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Libyen 1971#


Von

Hasso Hohmann

Alle Fotos stammen vom Autor (1971) und unterliegen seinem Copyright.


Als ich mir 1969 römische Kolonialarchitektur in Nordafrika ansah, hatte ich Pläne von fast allen namhaften archäologischen Zonen in Libyen mit Empfehlungen an die jeweiligen Archäologen im Gepäck. Während ich mir in Bulla Regia in Tunesien nahe der Grenze zu Algerien die römischen Souterrainhäusern mit ihren interessanten haustechnischen Anlagen wie Lüftungssystemen, Fußboden- und Wandheizungen ansah und die faszinierenden Fußbodenmosaike fotografierte, erfuhr ich zufällig von einem Tunesier, dass am Tag zuvor am 1.September in Libyen Muammar al-Gaddafi eine gut vorbereitete, unblutige Militärrevolution durchgeführt hatte. Sie richtete sich vor allem gegen den mit Italien, der ehemaligen Kolonialmacht in Libyen, intensiv kooperierenden König Idris. Idris hielt sich zu diesem Zeitpunkt im türkischen Bursa auf und kehrte nicht mehr nach Libyen zurück.

Ich durfte also froh sein, nicht schon etwas früher an die libysche Grenze gekommen zu sein. Die Grenze zu Libyen war auf unbestimmte Zeit geschlossen und Ausländer wurden in Libyen interniert. Damit war klar, dass ich in dieses Land zu diesem Zeitpunkt nicht weiterreisen konnte und meine Nordafrikafahrt schon in Tunesien zu Ende gehen würde. Ich fuhr daher von Tunesien mit dem Boot nach Sizilien und auf dem Landweg durch Italien zurück nach Graz.

Zwei Jahre danach versuchte ich noch einmal, nach Libyen zu gelangen, diesmal begleitet von Annegrete Vogrin. Wir fuhren zunächst nach Genf und dann durch Italien über Pisa und Neapel, Cuma, Pompeji, Amalfi, Paestum und etliche archäologische Orte des einstigen Magna Graecia auf Sizilien nach Trapani. Von hier setzten wir mit einem Schiff der Linie Tirrenia nach Tunis über.

Da ich in Tunesien zwei Jahre zuvor kaum fotografiert hatte, besuchte ich etliche der archäologischen Stätten Tunesiens noch ein zweites Mal. Zunächst fuhren wir in den Westen nach Bulla Regia mit den fantastischen römischen Mosaiken in den römischen Souterrainhäusern, dann ging es über Tunis, Karthago und Thugga Richtung Süden nach Kairouan, El Djem. Dort besuchten wir die zwei römischen Amphitheater. Die nächste Station war Medenin, wo uns die Ghorfas interessierten. Danach fuhren wir zur libyschen Grenze.

Römischer Mosaikfußboden im “Haus der Amphitrite“ in Bulla Regia. Das Mosaik stellt Venus als Amphitrite mit zwei Zentauren dar.
Römischer Mosaikfußboden im “Haus der Amphitrite“ in Bulla Regia. Das Mosaik stellt Venus als Amphitrite mit zwei Zentauren dar., unter CC BY-SA 4.0
Portraitdarstellung im “Haus des Fischers“ in Bulla Regia.
Portraitdarstellung im “Haus des Fischers“ in Bulla Regia., unter CC BY-SA 4.0
Reste des größeren der zwei römischen Amphitheater in El Djem
Reste des größeren der zwei römischen Amphitheater in El Djem. Es wurde 238 n. Chr. von den Bürgern der Stadt für 35.000 Zuschauer auf eigene Kosten errichtet. Das war die Zahl der damaligen Einwohner der Stadt. Das Amphitheater war wohl das drittgrößte des römischen Reiches., unter CC BY-SA 4.0
Blick in die Konstruktion des großen Amphitheaters von El Djem.
Blick in die Konstruktion des großen Amphitheaters von El Djem., unter CC BY-SA 4.0
Das von der römischen Kolonialmacht errichtete wesentlich kleinere Amphitheater in El Djem.
Das von der römischen Kolonialmacht errichtete wesentlich kleinere Amphitheater in El Djem., unter CC BY-SA 4.0
Ghorfa in Medenin im Nordosten Tunesiens
Ghorfa in Medenin im Nordosten Tunesiens. Diese Art von Speicherburgen verfügt in der Regel über einen Brunnen und nur wenige Zugänge; sie konnten verteidigt werden und hier wurden Märkte abgehalten. Man vermutet, dass sich ihre Konstruktion mit den nebeneinander und übereinander gestellten Tonnengewölben von den römischen Amphitheatern ableitet., unter CC BY-SA 4.0
Die gewöhnungsbedürftigen Zugänge zu den Lagerräumen in den Obergeschossen der Ghorfa von Medenin.
Die gewöhnungsbedürftigen Zugänge zu den Lagerräumen in den Obergeschossen der Ghorfa von Medenin., unter CC BY-SA 4.0

