Shahara - Jemen#
Von
Hasso Hohmann, 2016
Im Jemen gab es 1991/92 für den Personentransport Busse, Minibusse und kleinere Taxis für den innerstädtischen Verkehr sowie Sammeltaxis an bestimmten Stellen der Ausfallstraßen für Fernfahrten. Diese Taxis haben meist vier enge Sitzreihen und fahren erst ab, nachdem der letzte freie Sitzplatz besetzt ist.
In Huth, Huth, Yemen einem kleinen Städtchen auf der halben Strecke zwischen der Hauptstadt Sanaa Sannaa, Yemen und Saada Saada, Yemen im Norden des Jemen fand ich nur Taxifahrer, die für die vergleichsweise kurze Strecke nach Gabai am Fuß des Bergstocks von Shahara Shahara, Yemen einen extrem hohen Preis verlangten.
Die Weiterfahrt auf den Berg ist bekannt für sehr hohe Preise, was angesichts der extremen Steilheit der Strecke und der hohen Beanspruchung der Fahrzeuge auch gerechtfertigt scheint, wie wir später selbst feststellen konnten. Aber für den ersten im Tal verlaufenden Teil der Strecke war das einfach ein zu hoher Preis. Daher gingen wir ein Stück zu Fuß, um Fahrzeuge entlang der Straße gegen Bezahlung anzuhalten. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass die Strecke sehr selten befahren wird. Zunächst hatten wir Glück und ein Wagen nahm uns schon bald mit bis ins nächste Dorf, das etwa eine Stunde Fahrtzeit von Huth entfernt lag.
Dann aber warteten wir sehr lange, umringt von Kindern und erst nach ca. einer weiteren Stunde kam der erste Wagen in dieser Richtung. Der Fahrer, ein Jemenite, arbeitete in einem Agrarprojekt nur 5 km weiter in Richtung Gabai. Er versprach uns etwas Wasser zu besorgen und nach 10 Minuten wieder da zu sein. Ein sehr netter Dorfbewohner bot uns an, in einer Cafeteria für Schüler in der nahen Schule etwas zu Essen zu bestellen, wir wollten aber lieber auf der Straße bleiben, um nicht vielleicht die einzige Fahrgelegenheit des Tages zu verpassen.
Wir sahen viele Frauen in schönen Trachten, manche hatten enge Oberkleider und knielange Röcke, darunter Hosen, über allem den schwarzen oder rötlich gemusterten Schleier an und einen Hut auf. Manche waren mit Herden von Schafen oder Ziegen unterwegs. Unsere auf den Boden geworfenen Orangenschalen wurden gleich von diesen gefressen. Nach einer weiteren halben Stunde kam aber tatsächlich eine Mitfahrgelegenheit nach Gabai und weiter zu dem kleinen Dorf, von wo gewöhnlich die Wagen von Touristengruppen gegen neue vierradangetriebene Toyotas eingetauscht werden, mit denen man um einen für Jemeniten unbezahlbaren Betrag pro Person die knapp 1000 m Höhendifferenz nach Shahara hinauf und auch am nächsten Tag wieder hinunter überwindet. Wir brauchten für die Fahrt nochmals zwei Stunden und zahlten dem Fahrer des Wagens einen angemessenen Preis.
Es war inzwischen schon fast 15.00; von hier wollten wir nach Shahara zu Fuß auf dem alten Weg hinaufsteigen, um die historische Wehranlage kennen zu lernen und die berühmte Brücke von Shahara zu überqueren. Daher fragten wir nach dem alten Weg nach Shahara, der zunächst eine relativ kurze Strecke bis zu einem kleinen Dorf auf der neuen Schotterstraße verlief. Im Dorf wiesen uns viele den Weg in die Feldterrassen des Berghanges vor uns, obwohl hier kein Weg zu erkennen war.
