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Hexagramm und Davidstern#

von Peter Diem

--> Beachte den Artikel zum Hexagramm von Georg Eisner auf http://www.eisner-georg.ch/Andere.html

Bild 'hexagramm_black'
Der aus zwei gleichseitigen Dreiecken gebildete Davidstern hat als schwarz-gelber Judenstern in der Symbolgeschichte Europas tragische Bedeutung erlangt. Verfolgen wir zunächst die Wurzeln der reinen geometrischen Form. Das Hexagramm, der sechszackige Stern, manchmal auch als “Zionsstern“ bezeichnet, kommt im Judentum und im Christentum, ja sogar im Islam vor. Seine geometrische Urform liegt auch dem hinduistischen Meditationszeichen „Yantra“, einem Symbol für die göttliche Kraft, zugrunde.Das Hexagramm wird aus dem männlich („feurigen“) Dreieck (Spitze nach oben) und dem weiblichen („wässrigen“) Dreieck (Spitze nach unten) gebildet, um so ein harmonisches Dualsystem zu formen. Ursprünglich als „Schild Davids“ („Magen David“) oder „Siegel Salomons“ bezeichnet, wurde das Hexagramm insbesondere im jüdischen und arabischen Kulturkreis als Siegelabdruck zur Vertreibung böser Geister und Dämonen verwendet. König Salomo soll es bis zu seinem Tod (ca. 930 v. Chr.) verwendet haben, um Dämonen zu beschwören und Engel herbeizurufen. Ein Besuch in der Al-Aqsa-Moschee am Tempelberg in Jerusalem zeigt die Verwendung des ornamentalen Hexagramms im Bereich des Islam: 

Ornament an der Treppe zur Kanzel (Minbar), - Foto: P. Diem
Ornament an der Treppe zur Kanzel (Minbar)
- Foto: P. Diem

Fenster neben dem Eingangstor - Foto: P. Diem
Fenster neben dem Eingangstor - Foto: P. Diem

In den staatlichen Emblemen der britischen Kolonie Nigeria (1861-1960) kam das Hexagramm bis in die jüngste Zeit vor, angeblich weil sich dieses Muster auf einem von den Briten erbeuteten Messingkrug befand. 

Flagge von Britisch Nigeria
Flagge von Britisch Nigeria

Pennymünze Nigeria 1959
Pennymünze Nigeria 1959

Innungsemblem der Gastwirte im Alten Rathaus in Wien (1853)
Innungsemblem der Gastwirte im Alten Rathaus in Wien (1853)

Die vier Elemente
Die vier Elemente


In der mittelalterlichen Alchemie stellt das Hexagramm die Vereinigung aller Gegensätze dar, da es die Zeichen für die vier alten Elemente Wasser, Erde, Feuer und Luft  in sich trägt. Die Durchdringung der beiden Dreiecke symbolisiert die Verschmelzung der sichtbaren mit der unsichtbaren Welt, die Vereinigung von „oben“ und „unten“. Es handelt sich hier also um ein klassisches Dualsystem - viele starke Symbole sind aus zwei gegensätzlichen elementen zusammengesetz (doppeladler, Yin Yang etc.)

Im Zusammenhang mit der Bierbrauerei stand neben dem grundlegenden Element Wasser die Erde für das Gerstenmalz, das Feuer für die Pfanne im Sudhaus und die Luft für den "Geist" des Bieres - die Kohlensäure. Aus dem Synonym für mittelalterliches Brauen wurde dann das Privileg, durch den Stern im Wirtshaus-Schild das Recht aufs Ausschenken selbstgebrauten Bieres dokumentieren zu dürfen. Nach anderer Lesart ist das Hexagramm als ein Schutzsymbol gegen die in den Brauereien des Mittelalters stets gegenwärtige Feuergefahr angesehen worden (vgl. das oben abgebildete Innungsemblem der Wiener Gastwirte)

--> Das Hexagramm als Zeichen der Bierbrauer und Gastwirte

Auch W. Gunther Plaut, 1945 als Rabbi in der US-Armee tätig, weist auf die universelle Verbreitung des Hexagramms hin - von altrömischen Tafelgeschirr über mittelalterliche Kirchen bis zur Dollar-Note und zum Sheriff-Stern. 

--> W. Gunther Plaut: THE MAGEN DAVID - How the six-pointed star became an emblem for the Jewish people. B'nai B'rith Books, Washington D.C., 1991

Turm der Universität Czernowitz - Foto: P. Diem
Turm der Universität Czernowitz - Foto: P. Diem

Jubiläumssynagoge Prag (mit Klick vergrößern!) © P. Diem
Jubiläumssynagoge Prag - Foto: P. Diem

Der David- oder Zionsstern#

Wie das Hexagramm als „Schild Davids“ zum Symbol des Judentums und des Staates Israel wurde, beschreibt Gershom Scholem in einem 1948 hebräisch verfassten und im Almanach des „Haarez“ (Tel Aviv) erschienenen Aufsatz. In umgearbeiteter Form wurde dieser Aufsatz auch auf Deutsch publiziert.

--> Gershom Scholem: „Das Davidschild - Geschichte eines Symbols“, Judaic--> 2, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt, 1963.

Nach Scholem steht das Hexagramm in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der jüdischen Religion. Wie in vielen anderen Kulturen ist das Hexagramm auch im jüdischen Kulturkreis zunächst nichts als ein geometrisches Ornament. Es tritt auf jüdischen Altertümern nur sehr selten auf. Ironischerweise findet es sich auf einem Fries der Synagoge von Kaparnaum (2. bis 3. Jh.) zusammen mit einer Art Hakenkreuzornament. Lange bevor das Hexagramm in den Synagogen erscheint, tritt es  als Heilszeichen in frühmittelalterlichen Kirchen auf. Demgegenüber ist das eigentliche religiöse Symbol des Judentums der siebenarmige Leuchter, die Menorah. Diese bildet ja  heute auch das offizielle Wappen Israels.

Als „Siegel Salomons“ wird das Hexagramm fälschlich auf die im 16. Jahrhundert entstandenen kabbalistischen Schriften des Isaak Luria zurückgeführt. In Wahrheit findet sich das Hexagramm in zahlreichen jüdischen, christlichen und auch arabischen magischen Texten als ein gegen böse Geister wirkendes Symbol. Als solches wird es im Mittelalter dem Text der Mesusa (am Türpfosten des jüdischen Hauses angebrachte Schriftkapsel) hinzugefügt. Als Talisman gegen die Dämonen erhielten sich Hexagramm und Pentagramm bis in die Neuzeit, wobei BEIDE als „Siegel Salomons“ bezeichnet wurden. Beide Zeichen waren ja auch Teil der Symbolsprache der Alchimisten.

Der offizielle Gebrauch des Hexagramms als Symbol für eine jüdische Gemeinschaft geht erst auf das mittelalterliche Prag zurück. Unter Karl IV. erhielten die Prager Juden 1357 das Recht, eine eigene Fahne zu führen. Schon 1527 wurde Kaiser Ferdinand I. bei seinem Einzug in Prag von der jüdischen Gemeinde mit einer Fahne begrüßt, die das Davidschild enthielt. Ein Duplikat dieser Fahne, 1716 angefertigt, befindet sich in der Prager „Altneusynagoge“ (siehe Bild links). Demgegenüber wurde Matthias Corvinus bei seinem Einzug in Budapest 1476 von der dortigen jüdischen Gemeinde mit einer n Fahne begrüßt, die einen „fünfeckigen Drudenfuss und unter ihm zwei goldene Sterne über einem Judenhut“ zeigte (a.a.O. 109). In Prag aber setzt sich das Hexagramm gegen das Pentagramm als offizielles Zeichen der jüdischen Gemeinde auf Siegeln und auf Gebäuden durch. Von dort aus verbreitet es sich ab dem 17. Jahrhundert über die gesamte österreichisch-ungarische Monarchie. 

