Frauen inne. Notwendig für die Wahl zum Staatsoberhaupt von neun Gemeinden mit 33.000 Einwohnern sind die san-marinesische Staatsangehörigkeit seit Geburt und ein Mindestalter von 25 Jahren. Eine Wiederwahl ist frühestens nach drei Jahren möglich.
„San Marino wird regiert wie das alte Rom“, erklärt eine Fremdenführerin, vor dem Regierungspalast ihrer Reisegruppe: „Es werden immer zwei gewählt, wie bei den römischen Konsuln, damit einer den anderen kontrollieren kann. Und nach einem halben Jahr, damit sie sich nicht an die Macht gewöhnen, sind sie schon wieder weg.“ Im Obergeschoß des Regierungspalasts mit Blick weit über ihre Staatsgrenzen hinaus empfangen die beiden Capitani Reggenti die FURCHE zum Interview. Im Zivilberuf ist Jurist Ciacci verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit seiner Partei, der Bürgerliste „Civico 10“. Palmieri, der zum zweiten Mal den Kapitänsregenten gibt, ist Mitglied der liberalen Partei „Alleanza Popolare“ und arbeitet in leitender Funktion für die Sparkasse von San Marino. Im FURCHE-Gespräch betonen beide, dass sie aus unterschiedlichen Parteien kommen, während ihrer Regentschaft aber parteilos und wie „Zwillinge mit einer einzigen Stimme“ sprechen und den Regierungsvorsitz unter das Motto stellen: „San Marino zuerst!“
Beide legen Wert darauf, „Bürger der ältesten Republik der Welt zu sein“ und sind „so wie jeder Bürger, jede Bürgerin von San Marino sehr stolz auf die Prinzipien der Freiheit und Demokratie, die in dieser Republik verankert sind.“ Auf die Frage, welchen Sinn Zwergstaaten in der internationalen Staatengemeinschaft haben, antwortet Capitano Palmieri: „Ich bin überzeugt davon, dass kleine Länder auf globaler Ebene eine fundamentale Rolle spielen. Die UNESCO hat San Marino vor fast zehn Jahren in die Welterbeliste aufgenommen. Und das nicht nur wegen seiner architektonischen Schönheiten, sondern auch wegen seiner einzigartigen politischen Verfasstheit und Institutionen. Außerdem hat die Republik San Marino, genauso wie größere Länder, eine Stimme in den Vereinten Nationen. Das ist die Besonderheit der kleinen Länder: Auf internationaler Ebene sind sie in einigen Fällen den großen Ländern gleichgestellt.“
Buhlen um die Kleinen #
Diese Gleichstellung ist großteils pro forma, wobei jedoch die Stimmen der Kleinstaaten in der UN-Generalversammlung und den anderen Organen der Vereinten Nationen eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Suche nach Mehrheiten spielen können. Das Buhlen um ihre Stimme lässt sich von Klein- und Kleinststaaten immer wieder in ein einträgliches „do ut des“ ummünzen. Die UNO hat aus diesem Grund bereits die Möglichkeit untersucht, Zwergstaaten den Status eines Assoziierten Mitglieds oder einer Art B-Mitgliedschaft mit geringerem Gewicht zu verleihen. Gemeinsame Mitgliedschaften mehrerer Staaten wurden ebenfalls diskutiert. Ohne Ergebnis, der Widerstand war zu groß, die Schutzmächte der Zwergstaaten, mit Blick auf künftige Abstimmungen, zu mächtig.
Nichtsdestotrotz sieht Anton Pelinka keinen Sinn in der Existenz der europäischen Zwergstaaten. Nur den Vatikan lässt der Politologe gelten, da dieser „als ‚Heiliger Stuhl‘ eine besondere Funktion hat“. Pelinka: „Aber solange die Existenz der Zwergstaaten als Steuerparadiese (besser: Rückzugsgebiete für Steuerhinterzieher) nicht mehr Empörung und Widerstand provoziert als im Moment, können Monaco, San Marino, Liechtenstein und Andorra als eine Art historische Museen eine touristisch-ethnografische Funktion erfüllen, ohne allzu viel zu stören. Sie alle sind ja bunte Geschichtsbücher – San Marino etwa als quasi vergessenes Gebiet einer vormodernen Republik aus der Zeit vor der Einigung Italiens etc.“
Ein großer Fürsprecher der Klein- bis hin zu den Zwergstaaten war der verstorbene estnische Schriftsteller, Filmemacher, Politiker und Staatspräsident Lennart Meri. „Wenn Europa Europa bleiben will, muss es dafür sorgen, dass es die Vielfalt der europäischen Kulturen – oder anders gesagt: die inneren Unterschiede Europas – fördert und vertieft“, forderte Meri. Und zur Mission der europäischen Kleinstaaten sagte er: „Ein kleiner Staat ist verletzlicher, folglich auch empfindlicher in Bezug auf einen für unseren Kontinent fremden Hegemonismus und schneller bereit, darauf zu reagieren. Es ist die Aufgabe der kleinen Staaten, ein Barometer des europäischen Gleichgewichts zu sein.“
Gerade die EU ist es aber, die den Zwergstaaten im Kampf für Steuergerechtigkeit und gegen Geldwäsche die Transparenz-Daumenschrauben ansetzt. Mittlerweile ist San Marino aus der Schwarzen Liste der Steueroasen gestrichen, findet sich nach einer Aufstellung der EU-Kommission aber noch neben Ländern wie Liechtenstein, Schweiz oder Andorra auf der grauen Liste. Capitano Reggente Palmieri, als Banker mit der Materie vertraut, bekräftigt, dass San Marino diesen Transparenz-Prozess fortsetzen und „sein Möglichstes tun wird, um die relevanten internationalen Normen und Vorschriften einzuhalten“. Derzeit werde ein Abkommen mit der EU verhandelt, damit San Marino Zugang zum Kapitalmarkt und den finanziellen Ressourcen der Europäischen Zentralbank erhalte. Palmieri: „Wir vertrauen darauf, dass die Rahmenvereinbarung zusammen mit den Fürstentümern von Monaco und Andorra bis Ende des Jahres abgeschlossen sein wird.“
Und wie wäre es mit der EU? #
Ist der EU-Beitritt ebenfalls eine Option für San Marino? Kapitänregent Ciacci erklärt, dass sein Land mit der EU über ein Assoziierungsabkommen verhandle, „in dem die vier Grundfreiheiten garantiert sind, aber auch die besonderen Merkmale der Republik San Marino berücksichtigt werden“.
Neben dem Umbau des Wirtschaftsmodells weg vom in die Krise gekommenen Finanzsektor hin in Richtung produktiven Bereich fassen die Kapitäns-Zwillinge das Ziel ihrer kurzen Regentschaft so zusammen: „Wir möchten das Image unserer Republik in der Welt fördern.“ Das sollte mit der illustren Schar an Fans – angefangen von Kohr über Lincoln bis zu Napoleon – gelingen. Getreu dem Motto von Lennart Meri: „Die Kleinstaaten können lästig sein, aber sie tragen das Gleichgewicht Europas. Wenn es keine Kleinstaaten gäbe in Europa, müssten die Großmächte sie erfinden.“