Einige der steinernen Wohnbauten hatten hier sehr aufwendigen Dekor, indem aus schwarzen, roten und braunen Natursteinen Muster gemauert waren. Danach hatte man oberflächlich weitere Farben aufgemalt, die meist die sorgfältig geformten Steinformate des Hauses als Grundmuster berücksichtigten und so ein sehr harmonische Bild ergaben.
Ganz im Gegensatz dazu ging von den Feldarbeitern, Frauen, Männern und Kindern hier eine eigenartig aggressive Stimmung aus. Vielleicht hing das mit dem aufziehenden schlechten Wetter zusammen. Eine bös dreinblickende alte Frau verlangte unbedingt "galam", Kugelschreiber. Andere Feldarbeiter wollten uns wieder zurück auf die neue Straße schicken. Wieder andere aber zeigten in eine Richtung diagonal über die nahen Feldterrassen hinauf. Es gab wenige Bäume, in denen Kinder saßen, die dort Äste abbrachen, die sie als Futter für die Tiere herabwarfen. Die Blätter der Äste waren vor allem für die Ziegen offenbar eine Delikatesse.
Auf den Feldern wurde neben anderem Kat, eine halluzinogene Pflanze geerntet. Einige Kinder warfen mit Steinen nach uns, aber auch nach Einheimischen. Aus dem Bergmassiv von Shahara hörten wir ständig Schüsse, offenbar wurde auch vom Tal aus zurückgeschossen. Bei so viel negativer Stimmung und Aggression hatten wir schon den Verdacht, die Leute wollten uns auf einen falschen Weg schicken. Dann aber stellten wir fest, dass wir nach Überwindung einiger Feldterrassen zu einem besseren Weg kamen, der von unten kaum zu erkennen war und wirklich nach oben führte. Unser Argwohn war unberechtigt.
Inzwischen begann sich das Wetter weiter zu verschlechtern. Die Wolken wurden immer dichter. In der Ferne konnte man manchmal leises Donnern hören und lange Regenfahnen von tiefhängenden Wolken niedergehen sehen. Also beeilten wir uns weiter zu kommen. An mehreren Stellen beobachteten wir kleinere Zisternen, die in den Felsen gehauen waren. Wasser sammeln war hier sicher für die Landwirtschaft mindestens so wichtig, wie für die Bevölkerung. Es war ein relativ langer und in manchen Streckenabschnitten steiler Aufstieg. Wir brauchten mit dem Rucksack länger, als erwartet und Adele hatte angesichts ihrer gesundheitlichen Schwächen auch Probleme mit der Kondition. Ich sah mir schon Felsspalten in der Nähe des Weges an, in die wir uns gegen den drohenden Regen drängen und wo wir notdürftig übernachten konnten.
Über eine lange Strecke gingen wir unterhalb einer fast senkrechten Felswand auf der rechten Seite. Links konnte man weit ins Tal hinunter sehen. Man erkannte deutlich, dass die Berghänge über weite Zonen durchgehend mit unzähligen Feldterrassen überzogen sind. Sie geben der Landschaft die Form eines Geländemodells, bei dem die Höhenschichtenlinien aus Karton ausgeschnitten und aufeinander geklebt wurden. Wir sahen auch, wie weit wir schon hinaufgestiegen waren. Bald hatten wir bereits eine unglaubliche Fernsicht. Wir sahen kleine und größere Dörfer bis in große Entfernung in der zerklüfteten Landschaft. Beim Blick hinauf wurde mitunter auch Shahara selbst sichtbar. Aber es lag immer noch hoch, fast unerreichbar über uns. Es wurde schon beunruhigend dunkel als der Weg seitwärts in eine noch dunklere Schlucht nach rechts abbog.
