Sammeln - ein kulturelles Phänomen #
von Martin Lödl
Vom "Jagen und Sammeln" zum "Sammeln als
Kulturphänomen"
Das Sammeln ist ein uraltes Phänomen. Das "Jagen und Sammeln"
prähistorischer Zeit ist Überlebensstrategie, erst
mit der Luxurierung der Lebensumstände, der Lebens- und
Wohnsicherheit und der abgesicherten Versorgung beginnt das Sammeln in
der Art, wie wir es heute kennen. Das Sammeln in der vollen Bandbreite
zwischen wissenschaftlicher Notwendigkeit einerseits und entspannender
Freizeitgestaltung andererseits. In jedem Fall aber ein wesentlicher
Faktor des phylogenetisch jungen Triebes "Interesse".
Zuerst eine Begriffsbestimmung:
Wir verstehen unter "Sammeln" ein kulturelles Phänomen, das in seiner
höchsten Ausformung 3 Stufen umfaßt:
1. Das Horten, also das "Erjagen" von Objekten und das Zusammentragen
derselben.
2. Das Sichten, Ordnen und Systematisieren (Abbildung 1, Jugendlicher Sammlereifer, Maria C. Lödl)
3. Die Auswertung, die Schlussfolgerung und die Präsentation - also kurzum das Erschließen
der Sammlung.
Diese drei Stufen charakterisieren die phylogenetische Entwicklung des Sammelns, so wie auch die jeweilige individuelle Geschichte einer jeden Sammlung.
Zuerst trägt man Dinge nach Hause, dann beginnt man, scheinbar wertlose Einzelteile nach bestimmten
Gesichtspunkten zu sortieren, schließlich erreicht man die höchste Stufe: das ordnende Durchdringen der Welt
(Kemper & Seggelke, 2003: 147 am Beispiel von André Breton, dem 1966 verstorbenen französischen Schriftsteller und
Theoretiker des Surrealismus). Es gipfelt in wissenschaftlichen Thesen, historischen Erkenntnissen auf dem Sammelgebiet, Ausstellungen und Publikationen. Das Erschließen der Sammlung ist erreicht.
Mehrere Veranlagungen des Menschen führen zum Phänomen "Sammeln"
1. Durch unsere Intelligenz bedingt ist die Neugier.
Diese läßt uns Dinge besonders plastisch und
aufmerksam wahrnehmen. Man beschäftigt sich dann mit ihnen,
nimmt sie mit nach Hause und häuft sie an.
2. An der Neugier kondensiert historisch gesehen
unser relativ junger Trieb Interesse. Wir wollen
Verschiedenstes von allen Seiten beleuchten, besitzen, damit hantieren,
es ausprobieren und Hintergründe erforschen. Wir wollen Dinge
im wahrsten Sinne des Wortes begreifen (ganz wichtig bei der Erkentnnis
- schon im Kindesalter; man schaut nämlich nicht mit
den Augen allein, sondern auch mit den Händen - ein
verbreiteter Irrtum von Eltern, die ihre Kinder deshalb
maßregeln). Und wir wollen Dingliches Systematisieren,
Gemeinsamkeiten, aber auch das Trennende erkennen und herausfinden.
3. Parallel dazu sind wir Menschen starke Bindungswesen.
Wir binden uns triebhaft nicht nur an andere Menschen und an unsere
Haustiere, sondern auch an Dinge und an Gedankengebäude, an
Überzeugungen.
4. Typisch für den Menschen - und verantwortlich für seine gute Seite - ist sein
Vermögen zur Spiegelung. Mitgefühl, Mitdenken und Sichhineinversetzenkönnen
wird durch Spiegelneuronen bedingt, diese verstärken und
vertiefen Bindung. Sie machen uns offen für sentimentale
Empfindungen, so wie wir sie auch oft für Sammelobjekte hegen.
So können wir die Beweggründe des
Sammlers folgendermaßen zusammenfassen:
- neugieriges Interesse
- tiefes Lustempfinden am Vervollständigen und Erkennen
- bindungsorientierte
Sentimentalität
Die Frage, ob jeder Sammler auch ein Jäger
ist, ist einfach zu beantworten. Jeder Sammler ist in gewisser Weise
auch ein Jäger - zumindest im übertragenen Sinne. Aber nicht jeder Jäger ist ein Sammler. Man darf nicht
vergessen, daß bei vielen Jägern auch die
Komponenten "sportliche Herausforderung", "Thrill" und
"adrenalingeschwängerter Ehrgeiz" eine Rolle spielen, aber kein wirkliches sammlerisches Ziel verfolgt wird.
Jagdtrophäen können allenfalls noch als "Sammlung persönlicher Erinnerungen"
gedeutet werden, sie stehen aber oft gar nicht so sehr im Vordergrund
jagdlicher Aktivitäten.
Verschiedene
Sammlertypen und Sammlungen
Wir haben schon gehört, daß das Sammeln in drei Stufen
verläuft: dem Horten, dem Ordnen
und dem Erschließen. Da wir Menschen sehr
komplexe Wesen sind, konzentrieren sich manche Menschen mit besonderer
Vorliebe auf eine der drei Phasen, weil sie diese jeweils am
lustvollsten wahrnehmen.
Phasentyp 1, der Horter:
Berühmt geworden durch die grandiose Darstellung von und mit Orson Welles: Citizen Kane. Das amerikanische Filmdrama aus dem Jahr 1941 zeichnet die Lebensgeschichte des fiktiven Multimillionärs Charles Foster Kane (angelehnt an die Biographie des amerikanischen Verlegers William Randolph Hearst). Kane wird im Film zum Prototyp des maßlosen Sammlers und Horters, der enorme Mengen Antiquitäten anhäuft und niemals wirklich zum Ordnen seiner Schätze kommt. Ein ausführlicher Beitrag ist zu finden unter https://de.wikipedia.org/wiki/Citizen_Kane
Horter hinterlassen oft bemerkenswert umfangreiche Sammlungen, Wohnungen voll von persönlichen Schätzen, gestapelt in Kisten, ganze Rumpelkammern. Sie sind die tragischen Figuren unter den Sammlern - werden oft mit Messies in einen Topf geworfen, von denen sie sich durch einen durchaus geregelten Wohnbetrieb und eine "Struktur" ihres Sammelns unterscheiden. Sie übertreiben zwar das Anhäufen, vermüllen aber nicht im herkömmlichen Sinne. Die größte Gefahr besteht darin, diese Sammlungen durch unachtsame Erben der Vernichtung und der Sperrmüllentsorgung preiszugeben. Daher ein Appell an alle, die Hinterlassenschaften betreuen - wenden sie sich im Zweifelsfall an Museen oder andere Sammler.