Fahne in der Altneusynagoge - Foto: P. Diem
Fahne in der Altneusynagoge - Foto: P. Diem

Fahne mit Hexagramm beim Einzug eines Kaisers in Prag
Fahne mit Hexagramm beim Einzug eines Kaisers in Prag


In Wien erscheint das Hexagramm zuerst in einer Urkunde von 1655. Aus dem Jahr 1656 hat sich ein zwischen der Leopoldstädter Judenschaft und der Besitzung des Bürgerspitals erhalten, auf dem Davidschild und Reichsapfel in gleicher Größe eingemeißelt sind. Die Sandsteinplatte wurde 1898 bei einer Grabung für eine Gasleitung in im 2. Bezirk gefunden steht heute im neuen jüdischen Museum der Stadt Wien. 

Die 1670 aus Wien vertriebenen Juden nahmen ihr Zeichen mit über Mähren bis nach Preußen. 

Die aschkenasische Gemeinde Amsterdams führte ab dem 18. Jahrhundert den Davidstern in der Prager Form (mit einem schiefstehenden Judenhut, der dort freilich als „Schwedenhut“ bezeichnet wurde). 

Immer mehr wurde das Hexagramm zum identitätsstiftenden Symbol, das von den Juden dem ihnen überall begegnenden christlichen Kreuz gegenübergestellt wurde. Viele nichtjüdische Architekten integrierten es im 19. Jahrhundert als selbstverständliches religiöses Kennzeichen in die von ihnen entworfenen Synagogenbauten.

Hexagramm in den Fenstern der verfallenden Synagoge von Vatra Dornei/Rumänien - Foto: P. Diem
Hexagramm in den Fenstern der verfallenden Synagoge von Vatra Dornei/Rumänien - Foto: P. Diem

Bild 'STONE'

Hexagramm im Stiegenhaus des 'Jüdischen Hauses' in Czernowitz. Unter dem Kommunismus waren die Ecken abgesägt worden (hier das Erinnerungsstück) - Foto: P. Diem
Hexagramm im Stiegenhaus des "Jüdischen Hauses" in Czernowitz. Unter dem Kommunismus waren die Ecken abgesägt worden (hier das Erinnerungsstück) - Foto: P. Diem

Das Hexagramm hatte seinen überlieferten Amulettcharakter nie verloren und gelangte so - unwidersprochen durch Rabbiner und Schriftgelehrte - auch auf viele jüdische Kultgegenstände. Gershom Scholem bemerkt hiezu bitter:

„Gerade in den Tagen seiner größten Verbreitung im 19. Jahrhundert diente das Davidschild als sinnleeres Symbol eines Judentums, das selber mehr und mehr der Sinnlosigkeit verfiel. Die Sermone der Prediger waren nicht ausreichend, um dem Zeichen Leben einzuhauchen. Die glanzvolle und leere Karriere des „Magen David“ im 19. Jahrhundert ist
selber ein Zeichen jüdischen Verfalls.“ (a.a.O. p. 116)

Mit dem Auftreten der zionistischen Bewegung in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts trat das Hexagramm in eine neue, bedeutende Phase. Am 4.6.1897 erschien die erste Nummer der Zeitschrift „Die Welt“, herausgegeben von Theodor Herzl und versehen mit dem Davidstern. Im gleichen Jahr wählte der Basler Kongress das Hexagramm zum offiziellen Emblem der zionistischen Bewegung.

Bild 'welt1897'


Gleichzeitig wurde das von den Juden nunmehr als Symbol ihrer Sehnsucht nach einem eigenen Staat angenommene Zeichen immer stärker auch zum antisemitischen Kürzel, das auf judenfeindlichen Flugblättern und Schriften allenthalben auftrat. Schon in den zwanziger Jahren wurde der Davidsstern auf Synagogen und jüdische Geschäfte geschmiert. Und bis heute kommt es vor, dass nicht nur Hakenkreuze sondern auch Hexagramme als Graffiti an Wände oder Mauern gelangen.  

"Mehr  Bedeutung  als durch die Zionistische Bewegung bekam der Davidsstern durch die Verwendung als Schandmal für Millionen unserer Volksgenossen, die aber am Ende die Bedeutung umkehrten. Das Zeichen, das ihren Tod bedeutete, wurde zu einem Zeichen des Lebens. Anders gesagt: Das Zeichen, das  Folter und Qualen bedeutete, wurde zu einem Zeichen für Leben und Aufbau. Ohne Tiefe – keine Höhe. An dem Ort, an dem er ausgestoßen wurde, fand er am Ende seine Größe." (Gershom Scholem)

Der Judenstern in Österreich#

Bild 'jordan_kl'

Jordanhaus- Foto: P. Diem

Nichts symbolisiert die lange Tradition des österreichischen Antisemitismus besser als ein kleines Relief am Wiener Judenplatz. Der Judenplatz hatte unter dem Namen „Schulhof“ den Mittelpunkt der einstigen Judenstadt gebildet, die sich direkt neben dem Herzogshof erstreckte. Hier befanden sich Schule, Badestube, Synagoge und das Haus des Rabbis. Die Judenschule war eine der bedeutendsten des deutschen Sprachraums. Die Wiener Judenstadt war bis zur ersten großen Judenverfolgung durch vier Tore von der übrigen Stadt abgeschlossen. Nach 1421 wurde die Synagoge abgetragen, das Baumaterial wurde zur Errichtung des Universitätsgebäudes mitverwendet.
Auf dem Judenplatz wurde 1935 ein Standbild für Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) errichtet, der mit seiner Ringparabel in „Nathan der Weise“ der interkonfessionellen Toleranz ein bleibendes literarisches Denkmal gesetzt hat. Die von Siegfried Charoux geschaffene Statue wurde 1938 von den Nazis entfernt und eingeschmolzen. 1968 entstand sie neu und kam zunächst auf den Morzinplatz, übersiedelte aber 1982 an ihren „alten“ Aufstellungsort am Judenplatz. Von dem eindrucksvollen Standbild des Aufklärers Lessing wendet sich der Blick des Beschauers auf die Fassade des „Jordanhauses“, wo in lateinischer Sprache zu lesen steht: 

„Durch den Jordanfluss wird der Leib von Krankheit und Übel gereinigt, da weicht selbst verborgene Sündhaftigkeit. So rast die Flamme sich erhebend durch die ganze Stadt im Jahr 1421 und sühnt die grausamen Verbrechen der jüdischen Hunde. Die Welt wurde einst durch die Deukalionische Flut gereinigt, doch diesmal wurde die Schuld in den Flammen gebüßt.“ 

Diese Darstellung der Taufe Jesu im Jordan wurde zur Erinnerung an die 1421 auf der Gänseweide (Hinrichtungsstätte, etwa am Beginn der heutigen Weißgerberlände gelegen, letzte Exekution auf dem Scheiterhaufen 1733, danach Hinrichtung von Militärpersonen durch Erschießen bis 1798) erfolgte Judenverbrennung vom ersten Besitzer des Hauses, Jörg Jordan, 1497 angebracht. Nachdem das Haus zeitweilig dem Jesuitenorden gehört hatte, befindet es sich seit 1684 in Privatbesitz. Als willkommene Entschuldigung für das Fehlen jeder erklärenden Inschrift dient die Befürchtung des Hauseigentümers, eine solche Tafel würde zu antisemitischen Schmieraktionen führen. Vielleicht gemildert durch die der Mehrheit der Österreicher unverständliche Sprache, aber jedenfalls durch keine Zusatztafel kommentiert, perpetuiert das Relief im Grunde die traditionelle Judenfeindschaft, die aus dem Mittelalter über Schönerer und Lueger zu Hitler und Eichmann, nach Dachau und Auschwitz geführt hat.