Zu beiden Seiten stiegen hier die Felsen fast senkrecht auf. Dann stießen wir an ein mehrgeschossiges Torbauwerk aus Stein, einen Wehrbau mit Schießscharten in den Obergeschossen, der die gesamte Breite der Schlucht blockierte und in den wir eintreten und über Treppen auf ein höheres Niveau hinaufsteigen mussten. Er wurde offenbar nicht mehr genutzt, weil die neue Straße inzwischen einen bequemeren Zugang zur Stadt bot. Das Dach des Gebäudes war bereits teilweise eingestürzt. Ursprünglich müssen hier Wächter gelebt und das Tor bewacht haben. Auf einen in das Gebäude integrierten hohen Felsen führte eine enge Stiege zu einem seitlichen Beobachtungsplatz, der wohl auch zur Verteidigung verwendet wurde. Das war also die Wehranlage von Shahara! Noch nie hatte ich eine so kurze und zugleich so effektive Wehranlage für eine ganze Stadt gesehen. Die Stadt ist wohl nur einmal Anfang des 17. Jh. erobert worden und unter die Fremdherrschaft der Osmanen geraten. Die Engländer haben angeblich die Stadt nur aus der Luft angegriffen. Bombardiert wurde sie 1962 durch die eigene jemenitische Luftwaffe und einige Häuser wurden stark beschädigt. Nach Shahara flohen immer wieder verfolgte Menschen, um sich in Sicherheit zu bringen.
Von hier aus ging es weiter hinauf. Am Ende gab es überhaupt keinen eigentlich erkennbaren Weg mehr; wir gingen über einen fast völlig blanken, vegetationsfreien, konvex geformten glatten Felsbuckel hinauf zu einigen Häusern, die wie auf der Spitze eines runden Globus standen und erst langsam in Sicht kamen. Hier oben war es wieder etwas heller als unten in der Schlucht. Hier schrieen die Kinder wieder "galam" und umringten uns. Einige Frauen sagten "funduk" und wiesen uns den Weg.
Als Adele fragte, ob man nicht auch hier übernachten kann, waren sie eher abweisend und deuteten nochmals in die gewiesene Richtung. Als wir aber wieder hinunter statt hinauf gehen mussten, zweifelten wir bereits an der Richtigkeit des Weges. Hatten wir die Angaben missverstanden? Aber dann sahen wir eine nächste Schlucht und bald auch die berühmte Brücke von Shahara. Wir gingen über viele Stufen im Zickzack, manchmal unter überhängendem Fels, weit hinunter, durch ein Tor vor der Brücke und über diese selbst auf die Seite Richtung Hauptort.
Inzwischen war es fast völlig finster geworden, die Sonne über den dichten Regenwolken war bereits untergegangen und die Wolken hingen hier noch tiefer und regengefüllt. Der Anblick der Brücke war aber so gespenstisch und auffordernd, dass ich sie fotografieren musste. Ich machte zwei Langzeitaufnahmen zu je etwa dreißig Sekunden. Dabei legte ich die Kamera auf seitliche Felsen auf. Die Aufnahmen wurden so schön, dass sie später sogar im Flugbegleiter der Austrian Airlines abgedruckt wurden.
Als es nach dem Fotografieren dann völlig schwarze Nacht war, kam zufällig ein italienisches Pärchen, das von einem einheimischen Führer begleitet wurde, mit einer sehr dunkel schimmernden, ausgepowerten Taschenlampe über die Brücke, um nach Shahara zu gehen. Sie hatten nur die kleine Häusergruppe besucht, an der wir vorbeigegangen waren. Der Führer hatte eine Kalaschnikow umgehängt und eine Pistole am Gürtel. Wir durften uns anschließen. Die Stufen hinauf zur Stadt konnte man bereits nicht mehr ohne künstliches Licht sehen. War die Taschenlampe ausgeschaltet konnten wir alles nur noch ertasten; wir nahmen uns gegenseitig an der Hand. Im Hauptort von Shahara angekommen wurden wir zunächst zum Funduk, eine Herberge geführt. Hier blieb Adele mit dem Gepäck zurück und ich folgte dem Führer, der deutete, dass ein nahes Geschäfte sehr bald schließt und das Licht auch im Funduk nur begrenzt lang eingeschaltet bleibt. Das Geschäft hatte Licht von einer Karbidlampe. Ich kaufte etwas zum trinken und zu essen. Nach dem Aufstieg auf 2600 m Höhe hatten wir uns das wirklich verdient. Sonst war in der Stadt kein Licht zu sehen. Die Stille in dem Städtchen war selbst für den Jemen extrem und vermittelte den Eindruck taub zu sein. Es erinnerte mich an eine frühmorgendliche Fahrt mit einem Einmannruderboot auf dem Meer bei dichtem Nebel. Auch damals hörte ich gar nichts; selbst wenn ich etwas in den Nebel sagte oder rief wurde nichts reflektiert.