Daß
auch "Sammlungen" von echten Messies je nach
zeitlicher Situation einen erheblichen Wert als Sammlungen haben
können, lässt sich leicht am Beispiel der
Collyer-Brüder (https://de.wikipedia.org/wiki/Collyer_Brothers)
nachweisen. Homer Lusk Collyer (geboren im November 1881; gestorben 21.
März 1947) und Langley Collyer (geboren Oktober 1885;
gestorben März 1947)
lebten gemeinsam in einem Haus in New York. Sie lebten in diesem
Stadthaus in praktisch vollständiger sozialer
Isolation. Über die Jahre sammelte der
jüngere Bruder Langley eine enorme Menge Gegenstände,
Bücher, Musikinstrumente sowie alte Zeitungen und
füllte das Haus bis obenhin mit insgesamt 103 Tonnen Material.
Besonders bemerkenswert war ein labyrinthisches
System an Gängen, das Langley anlegte und in dem es etliche
Fallen gegen unerwünschte Eindringlinge gab. Durch die
zunehmende Verwahrlosung des Hauses wurden schließlich Bank
und Behörden aufmerksam und sahen sich veranlasst,
einzuschreiten. Nach der Zwangsräumung, stellte man fest, dass
Langley Collyer Opfer einer seiner eigenen Fallen geworden und der von
ihm versorgte, offenbar behinderte Homer daraufhin verhungert war. Die
Collyer-Brüder sind ein weithin gebrauchtes Fallbeispiel
für das Messie-Syndrom und dem damit verbundenen
zwangsneurotischen Verhaltens der Unfähigkeit zur Trennung von
allem Dinglichen. Das Beispiel ist insoferne interessant, als die
klassische Interpretation der "Wertlosigkeit" der
angesammelten Objekte natürlich nur für den Moment
des Zeitgeistes gilt. Im Falle der Collyerbrüder wurden
Unmengen von Gegenständen sichergestellt (tausende
Bücher und Zeitschriften, Gemälde, 14 Klaviere,
zahlreiche Banjos und andere Musikinstrumente, eine reichhaltige
Sammlung alter Waffen, wie Pistolen, Bajonette und Säbel,
Wandteppiche, Uhren, Kronleuchter, u.v.m.) das insgesamt
"nur" einen Verkaufserlös von 2000 Dollar
erzielte. Da man davon ausgehen kann, daß das Material zu
einem Großteil aus einer Zeit weit vor dem Zweiten Weltkrieg
stammte, kann man leicht ermessen, welchen pekuniären Wert die
103 Tonnen Sammelmaterial auf heutigen Antiquitätenmessen
erzielen würden. Vom ideellen Wert ganz zu schweigen. Man
muß also durchaus feststellen, daß der objektive
Wert von - augenscheinlich verwahrlosten und ungeordneten
Sammlungen - unabhängig von der Intention des
Sammlers zu sehen ist, sehr wohl aber im direkten Zusammenhang mit der
Zeit interpretiert werden muß. Bedenken wir, daß
das alltägliche Krimskrams (vom Trinkbecher bis zur Haarfibel)
der Römerzeit heute als Schatz hinter den
Panzergläsern von Museumsvitrinen präsentiert wird.
Viele hochgeschätzte, lokale Heimat- und Bezirksmuseen (siehe
hierzu auch Huemer, 1982) haben ihren Ursprung in der
ungezügelten Sammelleidenschaft einzelner. Die Unterscheidung
in "Anhäufung von Müll" und
"kulturhistorisch wertvolle Antiquitäten"
wird oftmals nur durch den Faktor Zeit bestimmt, was sehr
schön mit Publikationen wie Curtis (1993) belegt wird.
Oft ist der Gedanke, "dieses oder jenes könnte man
später vielleicht noch brauchen", die treibende
Kraft, Alltagsgegenstände, altes Werkzeug, Steckdosen und
Nägel und allerlei Schnickschnack aufzuheben. Eine
Vorstellung, die gerade die Kriegsgenerationen prägte. Dies
ist oft der Ausgangspunkt für eine später entdeckte,
sehr wertvolle "Sammlung", obwohl
ursprünglich die Intention zum Sammeln als kulturelles
Phänomen fehlte. So ähnlich mag es auch in der
Salzburger Jugendstilvilla gewesen sein, die Cornelia Meran erbte und
feststellen mußte, daß ihre Bewohner 120 Jahre lang
praktisch alles aufgehoben hatten. Ein spät gehobener Schatz
der angewandten Kunst für einen Zeitraum von Jahrzehnten
(Dusini, 2005). Die ausgestellten Alltagsgegenstände wurden
später auch in der Ausstellung "an/sammlung
an/denken" gezeigt (http://salzburg.orf.at/magazin/leben/stories/42760/
und http://www.kewego.at/search/?q=cornelia+meran).
So wie bei allen menschlichen Aktivitäten, macht auch die
psychopathologische Seite des Menschen nicht Halt vor dem
Kulturphänomen des Sammelns. Dies ist aber nicht
häufiger, als bei allen anderen Aktivitäten. Sport
kann zur selbstzerstörenden Sucht werden, Spiritualismus und
Glaube in religiösen Wahn und Wahnsinn entarten, an sich
altruistische Aktivitäten können von
sado-masochistischen Tendenzen oder von Zwangshandlungen geleitet
werden. Essen kann Menschen umbringen, Alkohol oder Spielsucht kann
Familien zerstören und PC und Fernseher Kinder in ihrer
Entwicklung nachhaltig negativ beeinflussen. All diese
Phänomene gibt es, weil der Mensch zu sehr komplexen
Reaktionen fähig ist.