--> Eine Tradition, die nichts dabei fand, dass zwischen 1888 und 1938 ein Haus in der Josefstadt (Josefsgasse 4-6), in dem zwei judenfeindliche Tageszeitungen („Deutsches Volksblatt“ und „Deutsch-österreichische Tageszeitung“) hergestellt wurden, als „Antisemitenhof“ bezeichnet wurde.

Haus des Ersten Wiener Turnvereins, 6., Schleifmühlgasse 23
Foto: P. Diem

--> Eine Tradition, die noch heute deutschnationale, fremdenfeindliche Inschriften auf Hausfassaden duldet: Haus des Ersten Wiener Turnvereins,  6., Schleifmühlgasse 23 mit der Inschrift: "Dem Deutschen kann nur durch Deutsche geholfen werden. Fremde Helfer bringen uns immer tiefer ins Verderben."

--> Die langjährigen Umfragen des Instituts GfK Austria zeigen eine sinkende Zahl derjenigen Personen, die die Judenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus leugnen.

Die Umfrage zum Thema "Judenmorde" wird seit 1979 jährlich im Herbst mit gleicher Fragestellung durchgeführt. Dabei wird u.a. gefragt, ob die Österreicher die in der NS-Zeit verübten Massenmorde an den Juden für historisch erwiesen erachten oder nicht. Die Tendenz der negativen Antwort ist über die Jahre stark fallend.

1979 sahen noch ganze 15 Prozent der Befragten die Massenmorde als historisch nicht erwiesen an, 2015 waren es nur mehr 3 Prozent. Vier Prozent machten keine Angaben.

Befragt wurden jeweils rund 1.000 über 14-Jährige. Es bestehen dabei keine messbaren Unterschiede nach Alter, Geschlecht oder Bundesland. Ob die Meinung der drei Prozent auf Unwissenheit oder auf bewusstes Leugnen geschichtlicher Fakten beruht, müsste durch weitere Untersuchungen festgestellt werden..

Bild 'Holocaust_2015'


Bild 'KZs'


Foto: P. Diem
Foto: P. Diem

Foto: P. Diem
Foto: P. Diem

Zur Vorgeschichte und Gesamtthematik des Erinnerungsgeschehens am Judenplatz vgl.:
--> Simon Wiesenthal, Hrsg., Projekt:Judenplatz, Wien, Zsolnay, Wien 2000

Der Judenstern als Symbol von Ausgrenzung, Vertreibung und Vernichtung der österreichischen Juden#

Zwei österreichische Historiker haben in einander ergänzenden Aufsätzen einen Überblick über die tragischen Jahre gegeben, in denen das jüdische Leben in Österreich praktisch ausgelöscht wurde:

--> Gerhard Botz, Stufen der Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft. Die österreichischen Juden vom „Anschluss“ zum „0caust“, in: „Zeitgeschichte“ 9/10-1987, S. 359 ff. und
--> Erika  Weinzierl, Schuld durch Gleichgültigkeit, in: Anton Pelinka/Erika Weinzierl, Das große Tabu, Edition S, Wien, 1987, Seite 174 ff.

Eingangs sei bemerkt, dass die Mitwirkung von Österreichern an den Judenverfolgungen der Nazis zwar jedermann bekannt war und ist, dieser Umstand aber im öffentlichen Bewusstsein immer noch nicht richtig verarbeitet, sondern in gut österreichischer Tradition verdrängt  wurde und wird. 

Es sollte bis zum Jahr 1991 dauern, bis ein österreichischer Bundeskanzler offiziell die Verstrickung des österreichischen Volkes in die Gräuel der Nazizeit erklärt und zugegeben hat: „... Dennoch haben auch viele Österreicher den Anschluss begrüsst, haben das nationalsozialistische Regime gestützt, haben es auf vielen Ebenen der Hierarchie mitgetragen. Viele Österreicher waren an den Unterdrückungsmaßnahmen und Verfolgungen des Dritten Reichs beteiligt, zum Teil an prominenter Stelle. Über eine moralische Mitverantwortung für Taten unserer Bürger können wir uns auch heute nicht hinwegsetzen ...“  (Bundeskanzler Franz Vranitzky im Nationalrat am 8. Juli 1991 - Sten. Prot. XVIII. GP, 35. Sitzung, 3282 f.)

Hier ein Überblick über die progressive Ausgliederung der österreichischen Juden aus der Gesellschaft in den Jahren 1938 - 1943 anhand der von Gerhard Botz herausgearbeiteten acht Phasen, die in der Kennzeichnung mit dem Judenstern und der Deportation vieler österreichischer Juden gipfelten. Sie werden teilweise im Detail dargestellt, damit auch dem jungen Leser vor Augen geführt wird, was der Judenstern an der Brust österreichischer Mitbürger - manche von ihnen waren Offiziere in der k.u.k. Armee gewesen - in der Praxis wirklich bedeutete.

1. Spontane Privatpogrome und Erniedrigungsrituale#

Unmittelbar nach dem „Anschluss“ am 12. März 1938 wurden jüdische Mitbürger durch uniformierten und nicht uniformierten Mob zu „Putzkolonnen“ und „Reibpartien“ gezwungen, bei denen sie unter Spott und Misshandlungen Straßen und Wände von den Wahlparolen Schuschniggs und den Kruckenkreuzen der Vaterländischen Front reinigen mussten. Hier der Augenzeugenbericht des britischen Journalisten G.E.R. Geyde: 

„Von meinem Büro am Petersplatz konnte ich auch Wochen hindurch den Lieblingssport des Nazimobs beobachten: jüdische Männer und Frauen wurden gezwungen, auf allen vieren kriechend, den Gehsteig mit einer scharfen Lauge zu reiben, die ihnen die Haut verbrannte ... Jetzt aber wurden tagtäglich Juden, Frauen und Männer von der SA aus Geschäften, Büros und Wohnungen geholt und gezwungen, inmitten einer sich drängenden, stichelnden und lachenden Menge von „goldenen Wiener Herzen“ mit Ausreibbürsten, auf allen vieren kriechend, stundenlang die Gehsteige zu reiben, in dem hoffnungslosen Versuch, die Spuren der Schuschnigg-Propaganda zu beseitigen. (Wo es keine Krückenkreuze wegzuwaschen gab, malten sie die Nazi selbst auf den Gehsteig, um den Juden so eine Arbeit zu schaffen.) Von Zeit zu Zeit johlte die Menge vor Vergnügen auf. Diese bedeutete, dass einer der SA-Männer höhnisch gesagt hatte, „Sie brauchen frisches Wasser“ und dabei einen Kübel voll Schmutzwasser über sein Opfer gegossen hatte. Die erste Reibpartie sah ich auf dem Praterstern. Sie musste das Bild Schuschniggs entfernen, das mit einer Schablone auf den Sockel eines Monuments gemalt worden war. SA-Leute schleppten einen bejahrten jüdischen Arbeiter und seine Frau durch die beifallklatschende Menge.Tränen rollten der alten Frau über die Wangen, und während sie starr vor sich hinsah und förmlich durch ihre Peiniger hindurchblickte, konnte ich sehen, wie der alte Mann, dessen Arm sie hielt, versuchte, ihre Hand zu streicheln. 'Arbeit für die Juden, endlich Arbeit für die Juden!' heulte die Menge. 'Wir danken unserem Führer, er hat Arbeit für die Juden geschafft!'“

--> G.E.R. Gedye, Als die Bastionen fielen, Junius, Wien, 1981, 294 f. (Dieses Buch wurde unter dem unmittelbaren Eindruck der erlebten Ereignisse geschrieben und erschien zum ersten Mal im Februar 1939 in London. Die erste deutschsprachige Ausgabe kam dann 1947 im Wiener Verlag Danubius heraus.)

