Zu Mantua in Banden#
Vor 250 Jahren, am 22. November 1767, wurde Andreas Hofer, Symbol der Tiroler Identität, geboren. Er ist bis heute eine Ikone des Freiheitskampfes.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Kleinen Zeitung (Sonntag, 19. November 2017)
Von
Bertram Karl Steiner
Es ist der 20. Februar 1810. Nach der ersten Salve des Exekutionspelotons sinkt der Sandwirt, Seele und Kommandant des Tiroler Kampfes gegen die bayerisch-französische Besetzung des Landes, im Festungsgraben von Mantua in die Knie; nach der zweiten Salve soll er im Todeskampf noch geflüstert haben: „Ach, wie schießt ihr schlecht!" Ein Offizier gibt ihm den Gnadenschuss in die Schläfe. Andreas Hofer ist von seinen körperlichen Schmerzen, aber auch von den Seelenqualen und Gewissensbissen der vergangenen Monate erlöst; auf Erden aber ist ein Mythos geboren.
Für welche Sache ist der Sandwirt gestorben? Sein Tirol, was ist das für ein Gebilde? Ein befreundeter Schützenoffizier aus Zirl gab mir vor vielen Jahren eine heute verblüffend anmutende Antwort: „Die tirolische Nation war immer viersprachig, Deutsch, Ladinisch, Italienisch und in Windisch-Matrei hat der Pfarrer noch Mitte des 19. Jahrhunderts auf Slowenisch gepredigt." Tags darauf vollzog sich in Innsbruck einer der prächtigen Aufmärsche zum Andenken Andreas Hofers. Dann wurde am Ende des Zuges die riesige Dornenkrone vorbeigetragen, die an die Zerreißung ebendieses, Hofers Tirol, erinnert. Aber das war noch nicht das Ende des Aufmarsches: Hinter der Dornenkrone wurde ein Transparent sichtbar mit der Aufschrift „Anche noi siamo Tirolesi!" -„Auch wir sind Tiroler!": Hunderte Demonstranten aus Welschtirol, dem heutigen Trentino, bekundeten ihre Anhänglichkeit an das größere, noch nicht durch „nationale" Sprachgrenzen getrennte historische Tirol. Und da stand neben mir ein Bürgermeister aus dem Nonstal, Val di Non, er sprach kein Wort Deutsch, aber er brach in Tränen aus, als sie angestimmt wurde, die mythisch aufgeladene Hymne „Zu Mantua in Banden / der treue Hofer war..."
Im Schicksal und in der Tragik des Tiroler Freiheitskampfes anno 1809 und des Kommandanten Andreas Hofer bildet sich der gesamteuropäische kulturelle Bruch ab, der von der Französischen Revolution aus-gelöst worden war. Das Europa vor der Revolution war ein Mosaik von Bevölkerungen, von gewachsenen Traditionen und kompliziert verästelten staatlichen Strukturen gewesen. Es ist beileibe kein Paradies. Territoriale und konfessionelle Kriege, Unterdrückungen, Verfolgungen, Missstände gibt es wie überall in der Geschichte der Menschheit auch hier. Bloß eines gibt es noch nicht: die gewaltsame Vereinnahmung ganzer Bevölkerungsgruppen im Namen einer aufgesetzten Ideologie, einer „Nation", einer Sprache und die daraus folgende Verpflichtung für jeden einzelnen Menschen, im Menschen des Nachbarstaates den „Feind" zu sehen, den es psychisch und physisch zu vernichten gilt.
An diesem Punkte zeigt übrigens die allenthalben so gepriesene „Aufklärung" ihr Medusengesicht: so in Frankreich, wo eine ideologietrunkene Mehrheit im revolutionären Konvent die „Vernunft" zur Göttin erklärte. Militant, wie sie sich gibt, fährt diese Art von „Aufklärung" brutal über alles drüber, was den Menschen von Kindheit an lieb und teuer ist: Religion, Bräuche, angestammte Rechte und Freiheiten. Man hat „fortschrittlich" zu sein. Kaiser Joseph II., selbst ein psychisch verblendeter Aufklärer, scheiterte (nicht zuletzt an der Widersetzlichkeit der Tiroler Bevölkerung), nachdem er bereits versucht hatte, alles und jedes, die Anzahl der Kerzen am Altar, die Prozessionen, sogar die Begräbnisse per Strafandrohung zu reglementieren. Aber jetzt, anno 1805, hatte Österreich bei Austerlitz die Schlacht und den Krieg gegen den aus der Revolution stammenden französischen Kaiser Napoleon haushoch verloren. Persönlich verachtete er die Revolution, aber er bediente sich ihrer Ideen. Und so fuhr er wie mit einer militärischen und politischen Dampfwalze über das Territorium des gewesenen „Heiligen Römischen Reiches" und über Österreich, dessen spirituellen Erben: Tirol fiel im Frieden von Preßburg an das mit Napoleon verbündete Bayern. Die angestammten Freiheiten wurden abgeschafft, das Land verwaltungsmäßig in Kreise zerteilt, seine wirtschaftlichen Beziehungen zu Österreich abgeschnitten.
In allen Tälern vom Norden bis in den Süden regte sich der Protest. Die Menschen sahen im „aufgeklärten" bayerischen Regiment einen Anschlag gegen ihr Seelenheil. Am 9. April 1809 bricht der Aufstand in Innsbruck aus. Zum Kommandanten wird der Sandwirt Andreas Hofer gewählt. Zunächst gelingt es den Tirolern, das Land weitgehend in ihre Hand zu bekommen, die Schlachten am Bergisel stärken ihr Selbstvertrauen, der Wiener Hof begünstigt die Entwicklung. Doch am 12. Mai 1809 besetzt Napoleon Wien, Österreich steht am Rande seiner Auflösung. Helfen kann die Wiener Regierung nicht mehr, als bayerische und französische Truppen Tirol überfluten. Im Frieden von Schönbrunn muss Österreich neuerlich existenzbedrohende Zugeständnisse machen. Die Entwicklung will Andreas Hofer, ständig getrieben und zuletzt fanatisiert, nicht wahrhaben. Die verzweifelten Versuche, wider alle realpolitischen Fakten den Aufstand fortzusetzen, werden zum Desaster. Er muss fliehen, wird von Franz Raffl verraten, am 28. Jänner 1810 auf der Pfandleralm verhaftet, nach Mantua verbracht und vor ein Kriegsgericht gestellt. Das Todesurteil erfolgt am 19. Februar.
Für Österreich geht es um Sein oder Nichtsein. Es ist das Verdienst des Außenministers Clemens Metternich, durch seine kühle und raffinierte Politik Napoleon zu umgarnen: Die Heirat mit Kaiser Franzens Tochter Marie Louise neutralisiert den Korsen für eine entscheidende Frist. Besiegt wird er schließlich durch Metternichs Kaltblütigkeit und Franzens Phlegma. Andreas Hofer aber wurde zu Recht zum identitätsstiftenden Mythos des ganzen, des historischen Tirol.