Beim
Sammeln wird sicher die zwanghafte Komponente bzw. das Entarten in
Richtung Messie-Syndrom den Weg zum Pathologischen weisen. Im
Wesentlichen bleibt aber das Sammeln befriedigende
Beschäftigung mit kulturellem Auftrag, Wissensvermehrung und
im positiven Sinne - zumindest ideelle -
Wertschöpfung. Krobath & Krobath (1986) beschreiben
einen Mann, der zwanzig Jahre lang täglich in die Pariser
Arsenalbibliothek ging und sich einen Stapel Bücher bringen
ließ. Diese blätterte er durch und ging wieder. Er
machte sich nur einige Notizen. Tag für Tag das gleiche. Erst
nach seinem Tod erfuhren die Bibliothekare, daß er ihnen zwei
große Koffer voll mit Notizen hinterlassen hatte: Fein
säuberlich hatte er Seiten- und Zeilenangaben aller Werke
hinterlassen, wo der Name "Julius Caesar" zu finden
war. Krobath & Krobath: "Die Tat eines Spinners,
gewiß. Aber eines hatte dieser alte Herr aus Paris mit
Millionen auf der Welt gemeinsam: er war Sammler." Letzteres
darf bezweifelt werden. Das völlige Fehlen eines -
zumindest theoretisch - strukturierten Sammelzieles
läßt diese Form des "Sammeln"
mehr unter einem zwanghaften Aspekt erscheinen, so wie das
Vermüllen der Wohnräume eines echten Messies
ebenfalls nichts mit den Gedanken einer ordnenden Weltsicht zu tun hat.
Es gibt aber auch den Phasentyp 2, den Ordner und den Phasentyp
3, den Präsentationsbewussten, also Menschen, die
bevorzugt Objekte Sortieren und Ordnen oder die Präsentation,
sowie die Publikation übernehmen, Vitrinen gestalten und
Ausstellungen ausrichten und somit in der Volksbildung arbeiten. Dies
kann bevorzugt geschehen, wenn Nachkommen eine Sammlung erben, die sie
dann mit Sachverstand pflegen und zugänglich machen, selbst
aber nicht weiter ausbauen. Im Alltag des Wissenschaftsbetriebes
großer Museen, die naturgemäß
über große und umfangreiche Sammlungen
verfügen, begegnet man ebenfalls hin und wieder diesen beiden
Typologien. Es handelt sich um Forscher, die selbst wenig Zeit im
Freiland verbringen um neues Material für die Sammlungen
heimzubringen. Sie konzentrieren sich auf die Aufarbeitung von
Museumssammlungen und tragen so wesentlich zum Erschließen
der wertvollen Bestände bei.
In Österreich ist wohl die bedeutende Sammlung des Grafen Hans
Wilczek (https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Nepomuk_Graf_Wilczek)
ein herausragendes Beispiel für die harmonische
Bewältigung aller drei Phasentypen. Er ließ
für seine Sammlungen die Burg Kreuzenstein (http://www.mamilade.at/burg/kreuzenstein/1006620-burgkreuzenstein.html)
nahe bei Wien errichten. Walcher-Molthein (o.J., ca. 1925), der
langjährige Kurator der Wilczek’schen Sammlungen
berichtet von seinem Amtsantritt folgendes: "Als wir das
erstemal über die Aufgaben sprachen, war bereits so
gründliche Arbeit geleistet, daß ich den Eindruck
gewann, als ob nicht mehr viel zu tun wäre. Die Speicher in
den Schlössern Seebarn und Tresdorf waren angefüllt
mit Werken der Plastik und Malerei, mit gothischen Möbeln und
den Arbeiten deutscher Handwerker in allen möglichen
Techniken. Wie in Kaufläden des Mittelaltersstanden Reihen
alter Gläser, Tonkrüge und Zinnkannen hintereinander,
dann wieder unzählige Folgen von gothischem
Türbeschlag, altem Werkzeug, alchimistischen Retorten,
usw." Man sieht also deutlich, daß hier sogar schon
im Stadium des Hortens, noch vor dem Wiederaufbau der Burg
Kreuzenstein, die Wilczek’s Museums werden sollte, eine
kuratorisch beachtliche Ordnung herrschte.
Sammeln als Kulturphänomen bedeutet stets Wissenszuwachs und
Wertschöpfung (ideel wie materiell). Sowohl
für den einzelnen, als auch für die Gesellschaft.
Deshalb ist es besonders schlimm, wenn durch mangelnden Sachverstand
Sammlungen vernichtet werden (Entrümpelung, Verlassenschaften,
Müllentsorgung). Oft lebenslange Bemühungen eines
einzelnen werden so in wenigen Stunden zerstört. Der meist
mehr ideelle als pekuniäre Wertzuwachs durch Sammlungen ist
aber beträchtlich und schlägt sich in der
persönlichen Befriedigung für den Sammler nieder. Ein
besonderer Grund zur Freude ist, aus einer Anhäufung von an
sich wertlosen Einzelobjekten eine wertvolle Struktur geordneter
Objekte zu machen, die vielleicht später in einem
nennenswerten Netzwerk an Wissen und historischer Erkenntnis gipfelt.
Besonders gelungene Sammelleidenschaften spiegeln sich in Sammlungen,
die irgendwann einmal in öffentlichen Museen oder als
Stiftungen der Wissenschaft und der Volksbildung dienen. In
Österreich allgemein bekannt sind die Kunstsammlungen Essl (http://www.sammlung-essl.at/)
und Leopold (http://www.leopoldmuseum.org/).
Aber auch viele Privatsammler - insbesondere im
ländlichen Bereich - die ihre Sammlungen
früher oder später zu Privatmuseen umfunktionieren.
Die Erhaltung bäuerlichen Kulturgutes und die
Präsentation der technischen Entwicklung der Landwirtschaft
erfolgen auf diese Weise vorbildlich. So kann aus dem Scheunenfund
eines einzelnen, alten Traktors der Grundstein für eine
umfangreiche Sammlung landwirtschaftlicher Maschinen gelegt werden, die
schließlich in einem technischen Museum mündet.
