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Das Wirken des Wunderdoktors #

Mit seinem „animalischen Magnetismus“ zog er Scharen von Patienten in seinen Bann. Ohne es zu wissen, entdeckte er die Kraft der Suggestion: zum 200. Todestag von Franz Anton Mesmer. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 5. März 2015)

Von

Martin Tauss


Franz Anton Mesmer
Kuriose Effekte. Franz Anton Mesmer (1734–1815) glaubte, dass nicht nur in Mineralien, sondern auch in und zwischen den Lebewesen magnetische Kräfte wirken.
© K.K.

Nur ganz wenige Personen werden aufgrund ihres Schaffens für bestimmte Eigenschaften namensgebend. Anhand des genuinen literarischen Werks von Franz Kafka etwa wurde der Begriff „kafkaesk“ geprägt, der seither zum Inbegriff des Rätselhaft-Versponnenen geworden ist. Auch der deutsche Arzt Franz Anton Mesmer fand mit seinem Therapieansatz Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch: Das englische Wort „mesmerizing“ heißt so viel wie faszinierend, bezaubernd, packend. All das trifft nicht nur auf die Strahlkraft von Mesmers Werk, sondern auch auf seine abenteuerliche Lebensgeschichte zu.

Am Höhepunkt seiner Karriere konnte er sich dem Ansturm seiner Patienten kaum erwehren: Vor seiner luxuriösen Wohnung in Paris standen von morgens bis abends die Kutschen des französischen Adels. Selbst Marie Antoinette, die Frau des französischen Königs, verfiel der „Mesmeromanie“, dem Hype um den charismatischen Wunderheiler aus Wien. In ganz Frankreich wurden Gesellschaften ins Leben gerufen, um Mesmers neuartiges Heilverfahren des „tierischen Magnetismus“ zu fördern. Sogar „magnetische Aktien“ wurden aufgelegt, die binnen kürzester Zeit vergriffen waren. Doch auch in Paris sollte sich schon bald eine Experten-Kommission mit seinen umstrittenen Methoden beschäftigen. Das Ergebnis fi el vernichtend aus – ähnlich wie zuvor in Wien, wo er von Kollegen als Scharlatan diffamiert und des Betrugs bezichtigt worden war.

Gruppensitzungen bei Kerzenschein #

Der Bildungsweg des Förstersohns, der aus einem kleinen Dorf am Bodensee stammte, erinnert an den Wissensdurst von Goethes Faust: Nach der Theologie und „Juristerei“ landete Mesmer schließlich an der Wiener Medizinischen Fakultät, wo er 1766 mit einer Arbeit über den „Einfluss der Gestirne auf den menschlichen Körper“ promovierte. Die Idee eines „magnetischen Fluidums“, das den Menschen mit der Erde, den Himmelskörpern und der belebten Umwelt verbindet, wurde prägend für seine Behandlungsphilosophie. Demnach sei Krankheit auf das gestörte Gleichgewicht im Fluidum zurückzuführen, und die Therapie bedürfe magnetischer Techniken, um dieses Gleichgewicht wiederherzustellen. Diese Praxis wusste Mesmer wahrlich gekonnt zu inszenieren: Er magnetisierte Wasser, ließ seine Patienten darin baden oder gab es ihnen zu trinken. Er setzte auf die unwiderstehliche Wirkung seines Blicks, seiner Finger und Handflächen. Und er vertraute den Effekten seiner therapeutischen Show: Bei den Gruppensitzungen warfen Kerzen ein schummriges Licht in die abgedunkelten Räume, dazu ertönten Gesang und die sphärischen Klänge einer Harmonika.

Wenig verwunderlich, dass Mesmers Werk bis heute reichlich Stoff für die Literatur zu bieten hat: In Erzählungen von E.T.A. Hoffmann oder Edgar Allen Poe spielt der Magnetismus eine zentrale Rolle; Stefan Zweig widmete Mesmer in „Die Heilung durch den Geist“ (1931) einen einfühlsamen biografischen Essay, und die zeitgenössische Autorin Alissa Walser beschrieb in ihrem Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“ (2010) Mesmers erfolglose Therapieversuche bei der blinden Pianistin Maria Theresia Paradis, die ihm später von seinen Wiener Gegnern zur Last gelegt wurden. Mesmers Biografie wurde 1994 auch in Spielfilm-Format gebracht.

Franz Anton Mesmer
Franz Anton Mesmer
© K.K.