Das Funduk von Shahara ist ein altes viergeschossiges Steinhaus mit traditionellen Steingittern, Transennen, die zum Teil verglast sind. An der Eingangstür war noch ein hölzernes Fallenschloss in Verwendung, wie wir sie an so vielen anderen Orten schon gesehen hatten. Die Tür hatte sehr aufwendige Schnitzereien. Der zweigeschossige Eingangsraum verfügt über einen offenen Stiegenaufgang ins nächste Stockwerk. Weiter oben teilt sich die Stiege in eine Treppe nach links und eine nach rechts. Unser Aufenthalts- und Schlafraum lag im zweiten Obergeschoss und sah aus wie ein umgenutzter Kat-Raum. Es gab lange Sitzbänke unter den Fenstern an den Seiten des Raumes. An den Innenseiten der Außenwände gab es ein ganzes System von Nischen, in denen die unterschiedlichsten Dinge verstaut waren. Die Decke zeigte in Abständen ausgelegte Holzbalken und an der Seitenwand eingelassene Querbalken, die eine Verankerung der Seitenwand im Hausgefüge ergaben. Ein Blick hinaus bestätigte, dass es außerhalb des Funduks in meiner Blickrichtung kein weiteres Licht gab - weder in der Nähe noch in der Ferne. Die Stadt war völlig finster. Im Funduk gab es Licht zwischen 18.00 und 22.00 Uhr. Es verfügte hierzu über einen eigenen Generator.
Die Herberge wurde von einer 16-jährigen verschleierten Jemenitin betrieben. Sie sprach neben Arabisch etwas Englisch, Deutsch, Italienisch und Französisch. Das Abendessen wurde in jemenitischer Art den Gästen auf einem großen Tablett am Boden serviert. Es gab heißen Tee mit Minze und eine Art Sandkuchen getränkt mit verdünntem Honig. Die anderen Gäste stammten alle aus Italien. Sie hatten mit zwei fast neuen weißen Toyotas den Ort als Gruppe erreicht. Wir waren einigermaßen müde, ausgepumpt und glücklich, das Ziel doch noch erreicht zu haben. So gehörten wir zu den ersten, die sich niederlegten. Wir erhielten zuletzt ein kleineres Zimmer mit nur noch einem weiteren Pärchen. Für eine kurze Zeit hörten wir, wie sich die anderen draußen noch unterhielten und wie der Regen inzwischen in recht heftigen Böen gegen die Fenster klopfte. Wir hatten zweifach Glück gehabt! Wir hatten das Funduk erreicht und dass ohne Regen. Wir schliefen bald fest und traumlos!