Sammlungen als Sinnbild kultureller Wertschöpfung sind besonders den
Unbillen von Kriegswirren oder anderen Katastrophen ausgesetzt. Sie
bedürfen ausreichenden Platzes, ständiger Pflege und
Konservierung und selbstverständlich des Schutzes. Drei
Kriterien, die in Krisenzeiten schwer zu erfüllen sind.
Daß selbst die gesellschaftliche Akzeptanz des Sammelns in
direkter Korrelation zu einer ungestörten, also weitgehend
katastrophenfreien Gesellschaftsentwicklung steht,
läßt sich eindrucksvoll an der abnehmenden Bedeutung
des Sammelns in Zentraleuropa belegen. Ähnlich wie in
Frankreich, so war auch in den deutschsprachigen Ländern das
staatliche Mäzenatentum vorherrschend. Ganz gleich ob
König, Kaiser oder Republik - die staatstragende
Förderung der großen Sammlungen stand im
Vordergrund. Mit der auslaufenden Herrschaft der Habsburger und ihrer
reichhaltigen öffentlichen oder halböffentlichen
Sammlungen brach über Zentraleuropa die desaströse
Entwicklung zweier Weltkriege herein. Das, was nicht unmittelbar durch
Kriegsereignisse zerstört wurde, fiel zumindest der
allgemeinen Verarmung zum Opfer. Privatsammlungen konnten im 20.
Jahrhundert nur sehr bedingt aufgebaut oder zumindest nur unter
größten Mühen erhalten werden, fanden daher
auch nur in geringem Ausmaß ihre Wege in die großen
Museen.
Anders verlief die Geschichte des Sammelns freilich in den
anglikanischen Ländern. In Großbritannien ist das
Sammeln an sich bis heute eine gesellschaftlich anerkannte Disziplin.
Das Sammeln ist dort kulturelle Berufung und gesellschaftliche
Wertschöpfung und daher allgegenwärtig. Die
großen, englischen Museen werden nicht nur von staatlicher
Seite, sondern auch von Privaten reichhaltig gefördert. In den
USA hat sich überhaupt der Weg des privaten
Mäzenatentums durchgesetzt. Viele große Museen gehen
auf private Initiativen zurück, wie zum Beispiel die
Smithsonian Institution in Washington. Viele Sammelgebiete sind durch
die Kriegswirren in Europa "ausgedünnt"
worden.
Jede Zeit hat tatsächlich ihre Sammler und ihre Sammelleidenschaften.
Ich würde eine grobe Einteilung in folgende Gruppen vornehmen:
1.
Klassische Sammelgebiete, die allgemein bekannt sind
und über ein relativ hohes Sozialprestige verfügen.
Hierher gehören in erster Linie Philatelie (Abbildung 3)
und Numismatik - heute stark zurückgedrängt und
als Altherrenhobby eingestuft. Durch berühmte Sammler, wie
z.B. die englische Königsfamilie ist z.B. die Philatelie immer
noch mit hohem Prestige ausgezeichnet (Courtney, 2004).
Kunstsammlungen
sind ebenfalls zeitlos, wohl noch zeitloser als die vorgenannten.
Kunstsammeln ist in Mitteleuropa wahrscheinlich die heute
üblichste Form gehobener Sammlerkultur. Nennen muß
man auch das Sammeln von Klassischen Fahrzeugen (oft
fälschlich "Oldtimer-Sammeln" bezeichnet)
- auch dieses mit hoher gesellschaftlicher Anerkennung
versehen, heute aber leider durch falsch verstandenen Umweltschutz und
übertriebene Sicherheitsnormen gefährdet, da es
für Privatpersonen immer schwieriger und bürokratisch
aufwendiger wird, erhaltenswerte, ältere Fahrzeuge
anzukaufen.
2. Sentimentale Sammelgebiete werden gespeist von persönlichen Erlebnissen, idyllischen Erfahrungen der Kindheit und Jugend, individuellem Berührtsein durch Erinnerungen.
Typisch für dieses Sammelgebiet sind Spielsachen im weitesten Sinne (Abbildung 5, 6 und 7) und vieles mehr.
Sammler holen mit diesen - oft sehr sentimental gesehenen Objekten - schöne Erinnerungen der Kindheit hervor, sie ersetzen die längst im Müll achtlos entsorgten Spielsachen der Kindheit, sie erfüllen sich mit einem Tretauto einen Kindertraum, der damals vielleicht nicht in Erfüllung ging. Besonders das Alter zwischen 40 und 60 ist typisch für derartige Auslese. Besonders gute Beispiele für diesen Sammlertyp sind Bernard Macaire (Modellflugzeuge; Mouillefarine & Hinous, 1989: 20 ff.), der leider viel zu früh an Lymphdrüsenkrebs verstorbene Bernd Pfarr (Blechspielzeug; Kemper & Seggelke, 2003: 8 ff.), Armand Hui Bon Hoa (Spielzeugroboter; Mouillefarine & Hinous, 1989: 44 ff.), Manfred Jandl (Überraschungseier-Figuren - angeregt durch seine Söhne; Binder & Wobrazek, 2005: 60 ff.) und Josef Augustin (Puppenküchen; Binder & Wobrazek, 2005: 63). So hat jede Generation ihren eigenen Fokus der sentimentalen Sammlerinteressen (z.B. Pauser & Ritschl, 1999).
Eine wunderschöne Episode unterstreicht diese sentimentale Neigung zu Sammelobjekten. Eine dezente aber doch maßgebliche Nebenhandlung in "Citizen Kane" spiegelt dies wider. Der Milliardär Charles Foster Kane murmelt am Sterbebett als letztes Wort "Rosebud" - Rosenknospe. Die Frage geistert durch den ganzen Film: Was bedeutet dieses Wort? Wollte der zu Lebzeiten gefürchtete und allmächtige Mann der Nachwelt irgendetwas mitteilen? Die letzte Einstellung zeigt, wie ein ungeschlachter und desinteressierter Arbeiter Massen an vermeintlich wertlosem Zeug in einen Industrieofen schmeißt - darunter Kane’s Kinderschlitten mit der Aufschrift "Rosebud". Das zeigt die sentimentale Verbindung zu Objekten, die uns lieb und wert sind und die den Ausgangspunkt für ganze Sammlungen darstellen können (Abbildung 8).