Wie wir auf unserer Reise durch Libyen feststellen konnten, waren wir 1971 wohl die einzigen Touristen in diesem Land. Fremdarbeiter aus Europa kamen zu dieser Zeit fast ausschließlich aus Bulgarien. Libyen suchte damals vor allem Ärzte, Krankenschwestern und Lehrer. Zu Bulgarien bestanden zu dieser Zeit sehr gute Beziehungen.

Ein großes Problem ergab sich für uns in Libyen dadurch, dass man damals entlang der Hauptverkehrsstraßen an der Nordküste alle Kilometersteine ausgegraben hatte, um die Beschriftung in lateinischer Schrift und mit unseren arabischen Zahlen durch eine solche in arabischer Schrift und Sprache und mit neuarabischen Zahlen zu ersetzen. Außerdem erschwerte an manchen Stellen das Fehlen der Hinweisschilder die Orientierung im Land erheblich. Sie wurden wohl auch gerade ausgewechselt.

Ich hatte glücklicherweise eine alte lateinisch beschriftete Straßenkarte für Libyen dabei und erhielt an der Grenze eine neue Karte, die nur Arabisch beschriftet war. So konnte ich jeden von mir anvisierten Ort zuerst in der alten Karte suchen, an Hand seiner geografischen Lage in der neuen Karte identifizieren und mir den arabischen Schriftzug des Ortsnamens merken und danach suchen, so es ein Hinweisschild gab.

Grundsätzlich mussten wir in Libyen “Autostop“ reisen, da keine öffentlichen Überlandbusse verkehrten, und Libyer, die mobil sein mussten, inzwischen offenbar alle über ein eigenes Fahrzeuge verfügten. Auch die Schiffsverbindung der italienischen Line Tirrenia entlang der Küste hatte zwei Wochen vor unserer Ankunft in Tunis ihren Betrieb Richtung Libyen eingestellt.

Nach einem ausführlichen Besuch der antiken Stadt Sabratha ging es weiter nach Tripolis in die Hauptstadt Libyens, dessen römische Vorgängerstadt Oea zahlreiche Ruinen in der Stadt hinterlassen hat. In der Nacht folgte ein unangenehmes Erlebnis mit einem jungen Libyer, der versuchte, in unser Hotelzimmer einzudringen, da er offenbar sexuelle Nöte hatte. Er wollte schon am Abend davor Annegrete von mir gegen Geld “mieten“. Nach heftigen spätabendlichen Attaken gegen die versperrte Zimmertür verschoben wir alle Möbel des Raumes so, dass sie eine blockierende Linie von der Tür bis zur Fensterwand bildeten. Nach etwa zwei Stunden gab der verrückte Bursche auf. Dennoch waren wir am nächsten Tag nicht wirklich gut ausgeschlafen. Der Hotelbesitzer, der den Lärm in der Nacht wohl kaum überhört haben konnte, wollte unsere Klage über die vergangene Nacht nicht verstehen. Vielleicht war der junge Bursche sein Sohn?