Dienstagmorgen, den 7.1.1992 standen wir etwas vor 7.00 Uhr auf. Es gab gutes Wetter. Die Sonne begrüßte uns bereits durch die Fenster. In der Nacht war es sehr kalt gewesen. Einige der Scheiben waren noch etwas vereist. Zum Frühstück gab es Tee und Fladenbrot. Danach besichtigten wir die Stadt und ihre Umgebung. Das Zentrum der Stadt ist eine riesige Zisterne, die gerade zu diesem Zeitpunkt fast völlig leer war. Sie zeigte daher ihre architektonisch reizvolle, weiche Form wie eine Negativskulptur fast ungestört. Alle Großstufen und Gehstufen sind auch hier an der Oberfläche mit einem harten Verputz überzogen, damit kein Wasser verloren geht. Dieser Verputz kennt keine scharfen Kanten oder Kehlen - alles ist abgerundet. So lässt sich die Zisterne leichter reinigen. Es gab noch weitere zwei große Zisternen in der Stadt. Eine hatte einen Überlauf in eine zweite. In einer kleineren völlig leeren Zisterne spielten Kinder Fußball, was den Vorteil hat, dass die Bälle nicht so leicht verloren gehen. An einer anderen Stelle wurde ich Zeuge, wie ein Ball in die Tiefe abstürzte, aus der ihn wohl niemand mehr heraufgeholt haben dürfte. Es gab daneben noch etliche viel kleinere offene Zisternen für einzelne Häuser oder Hausgruppen.
An etlichen der sehr geschickt mit einfachen Mitteln gestalteten Steinhäuser sahen wir deutlich die Spuren von Bomben aus dem Bürgerkrieg der 60er Jahre. Die meisten Schäden stammen von der jemenitischen Luftwaffe aus dem Jahr 1962. Die Stadt ufert zu den zum Teil ganz schmalen Graten des Bergmassivs aus. Hier sind die Straßen der Kleinstadt längst zu engen Pfaden geschrumpft, über die man die entlegen stehenden Häuser nur zu Fuß erreichen kann. Die meist auch hier mehrgeschossigen Steinbauten sehen fast wie künstliche Überhöhungen der oft blockartig aufragenden Felsblöcke auf den Berggraten aus. Die Verwendung desselben Gesteins macht den Übergang von Natur zur Architektur fließend.
Als wir später nochmals zur Brücke hinunter stiegen, konnten wir beobachten, wie ein Italiener gerade mit vorgehaltener Kalaschnikow daran gehindert wurde, die Brücke zu fotografieren. Wir warteten etwas, bis der Einheimische gegangen war und fotografierten dann nochmals die Brücke von allen Seiten und die Schlucht. Die jetzige Brücke stammt aus dem 16. Jh.. Man sieht aber deutlich die Reste von mindestens zwei Vorgängerbrücken. Die Ansätze der früheren Bögen finden sich auf einem tieferen Niveau. Reste eines in den Felsen geschlagenen Weges bis hinab auf das damalige Brückenniveau sind noch deutlich erkennbar. Die vielleicht 100 m tiefe Schlucht war neben dem mehrgeschossigen Wehrbau in der äußeren Schlucht im Zuge des alten Aufganges eine zweite Barriere gegen andrängende Feinde. Sie verfügte früher über ein massives Tor und konnte von den Treppen auf der Stadtseite aus gut beschossen und verteidigt werden.
Um 9.15 sollten die Toyotas von Shahara wieder mit den Italienern ins Tal hinunterfahren. Daher kamen wir zu diesem Zeitpunkt mit unserem Gepäck zum angegebenen Sammelplatz und stellen dort fest, dass der Führer der zwei Italiener vom Vorabend zugleich einer der Fahrer der Toyotas war. Er hatte schon am Abend seinen Respekt vor unserer bergsteigerischen Leistung und eine gewisse Sympathie für uns klar erkennen lassen. Als er uns sah, begrüßte er uns wie gute alte Freunde.
Als wir ihn fragten, ob wir mit einem der Toyotas ins Tal mitfahren dürfen und zu welchen Konditionen, bejahte er und nannte den Preis für jeden von uns, der genau den halben Preis ausmachen sollte, den die Italiener mit ihm pro Person für beide Richtungen ausgehandelt hatten. Ich erwiderte, dass er für die Fahrt nach unten keinen Sprit, sondern nur Bremsen brauche. Daraufhin fragte er, was wir denn zahlen wollten und er ging auch gleich mit einem breiten Grinsen übers ganze Gesicht und ohne weiteres Verhandeln mit einem lauten "tamam" auf unseren Vorschlag ein – wir sollten also zusammen etwa ein fünftel zahlen.
