Zwei äthiopische Felsenkirchen#
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Schon in meiner Schulzeit fiel mir ein rot eingetragener Ort mit dem Namen Lalibela in meinem Schulatlas im ostafrikanischen Äthiopien auf. Das Lexikon meiner Eltern gab eine Kurzbeschreibung und ein Foto von einer der einzigartigen Felsenkirchen aus dem 12. und 13. Jh.. Seit damals übten die Kirchen von Lalibela auf mich eine besondere Anziehung aus und sie standen ganz weit oben auf meiner Reisewunschliste.
Die Kirchen sind in der Regel völlig monolithisch und aus dem gewachsenen Felsen nur durch Entnahme von Steinmaterial bildhauerisch herausgemeißelt worden und so auch mit dem Untergrund fest verbunden. In wenigen Fällen sind sie sogar zweigeschossig. Reizvoll finde ich den Gedanken, dass die Kirchen in gewisser Weise immer schon – so wie auch unendlich viele andere denkbare Objekte – in diesem Fels existiert haben. Als sie dann aber im 12. und 13. Jh. von den “Baumeisten“ aus dem Felsmassiv herausgemeißelt, freigelegt und sichtbar gemacht worden waren, gab es auf einmal nur noch diese eine Form.
Als ich mich 1991/92 fünf Wochen lang im Jemen aufhielt, erinnerte ich mich daran, dass sich einst das Reich der sagenhaften Königin von Saba aus zwei großen Teilen zusammensetzte. Der bekanntere Teil lag auf der arabischen Halbinsel; der vielleicht größere Teil des Reiches lag aber westlich des Roten Meeres in Afrika im heutigen Eritrea, in großen Teilen Äthiopiens und in Teilen des Sudan. Noch heute stehen in Äthiopien einige der besterhaltenen sabäischen Tempel. Das war ein weiterer Grund, dieses Land nahe dem Horn von Afrika 2013 aufzusuchen.
Während meiner Studienzeit entdeckte ich in einer Arbeit aus dem frühen 20. Jh. später die Grabstelen von Aksum. Das aksumitische Reich, dessen Hauptstadt Aksum im Norden des heutigen Äthiopien lag, hatte ebenfalls eine Ausdehnung bis weit über das Rote Meer hinweg bis auf die arabische Halbinsel. Mehrere der riesigen Grabstelen von Aksum stellen an ihrer Oberfläche bis ins Detail vielgeschossige Hochhäuser dar. Sie sind quasi monumentale Architekturmodelle antiker Wolkenkratzer. Manche Forscher vermuten, dass die Lehmhochhäuser von Shibam Vorbilder für diese Stelen waren. Das kann aber nur indirekt zutreffen, da die Stelen an ihren Fassaden bis ins Detail Architektur in der traditionellen Bauweise Äthiopiens darstellen. Die Mauern dieser Bauten bestanden sicher nicht aus Lehm, sondern waren aus Bruchsteinen und Holz konstruiert.
Die höchste dieser Stelen ist mit rund 33,5 m Höhe höher als die höchsten und mit einem Gewicht von 520 t auch schwerer als die schwersten ägyptischen Obelisken. Transport und Aufstellung dieser aksumitischen Stelen waren vor fast 2000 Jahren technische Glanzleistungen damaliger Ingenieure. Im Gegensatz zu bisherigen Darstellungen in Publikationen über die Stelen wurde auch Stele 1 weitgehend sicher zuerst aufgestellt und dann erst relieffiert. Das Relief sah zahlreiche Einschnürungen vor, die bei der Aufstellung nur Probleme bereitet hätten, und jede dieser Einschnürung des Profils wäre eine Sollbruchstelle des Monolithen gewesen. Die Hochhausstelen von Aksum entstanden innerhalb der Zeit des aksumithischen Reiches etwa zwischen Christi Geburt und dem 4. Jh. n. Chr., als das Christentum in Äthiopien eingeführt und die mit den Stelen verbundenen Jenseitsvorstellungen aufgegeben wurden.