Das Theater von Sabratha von außen.
Das Theater von Sabratha von außen., unter CC BY-SA 4.0
Die zum Teil rekonstruierte Scaenae des Theaters von Sabratha.
Die zum Teil rekonstruierte Scaenae des Theaters von Sabratha., unter CC BY-SA 4.0
Säulen in Sabratha im Abendlicht am Mittelmeer.
Säulen in Sabratha im Abendlicht am Mittelmeer., unter CC BY-SA 4.0

Dann steuerten wir Leptis Magna an. Es war an diesem Tag bereits in der Früh sehr heiß. Die Lufttemperatur musste bald deutlich über 40°C betragen. Da es auf dieser Strecke fast überhaupt keinen Privatverkehr gab, freuten wir uns über einen anhaltenden Lastkraftwagen, bei dem wir vorne neben dem Fahrer mitreisen durften. Leider funktionierte der Kilometerzähler im Fahrzeug nicht. Daher musste ich mit Hilfe der durchschnittlichen, am Tacho angezeigten Geschwindigkeit und der gefahrenen Zeit die Strecke bis Leptis Magna schätzen. Als wir die im alten Plan angegebene Strecke nach meiner Schätzung zurückgelegt hatten, bat ich den Fahrer bei einer unscheinbaren Abzweigung Richtung Norden anzuhalten und uns aussteigen zu lassen. In der Umgebung gab es nur wenig Dornengestrüpp, raue Steine und diese Schotterpiste. In diesem ausgedehnten, fast vegetationsfreien Wüstenabschnitt wollte uns der Lastkraftwagenfahrer zuerst gar nicht aussteigen lassen. Nach Verabschiedung und Dank gingen wir nun mit dem vollen Gepäck auf dem Rücken schwitzend Richtung Küste.

Obwohl sich der Tag bereits neigte war es immer noch extrem heiß. Schon nach relativ kurzer Zeit kam uns ein flachgebauter, fast neuer, amerikanischer Wagen nachgefahren, dessen Fahrer uns wohl von weitem gesehen haben musste. Er hielt neben uns an, drehte die Scheibe herunter und fragte nach unserem Ziel und unserem Woher. Sein Englisch war mit Abstand besser als unser Schulenglisch. Es stellte sich heraus, dass meine Distanzberechnung eine Ungenauigkeit von ca. 8 Kilometern hatte, um die wir zu weit gefahren waren. Der Tacho im LKW dürfte auch nicht sehr genau angezeigt haben. Bis an die Küste lag aber auch noch einmal eine Entfernung von ca. 10 km. Das wäre ein gewaltiger “Hadsch“ geworden! Obwohl der Fahrer des Wagens Frau und ein Kind an Bord hatte und alle sehr gut gekleidet waren, nahmen sie uns verstaubt, wie wir waren und mit unserem Gepäck mit und brachten uns bis vor die Ruinen von Leptis Magna. Der Fahrer empfahl uns, wir sollten nach dem “Muhafes“ fragen, wenn wir nach Misurata kämen. Danach dankten wir herzlich und verabschiedeten uns von der hilfsbereiten Familie. Sie wünschten uns eine interessante Besichtigung. Wir durften bei den Ruinen neben einem kleinen geschlossenen Hotel unser Zelt aufschlagen und kauften in der Nähe in einer Siedlung auch etwas zum Essen ein. Am nächsten Morgen waren wir schon sehr früh in den offen zugänglichen Ruinen. Sie waren offenbar nie in großem Stil als Steinbruch benutzt worden, da keine größere moderne Stadt in der Nähe lag. Die riesigen Säulen der großen Basilika waren zum Teil einfach nur umgefallen, aber alles lag noch beieinander. In einer kleinen Therme nahe der Küste sinterte immer noch etwas Feuchtigkeit aus der Wand und das Hafenbecken mit den großen Lagerhäusern auf einer Landzunge ist einfach nur verlandet. Hier findet sich auch eine große antike öffentliche, mit weißem Marmor ausgekleidete WC-Anlage in einer offenen, luftdurchfluteten Säulenhalle mit Blick übers Meer. Nahe dabei stand auch der Leuchtturm der antiken Hafenstadt.