3. Sammeln von angewandter Kunst - die Kunst den Alltag zu sammeln
Von Tageszeitungen, von Werbebroschüren und Postkarten über Zigarettenpackungen (Abbildung 9), Zündholzschachteln (Abbildung 10), Bierdosen, bis hin zu Gläsern, Flaschen (Abbildung 11) oder Blechdosen (Abbildung 12), Kronkorken und Etiketten, sowie Joghurtplatinen (Abbildung 13) reicht hier das Sammelgebiet.
Auch Alltagsgeräte
gehören hier her, Werkzeug oder Schreibmaschinen (Abbildung 14).
Dieses Sammelgebiet hat aus 4 Gründen einen besonderen Reiz:
- es ist meist ein unbegrenztes Sammelgebiet vorhanden, das "Jagen" ist häufig von unbegrenztem Erfolg begleitet. Zigarettenpäckchen kann man überall, auch am Straßenrand in großen Mengen finden.
- die Objekte sind nach allgemeiner Meinung "Müll", "Verpackung", "Abfall" und werden weggeworfen. Sie sind daher gratis oder kosten nicht viel.
- es gibt wenig Konkurrenz, man ist nicht gezwungen in finanziell aufreibenden Versteigerungen um Objekte zu kämpfen, man bekommt sie sogar häufig geschenkt.
- Die Sammelgebiete sind meist so ausgefallen (Pizzaschachteln, Burger-Verpackungen (ein besonders engagiertes Beispiel: http://www.roland-barthel.de/Sammlung/index.html), Telefonwertkarten, Kronkorken), daß eine Sammlung im Verhältnis zu den Gestehungskosten einen sehr hohen ideellen wie auch sachlichen Wert annimmt. Man darf nämlich nicht vergessen, daß es auch bei Requisiteuren für Filme allgemein bekannt ist, daß es mitunter schwieriger ist aus dem frühen 20. Jahrhundert eine originale Verpackung von Haushaltsartikeln, wie Kernseifen, Waschmitteln u.ä. zu bekommen als einen echten Rolls Royce, von denen natürlich viele Exemplare gehütet wurden.
Das Sammeln von Verpackungsmaterialien kann man nur jedermann empfehlen, der wirklich einen Beitrag zur Kulturgeschichte der angewandten Kunst leisten will, bei gleichzeitig sehr geringen Anschaffungskosten und einem breiten Angebot an Sammel- und Jagdmöglichkeiten.
Das
berühmteste Beispiel ist das Robert Opie Museum in England mit
über 500.000 Alltagsobjekten unserer Konsumgesellschaft (http://www.robertopiecollection.com/
und McAlpine, A. & Giangrande, C., 1998: 28).
4. Das Sammeln der persönlichen Geschichte.
Die Pflege eines Familienarchivs mit Memorabilia, die Anlage von umfassenden Photodokumentationen in Form von Familienalben, Postkarten und Hüttenstempeln (Abbildung
15) der eigenen Ausflüge, das Sammeln persönlicher Eindrücke in Tagebüchern (Abbildung 16) und die Mitnahme von Erinnerungsstücken (ein Stein von jedem Ausflug), aber
auch die rostigen Nägel und Schrauben, die bei Wanderungen am
Straßenrand gefunden werden. Manche Menschen nehmen aus jedem
Urlaubsland Sandproben in kleinen Glasröhrchen mit und
schaffen auf diese Weise Kondensationspunkte annehmlicher Erinnerungen.
Unser Bewusstsein versucht die Schwäche unseres Reflexionsvermögens auszugleichen. Versatzstücke der
eigenen Geschichte dienen als Gedächtniskrücke und Anhaltspunkt für das Nachvollziehen unserer eigenen,
höchstpersönlichen Geschichte.
Ein ganz anderer Weg die eigene Individualität zu leben und sammlerisch zu markieren ist der von Michael Rudolph in Schleswig. Er bringt von all seinen Reisen Samen, Früchte oder Setzlinge von Bäumen mit nach Hause und setzt sie in seinem vier Hektar großen Privatpark ein. Lebendige Versatzstücke aus der weltweiten Natur, Erinnerungen und Lebenszeugen seiner Streifzüge durch diese Welt. Ein beschauliches und gleichzeitig höchst ästhetisches Hobby. (Kemper & Seggelke, 2003: 60 ff.)
Ein
krasser Gegensatz dazu ist die lebenslange Obsession des Fotografen
Enrique Metinides. Mittlerweile ein hochbezahlter und in
unzähligen Galerien präsenter Fotokünstler,
wurde er schon treffend als "Bote des
Unglücks" bezeichnet (Smoltczyk, 2004: 56 ff.).
Verbrechen, Morde, Flugzeugabstürze - eine schaurige
Aneinanderreihung von Einzelschicksalen, festgehalten als eine jeweils
letzte Ikone der menschlichen Vergänglichkeit.
Weltberühmt sein vielleicht ästhetischestes Bild: der
Tod der mexikanischen Schriftstellerin Adela Rivas nach ihrem
tragischen Verkehrsunfall von 1979 http://www.artnet.com/magazineus/reviews/garcia/garcia4-24-06_detail.asp?picnum=3).
Besonders berührend, daß Adela Rivas als außergewöhnlich attraktive Frau, als
Schriftstellerin und Intellektuelle gerade durch die Darstellung ihres
letzten, so unvorstellbar tragischen Augenblicks Weltberühmtheit erlangt hat, da sie selbst in diesem noch Eleganz, Würde und Schönheit bewahrt.
5. Virtuelle Sammlungen. Dieses Sammelgebiet ist gänzlich neu und erst durch drei Dinge möglich geworden: Leistungsfähige Heimcomputer, erschwingliche Speichermedien im Gigabyte-Bereich und das Internet mit dem World Wide Web.
