Das Welttheater des Tiepolo #
Die friulanische Hauptstadt Udine lockt mit zahlreichen Werken des barocken Meisters Giambattista Tiepolo. #
Mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von der Kleinen Zeitung (Sonntag, 21. Februar 2016)
Von
Bertram Karl Steiner
Der jubelnde Engel flattert an der Decke der Sakramentskapelle des Doms von Udine, als hätte ihn soeben ein Frühlingssturm wie einen rosenfarbenen Schmetterling durch das darunter befindliche Fenster hereingeweht. Über ihm öffnet sich eine gemalte Rotonde hinaus in einen gemalten Himmel; Putti, einst die geflügelte Gefolgschaft der Venus, jetzt getaufte Engelchen, lehnen an der gemalten Brüstung und betrachten neugierig, wie der Engel über dem marmornen Tabernakel tanzt. Realitäten und Dimensionen durchdringen sich: Das Tageslicht hinter dem Fenster, das gemalte Himmelslicht in der Rotonde, die mühelose Akrobatik des Engels und seiner im Chor musizierenden Kollegen in der Halbkuppel, die halsbrecherische Virtuosität des Künstlers, der hier in Udine seine frühen Meisterwerke geschaffen hat, und die die gesamte Szenerie beherrschende Realität der Präsenz Gottes im Tabernakel. Um Letztere rotiert der Kosmos des Giambattista Tiepolo. Dieser Kosmos ist von ekstatischen Heiligen bevölkert, von Märtyrerinnen und Märtyrern, die fast schon heiter, nach dem offenen Himmel lechzend, durch Folter und Tod tanzen. Wie sich die weißen Wolkenbänke über ihrem Leiden auftun … Ja, auch die Göttinnen und Götter der Antike haben ihren Platz auf dieser Bühne einer wahrlich „göttlichen Komödie“; hier verkörpern sie menschliche Seelenaspekte, „Archetypen“ würde man heute sagen.
Es ist die festlichste Theaterbühne vielleicht der gesamten bekannten Kulturgeschichte, in welche Giambattista Tiepolo 1696 hineingeboren wurde. Venedig, „Venexia“, die Königin der Adria und der Ägäis, hatte zwar an realer politischer Macht eingebüßt, ihre Schönheit aber näherte sich gerade jetzt dem Zenith. Später wird sie Tiepolo so malen: lässig hingestreckt, in Brokat und Hermelin gehüllt, ein funkelndes Diadem im Haar, eine unnahbare, doch indolent kokette Diva und vor ihr, in der Haltung eines devoten Dieners, der Meeresgott Neptun, der ihr aus einem Füllhorn seine Schätze vor die Füße schüttet, Perlen, Gold, Juwelen. Sich Venedig im 18. Jahrhundert vorzustellen, dürfte uns Heutigen fast unmöglich geworden sein. Die Republik von San Marco hatte seit ihrer legendären Gründung an die 1300 Jahre überdauert und in diesem Zeitraum eine reale, noch heute per Autobus von Kärnten aus erreichbare, aber uns eben entrückte Traumwelt geschaffen; zuletzt war Venexia nach Siegen und Niederlagen nur mehr nach Feiern, nach Festen, nach Theater zumute. Die ganze Stadt, die „Serenissima“, war zur Theaterbühne geworden und ist es geblieben, freilich ohne die dazupassenden Protagonisten. Tiepolo freilich lebte und wirkte aber in diesen prunkvollsten aller Kulissen des alten Abendlandes. Für ihn stellte sich das Theater noch durchaus als Analogie zum großen Welttheater dar, als eine metaphysische Institution. Weshalb ihm gewisse „moderne“ Argumente gegen das „allzu Theatralische“ seines Lebenswerkes – siehe die Sakramentskapelle im Dom zu Udine – völlig abwegig vorgekommen wären.
Jugendliches Genie #
Er war Virtuose von Kindheit an. Nach einer Malerlehre bei Gregorio Lazzarini wurde er schon mit 17 Jahren in das Zunftverzeichnis der Maler eingetragen, mit 18 hatte er sich bereits selbstständig gemacht, mit 21 wurde er Meister. Zahllose Werke, Fresken und Tafelbilder in Venedigs Kirchenund Palästen zeugen von einer verschwenderischen jugendlichen Genialität. Bald wurde der Bischof von Udine, Daniele Dolfin, der als Titularpatriarch von Aquileia in seinem Palast am Burghügel residierte, auf den jungen Tiepolo aufmerksam. Udine gehörte zur Republik Venedig (welche oben in Pontebba/Pontafel an Kärnten und Österreich grenzte). Der Bischof überhäufte ihn ab 1726 mit Aufträgen, sodass Udine zum Ausgangspunkt einer kontinentalen Karriere wurde und bis heute als „Stadt des Tiepolo“ gilt. Zunächst stattete er die Sakramentskapelle des Doms aus, es folgen Fresken im Bischofspalast, der heute die „Museo Diocesano e Gallerie del Tiepolo“ beherbergt, sowie Arbeiten in Kirchen und privaten Palästen.
Sein Ruhm als überragender Maler verbreitet sich in Italien, man holt ihn nach Mailand, 1731 kehrt er nach Venedig zurück, arbeitet im Bereich der Republik weiter, in Padua sowie im Dom zu Bergamo und in der dortigen Grabkapelle der Colleoni. 1746 finden wir ihn bei der üppigen Ausstattung des Palazzo.
Tiepolo ist zum Star geworden. So lädt ihn Karl Philipp von Greiffenclau, der Bischof von Würzburg, der im Begriffe ist, seine von Balthasar Neumann (1687–1753) geplante Residenz fertigzustellen. Er lädt Tiepolo ein, die Treppenaufgänge und Säle mit Fresken zu bedecken. Hier vollendet sich das Welttheater des Künstlers. Er bezieht Kontinente und Völker in seine himmlischen Kompositionen ein; faszinierend seine „Amerika“, die mit Kolibrifedern bekrönt auf einem gemütlichen Alligator reitet.
Die Welt des 18. Jahrhunderts war „senza confini“, nach oben wie in die Weite. Noch einmal macht sich Tiepolo auf die Reise: An den spanischen Hof gerufen bedeckt er die Säle des Königsschlosses von Madrid mit seinen Visionen eines kosmischen Theaters. Aber schon wehte da die Polarkälte des Klassizismus durch die Geschichte. 1770 stirbt Tiepolo, bereits verkannt und missverstanden, in Madrid.
Nur 22 Jahre nach dem Tod des Künstlers wird in Paris die Guillotine zur Maschine des „Fortschritts“ erklärt, fünf Jahre später zerstört der General Bonaparte im Namen des „Fortschritts“ die Republik Venedig, noch zwei Jahre darauf stirbt Casanova, der bedeutendste Chronist jener Epoche, in der sich in den Seelen der Menschen noch ein letztes Mal für lange, lange Zeit Himmel und Erde durchdrangen. Das große Welttheater des Tiepolo ist in die Ewigkeit entrückt worden. In Udine aber erleben wir, zwei Autostunden von Kärnten entfernt, noch eine Ahnung davon, wie schön sein Welttheater ist . . .
TIEPOLO IN UDINE#
Giambattista Tiepolo (1696–1770) war einer der bedeutendsten Maler des Barock. Gemeinsam mit seinem Sohn Domenico prägte er das Antlitz der friulanischen Hauptstadt und hinterließ in den Palästen und Kirchen der Stadt seine heiteren Werke.