punisch-hellenistisches Mausoleum
Gleich beim Eingang in die Ruinen von Leptis Magna steht dieses geschwungen dreieckige Monument, ein punisch-hellenistisches Mausoleum mit großer Ähnlichkeit mit einem weiteren Grabmal in Sabrata, unter CC BY-SA 4.0
Blick über die ausgedehnten Ruinen von Leptis Magna.
Blick über die ausgedehnten Ruinen von Leptis Magna., unter CC BY-SA 4.0
Die befestigte Hafenmole mit zahlreichen Speicherbauten. Rechts das verlandete Hafenbecken.
Die befestigte Hafenmole mit zahlreichen Speicherbauten. Rechts das verlandete Hafenbecken., unter CC BY-SA 4.0
Das Theater mit Säulen der Scaenae.
Das Theater mit Säulen der Scaenae., unter CC BY-SA 4.0
Teile des Markte.
Teile des Markte., unter CC BY-SA 4.0
Teil einer luftigen öffentlichen WC-Anlage mit Bick aufs Meer
Vorne Teil einer luftigen öffentlichen WC-Anlage mit Bick aufs Meer in der Nähe des Hafens. Die Sitze zeigen leichte Mulden und eine Schlitzöffnung. In der Marmorplatte wurde ein Sitz falsch vorgezeichnet., unter CC BY-SA 4.0
Teil des Nymphäums mit doppelgeschossigen Säulen
Teil des Nymphäums mit doppelgeschossigen Säulen, unter CC BY-SA 4.0
Die Severinische Basilika mit riesigen Säulen.
Die Severinische Basilika mit riesigen Säulen., unter CC BY-SA 4.0
Detailreicher Marmordekor an der Basilica Severiana
Detailreicher Marmordekor an der Basilica Severiana, unter CC BY-SA 4.0
Teil des Severinischen Forums mit Portalen zu den einzelnen Geschäften.
Teil des Severinischen Forums mit Portalen zu den einzelnen Geschäften., unter CC BY-SA 4.0
Eines der Medusenhäupter im Neuen Forum.
Eines der Medusenhäupter im Neuen Forum., unter CC BY-SA 4.0

Leptis Magna war zu seiner Blütezeit eine der größten Städte im mächtigen Imperium Romanum und ein wichtiger Mittelmeerhafen im Norden Afrikas. Die Schätzungen reichen von 130.000 Einwohnern bis weit hinauf. Beeindruckend sind die Dimensionen der zwei Theater, der Basilika, des Amphitheaters aber auch der größeren der zwei Thermenanlagen nahe dem ausgetrockneten Fluss im Wadi Lebda, der noch heute die moderne Siedlung durchquert und in das ehemalige Hafenbecken mündet, bevor er ins Mittelmeer fließt. Die Stadt muss sehr wohlhabend gewesen sein und vieles spricht dafür, dass das Umland vor 3000 bis 2000 Jahren wesentlich grüner und fruchtbarer gewesen ist.

Als wir dann Misurata erreichten, fragten wir nach dem “Muhafes“. Manche sahen uns fragend an, manche waren sich offenbar nicht sicher, was wir meinten, ob das wirklich Arabisch gewesen sein könnte. Wohl erst der zehnte, den wir fragten, bat uns da zu bleiben, wo wir gerade standen und deutete, dass er zurückkommen werde und lief davon. Nach längerer Zeit kam er gleich mit mehreren weiteren Personen zurück, die unsere Rucksäcke abnahmen. Sie führten uns zum Muhafes – zum Landeshauptmann der Provinz Misurata, der wirtschaftlich prosperierendsten Region des Landes.

Der Muhafes begrüßte uns sehr herzlich, ließ als Erstes einmal Tee auftischen, wie es Sitte des Orients ist. Dann ließ er einige Mitarbeiter kommen und sagte uns, dass wir seine Gäste und im Gästehaus der Regierung untergebracht seien, wo auch unser Gepäck bereits deponiert und eingesperrt worden sei. Er nahm sich ad hoc Zeit für ein längeres Gespräch, in dem es um den jungen Staat Libyen nach der Revolution ging, was die Ziele der neuen Regierung und wie stolz sie seien, dass sie der einzige Erdöl-fördernde Staat der Erde seien, in dem sich nicht die Regierenden bereichern, sondern der Reichtum mit allen Bürgern des Landes geteilt werde. Er machte dann zusammen mit seinen Mitarbeitern für uns ein Programm für den nächsten Tag, an dem sie uns eine Reihe von Resultaten ihrer neuen Politik der vergangenen zwei Jahre zeigen wollten. Dann bat er uns, in Begleitung zu unserem Domizil zu gehen und uns frisch zu machen. Er wolle uns zwei Stunden später dort abholen und zum Essen ausführen.