Neben all dem hat das Land aber viele weitere kulturelle und auch landschaftliche Besonderheiten zu bieten. Trotz meines so früh geweckten Interesses an Äthiopien sollte es bis 2013 dauern, als ich bereits 70 Jahre alt wurde, bis ich ins Land meiner Jugendträume kam. In dieser Kurzgeschichte beschreibe ich den Besuch von zwei Felsenkirchen in einem Bergmassiv im Umraum von Wukro im Norden des Landes. Dort besuchte ich u.a. die Kirchen Debre Maryam von Korkor und die Kirche Abuna Yemata von Ghu. Beide wurden in einer mit Lalibela verwandten Art aus dem Fels gehauen. Im Gegensatz zu Lalibela wurden hier nur die Innenräume, nicht aber die Außenhaut der Sakralbauten freigelegt. Ihre Entstehungszeiten sind nicht gesichert. Die Kirche Debre Maryam von Korkor dürfte aus dem 13. Jh. stammen. Die Malereien in der kleinen Kirche von Abuna Yemata von Ghu werden ins 15. Jh. datiert. Wann ihre Räume aus dem Felsen geschlagen wurden, ist aber wohl nicht gesichert.
Beide Kirchen sind im eigentlichen Sinn keine Bauwerke, da an der Kirche von Korkor kaum etwas und an jener von Ghu nichts gebaut, errichtet wurde, sondern die Sakralräume wie in Lalibela aus dem gewachsenen Felsen herausgemeißelt wurden. Im Norden Äthiopiens finden sich immer wieder auch Profanbauten, bei denen sowohl der Innenraum wie auch Tische und Bänke innen und davor im Freien aus dem gewachsenen Felsen herausmodelliert wurden. Man kann also auch im Norden Äthiopiens von einer konzeptionellen Entsprechung von sakraler und profaner Architektur sprechen.
Bei den zwei Kirchen wie auch bei vielen anderen Sakralbauten besonders entlang der Grenzregion zum islamischen Osten des Landes waren die christlichen Gemeinden durch kriegerische Auseinandersetzungen über Jahrhunderte immer wieder so stark in Bedrängnis, dass wir das nach außen nicht in Erscheinung treten und in manchen Fällen auch die extrem schwierige Erreichbarkeit der Kirchen als Sicherung gegen Überfälle, Plünderungen und Zerstörung sehen müssen. Nur so konnte beispielsweise auch die frühchristliche Kirche von Debre Damo nahe der Grenze zu Eritrea seit der Mitte des 6. Jh. überleben.
Zwei Erlebnisse#
An einem Tag im September 2013 fuhr ich früh morgens vom kleinen Hotel in Wukro mit dem Taxi zum Busbahnhof und von dort mit einem gemieteten Jeep-Taxi mit Fahrer und Helfer weiter zu einigen Zielen abseits der Hauptverkehrsstraße. Mit den Taxifahrern musste ich lange über den Fahrpreis verhandeln. Viele Äthiopier haben die Vorstellung, dass Europäer wandelnde Gelddruckereien sind, und verlangen als Erstgebot meist astronomische Summen. Nach der Einigung über den Fahrpreis ging es zunächst 39 km auf der relativ guten neuen Asphaltstraße nach Norden. Dann zweigten wir nach Westen auf eine Schotterpiste Richtung Hawzen ab. Die Straße wurde gerade neu trassiert. Die Reste eines Staubsturmes hingen immer noch in der Luft und erlaubten keine weite Sicht.
In dem kleinen Ort Hawzen nahmen wir einen Führer auf, mit dem wir noch ein Stück weiterfuhren. Nach rund zwei Stunden Gesamtfahrzeit auf den sehr schlechten Straßen zeichneten sich im dichten Dunst vor uns schemenhaft Gruppen von senkrecht aufragenden Felstürmen ab, die mit zunehmender Nähe immer klarer erkennbar wurden. Um ca. 10.00 Uhr erreichten wir auf einer selten befahrenen Grasschotterpiste einen Endpunkt, wo der Jeep wenden und unter einem niedrigen Baum geparkt werden konnte. Eine Höhenmessung ergab hier ein Geländeniveau von 2.180 m Seehöhe.
Von hier ging es zu Fuß erst auf einem leicht ansteigenden, relativ breiten Weg weiter, bis wir vor einer Felswand landeten, wo ich die Kirche Debre Maryam von Korkor nach Plan vermutete. Aber dort war sie noch nicht. Von hier mussten wir in einer relativ versteckt gelegenen, geradlinig ansteigenden, engen Felsspalte mit engen Serpentinen steil aufwärts steigen. Später folgten flachere und auch wesentlich steilere Wegabschnitte.