Ein Sammelgebiet, dessen wohltuende Wirkung, besonders für Menschen, die an ihr Zuhause gebunden sind (ältere Personen, Behinderte), noch gar nicht richtig erkannt wurde.
Man kann Bildarchive nach eigener Wahl anlegen, man kann eine Weltreise im www. unternehmen und alle Orte, Flüsse, Berge durch Bilder dokumentieren. Man kann eine Sammlung berühmter Nationalparks anlegen, ebenso wie eine virtuelle Markensammlung, eine virtuelle Insektensammlung eine Sammlung an klassischen Automobilen und deren Innenansichten. Man kann Bilder oder Videoclips speichern und die immer größer werdende Sammlung mithilfe einschlägiger Programme strukturieren und ausbauen. Die hier im Austria Forum recht aktiv betriebene Präsentation österreichischer Seen kann in gewisser Weise als eine solche virtuelle Sammlung eingestuft werden.
Die Recherche im www. ist das "Jagen", das
Strukturieren und das Beschriften der Bilder das
"Ordnen" und die Präsentation des ganzen
auf entsprechenden Homepages oder das Anfertigen von bebilderten
Skripten ist das "Erschließen".
Üblicherweise ist ein besonders lustvoller Aspekt des Sammelns das
"Niemalsendenwollen". Die Vorfreude ist
ungebrochen. Sammlungen werden ja in der Regel niemals komplett.
Sammlungen sind mit hohem persönlichem Wert ausgestattet. Sie
herzugeben fällt schwer und ist meist unmöglich.
Erstaunlicherweise kommt es aber tatsächlich vor,
daß auch Sammler, ein Sammelgebiet komplettieren und die
Sammlung unter Umständen sogar abstoßen, um wieder
mit etwas Neuem zu beginnen.
Einer
der Grandseigneurs der Philatelie, der amerikanische Industrielle John
R. Boker verkaufte seine Spezialsammlung "altdeutscher
Staaten". Vollständigkeit und nachlassende Sehkraft
sollen die Ursache gewesen sein. Er verfügte, daß
die Sammlung wieder nach Deutschland zu bringen sei und dort
versteigert werden sollte. Dabei wurde ein Gesamterlös von 30
Millionen Euro erzielt (http://www.doylenewyork.com/pr/boker/default.htm).
Die Regel ist aber das Gegenteil. Vielfach gehört es für
eingefleischte Sammler zu den schlimmsten Lebenserfahrungen, wenn sie
sich aufgrund äußerer Umstände (finanzielle
Not, Alter, Krankheit, Änderung von Lebensumständen)
von ihren Sammlungen trennen müssen.
Fragt man nach den tieferen Beweggründen für das Sammeln so
kann man mindestens ebenso viele Gründe finden, wie es
verschiedene Sammelobjekte gibt. Die Auslöser für
Sammelgebiete können im rein fachlichen Interesse liegen, in
der Befriedigung ästhetischer Bedürfnisse, im
späten Erfüllen von Defiziten aus der Jugend ebenso
wie im sentimentalen Nachspielen von Kindheitsidyllen.
Beweggründe gibt es wie Sand am Meer. Aber auch einzelne
Sammelobjekte können besonders hervorstechen, besonders
angestrebt werden, weil sich eine höchstpersönliche
Geschichte im Hintergrund verbirgt.
Meine Mutter zum Beispiel verbrachte die Ferien bei ihren
Großeltern im Waldviertel. Wie Ende der 20iger Jahre
üblich, waren die Stuben mit zahlreichen -
für unsere heutigen Begriffe häßlichen und
kitschigen - Hinterglasbildern und Haussegen ausgestattet.
Ein Besuch in einem der vielen Heimatmuseen im Grenzgebiet
Mühlviertel/Waldviertel erweckte in meiner Mutter eine
unstillbare Sehnsucht nach dieser Kindheitsidylle. Sie begann
plötzlich Haussegen zu erwerben, sie zu restaurieren, kaufte
Fachliteratur und brachte alsbald ein ganzes, kleines Privatmuseum mit
diesen bäuerlichen Alltagsgegenständen zustande. Der
Auslöser - ich war damals dabei - war ein
einziges Erinnerungserlebnis und das damit verbundene Wachwerden eines
Kindertraumes. Interessanterweise erinnerte sie sich noch,
daß sie die Bilder selbst - auch als Kind
- als unschön und kitischig empfand. Die Idylle der
behüteten, warmen Stube, ihre lieben Großeltern und
die entspannte Atmosphäre der ländlichen Ferien, die
gute Luft, das gute Essen - all das prägten das
psychische Link zur Raumauststattung mit Hinterglasbildern und
Haussegen. Die Basis für ein ganzes Sammelgebiet war gelegt.
Das Sammeln wird sicher durch eine besondere Disposition
begünstigt. Ein Sammelvirus, wie oft behauptet wird, gibt es
nicht. Jedenfalls nicht im medizinisch-pathologischen Sinne. Sammeln
kann aber sehr wohl ansteckend sein, wenn man die Veranlagung in sich
trägt. Sammler verstehen sich untereinander, sie verstehen
einander, sie verstehen - unausgesprochen - die
Beweggründe, wie diffizil sie auch sein mögen.
Menschen ohne jede genetische Disposition verstehen dies meist nicht,
für sie ist Sammeln ein unnützer Zeitvertreib, eine
Zeitvergeudung. Im negativsten Sinn das unsinnige Anhäufen von
nutzlosem Unrat. Daher kann man einem Nichtsammler auch niemals
wirklich nachhaltig das Sammeln erklären.
Die großen Sammlungen des Naturhistorischen Museums Wien
Die bereits genannte
Stufenentwicklung (Ansammeln, Ordnen, Erschließen) betrifft
aber nicht nur die Entwicklung einer einzelnen,
höchstpersönlichen Sammlung, also den
"ontogenetischen" Werdegang einer Kollektion,
sondern spiegelt auch die historische Entwicklung des Sammelns an sich.
Ich will dies anhand der großen und unvergleichlichen,
naturwissenschaftlichen Sammlungen des Naturhistorischen Museums in
Wien (http://www.nhm-wien.ac.at/)
näher beleuchten.