Als schillernde Figur ist der Therapie-Star des 18. Jahrhunderts somit heute noch präsent. Aber wie aktuell ist seine Gedankenwelt? Dass Zugvögel auf ihren Wanderungen von einem Magnetsinn geleitet werden, ist gut belegt. Die Erklärung von Krankheiten aber kommt in der Regel ohne magnetische Phänomene aus. Für heutige Therapeuten erscheint es – gelinde gesagt – wenig werbewirksam, sich auf Mesmer zu beziehen. Dennoch ist der große Magnetiseur nicht nur für die Esoterik und Parapsychologie eine wegweisende Gestalt.

Die „Zauberbaum“-Therapie #

„Für die Vorgeschichte der modernen Psychotherapie ist Mesmer vor allem deshalb interessant, weil er die Rolle der Suggestion bei der Heilung entdeckt hat – auch wenn er das selber nie klar durchschaut hat“, sagt der Philosoph und Psychotherapeut Martin Poltrum. Denn Mesmer war bis zuletzt davon überzeugt, dass die Wirkung seiner Therapie auf einen magnetischen Stoff zurückzuführen ist, der im ganzen Universum zirkuliert. Rückblickend erscheint sein Ansatz wie eine epochale Brücke: Der wissenschaftlich begründete Magnetismus löste den religiös beglaubigten Exorzismus ab, der im Zuge der Aufklärung aus der Mode gekommen war, und er wies den Weg zu den modernen Formen der Psychotherapie.

In einem Holzschaffel befanden sich mit magnetisiertem Wasser gefüllte Flaschen
„Baquet“. In einem Holzschaffel befanden sich mit magnetisiertem Wasser gefüllte Flaschen. Überleitungen führten zu den Schmerzpunkten der Kranken.
© K.K.

Mit dem umtriebigen Marquis de Puységuir war es einer von Mesmers Schülern, der diesen Weg eröffnet hatte. Der adelige Philanthrop erweiterte Mesmers Gruppentherapie, indem er auf einem Dorfplatz eine alte Ulme magnetisierte und die Patienten mit Seilen am Baum fixierte. Vom Zeremonienmeister wurden sie in einen „magnetischen Schlaf“ versetzt und wieder geweckt: Dieser künstlich herbeigeführte „Somnambulismus“ zeigte bei vielen Leiden eine heilsame Wirkung. Manche Patienten entwickelten im Dämmerzustand sogar die luzide Fähigkeit, Krankheiten zu diagnostizieren und Behandlungen zu empfehlen. Zum großen Missfallen Mesmers kam es zur raschen Verbreitung der kuriosen „Zauberbaum-Therapie“.

Atmosphärische Wirkung #

„Die Magnetiseure um Puységuir erkannten, dass es so etwas wie einen Krankheits- und Gesundheitswillen im Patienten gibt, der durch Suggestion zu beeinflussen ist“, erläutert Poltrum. In ihrem Vorgehen ist ein Vorläufer der Hypnose zu erkennen, die im späten 19. Jahrhundert zur Mode-Therapie avancierte. Und die Hypnose regte Sigmund Freud nach seinen Besuchen bei Jean- Martin Charcot in Paris dazu an, die Psychoanalyse zu entwickeln. Wie mächtig Suggestion sein kann, zeigt sich heute auch bei der Verabreichung von Placebo-Pillen, die in klinischen Studien oft hohe Ansprechraten erzielen, da sie von den Patienten für ein Medikament gehalten werden – obwohl kein therapeutisch aktiver Wirkstoff darin enthalten ist. Zudem können grundlegende Qualitäten der therapeutischen Beziehung wie achtsame Zuwendung laut Psychotherapie- Forschung oft sogar einen größeren Effekt entfalten als bestimmte Techniken. Und die Einsicht, dass ästhetische Faktoren in der Behandlungsatmosphäre unterstützend wirken, wird etwa am Wiener Anton Proksch-Institut, der größten Suchtklinik Europas, programmatisch umgesetzt.

Auch in der europäischen Kulturgeschichte ist Mesmers Werk einflussreich geworden. Arthur Schopenhauer hielt den „tierischen Magnetismus“ für die philosophisch „inhaltsschwerste aller gemachten Entdeckungen“. Der zeitgenössische Philosoph Peter Sloterdijk wiederum verhandelte Mesmers Wirken unter dem Aspekt der „Nähe-Faszination“. Der einstige Patienten- Magnet ist uns jedenfalls heute noch nahe.

DIE FURCHE, Donnerstag, 5. März 2015