Der Weg führte dabei an mehreren Stellen über blanke steile Felszonen, bei denen für die Füße tiefe, versenkte Höhlungen und für die Hände seifenschalenförmige Handgriffe aus dem glatten Fels modelliert worden waren. Die Felsen dürften etwa 70° Neigung gehabt haben. Während des Aufstiegs graute mir schon vor dem Abstieg in diesen steilen Abschnitten. Als wir am Ende eine etwas ausgedehntere, mit reicher Vegetation bewachsene Terrasse zwischen zwei weiter hinaufreichenden Felsmassiven erreichten, befanden wir uns auf dem Niveau der Kirche Debre Maryam von Korkor. Wir hatten zwei Stunden mit nur einer Fünfminutenpause gebraucht. Eine zweite Höhenmessung ergab 2480 m Seehöhe.
Vor der Kirche liegt ein von einer Mauer umgebener Garten mit zwei kleinen Bauwerken und dem Eingang in die Kirche. Diese tritt durch einen kleinen gemauerten Teil unmittelbar vor einer Felswand in Erscheinung und wird durch Bäume und Pflanzen etwas verdeckt. Er ist so gestaltet, wie ein an die Felswand angebautes zweigeschossiges Wohnhaus.
Wir betraten die Kirche über einen Seiteneingang im Felsen neben dem “Wohnhaus“, das wohl erst später an die Kirche angebaut wurde. Der Kirche fehlen hier zwei halbe und zwei ganze Kirchenfelder. Entweder stürzte hier ein Teil der Kirche schon bei der Herstellung des Innenraumes oder in der Zeit danach ein, weil bei diesen Kirchenfeldern die Felsüberdeckung durch die Modellierung des brüchigen Felsmaterials zu dünn wurde. In den hinteren zwei der vier betroffenen Feldern sieht man noch Ansätze der Gurtbögen, was belegt, dass die Felsenkirche zumindest über diesen Feldern existiert haben muss.
Die bauliche Ergänzung ist keine Rekonstruktion. Die inneren zwei Felder gehören zum Kirchenraum und haben eine Ergänzung beim abgebrochenen Gewölbe in Form einer Holzdeckenkonstruktion. Die äußeren zwei bilden innen eine Art Vorraum. Nach außen treten sie im Erdgeschoss mit einem Fenster und einer Tür in Erscheinung. Ein weiteres Fenster über diesem Eingang und eines an der im Felsen verschwindenden Giebelseite im Obergeschoss zeigen deutlich die Zweigeschossigkeit des Objektes, wodurch es sich gegen die Form eines Sakralbaues noch stärker absetzt.
Der Eingang in die Kirche neben dem Haus führt in das linke Seitenschiff der dreischiffigen Kirche. Der Grundriss der Kirche ist stark verzogen; sie wird nach hinten breiter. Alle drei Schiffe haben bzw. hatten wohl fünf konstruktive Felder in der Längsrichtung. In der Breite sind die Felder des Hauptschiffes etwas breiter als die der Seitenschiffe. Seitlich gehen drei unterschiedlich große Räume vom Hauptraum ab. In der Mittelachse folgt nach dem letzten Feld der Chorraum. Außerdem gibt es eine kleine aus dem Felsen gemeißelte Seitenkapelle links neben dem Eingang, die nur durch einen feinen Schlitz mit der Kirche verbunden ist.
Der Sakralraum der Kirche wurde ursprünglich durch zwei mal vier Innenstützen mit jeweils kreuzförmigem Grundriss gegliedert. Sie tragen zugleich das Dach der Kirche und den Fels darüber. Die in alle Richtungen über den Kapitellen gespannten Gurtbögen übernehmen vor allem diese Aufgabe. Im Bereich des gemauerten Teiles gingen offenbar die Außenmauer und eine der Innenstützen durch Einsturz verloren. Die Decke besteht aus der reliefartigen Darstellung unterschiedlicher Deckenkonstruktionen mit unterschiedlichen Gestaltungen.