Das Gästehaus war mit allem ausgestattet, und so verzichteten wir hier gerne auf unser Zelt und genossen den neu gewonnenen Luxus. Zwei Stunden später kam ein Mitarbeiter des Muhafes und richtete uns aus, sein Chef sei nach Tripolis zu Gadaffi gerufen worden und habe daher unerwartet an diesem Abend keine Zeit. Er entschuldige sich für diesen Umstand und bestand darauf, dass wir mit seinen Mitarbeitern essen gingen und kräftig auftafeln lassen sollten. Dazu ließ er uns einen relativ hohen Geldbetrag in einem Kuvert aushändigen, mit dem wir diesen Abend bestreiten sollten. Wir versuchten dies abzulehnen, was aber offensichtlich nicht möglich war. Als wir dann später nach dem Essen zahlen wollten, war alles von unseren Begleitern bereits beglichen. Wir sollten uns das Geld für weitere Gelegenheiten aufheben.

Am nächsten Tag zeigten uns wieder andere Mitarbeiter des Muhafes ein nagelneues Krankenhaus an der Peripherie der Stadt, das gerade erst eröffnet worden war, man führte uns in eine große Siedlung für Nomaden, bei der unserer Begleiter allerdings selbstkritisch eingestanden, dass nur wenige dieser Nomaden daran interessiert waren, sich hier niederzulassen und ihre bisherige freie Lebensweise gegen diese festen Wohnsitze einzutauschen. Danach gingen wir ins Büro für Landesplanung und zeigte und erklärte uns städtebauliche Projekte und Erschließungsgebiete im Umland. Wir gewannen den Eindruck, dass die Mitarbeiter bestens in Oxford, Cambridge oder auch in den USA ausgebildet worden waren und als Führungsschicht höchst motiviert agierten.

Sie zeigten uns dann Bilder von einer neu errichteten Raffinerie bei Tripolis, in der Libyen nun erstmals selbst Diesel und Benzin produzieren konnte, und erklärten uns, dass die Italiener bislang das Rohöl zu einem extrem niedrigen Preis aus Libyen bezogen hätten und später der importierte Kraftstoff so teuer bezahlt werden musste, dass praktisch kaum ein Gewinn übrig blieb. Von diesem System hätten sie sich nun abgekoppelt.

Danach ging es um die Große Syrte, eine riesige Bucht an der Nordküste Afrikas in einer Tour nach Bengasi. Glücklicherweise nahm uns ein Personenkraftwagen mit. Der Wagen war nicht klimatisiert. An diesem Tag war es von der Früh an so heiß, dass wir sogar freiwillig die Fenster des Wagens geschlossen hielten. Öffnete man die Seitenfenster, dann strömte die glutheiße Luft des Scirocco wie aus einem Feuerofen durch die Fenster herein. Der Scirocco ist ein besonders heißer Wüstensturm aus der Sahara Richtung Norden.