In der Mitte der 18.
Jahrhunderts legte der Gemahl Kaiserin Maria Theresias (1717-1780),
Franz Stefan von Lothringen (1708-1765) mit der Gründung des
"kaiserlich königlichen
Hofnaturaliencabinetes" den Grundstein für die
Sammlungen, die heute den internationalen Ruf und den
wissenschaftlichen Wert des Naturhistorischen Museums Wien ausmachen.
Der Grundstock dieser ersten, kaiserlichen Privatsammlung, die im
ehemaligen Bibliotheksgebäude bei der Augustinerkirche am
Josefsplatz untergebracht war, entstammt der Naturaliensammlung von
Johann Ritter von Baillou (1758-1802). Franz Stefan
äußerte den Wunsch, diese Sammlung käuflich
zu erwerben. .Kaiser Franz Stephan war auch Großherzog der
Toskana und hat vermutlich dort die Sammlungsschätze von
Baillou erstmals zu Gesicht bekommen. Diese ersten Naturaliensammlungen
waren bloße Anhäufungen und Aneinanderreihungen
verschiedenster exotischer Objekte, ein wissenschaftliches Interesse im
heutigen Sinne existierte noch nicht oder nur in Ansätzen.
Prestige und pekuniärer Wert der Objekte waren Ansporn zu
dessen Erwerb. So erstand Franz Stefan das erste Exemplar der
sogenannten Wendeltreppenschnecke (Scalaria preciosa) zum Preis eines
Jahresgehaltes eines seiner höchsten Hofbeamten,
nämlich 4000 Gulden. Heute ist sie gerade einmal für
wenige Euro auf einschlägigen Sammlerbörsen
erhältlich. Franz Stephan war persönlich um seine
Sammlungen bemüht und besuchte sie - wie berichtet
wird - fast täglich.
Die zu dieser Zeit
immer stärker werdende Reisetätigkeit brachte in
Verbindung mit eifrigem Sammeln natürlich immer wieder
Nachschub an Raritäten nach Europa. Die Sammlung des Ritter
von Baillou war insofern eine glückliche Ausnahme, als sie von
Anfang an nach naturwissenschaftlichen Kriterien sortiert war. So
konnte Ignaz von Born (1742-1791) bereits 1778 ein umfangreiches
Verzeichnis der Schnecken und Muscheln anhand dieser Sammlung
erstellen. Ritter von Baillou war auch der erste Vorstand des
naturwissenschaftlichen Kabinetts, das zum Großteil aus den
30.000 Objekten seiner Sammlung bestand. Offensichtlich konnte sich
Johann Ritter von Baillou nur schwer von seinen Schätzen
trennen und folgte ihnen daher bis nach Wien. Ein verhalten, das jedem
eingefleischten Sammler nur allzu verständlich sein
dürfte.
Die kaiserliche Privatsammlung wurde immer umfangreicher wurde schließlich
durch einen Schenkungsakt im Jahre 1811 in das Staatseigentum
überführt. Mit Kaiser Ferdinand (1793-1875) begann in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch eine Gliederung
der Sammlungen in verschiedene "Cabinete".
Bestes Beispiel für den - gewissermaßen phylogenetischen -
Übergang des Sammelns als Ordnen und Klassifizieren zu
analytischer Erkentnnis ist der Vergleich der beiden Exponenten der
Zoologie Carl von Linné (1707-1778) und Charles Darwin
(1809-1882). Während das Ordnen und Klassifizieren bei
Linné Lebensaufgabe war, gewann die Analyse und
Interpreation der auf der Weltreise der Beagle zusammengetragenen
Objekte im wahrsten Sinne des Wortes Weltbedeutung: Praktisch
zeitgleich mit Alfred Russel Wallace (1823-1913) wurde so die
Evolutionstheorie begründet. Sie sollte bis heute die
tragfähigste Theorie zur Entstehung und zum Werden der
Lebewesenvielfalt auf diesem Planeten bleiben. Die ersten
systematischen Aufzählungen, die, wie erwähnt von
Ignaz von Born Ende des 18. Jahrhunderts erfolgten, nutzten bereits die
binäre Nomenklatur von Linné. Aber erst die, Mitte
des 19. Jahrhunderts einen rasanten Aufklärungsschub
verursachende Evolutionstheorie, gab den zahllosen und umfassenden
Museumssammlungen eine völlig neue Bedeutung als
Biodiversitätsarchive. Obwohl dieser moderne Name erst seit
kurzem gezielt verwendet wird, so darf man sich nicht
täuschen: die Verwendung von naturwissenschaftlichen
Sammlungen als Grundlage der systematisch-biogeographischen
Hypothesenbildung, reicht tief ins 19. Jahrhundert zurück. Die
Natur konnte nun mit ihrer überbordenden Vielfalt als
Entwicklungsprozess mit standardisierten sowie historischen
Zügen interpretiert werden. Hypothesen zur
Entwicklungsgeschichte des Lebens konnten anhand tausender und
abertausender Objekte gebildet werden. Verifizierung und Falsifizierung
fand ab sofort im Lichte der Sammlungsvielfalt statt. So ist letztlich
jede Neuentdeckung und Neubeschreibung einer biologischen Art sowie
ihre Abgrenzung zu anderen Populationseinheiten eine wissenschaftliche
Hypothese, die mithilfe der Präparate näher
untersucht wird, die sich anhand der konservierten und bereitgestellten
Objekte glaubhaft machen läßt oder der Widerlegung
unterwerfen muß.
Mit den Revolutionswirren des Jahres 1848 wurden wichtige Teile der kaiserlichen Sammlungen, darunter wertvolles Material aus Südamerika beschädigt und zerstört. Dabei verlor das Naturalienkabinett auch eine der ältesten und wertvollsten Schmetterlingssammlungen Mitteleuropas, die Denis und Schiffermüllersammlung. Mit ihrem Fokus auf die Falter der Wiener Gegend, wäre sie heute eine unschätzbar wertvolle Sammlung an Typus-Exemplaren, die damals der Erstbeschreibung vieler europäischer Falterarten zu Grunde lagen. Mit 1848 begann auch die Regentschaft von Kaiser Franz Joseph (1830-1916), der schließlich auch den Bau des Naturhistorischen Museums in den 70iger Jahres des 19. Jahrhunderts in Auftrag gab.