Die meisten Deckenfelder haben zweifachgewölbte Kuppelformen mit Pendentifs als Übergang zu den Gurtbögen oder einen horizontalen Ring als Übergangsform. Das noch vorhandene erste Feld hinter dem Eingang war aber der geringen Überdeckung mit Felsmaterial wegen flach ausgebildet worden, was wohl auch für die zwei vollständig verlorengegangenen Felder daneben gegolten hat. Dann folgt im linken Seitenschiff eine weitere Flachdecke, hier aber mit quadratischen Feldern, die abwechselnd unter 45° verdreht sind, nach oben zurückweichen und kleiner werden. Diese Bauweise kommt aus dem Holzbau im Himalaya und wurde vor allem in Indien aus Steinstäben in hinduistischen Tempeln nachgebaut. In Indien stellt diese Bauform eines der Charakteristika indischer Sakralarchitektur dar. Vielleicht wurde die Bauform durch islamische Baumeister von Indien nach Ostäthiopien gebracht?
Eine ähnliche Deckenform hat auch das Feld vor dem Chorraum. Das dritte Deckenfeld im Hauptschiff, also im Zentrum des Kirchenraumes, zeigt ein großes gleicharmiges Kreuz in der Kuppel, ein Zeichen der Orthodoxie. Die Kuppel über dem vierten Feld im rechten Seitenschiff hat fast die Form eines gotischen Maßwerks.
Die Fresken sind sehr unterschiedlich in Strenge, Dekor, Farbgebung und Thematik. Sie scheinen daher aus unterschiedlichen Zeiten zu stammen. Da gibt es einmal die langgezogenen, streng gestalteten Heiligen-Darstellungen auf den Stützen mit ihren riesigen Augen und kreisrunden Heiligenscheinen - meist in Pastelltönen gehalten, dann gibt es die in dunklen Farben aufgebrachten, repräsentativ gestalteten Personen und Reiter an den Wänden rechts und links der Seitenschiffe. Im Eingangsbereich schließlich finden sich die kleinen wenig bekleideten Personen mit vogelköpfigen Schlangen, Bäumen etc. die vergleichsweise lebendig wirken. Die streng archaischen Heiligen erinnern etwas an frühe Fresken Nubiens beispielsweise in Faras. In der Literatur werden die Fresken summarisch ins 13. Jh. datiert, was angesichts der thematischen und stilistischen wie auch farblichen Unterschiede der Fresken nicht für alle zutreffen dürfte.
Geht man aus der Kirche hinaus und verlässt auch das ummauerte Areal, geht zweimal nach rechts, so gelangt man zu Felswänden, die von hier knapp 300m fast senkrecht abfallen. Am Ende eines immer schmaler werdenden Felsgesimses gelangt man zum extrem schmalen und niedrigen Eingang in die Daniels-Kapelle. Auch sie wurde aus dem Fels geschlagen. Sie besteht im Wesentlichen aus einem großen, flach überkuppelten Raum mit kleinen seitlichen Nischen. Ihre Ausmalung soll aus dem 17. Jh. stammen. Nach Angaben des Führers hat Daniel im 6.Jh. die Anlage von Korkor mit Kirche und Kapelle angelegt; das muss natürlich nicht stimmen.
Wir gingen nach dem Besuch der Daniels-Kapelle wieder vom Berg hinunter, wobei sich natürlich die steileren Passagen als schwieriger erwiesen als beim Aufstieg. Sie waren aber trotz meiner Bedenken während des Aufstiegs auch abwärts ohne fremde Hilfe zu schaffen. Die flacheren Passagen waren mit Gehstock schneller zu überwinden, so dass wir schon nach einer guten Stunde den Jeep am Fuß des Bergmassivs wieder erreichten. Der Scout bekam noch ein Trinkgeld für seine ambitionierte Führung. Dann besichtigte ich noch weitere drei leicht mit dem Fahrzeug zu erreichende Kirchen in der Umgebung.
Am Abend besuchte ich eine Missionsstation in Wukro. Dort blätterte ich in der kleinen Bibliothek ein Äthiopienbuch durch und sah nochmals Fotos aus der Kirche von Abuna Yemata von Ghu. Mein Sohn, der bereits drei Jahre vor mir Äthiopien bereist hatte und auch in dieser Zone unterwegs gewesen war, hatte mir aus Sicherheitsgründen von einer Besichtigung dieser Kirche abgeraten. Sie ist wirklich schwer zu erreichen. Als ich hier die Fotos nochmals sah, beschloss ich dennoch am nächsten Tag auch diese Kirche aufzusuchen.