Durch die NSDAP „legalisierte“ und nicht legalisierte Privatraubzüge und andere Gewalttaten trieben über 200 Juden in den Selbstmord. Rund 2000 jüdische Bürger wurden verhaftet und nach Dachau deportiert. Nach Friedrich Heer drangen die Nazi-Stürmer mit dem Rufe „Hep,hep, hep!" in jüdische Geschäfte ein: dieser Ruf geht auf die Kreuzfahrer zurück, die unter der Parole „H/IEROSOLIM-->  E/ST/P/ERDUTA“ bei der ersten Eroberung Jerusalems die gesamte jüdische Gemeinde massakrierten.

2. Legistische Ausgrenzung#

Die Einführung der sogenannten Nürnberger Rassengesetze  („Reichsbürgergesetz“ und „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ aus dem September 1935) in der „Ostmark“ erfolgte am 20. Mai 1938. Danach konnte den „Ariernachweis“ nur erbringen, wer vier nichtjüdische Großeltern hatte. „Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ waren ebenso verboten wie „außerehelicher Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“. Die mit 23. Juli 1938  eingeführten „Kennkarten“ und die Reisepässe wurden im Falle jüdischer Bürger auf der ersten Seite mit einem großen roten „J“  gestempelt. Das „J“ -  übrigens eine Schweizer „Erfindung“ - findet sich bald auch auf den in Geltung tretenden Lebensmittelkarten. Ab 7. Februar 1939 werden alle Juden dazu gezwungen, die Vornamen „Israel“ bzw. „Sara“ anzunehmen. Die Juden werden aus dem Schul- und Hochschulwesen sowie aus den freien Berufen entfernt. 

Das rote "J" für "Jude"#

"Um diesen komplizierten bürokratischen Prozess zu vereinfachen, wurde im August 1938 im Rothschild-Palais an der Prinz-Eugen-Straße, gegenüber dem Belvedere (an dieser Stelle steht heute das Gebäude der Kammer für Arbeiter und Angestellte - pd), die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" eröffnet. Stellte man sich am Abend vorher an, konnte man am nächsten Tag dort abgefertigt werden und einen gültigen deutschen Reisepass mit einem roten "J" für "Jude" erhalten. Die Deutschen hatten das auf Verlagen der Schweizer Behörden eingeführt, die einen besonderen Sichtvermerk für jüdische Emigranten forderten."

Aus: Ari Rath: Ari heißt Löwe - Erinnerungen, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2012, Seite 38f.

Im Sommer 1938 wird die Ausstellung „Der Ewige Jude“ nach Wien in die Nordwestbahnhalle gebracht. Sie wird von 350.000 Wienern, darunter von allen Schülern, besucht. Hier die Plakate für die Wiener Ausstellung und den 1940 im Auftrag von Joseph Göbbels gedrehten, gleichnamigen Propagandafilm. 
 

Bild 'ewiger_jude'
Bild 'ewige1'
Bild 'ewige2'

3. Wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen#

Von den rund 200.000 Juden der „Ostmark“ lebten 90 Prozent in Wien. Im Gegensatz zum „Altreich“ wurde die „Entjudung“ in Österreich durch zunächst „wilde Arisierungen“ stark beschleunigt. Massenentlassungen von Juden und Enteignungen begannen das wirtschaftliche Leben stark zu beeinträchtigen. 25.000 „kommissarische Leiter“ (meist Nazifunktionäre und Mitläufer) hatten - oft ohne hinreichende Sachkenntnis - von jüdischen Geschäften Besitz ergriffen. Das österreichische „Arisierungsverfahren“ wird zum Vorbild für Regelungen in den übrigen Teilen des „Großdeutschen Reiches“. (Hier und an anderer Stelle wird man immer wieder an das Wort von Karl Kraus von der„österreichischen Versuchstation des Weltunterganges“ 

-->  Karl Kraus, Die Fackel Nr. 400-403/Juli 1914 - erinnert).

Die Pauperisierung großer Teile der Juden Wiens kommt u.a. in der öffentlichen Ausspeisung von täglich bis zu 40.000 Juden durch die „Notausspeisungszentrale“ der zur Mitwirkung (!) an den Verfolgungsmaßnahmen am 2. Mai 1938 wiedereröffneten Wiener Israelitischen Kultusgemeinde zum Ausdruck. (Die Arbeitsteilung zwischen Verfolgern und Verfolgten durch die erzwungene Mitwirkung der jüdischen Institutionen erwies sich bis in die nationalsozialistischen Vernichtungslager hinein als eine ebenso teuflische wie wirksame Strategie.)

Anmerkung: Es sollte bis Ende des Jahres 2005 dauern, bis - nach Gewährleistung der sogenannten "Rechtssicherheit" , d.h. der Zusage der Einstellung von individuellen Gerichtsverfahren in den USA -  die Restitution geraubten jüdischen Eigentums in Österreich zur Gänze abgewickelt werden konnte. 

4. Erzwungene Emigration#

Unter Mithilfe der „Zentralstelle für jüdische Auswanderer in Wien“ konnten bis Ende 1939 an die 130.000 österreichische Juden zur Emigration gebracht werden, wobei den vermögenden Auswanderern ein Beitrag zur Finanzierung der Emigration der ärmeren Juden abverlangt wurde. 65.000 österreichische Juden kamen in den Vernichtungslagern des Nazi-Regimes ums Leben.

5. Mord und Brand auf breiter Basis: Die "Reichskristallnacht"#

In Wien hatte die Radikalisierung schon vor den wegen der vielen zu Bruch gegangenen Fensterscheiben zynisch als „Reichskristallnacht“ bezeichneten Ausschreitungen eingesetzt. So war auch das von höchster Stelle angeordnete Großpogrom, das SA und SS in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Zivil durchführten, in Wien heftiger als im „Altreich“: Neben der Verwüstung tausender jüdischer Geschäfte und Wohnungen wurden 42 Synagogen - meist durch Brand - vollkommen zerstört. Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde hinterließen zahlreiche Opfer. Allein in der ehemaligen Klosterschule in der Wiener Kenyongasse wurden 27 Juden getötet und
88 schwer verletzt. An die 700 Selbstmorde folgten aus Verzweiflung. Aber auch in den ehemaligen Bundesländern außerhalb Wiens ("Donau- und Alpengaue") wurde durch SA, SS und HJ gewüstet und gemordet. In Innsbruck verloren drei Juden ihr Leben, im Burgenland und in Niederösterreich wurden Synagogen und viele  jüdische Friedhöfe verwüstet. Ähnliches ereignete sich in Graz, Klagenfurt, Linz und Salzburg, wo es allerdings zu diesem Zeitpunkt nur mehr sehr wenige jüdische Geschäfte gab.

--> Vgl. hiezu auch die einschlägigen Ausführungen im Beitrag "Hakenkreuz" .