Die Strecke ist ziemlich trostlos. An der Grenze zwischen den Provinzen Tripolitanien und Cyrenaika fuhren wir durch einen gewaltigen, über 16 m hohen und gute 6 m breiten Bogen. Das Bauwerk war mehr als 30 m hoch und marmorverkleidet. Es stand unvermittelt in dieser unattraktiven, von Teer, Papier und Papperesten verschmutzten Wüste und wurde über die Straße hinweg errichtet. Der Bogen wurde in meiner alten Libyenkarte wie eine Ortschaft als “Marbel Arch“ ausgewiesen. Er stand aber komplett isoliert in der Landschaft. Ganze vier Nomadenzelte waren zufällig und vorübergehend in seiner Nähe aufgebaut, als wir unter ihm durchfuhren. Wie ich später erfuhr, wurde der von den Italienern unter Benito Mussolini während der Kolonialzeit 1937 errichtete Bogen 1973 von Muammar al-Gaddafi als Monument der Repression wieder abgetragen. Als wir in die Nähe von Bengasi kamen, ließen wir uns an der südlichen Peripherie der Stadt bei einer Polizeistation absetzen. Hier fragten wir, ob wir daneben unser Zelt aufstellen dürften. Wir durften. Die Polizisten betonten, die Station sei rund um die Uhr besetzt, und sie boten uns auch an, dass wir die Nasszellen und Sanitäranlagen im Gebäude benutzen dürfen. Nach dem Zeltbau deponierten wir unser Gepäck im Zelt und gingen in die Stadt.

Dort fanden wir bald ein gutes Restaurant in Ufernähe mit Blick aufs Meer. Es war unsere Absicht, hier mit dem Geld des Muhafes gut zu speisen. Wir aßen gebratene Tauben mit Reis und einer delikaten Sauce, dazu gab es Gemüse und einen guten Juice. Am Ende bestellten wir uns Süßspeisen mit Tee. Als wir zahlen wollten, sagte uns der Ober, alles sei bereits von einem Herrn beglichen worden, der in einiger Entfernung an einem anderen Tisch speiste. Dieser würde sich aber sehr freuen, wenn wir noch etwas Zeit hätten, uns an seinen Tisch zu setzen.

Es war der Chefarchäologe von Bengasi. Als er feststellte, dass wir an Archäologie interessiert waren, lud er uns ein, mit ihm gemeinsam am nächsten Tag das archäologische Museum in Bengasi zu besuchen. Wir tranken an seinem Tisch noch einen gut gesüßten Tee. Alternativen zum Tee wären Kaffee oder andere nichtalkoholische Getränke gewesen. Das Alkoholverbot unter Gaddafi bereitete nach der diesbezüglich sehr liberalen Zeit unter den Italienern und auch noch unter dem König vielen Bürgern große Probleme. Das führte dazu, dass wir auf der gesamten Fahrt durch Libyen immer wieder von Personen in Hinterzimmer eingeladen wurden, wo sie vor allem des Alkohols wegen ihre Opposition zu Gaddafi dadurch zum Ausdruck brachten, dass sie dort ganze Lager von illegal gehortetem schottischem Whisky und auch von anderen harten alkoholischen Getränken anlegten. Zu deren Konsum wurden wir immer wieder herzlichst eingeladen. So tranken wir im “trockenen“ Libyen mehr Alkohol als sonst auf Reisen. Als wir am späteren Abend mehr als gesättigt und nach langen interessanten Gesprächen wieder zur Polizeistation zu unserem Zelt zurückkehrten, wurden wir fast vorwurfsvoll damit empfangen, dass sie ein gutes Kuskus für uns bereitet hätten und dieses schon das vierte Mal heiß machen mussten. Um dieses Nachtmahl führte nun kein Weg herum. Wir mussten noch ein weiteres Abendessen nachführen. Es schmeckte sehr gut. Die Folge war aber, dass wir einen viel zu vollen Magen hatten und in dieser Nacht schlecht schliefen.

Nach der Museumsbesichtigung mit dem Chefarchäologen mit vielen griechischen und römischen interessanten Objekten, die zum Teil auch aus dem antiken Bengasi stammen und dokumentieren, dass auch dieses Stadt bereits griechische Wurzeln hat, fuhren wir zunächst nach Osten weiter zu den Ruinen von Ptolemais, einer antiken Hafenstadt in der Nähe des heutigen Ad Dirsiyah, und dann weiter zu den ausgedehnten Ruinen von Cyrene bei Shahat und auch nach Appolonia, der zu Cyrene gehörigen antiken Hafenstadt beim heutigen Susah. Alle drei Städte wurden bereits von den Griechen gegründet, gehörten zu Magna Graecia und wurden später von den Römern übernommen.