Die Fahrt war beeindruckend. Ich habe noch nie eine so steile Straße gesehen, wie diese nach Shahara. Seitlich in den Schluchten liegende verrostete Toyota-Wracks waren stumme Zeugen von Bremsversagen. Die Wagen konnten sich in den steilsten Passagen gerade noch auf der felsigen Straße halten. Es ist fast ein Wunder, dass man eine so steile Straße überhaupt befahren kann. An manchen Stellen sind die Kurven so eng, dass reversiert werden muss. Wenige Jahre später soll die Straße für Touristen ihrer Gefährlichkeit wegen gesperrt worden sein. Um 10.15 Uhr nach einer knappen Stunde Fahrzeit mit geringer Geschwindigkeit kamen wir in der kleinen Siedlung am Fuße des Bergmassivs an, von der wir unsere Wanderung am Vortag begonnen hatten.
Hier sollten die Touristen ihre Fahrzeuge wechseln. Alle Fahrzeuge, die zwei mit denen wir vom Berg heruntergefahren waren und auch die zwei Rover, mit denen die italienische Gruppe normalerweise im Jemen unterwegs war, standen in einem von Gebäuden umgebenen Hof mit nur einer Ausfahrt. Wir zahlten den vereinbarten Betrag. Das musste einer der Italiener gesehen haben, worauf die Italiener auch weniger zahlen wollten.
Uns war der Vorgang höchst unangenehm und ich bot unserem Fahrer an, mehr zu zahlen. Der aber lachte nur und sagte, dass "tamam" eben "tamam" sei – abgemacht ist abgemacht! Da die Jemeniten andererseits auf dem mit den Italienern am Vortag vereinbarten Preis ebenfalls bestanden, versuchten die Italiener das Problem dadurch zu lösen, dass sie einfach einen niedrigeren Betrag auf den Tisch legten und schnell in ihre Fahrzeuge einsteigen wollten, um ohne Konsens abzureisen. Daran wurden sie allerdings blitzschnell von zwei Einheimischen mit vorgehaltener Kalaschnikow und den zwei sich fast zeitgleich in der Ausfahrt quer stellenden Toyotas gehindert. Die Aktion muss schon vorher trainiert worden sein, so reibungslos und schnell lief alles von Seiten der Jemeniten ab.
Welche Chance blieb den Italienern danach? Sie zahlten nach dieser Aktion völlig bleich vor Schreck gerne und sich bedankend den vollen geforderten Betrag und schienen froh, dass sie noch zahlen durften. Unser Fahrer verabschiedete sich von uns sehr herzlich. Alle grüßten freundlich, die Italiener vor allem erleichtert. Und sie nahmen uns sogar noch nach einer etwas nachdrücklich vorgebrachten Bitte unseres jemenitischen Freundes bis zum Ort Huth an der Hauptstraße in einem der Rover mit.
An der Strecke wuchsen viele kleine Flaschenbäume, die im Jemen unter Schutz stehen, aber auch Kakteen und dorniges hartes Gestrüpp. Im Umkreis der wenigen Dörfern beobachteten wir Ziegen, die bis weit hinauf in die Bäume klettern, um die wenigen harten Blätter, die sie auf diese Weise erreichen, abzuzupfen – es ist ein wirklich karges Land, hart für Menschen, Tiere und Pflanzen.
Um 12.45 kamen wir in Huth an und wünschten den Italienern noch eine gute Weiterreise. Sie waren vom Erlebten immer noch sehr geschockt und hatten auf der ganzen Fahrt im Verhältnis zum bekannten italienischen Temperament nur wenig und einsilbig gesprochen.
Siehe auch die zwei Abschnitte über Shahara (Schahara) in dem exzellenten Buch über Jemen:
NID: https://www.nid-library.com/Home/ViewBook/262
-- Unbekannt, Donnerstag, 12. September 2024, 13:15