6. Räumliche Ausgrenzung (Ghettoisierung)

Etwa 10 Prozent des Gesamtbestandes an Wohnungen in Wien - rund 70.000 - waren 1938 in jüdischem Besitz. Erzwungene Auswanderung und „wilde“ Arisierung hatten einen Grossteil davon bereits in die Hände der nichtjüdischen Bevölkerung gelangen lassen. Hand in Hand mit den Wohnungsarisierungen wurden immer mehr jüdische Einwohner Wiens in den Bezirken entlang des Donaukanals angesiedelt. Das führte zu Protesten der NS-Dienststellen der betroffenen Stadtviertel, worauf die Wiener Stadtverwaltung unter Gauleiter Josef Bürckel (im Volksmund „Bierleiter Gauckel“ genannt) die Errichtung zweier Arbeitslager für je 6.000 Insassen bei Gänserndorf ins Auge fasste. Bei verbliebenen 50.000 Juden im Oktober 1939 wurde offensichtlich bereits damals mit letalen Folgen von Zwangsarbeit und Überbelegung spekuliert. Die rasche Eroberung Polens führte zur Aufgabe dieser Pläne, da die Deportation der Juden aus Wien für Hitler aus seiner bekannten persönlichen Sicht Priorität hatte. Vergleiche hiezu die immer wieder faszinierend zu lesenden Assoziationen Friedrich Heers zu den Wurzeln von Hitlers Antisemitismus, u.a. in: 

--> Friedrich Heer, Gottes Erste Liebe, Bechtle, Esslingen,1967/ Herbig München, 1981 (Lizenzausgabe), 386 ff.

7. Volle Stereotypisierung des "schmutzigen Juden"#

Die Deprivierung, Pauperisierung und Ghettoisierung der Juden in der „Ostmark“ und im „Reich“ machte aus der langjährigen Diffamierung dieser Bevölkerungsgruppe als „heruntergekommen“, „schmutzig“, „egoistisch“ eine „self-fulfilling prophecy“: Je mehr man sie knechtete und ausgrenzte, umso mehr näherten sich die bedauernswerten Opfer der nationalsozialistischen Ausrottungspolitik dem in Julius Streichers „Stürmer“ (seit 1923) und in anderen antisemitischen Hetzschriften erzeugten Stereotyp des „Ostjuden“. Damit wurde nun „der Jude“ von den meisten „Ariern“ so gesehen, wie er nach dem Willen des Regimes gesehen werden sollte. Und damit wurde jeder Solidarisierung der Boden entzogen. Als "Volksfeinde", „Volksschädlinge“ und „Parasiten“ konnten die Wiener Juden, die überdies zu 40 Prozent (!) bereits das 60. Lebensjahr überschritten hatten, ohne das Risiko eines Protestes durch die Mehrheitsbevölkerung deportiert und einem ungewissen Schicksal ausgeliefert werden. Mit einer Ausgangssperre belegt, spätestens ab September 1939 vom Besuch der Bäder, vom Betreten des Praters und der übrigen Parkanlagen, vom Radioempfang und der Telefonbenützung ausgeschlossen, durften die Juden schließlich nicht einmal mehr die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen.

Bild 'feind'

Bild 'Judensternfrau'

Plaketten Lange Gasse Photo: Peter Diem
Erinnerungsplaketten Lange Gasse, Wien 8., Foto: Peter Diem

8. Stigmatisierung, Abtransport, Todeslager#

Es ist nicht möglich, an dieser Stelle alle Restriktionen, Schikanen und Quälereien - durch mehr als 250 antijüdische Verordnungen legistisch verbrämt - aufzuzählen, denen die bis 1941 noch im Herrschaftsbereich des Nationalsozialismus verbliebenen Menschen jüdischen Glaubens und jüdischer Abstammung ausgesetzt waren. Man darf aber nie übersehen, dass der Nationalsozialismus - gerade im katholischen Österreich - auf eine Jahrhunderte lange Tradition der blutigen Verfolgung und vielfachen Diskriminierung - darunter auch schon die äußerliche Kenntlichmachung der Juden - zurückgreifen konnte: 

Bereits im Jahre 1215 wurde den Juden vom 4. Laterankonzil das Tragen hoher, kegelförmiger Hüte vorgeschrieben. Ein Beispiel dafür findet sich im Stadtwappen von Judenburg sowie im einschlägigen Artikel der Wikipedia:



Bild 'judenburg'

Bild 'suesskind'

Bild 'Judenring_239h'

Später wurde ein gelber Kreisring bzw. Tuchlappen erdacht, der von den Juden zu tragen war. 1452 setzte sich der deutsche Kirchenrechtler und Philosoph Nikolaus von Kues (1401-1464) für eine Erneuerung dieser Vorschrift ein, die von Kaiser Ferdinand I. 1551 für die österreichischen Erblande bekräftigt wurde (siehe Abb. rechts oben).  

-->  Über den rassischen und politischen Antisemitismus und die Rolle Österreichs um die Jahrhundertwende vgl. den Beitrag über das Hakenkreuz.

Der aufgenähte Stern#

Der Gipfelpunkt der gesellschaftlichen Diskriminierung wurde jedenfalls mit der Polizeiverordnung vom 1.9.1941 über die Kennzeichnung der Juden erreicht. Diese Vorschrift wurde zuerst 1939 im „Generalgouvernement“ (Restgebiet Polens um Krakau) mit einem gelben Dreieck bzw. einem blauen Zionsstern auf weißer Armbinde ausprobiert (man wird hier an die probeweise Einführung des Urentwurfs des österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuches ABGB in Form des „Westgalizischen Gesetzbuches“ 1797 erinnert!). Und auch schon im Juni 1941 war vom kroatischen Ustascha-Regime verfügt worden, dass jüdische Geschäftslokale mit einem gelben Stern zu kennzeichnen seien. Die Regelung sah Folgendes vor:

Ab Mitte September 1941 mussten alle über sechs Jahre alten Juden auf ihrer Kleidung den gelben Judenstern tragen. In zynischer Raffinesse kehrte man dabei das traditionelle Symbol des Judentums wider die Juden selbst, wobei man außerdem das Wort „Jude“, das der schwarz gerandete gelbe Stern enthielt, in einer in Richtung des Hebräischen verfremdeten Schreibweise abfasste. So suchte man die vorhandenen uralten antisemitischen Klischees zu verstärken. (Dem gleichen Ziel hatten ja  Propagandaausstellungen wie die oben erwähnte in der Wiener Nordwestbahnhalle gedient, wo auch ein Judenkleid mit gelbem Judenring gezeigt wurde, oder der Spielfilm  „Jud Süß“, der mit einem Davidstern begann).