Am folgenden Morgen fuhr ich mit einem Minibustaxi mit Fahrer und Helfer, das die katholische Mission am Abend vorher für deutlich weniger Geld organisiert hatte, zunächst von Wukro nach Negash, wo ich das Grab von Ashama Ibn Abjar besuchte, der als aksumitischer König Al Najashi wohl schon in der ersten Hälfte des 7. Jh. vom christlichen Glauben zum Islam konvertierte. Er war Zeitgenosse und Weggefährte von Mohammed und gründete eine erste islamische Gemeinde im heutigen Äthiopien. Die islamische Minderheit wird bis heute von der christlichen Mehrheit auf Grund der geschichtlichen Entwicklung nicht sehr geschätzt. Es besuchen auch eher selten Touristen dieses Grabmal. Daher bereitete mein Besuch ein gewisses Aufsehen.
Danach ging es wieder zu dem großen Felsmassiv vom Vortag – dieses Mal allerdings von der Nord-Seite und nicht ganz hinauf, sondern nur auf eine der unteren Felsnadeln, von denen hier eine ganze Reihe auf einem erhöhten geböschten Sockel steht. Das Wetter war gut und wir erreichten den Zielort nach ein-dreiviertel Stunden. Der Fußmarsch führte durch Felder und einen ausgetrockneten Wasserlauf mit einigen Feuchtstellen. Später ging es flach bergauf bis wir zum eigentlichen Fuß des Bergmassivs kamen. Hier gesellte sich ein Führer, ein Scout hinzu, den ich angesichts der abzusehenden Probleme bei der Ersteigung und vor allem beim Abstieg gerne anheuerte.
Zunächst wand sich der Weg in Serpentinen auf dem überwachsenen Hang zu der senkrechten Passage hinauf. Auch hier musste man bei einigen Stellen beim Aufstieg bereits feste Wurzeln als Sicherung zur Hilfe nehmen. Dann aber standen wir vor einer etwa 10 m hohen fast senkrechten Felswand. Ich wurde gebeten, meine Schuhe auszuziehen und zurückzulassen, da ich barfuß einen besseren Tritt habe. Für die Füße waren in den Felsen wie auch bei Korkor tiefe zurückspringende kleine Nischen und für die Hände kleinere Nischen in Form von Seifenschalen in den glatten Fels geschlagen. So kann man sich mit den Händen auch in der senkrechten Wand festhalten. Hinauf waren nur wenige Hinweise des Scouts notwendig und es ging relativ schnell, obwohl ich stärkere Schmerzen in den Gelenken spürte, die mit einer extreme Überspeicherung all meiner Gelenke mit Eisen zusammenhängen.
Schon beim Aufstieg knirschten die Gelenke auffallend und hörbar. Glücklicherweise trainiere ich durch Radfahren meine Muskulatur stetig und belaste dabei die Gelenke kaum, weil ich während des Radfahrens sitze. So konnte ich die Probleme beim Aufstieg etwas ausgleichen.[1]
Dennoch fragte ich mich beim Blick zurück über die Felswand, wie ich dort jemals wieder hinunter kommen würde. Ich spielte bereits mit dem Gedanken, meinen Lebensabend quasi als “Säulenheiliger“ hier oben in einer kleinen Höhle verbringen zu müssen? Ob man mich hier oben wohl mit der notwendigen Verpflegung versorgen würde?
Von einer Zwischenstation ging es noch etwas hinauf und über einen hölzernen Steg über eine Felsspalte. Oberhalb geht man auf einem schmalen Gesims einer Einschnürung an der Rückseite der Felsnadel auf etwa halber Höhe der senkrechten Felswand zum niedrigen Eingang der Kirche. Durch ihn gelangt man rechts in den Kern der Felsnadel. Beim Blick in die Tiefe vor dem Zugang sieht man tief unterhalb mehrere Bauerngehöfte, die im Tal zwischen den Felsnadeln und dem hohen Felsmassiv auf der Gegenseite liegen. Hoch oben an der obersten Kante der Felsnadel nisteten offenbar Geier. Zwei kreisten über mir.