Der Niedergang des Sammelns in den zentraleuropäischen Ländern hat vor allem die naturwissenschaftlichen, beziehungsweise kulturhistorischen Fachrichtungen beschädigt. Gottseidank ist bis heute - wie bereits gesagt - das Sammeln von Kunst wenig von der allgemeinen gesellschaftlichen Reserviertheit dem Sammeln gegenüber betroffen. Der Aufbau großer, privater Kunstsammlungen in den letzten Dekaden beweist dies. Das Naturhistorische Museum bedarf aber, wie jedes andere naturwissenschaftliche Museum auch, des Ausbaues seiner Sammlungen um die Aussagekraft seiner Biodiversitätsarchive zu erhalten und zu erweitern. Bedeutet Quantität nicht unbedingt auch Zunahme an Qualität so ist dieser Satz doch für naturwissenschaftliche Sammlungen nur sehr bedingt gültig. Je größer der Umfang, je höher die Quantität einer biologischen Sammlung, umso weitreichender die Analysemöglichkeiten, die die Sammlung bietet. Heute scheint der Weg zurück zu angemessener staatlicher Unterstützung durch die erstarkten neoliberalen Züge in der europäischen Wirtschaft verwehrt zu sein. Daher ist eine erfolgversprechende Strategie das Naturhistorische Museum als Gesamtkunstwerk und Ort der bürgerlichen Begegnung sowie der gesellschaftlichen Identität zu positionieren. Nur eine sekundäre Verschränkung mit den allgegenwärtigen, gesellschaftlichen Interessen kann auch wieder den Blick öffnen und frei machen auf das, was unsere ureigenste Aufgabe ist: Das Sammeln und Bewahren als kulturelle Basis und ideelle Wertvermehrung, der Erhalt von Werten für unsere Nachkommen und die Bereitstellung von Forschungsmaterialien im Dienste internationaler Beziehungen.
Für mich als Chef einer der größten wissenschaftlichen Insektensammlungen (http://www.nhm-wien.ac.at/Content.Node/forschung/2zoo/index.html) und damit Biodiversitätsarchiven ist unsere Museumssammlung in erster Linie ein Wissenschaftsarchiv. Selbstverständlich auch mit der ganzen Palette persönlicher Bindungen, die man zwangsläufig aufbaut, wenn man einen derartigen Schatz als Kurator zu betreuen hat. Seit 200 Jahren tragen wir hier über 10 Millionen Insektenpräparate zusammen (Abbildung 18 und Abbildung 19. Alle sachgerecht verwahrt, beschriftet und etikettiert. Wissenschaftliche Hypothesenbildung in Bezug auf Phylogenie, Artabgrenzung, Zoogeographie werden bei uns vorgenommen, hunderte Publikationen zeugen davon. Wissenschaftler aus aller Welt besuchen derartige Sammlungen und eine zoologisch-systematische Arbeit wäre ohne Referenzinstitute unseres Ranges nicht denkbar.
Das Archiv der Archive
Das Austria Forum kann sich als Plattform erweisen
für die Präsentation der Sammlungen
Österreichs, sowohl der öffentlichen
Musealsammlungen, als auch der vielen kleineren und
größeren Privatsammlungen. Ein "Archiv der
Archive" könnte auf diese Weise entstehen. Dadurch
eine Zusammenschau der kulturellen Wertschöpfung dieses
Landes.
Viele Privatsammler werden die Gelegenheit
begrüßen, Teile ihrer Sammlung als Bildmaterial und
mit einem höchstpersönlichen Bericht ihrer
Sammlungsgeschichte präsentieren zu können.
Selbstverständlich unter Wahrung völliger
Anonymität, falls dies gewünscht wird.
Auf diese Weise könnte ein
allmählich wachsendes Forum an Sammlern dazu beitragen, ein
Gesamtbild der österreichischen Sammlerszene zu schaffen. Eine
neue, virtuelle Sammlung an Sammlungen - und damit im
wahrsten Sinne des Wortes eine Scientia amabilis, eine liebenswerte
Wissenschaft.
Literatur zum Thema Sammeln
Binder, B. & Wobrazek, S., 2005: Spinner mit Herz.- News 42/05: 60 - 67.
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Curtis, T. 1993: A Fortune in your Attic.- Lyle Publications, Glenmayne, Galashiels, Scotland, 160 pp.
Dusini, M., 2005: Der Friedhof der Dinge. - Falter, Kultursommer 2005: 18, 20.
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Kemper, H. & Seggelke, U.K., 2003: Sammellust.- Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 192 pp.
Krobath, P. & Krobath, B. (1986): Sammler. - Visa Magazin, 3/1986: 5-10.
Lödl, M. 2007: Vom Sammeln und Forschen - das Naturhistorische Museum Wien und seine kulturelle Identität.- Bioskop 1/07: 8-12:
Lödl, M. 2008: Das Sammeln - Vom Erjagen und Horten zur Kulturform.- Katalog zur Ausstellung "Jagen und Sammeln", Reichenau/Rax: 214-223.
Manroe, C.O. 1992: Designing with Collectibles.- Simon & Schuster, New York, 143 pp.
McAlpine, A. & Giangrande, C., 1998: Collecting & Display.- Conran Octopus Limited, London, 192 pp.
Meiss, S.v. & Guntli, R., 1999: Bücherwelten.- Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 256 pp.
Mouillefarine, L. & Hinous, P. 1989: Leurs Collections.- Éditions E.P.A., Paris, 216 pp.
Pauser, S. & Ritschl, W., 1999: Wickie, Slime und Piper. Das Online-Erinnerungsalbum für die Kinder der siebziger Jahre. - Böhlau, Wien-Köln-Weimar, 150 pp.
Smoltczyk, A., 2004: Der Bote des Unglücks.- Der Spiegel, 28/2004: 56-62.
Walcher-Molthein, A. (o.J., ca. 1925): Burg Kreuzenstein.- Eckart, Wien, 60 pp.