Deutsches Reich, Elsass, Protektorat Böhmen und Mähren
Deutsches Reich, Elsass, Protektorat Böhmen und Mähren

Z für 'Zidov' (Jude)
Z für "Zidov" (Jude)

Niederlande
Niederlande

Frankreich
Frankreich

Belgien
Belgien


Polen
Polen

Ungarn
Ungarn

Slowakei
Slowakei

Bulgarien
Bulgarien



Armbinde - Griechenland, Serbien
Armbinde - Griechenland, Serbien

Rumänien
Rumänien


Quelle: Shoa.de  Nach einem Bericht von Wolfgang Benz („Der Spiegel“ 39/1988, 150) hatten die Betroffenen bei der Verteilung der Judensterne  wieder selbst mitzuwirken. Dabei wurde wie folgt vorgegangen: 

Am 8. September 1941 wurde Dr. Josef Löwenherz als Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde Wien im Reichssicherheitshauptamt in Berlin von zwei Gestapo-Offizieren mitgeteilt, dass am 17. September 1941 zunächst ein Stern pro Person zur Verfügung gestellt werden würde. Pünktlich zum Inkrafttreten der Verordnung am 19. September 1941 seien alle Juden ausnahmslos zu kennzeichnen. Als Bezugspreis habe die Gemeinde 3 Reichspfennige zu entrichten, der Stern sei um
10 Reichspfennige weiterzugeben. Innerhalb weniger Tage führte die große Berliner Fahnenfabrik Geitel & Co den ihr erteilten Auftrag aus und lieferte fast eine Million Sterne, aufgedruckt auf lange Stoffbahnen, aus. Bei der Ausgabe der Judensterne musste folgender Text unterschrieben werden:
„Ich bestätige hiedurch den Empfang von 1 Judenstern. Mir sind die gesetzlichen Bestimmungen über das Tragen des Judensterns, das Verbot des Tragens von Orden, Ehrenzeichen und sonstigen Abzeichen bekannt. Auch weiß ich, dass ich meinen Wohnort nicht verlassen darf, ohne einen schriftliche Erlaubnis der Ortspolizeibehörde bei mir zu führen. Ich verpflichte mich, das Kennzeichen sorgfältig und pfleglich zu behandeln und bei seinem Aufnähen auf das Kleidungsstück den über das Kennzeichen hinausragenden Stoffrand umzuschlagen. Abschrift dieser Quittung ist in meinem Besitz.“

Mit der Ausgabe der gelben Judensterne wurde ein erneuter antisemitischer Feldzug verbunden, der jeden Umgang mit den „Sternträgern“ untersagte. Von den Juden selbst ist der Stern als quälendes Brandzeichen, als weithin sichtbares Symbol ihrer sozialen Degradierung empfunden worden. Insbesondere die Kinder traf dies schwer. Im Juli 1943 wurden übrigens die noch im Land verbliebenen Juden verpflichtet, auch an ihrer Wohnungstür einen schwarzen Judenstern auf weißem Papier anzubringen.

In Ungarn war der Judenstern nur in Gelb ausgeführt. In der Slowakei wurde der Judenstern mit dem  "Judenkodex" vom 9. September 1941 eingeführt. Mit ihm waren auch Briefe von Juden zu kennzeichnen - etwas, "was nicht einmal den deutschen Nazis eingefallen war" ("Die Zeit" Nr. 40/2007, S. 112).

Neben dem Judenstern gab es im Dritten Reich auch noch den "Polenstern" mit ähnlich diskriminierendem Charakter, der ebenfalls schon durch die Farbe Gelb zum Ausdruck kam. Der Polenstern war ein gelber Flicken mit einem großen violetten „P“ in der Mitte eines auf der Spitze stehenden Quadrats. Er wurde den polnischen Zwangsarbeitern auf die Jacke genäht. Des weiteren erfanden die Nationalsozialisten auch eine Kennzeichnung aller jener Volksstämme, dieZwangsarbeiter im Dritten Reich stellen mussten: 

Ab 1944 wurden die zur Zwangsarbeit Verpflichteten dadurch gleichzeitig kenntlich gemacht und diskriminiert, dass sie ein Symbol aus ihrem jeweils eigenen ethno-kulturellen Bereich tragen mussten. Ihnen wurde „Haltung und Leistung“ sowie „Mitarbeit im Kampf gegen die jüdisch-bolschewistische Weltgefahr“ zugebilligt, sodass die Kennzeichen als „Ehrenzeichen“ getarnt wurden. Die „Volkstumsabzeichen“ bestanden aus einem Sonnenblumenkranz (wohl als dem Symbol des Ernteeinsatzes in den Ostgebieten), der bei ukrainischen Ostarbeitern den Dreizack, bei weißrussischen Ähre und Zahnrad und bei russischen das Andreaskreuz umschloss. Die Abzeichen waren den Landesfarben angepasst und dementsprechend bei Ukrainern blau-gelb, bei Weißrussen rot-weiß und bei Russen weiß-blau-rot gehalten. Die Strafbestimmungen für das Nichttragen der Abzeichen blieben dennoch aufrecht. Angehörige von ehemaligen Hilfswilligen, die aus ihren Verbänden ausgeschieden waren und sich zum Arbeitseinsatz im „Reich“ befanden, erhielten als besondere Auszeichnung zusätzlich in den Landesfarben gehaltene Ärmelstreifen. 

--> Zwangsarbeit

 Folgende Formen wurden ausgegeben:

 Ukrainer: Dreizack („Trysub“, altes ukrainisches Symbol für Autorität, ist seit 19.2.1991 wieder Staatswappen); Farben Blau-Gelb,
Bild 'tri'
Bild 'ua'
UkraineHeutiges und historisches WappenHeutige und historische Farben
Russen: Andreaskreuz; Farben Weiß-Blau-Rot,
Bild 'russ_navy'
Bild 'ru'
Russische FöderationHeutige MarineflaggeHeutige Staatsflagge
 Weissrussen: Ähre und Zahnrad; Farben Weiss-Rot.
Bild 'weiss'
Bild 'belarus'
Republik WeißrusslandHistorische StaatsflaggeHeutige  Staatsflagge

Über die verschiedenen KZ-Abzeichen und Farben berichtete der ehemalige Nationalratspräsident Dr. Alfred Maleta aus Dachau:

„Es gab dort sogenannte „Politische“, die ein rotes Dreieck auf ihrer Jacke trugen, dann die sogenannten „Kriminellen“ mit einem grünen Dreieck, die im Augenblick ihrer Entlassung aus der Strafhaft - als sie glücklich glaubten, wieder die Luft der Freiheit atmen zu können - von der Gestapo am Gefängnisausgang geschnappt und in das KZ eingeliefert worden waren. Dann gab es die sogenannten „Homosexuellen“ mit einem rosaroten Winkel, die aber bei weitem nicht alle homosexuell waren. Man wollte ganz einfach unbequeme Leute in ihrer Heimat moralisch diffamieren. Die letzte Gruppe waren die sogenannten „Arbeitsscheuen“, wobei innerhalb dieser Gruppe noch einmal fein säuberlich unterschieden wurde, was durch schwarze und braune Dreiecke erkennbar war... Juden aller Farbschattierungen trugen außerdem noch den Davidstern“.

--> Alfred Maleta, Bewältigte Vergangenheit, Österreich 1932-1945, Styria, Graz, 1981, 204 f.

Zur Kennzeichnung von Häftlingen siehe auch hier

Symbole zur Kennzeichnung von KZ-Häftlingen
Symbole zur Kennzeichnung von KZ-Häftlingen

Kennzeichnung von KZ-Häftlingen
Kennzeichnung von KZ-Häftlingen

Kennzeichnung in Mauthausen
Kennzeichnung in Mauthausen
1., Morzinplatz - Denkmal für die Opfer des Faschismus, Bildhauer: Leopold Grausam, Foto: Peter Diem
1., Morzinplatz - Denkmal für die Opfer des Faschismus
Bildhauer: Leopold Grausam, Foto: Peter Diem