In das sakrale Raumgefüge der Kirche kommt das Licht von außen nur durch die eine kleine Türöffnung. Es gibt zwar eine elektrische Leitung von einem kleinen Generator und einige Quecksilberlampen. Diese wurden aber nicht eingeschaltet und wären wohl auch eher störend gewesen. Gleich der erste Raum im Süden wird von der größten der drei flachen, prächtig bemalten Kuppeln bestimmt. Hier sind neun Apostel mit Turbanen dargestellt. Neben den Personen in dieser Kuppel fallen vor allem die sehr dekorativen unterschiedlichen farbigen Flechtbänder und Flechtknoten auf, die den Fresken dieser Kirche ihren besonderen Reiz verleihen.
Die etwas kleinere Kuppel im Westraum zeigt acht Personen und hat ein schlichteres Flechtband. Die zentrale und zugleich kleinste Kuppel stellt sechs Personen dar und hat keine Flechtbandborte. An der Wand im ersten Raum gleich gegenüber vom Eingang wird Maria mit Jesus dargestellt. Es finden sich aber auch Reiter mit Pferden, andere Tierdarstellungen, Personen mit Turbanen und auch solche mit Heiligenschein in den Wandgestaltungen. Moses zeigt sich mit Turban und schwarzem Bart über dem Eingang in die Kirche. Stürze und Gurtbögen sind großteils mit immer wieder variierten Flechtmustern gestaltet.
Der Weg hinunter war mit Hilfe des Scouts dann wesentlich leichter zu schaffen, als gedacht. Er kennt jede Öffnung in der Felswand genau und führte meine Füße geschickt in der richtigen Reihenfolge in die zu verwendenden Öffnungen durch Führung der Füße. Dabei kletterte er mir voraus. Selbst wenn man keine Gelenksprobleme hat, kann man in etlichen Passagen die kleinen Rücksprünge nicht leicht erkennen, so dass eine Führung dieser Art jedenfalls von großer Hilfe ist.
Danach bezahlte ich den Scout. Wir fuhren zurück nach Wukro. Noch am gleichen Nachmittag ging es mit dem Bus nach Adigrad, der Stadt an der Grenze zu Eritrea. Am nächsten Tag fuhren wir von dort weiter nach Yeha und nach Aksum.
Die Fahrt zeigte mir auf welch hohem kulturellem und technischem Niveau sich das Land schon vor gut 3000 Jahren befunden hatte. Viele Indizien sprechen aber auch dafür, dass Äthiopien überhaupt die Wiege der Menschheit ist. Von hier ging vielleicht alles aus. Immerhin fand man hier in Hadar 1974 Teile des 3,2 Millionen Jahre alten Skeletts des Australopithecus Afarensis, das von den Forschern liebevoll “Lucy“ genannt wurde, dessen Original man in Addis Abeba im äthiopischen Nationalmuseum besichtigen kann.
Ein Grazer Internist hatte mein gesundheitliches Problem durch meine Eisenspeicherkrankheit, einer Hämochromatose, dreißig Jahre lang bei den jährlich durchgeführten Gesundenuntersuchungen nicht erkannt. Er kannte diese genethisch bedingte Krankheit überhaupt nicht. Er versuchte auch nie, eine Ursache für meine extrem schlechten Leberwerte zu ergründen. Der normale Mensch sollte einen Eisenwert zwischen 20 und 50 haben. Als 2001 mein Stoffwechsel am Ende einer siebenwöchigen Reise durch Mesoamerika in Guatemala einen Tag vor Rückflug völlig zusammenbrach, vermuteten die Ärzte nach meiner Rückkehr in Graz zunächst eine heftige Tropenkrankheit. Ein junger Arzt erkannte glücklicherweise gerade noch früh genug die wirkliche Ursache und stellte bei mir den katastrophalen Eisenwert von 3780 fest. Die Leber hatte nur noch 7% Lebendgewebe und viele andere körperliche Schäden waren die Folge der extremen Eisenüberspeicherung.
Durch eine Therapien konnte das Eisen im Körper auf einen Normalwert zurückgefahren werden. Leider lässt sich das in den Gelenken abgelagerte Eisen aber kaum mehr reduzieren, was große Probleme beim Stehen, Langsam-Gehen, Stiegensteigen und beim Greifen mit den Händen bereitet.