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Durch Gewalt verloren gegangen#

Die einzigartige Tradition jüdischen Lebens im Burgenland wird bis heute in vielen Ländern weitergegeben#


Von der Wiener Zeitung (Dienstag 20. März 2012) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Christof Habres


Über die Bedeutung der ehemaligen jüdischen Gemeinden im Burgenland.#

Friedhof Frauenkirchen
Der Friedhof Frauenkirchen wurde 1994 vom Verein Schalom wieder instand gesetzt.
© Elisabeth Reis

Wien. Ein Ortsschild vor einem Stadtteil in Jerusalem. "Mattersdorf" steht auf diesem Schild, das am Eingang zu einem ultraorthodoxen Viertel im nördlichen Teil Jerusalems steht. Wie kommt es, dass sich an dieser Stelle der Name eines kleinen burgenländischen Orts wieder findet? Die Namensgebung des Stadtteils bezieht sich auf die lange Geschichte der Juden in Mattersdorf, seit 1924 Mattersburg, und insbesonders auf die sogenannte "Mattersdorfer Gelehrsamkeit", die in der dortigen Jeschiwa, der Talmud- und Toraschule, über Jahrhunderte gepflegt und weitergegeben wurde und die bis ins Jahr 1938 weit über die Grenzen hohes Ansehen genoss.

Dem letzten Rabbiner von Mattersburg, Samuel Ehrenfeld, gelang mit einigen anderen Gemeindemitgliedern des Ortes 1938 die Flucht nach Brooklyn, New York, wo sie ihre Lehrtradition weiter aufrechterhielten. Rund ein Jahrzehnt nach der Staatsgründung Israels 1948 gründete Ehrenfeld mit seinem Sohn Akiba im Jahr 1959 die Gemeinde "Kirjat Mattersdorf" in Jerusalem. Heute sind Akiba und sein Sohn Yitzchak Ehrenfeld noch immer die rabbinischen Oberhäupter dieses Stadtteils.

Enger Kontakt zum Burgenland noch aufrecht#

Die einzigartige Geschichte der Juden des Burgenlands offenbart sich hier an vielen Orten, wie im Pensionistenheim "Neveh Simcha". Im Büro des Rabbiners Menachem Klein, der dieses Heim leitet und ebenfalls auf Vorfahren aus dem Burgenland verweisen kann, hängen alte Ansichten, Aquarelle und Fotografien von Mattersdorf. Rabbiner Klein verweist darauf, dass in dem Heim einige der letzten jüdischen Burgenländer leben und dass noch immer ein relativ enger Kontakt zum Burgenland besteht. Wie ein Reagenzglas mit Erde aus dem Burgenland beweist, dass Landeshauptmann Hans Niessl bei seinem Besuch im Jahr 2009 als Erinnerung überreicht hat.

Der Gemeinde "Kirjat Mattersdorf" gehören heute mehr als 1000 Familien an und mehr als 800 Schüler und Studenten aus der ganzen Welt besuchen die Jeschiwa. Beeindruckende Zahlen, auf die Yitzchak Ehrenfeld im Gespräch verweist. Er, der nun der Oberrabbiner der Gemeinde ist, lehrt selbst auch an dieser Schule, ganz in der religiösen Tradition der Lehren seiner Vorfahren - vom damals führenden Rabbiner Chatam Sofer, der am Ende des 18. Jahrhunderts in Mattersdorf unterrichtete, bis zu Samuel und Akiba Ehrenfeld.

Gemeindeleben ab dem 17. Jahrhundert#

Wie konnte sich eine im Judentum ungemein geachtete und weiterhin tradierte Lehrtradition im Burgenland etablieren? Überhaupt, wenn man bedenkt, dass in diesem Bundesland nach 1938, nach dem Zweiten Weltkrieg keine einzige jüdische Gemeinde wiederaufgebaut wurde und nur sehr wenige Juden zurückgekehrt sind. Aktives jüdisches Leben ist heute nur mehr in geringen Spuren dort vorhanden.

Der Hauptgrund liegt in der jahrhundertelangen ununterbrochenen Kontinuität jüdischer Gemeinden in dieser Region. Denn seit dem Jahr 1671, als ein Großteil der damals vom Leopold I. aus Wien vertriebenen Juden von Fürst Paul I. Esterházy aufgenommen und auf verschiedene Orte des heutigen Nord- und Mittelburgenlands verteilt wurden, existierten diese jüdischen Gemeinden, die bis heute als die berühmten Siebengemeinden, den Schewa Kehillot (Eisenstadt, Mattersdorf, Kobersdorf, Lackenbach, Deutschkreutz, Frauenkirchen und Kittsee), auf internationale Bekanntheit verweisen können.

Aber auch die Gemeinden Rechnitz, Schlaining, Güssing und später auch Oberwart im Süden, die unter dem Schutz der Batthyánys standen, waren bis zum Anschluss 1938 bemerkenswerte kulturelle und religiöse Zentren jüdischen Lebens. Im Gegensatz zu anderen Regionen und Städten der Habsburger Monarchie, wo Juden immer wieder vertrieben wurden und lange um ihre Anerkennung kämpfen mussten.

Der Anschluss an Nazideutschland 1938 machte das Burgenland zu einem "Mustergau". In keinem anderen Landstrich des gesamten Deutschen Reichs wurden die Juden so schnell enteignet, ihr Hab und Gut arisiert, aus ihrer Heimat vertrieben und getötet. Hauptverantwortlich für diese überfallsartige Kommandoaktion war der nationalsozialistische Landeshauptmann Tobias Portschy, der schon in den Monaten vor dem Anschluss einen Plan ausgearbeitet hatte, wie die "Judenfrage" auf dem schnellsten Weg zu "lösen" sei. Diesen Plan hat er mit teuflischer Konsequenz und Akribie durchgeführt. Bereits im Oktober 1938 war das Burgenland "judenfrei". Die über Jahrhunderte bestehende jüdische Kultur war innerhalb nur weniger Monate ungeheuer radikal zerstört worden.

Ansatzweise Aufarbeitung nach dem "Mustergau"#

Wie geht man mit dieser Geschichte heute im Burgenland um? Mit einer Geschichte, die vor Ort meist nur mehr in Form von Friedhöfen, Denkmälern, letzten noch bestehenden Gebäuden, Gedenktafeln präsent ist? Ambivalent. Sehr lange hat es gedauert, bis das offizielle Burgenland diese Geschichte ansatzweise aufgearbeitet hat, bis die Frage der Restitutionen erledigt, die Verantwortung für die Pflege der jüdischen Friedhöfe geklärt war. Bis Mahnmale, Denkmäler oder einfach nur Hinweisschilder errichtet wurden.

Und noch immer spürt man politischen, gesellschaftlichen Widerstand, wenn es darum geht, sich dieser Vergangenheit zu stellen und sich damit auseinanderzusetzen. Meist sind es private Initiativen von Vereinen und engagierten Menschen, die mit ihrer Bereitschaft versuchen, das Vergessen unbedingt zu verhindern, und dafür viel Zeit und enorme Anstrengungen auf sich nehmen. Menschen, die häufig auf die Frage nach dem Grund ihres Einsatzes antworten: "Einer muss es ja tun!" Viele mehr sollten es tun.

Wiener Zeitung, Dienstag 20. März 2012