Die Situation in anderen von Deutschland besetzten Gebieten #

Dänemark wurde von der Deutschen Wehrmacht am 9. Mai 1940 überrannt und praktisch kampflos eingenommen. Während der ersten Jahre der deutschen Besetzung Dänemarks kam es zu keinen Judenverfolgungen. Doch als nach der deutschen Niederlage in Stalingrad und der Landung der Alliierten in Süditalien Unruhen ausbrachen, wird am 29. August 1943 der Ausnahmezustand verhängt. Am 8. September 1943 initiiert der Chef der deutschen Besatzungsverwaltung in Dänemark, 
SS-Gruppenführer Dr. Werner Best - einer der geistigen Väter der Gestapo - die Deportation der dänischen Juden. Bevor jedoch die Deportation am 1. und 2.  Oktober eingeleitet wird, werden die Judengemeinden durch den deutschen Schifffahrtsattaché Georg Ferdinand Duckwitz, der von Best informiert worden war, gewarnt. Historiker vermuten, dass Best möglichst schnell zu normalen Verhältnissen zurückkehren wollte. Auf diese Weise fallen nur 481 Juden den Deutschen in die Hände. Sie werden in Viehwaggons nach Theresienstadt gebracht, wo 53 von ihnen umkommen. Mehr als 7000 Juden aber können mit Hilfe der dänischen Bevölkerung entkommen - sie erreichen die nahe schwedische Küste mit Ruderbooten und Fischkuttern - oft allerdings nur gegen hohe Bezahlung. Die noch während des Krieges in England und den USA  aufgekommene Behauptung, König Christian X. habe sich einer deutschen Forderung nach antijüdischer Gesetzgebung durch die Drohung widersetzt, selbst aus Protest einen Judenstern zu tragen, entspricht nicht den Tatsachen. Der dänische König hatte allerdings dem Rabbiner Marcus Melchior brieflich sein Mitgefühl ausgedrückt, als im Dezember 1941 ein Brandanschlag auf die Synagoge von Kopenhagen verübt wurde. Im übrigen wurden die Juden in Dänemark niemals zum Tragen des Judensterns verpflichtet.  

Im besiegten Holland wurde die Aktion Judenstern - unter der umsichtigen Leitung des katholischen Wiener Rechtsanwalts und Reichsstatthalters Dr. Arthur Seyss-Inquart - ab April 1942 voll durchgezogen.

Der Eingang in das Vernichtungslager Auschwitz - 60 km westlich von Krakau nahe der polnischen Kleinstadt Oświęcim.
Der Eingang in das Vernichtungslager Auschwitz - 60 km westlich von Krakau nahe der polnischen Kleinstadt Oświęcim.

KZ-Häftlinge Zellberg, Stepan, Gorbach in Dachau (mit Klick vergrößern!) © Landesbildstelle Steiermark
Gend.Obst. Zellburg, Dr. Stepan, Dr. Gorbach

KZ-Kleidung im DÖW - (durch Anklicken vergrößern)
KZ-Kleidung

Der Weg zur "Endlösung" #

Trotz gelegentlicher Solidarisierung mit den Gebrandmarkten, von denen auch einige hundert versteckt wurden und so den Krieg überlebten, gab es in Österreich „zu wenige Gerechte“ (Erika Weinzierl) und so nahm die „Endlösung“ der „Judenfrage“ ihren furchtbaren Lauf:

Wegen geringfügiger „Delikte“ (z. B. unbeabsichtigtes Verdecken des Judensterns, Besitz eines Zigarettenstummels ) verhaftet oder in der Nacht planmäßig „ausgehoben“, wurden Tausende Juden zunächst in Sammellager gebracht. Mit maximal 50 kg Gepäck erfolgte darauf der Abtransport nach Polen in Güter- oder Viehwaggons. So wurden bis Ende 1944 an die 40.000 Juden deportiert. Nur 5.700 Juden überlebten das „Dritte Reich“ in Wien. Rund 65.000 österreichische Juden fanden den Tod durch die Schergen des NS-Regimes, unter welchen sich viele und prominente Österreicher befanden.

Gerhard Botz schließt seine Ausführungen mit den Sätzen:

„Die >Endlösung< lag hier auch in vornationalsozialistischer Zeit im Bereich des Denkmöglichen. Sie wurde allerdings erst durchführbar am Ende eines politisch-sozialpsychologischen und bürokratisch-rationalisierenden Prozesses, der das Judenbild stufenweise entmenschlichte und noch vorhandene Solidaritätsgefühle der nichtjüdischen Bevölkerung mit den Juden ausschaltete. Am Anfang dieses Prozesses war die massenhafte Judenverfolgung und -vernichtung noch undurchführbar, gegen Ende war sie es nicht mehr. Die Verfolgung der Juden machte die Juden kollektiv erst zu dem, weswegen sie verfolgt wurden. Dadurch wurden wiederum neue, radikalere Verfolgungsstufen möglich. Judenbild und Judenhass bedingten einander wechselseitig. Der säkularisierte „völkische“ Antisemitismus wie der christlich traditionelle Judenhass wurden zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.“

Die Schändung jüdischer Friedhöfe blieb nicht auf die Nazizeit beschränkt, sondern hat sich auch in der Zweiten Republik ereignet. Es ist zu hoffen, dass sich mit dem Generationswechsel trotz mancher neonazistischer Exzesse in Deutschland in Österreich solche Ereignisse nie mehr wiederholen.

--> Hinweis:

Die Erfahrungen beim „Anschluss“ wurden auch für die Judenpolitik im "Altreich" wichtig. Reinhard Heydrich war einer der Ersten aus der Bürokratie Hitlers, die am 13. März 1938 in Wien ankamen. Gemeinsam mit SS-Führer Heinrich Himmler landete er um 5.00 Uhr in der Donaumetropole. In seiner Heydrich-Biographie erinnert Robert Gerwarth daran, dass Hitler „Himmler mit der Aufgabe betraute, die polizeiliche Kontrolle über das annektierte Gebiet zu sichern. Wie gewöhnlich reichte Himmler diesen Auftrag an Heydrich weiter, dem es damit oblag, die erste Verhaftungswelle zu leiten und die österreichische Polizei zu ‚säubern‘.“

Im Wiener Hotel Regina fallen wenige Tage später richtungsweisende Entscheidungen: Ernst Kaltenbrunner, der Führer der österreichischen SS, wird neuer Staatssekretär für Sicherheit, deutsche Polizisten sollen die heimische Exekutive „verstärken“ (was sich ob der Integrationsbereitschaft der österreichischen Polizeikräfte als nicht notwendig herausstellen sollte). Heydrich ordnet die erste große Verhaftungswelle an. Am Abend des 13. März hatte Heydrich bereits eine weitere Operation durchführen lassen: die Konfiszierung jüdischen Eigentums. Womit Heydrich bei seinen Anordnungen nicht gerechnet hatte: mit dem Terror, der sich ungezügelt gegen die 170.000 in Wien lebenden Juden richtete. „Das Maß der gegen sie gerichteten Gewalt ging deutlich über alles hinaus, was seit 1933 an antisemitischen Ausschreitungen im Altreich stattgefunden hatte“, erinnert Gerwarth. Bereits in den ersten Stunden des deutschen Einmarsches sei es in Österreich zu Überfällen auf Juden und Plünderungen jüdischer Geschäfte gekommen. Die pogromartigen Exzesse in Österreich drohten die ‚geordneten‘ Aktionen der Gestapo zu sprengen und Heydrichs Autorität zu untergraben.

  • Robert Gerwarth: Reinhard Heydrich. Aus dem Englischen von Udo Rennert. Siedler Verlag, 2012

Der ORF-Redakteur Gerald Heidegger hat dieses Buch in einem ausführlichen Essay rezensiert lesen

DIE ERSTEN JUDEN-DEPORTATIONEN (Buchbesprechung)#

Nisko ist eine kleine Eisenbahnhaltestelle westlich des San, die man vergeblich auf einer normalen Landkarte suchen würde.Einen traurigen Ruf erlangte es als Endstation der ersten von Eichmann durchgeführten Judenverschickungen im Herbst des Jahres 1939, also Jahre vor der Wannseekonferenz und der dort in die Wege geleiteten "Endlösung". Darüber berichtet sehr ausführlich Joseph Moser. Die abundante und sehr umfangreich dokumentierte Literatur über den 5 konzentriert sich auf die Judenvernichtung. Weniger bekannt sind die zahlreichen Überlegungen zu einer Aus- beziehungsweise Umsiedlung nicht nur der deutschen Juden, die im Ausland niemand haben wollte, sondern auch der eigenen Juden, z. B. aus Frankreich und Polen. Dort fasste man ernsthaft eine Ansiedlung auf Madagaskar ins Auge, englische Überlegungen zielten auf das ehemalige Deutsch-Südostafrika, dem heutigen Tanganjika und Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, wogegen sich die Buren Südafrikas wehrten, da das Gebiet ihrer Treuhandschaft überlassen war. Die deutsche Judenpolitik war vor Kriegsbeginn gespalten. Die SS favorisierte die Auswanderung nach

Palästina, während das Auswärtige Amt Rücksicht auf die Araber nahm und von einem Judenstaat befürchtete, dass er sich bei den bevorstehenden Auseinandersetzungen auf Seiten der Alliierten stellen würde. Mit dem Feldzug in Polen erhielt die Judenpolitik ein neues Momentum. Man glaubte im so genannten Generalgouvernement, also den staatsrechtlich nicht in den Verband der dem Deutschen Reich angegliederten Reichsgauen, genügend freien Raum gefunden zu haben für die neue große Völkerwanderung, der Ansiedlung von Balten-und Wolhynien Deutschen und Konzentrierung der Juden. Nun sah der sich gleichsam als Monopolist der Judenfragen empfindende Eichmann seine Chance gekommen, um sich zu profilieren. Vom Gestapomüller, seinem direkten Vorgesetzten, hatte er die Weisung erhalten, Katto-witz und Mährisch Ostrau "judenfrei" zu machen. Eigenmächtig dehnte er diese Weisung auf Wien aus. Er wählte Nisko als Destination aus, weil der Ort in einer Art Niemandsland unweit der Demarkationsgrenze mit der Sowjetunion lag

"Wenn der Ostjude, der ein außerordentlich geschickter Handwerker ist, nun mit Industrie versehen wird von Juden aus den Gebieten wie zum Beispiel Österreich, auch Deutschland, dazu Landwirtschaft betreibt, so könnte das sehr wohl eine Lösungsmög-lichkeit noch für einige Zeit sein. Und für beide Teile lohnend. Wir, die Sicherheitspolizei, haben Ruhe, die Juden selbst haben Ruhe..." So äußerte sich Eichmann. Das war reine Gaukelei, praktische Überlegungen stellte er nicht an. Nichts war in Nisko vorbereitet oder geplant hinsichtlich Unterkunft, Verpflegung, medizinischer Versorgung usw. Vor allem stellte sich heraus, dass die Gebiete keineswegs menschenleer waren. So sagte man den Juden einfach: verjagt die Polen! Die Aktion war bezeichnend für das administrative Chaos des Dritten Reichs, wo ein jeder versuchte, sich ohne Rücksicht auf Recht oder Gesetz durchzusetzen, um via facti unwiderrufliche Tatsachen zu schaffen. Vor den deutschen Behörden wurde die Aktion weitestgehend geheim gehalten, damit nicht andere Dienststellen, eventuell mächti-gere und einflussreichere, ins Handwerk pfuschen würden.

Sie erhielten dennoch bald Wind von den Vorgängen und begannen aufzumucken. Nicht, dass man etwas für die Juden tun wollte, aber die SS verfuhr vollkommen nach Gutdünken, sie nahm Transportmittel in Anspruch, die eigentlich für die Relozierung der deutschen Truppen gebraucht wurden, sie requirierte Baumaterial, nicht für die Juden, sondern für die komfortablen SS Unterkünfte, sie deportierte, um Raum freizumachen, in der Rüstungsindustrie benötigte Arbeitskräfte, polnische Bauern, die man als landwirtschaftliche Hilfskräfte für die überwiegend bäuerlichen Wolhyniendeutschen benötigte. Auch legte die SS Hand auf Ver-mögenswerte, die andere Nazi- Machthaber selbst stehlen wollten.

Schließlich kam noch ein anderes Bedenken zum Tragen: Die gesamte Region war bereits als Aufmarschgebiet für den künftigen Krieg gegen die Sowjetunion nach militärischen Gesichtspunkten zu gestalten. Da war für Judenreservate kein Platz.

Eichmann, damals noch ein schlichter Oberleutnant, wurde zurückgepfiffen. Das Lager, kaum errichtet, musste aufgelöst wer-den, für die Insassen war das ein Hoffnungsschimmer, vielleicht noch irgendwohin auswandern zu können.

Teilweise jedoch jagte sie die SS einfach in die Wälder Richtung Sowjetunion, wo sie von polnischen Bauern und marodierenden polnische Soldaten weiter verfolgt und ausgeplündert wurden. Anfangs ließen die Russen die Flüchtenden passieren, doch bald machten sie dicht. Eine ganz geringe An-zahl, genau beziffern kann sie Moser nicht, kehrte in ihre Ausgangspunkte zurück oder wurde an andere Reservate beziehungsweise Konzentrationslager verbracht.

Als Nisko schon erledigt war, benützte es Eichmann noch zu einer Erpressung, indem er von der Kultusgemeinde Wien unter dem Vorwand, dass man nunmehr die Auswan-derung in irgendwelche neutrale Ländere beschleunigen wollte - eine glatte Lüge - Gelder in dreistelliger Höhe herauslockte. Typisch für Eichmann die Skrupellosigkeit und gleichzeitige Pedanterie. Mit beispiellos bürokratischer Akribie wurde registriert, wurden Listen und Inventare erstellt, Besichtigungen, Schätzungen durchgeführt, Bescheinigungen ausgestellt. Es musste alles seine Ordnung haben und Eichmann war ein Meister, ein Generalfeldmarschall des Papierkriegs, dem es über alles ging, Statistiken und Berichte nach Berlin vorzulegen.

Für die Umsiedlung nach Nisko hatte es tatsächlich Freiwillige gegeben, die den Nazis glaubten und mit Siedlung und Kolonisierung romantische Vorstellungen verbanden, nicht zuletzt auch als Vorstufe für eine spätere Auswanderung nach Israel, die noch immer im Bereich des Möglichen zu sein schien.

Vor diesem Hintergrund bemüht sich der Autor auch um eine Ehrenrettung der Funktionäre der Kultusgemeinde, die von manchen der Mitglieder der Kollaboration, und noch dazu zum eigenen Vorteil, beschuldigt wurden. Der teuflische Mechanismus des totalitären Staates brachte es mit sich, dass man unfreiwillig zu Mithelfern wurde und so fielen damals Schuldzuweisungen leicht. Die Rechtfertigungen nach nunmehr über 70 Jahren sind ein ehrenwertes, aber gewiss schwieriges Unterfangen, dem man viel Überzeugungskraft wünscht.

Heimo Kellner in: Illustrierte Neue Welt, Juni-Juli 2012

Jonny Moser: Nisko - Die ersten Judendeportationen, Steinbauer Wien, 2012


--> Zum Thema "Davidstern in der israelischen Flagge" siehe:

http://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Symbole/Hexagramm_Israel

--> Vergleiche auch die ausführliche Arbeit von Georg Eisner: "Vom Hexagramm zum Davidstern"



--> Eine Landkarte der Transporte jüdischer Österreicher in die Vernichtungslager des Hitlerregimes findet sich hier