Hellenistisches Grabmal aus dem 2.Jh. v. Chr. in Ptolemais.
Hellenistisches Grabmal aus dem 2.Jh. v. Chr. in Ptolemais., unter CC BY-SA 4.0
Die Ostbasilika von Ptolemais.
Die Ostbasilika von Ptolemais., unter CC BY-SA 4.0
Das Apollo Heiligtum von Cyrene.
Das Apollo Heiligtum von Cyrene., unter CC BY-SA 4.0
Die drei Grazien.
Die drei Grazien., unter CC BY-SA 4.0
Antike einzelne Sitzbäder in Cyrene, die inzwischen übermoost und bis heute noch feucht sind.
Antike einzelne Sitzbäder in Cyrene, die inzwischen übermoost und bis heute noch feucht sind., unter CC BY-SA 4.0
Mosaikrosette im Haus Jasons des Großen in Cyrene; dahinter das hellenistische Gymnasium mit Hermen-Dekor.
Mosaikrosette im Haus Jasons des Großen in Cyrene; dahinter das hellenistische Gymnasium mit Hermen-Dekor., unter CC BY-SA 4.0
Östlicher äußerer Portikus des hellenistischen Gymnasiums Caesareum in Cyrene.
Östlicher äußerer Portikus des hellenistischen Gymnasiums Caesareum in Cyrene., unter CC BY-SA 4.0
Der südliche und östliche innere Portikus des Caesareums.
Der südliche und östliche innere Portikus des Caesareums., unter CC BY-SA 4.0
Der Zeus-Tempel von Cyrene wurde teilweise 1971 wieder aufgestellt.
Der Zeus-Tempel von Cyrene wurde teilweise 1971 wieder aufgestellt., unter CC BY-SA 4.0

Die Lage von Cyrene ist besonders dadurch attraktiv, dass es auf Geländeterrassen mehr als 600 m hoch über dem Meer angelegt wurde und dadurch ein relativ gemäßigteres Klima hat, als die anderen römerzeitlichen Städte in Libyen. Außerdem gibt es in Cyrene Quellen, die sehr gutes Trinkwasser liefern. Das Wasser wird gerne von den Bewohnern von Bengasi am Wochenende von hier in große Container in Automobilen abgefüllt und in die Hafenstadt mitgenommen. Ein Highlight von Cyrene ist der Zeus-Tempel. Aber auch die immer noch feuchten Bäder der Stadt zeigen die gute Ausstattung der antiken Stadt. Auf dem Weg nach Apollonia sahen wir im Hang zahlreiche griechische aus dem Felsen modellierte Gräber. Der antike Hafen von Apollonia kann nur noch zu einem Teil besichtigt werden, da bei einem Erdbeben im Jahr 365 nach Christus ein großer Teil des Hafenbeckens mit vielen Bauten um den Hafen absank und vom Meer überflutet wurde.

Kapitell-Torso in Apollonia.
Kapitell-Torso in Apollonia., unter CC BY-SA 4.0
Kopf einer Skulptur vor dem Museum.
Kopf einer Skulptur vor dem Museum., unter CC BY-SA 4.0
Felsengräber in der nördlichen Nekropole von Cyrene.
Felsengräber in der nördlichen Nekropole von Cyrene., unter CC BY-SA 4.0
Das Innere eines Felsengrabes bei Cyrene mit Nischen.
Das Innere eines Felsengrabes bei Cyrene mit Nischen., unter CC BY-SA 4.0

Nach zwei Tagen waren wir wieder zurück in Bengasi, wo wir feststellten, dass die Fährverbindung nach Tunis 14 Tage vorher eingestellt worden war. Mit einem kleinen Bakschisch schmuggelten wir uns daher auf den Freihafen und gingen an Bord jedes der vor Anker liegenden Schiffe und sprachen mit Crew-Mitgliedern und dann auch mit den Kapitänen. Es ging darum, ob sie nach Sizilien oder Griechenland fahren, wann dies geschehen soll, ob sie uns mitnehmen würden und zu welchen Bedingungen.

Nach etlichen vergeblichen Versuchen war ein 800-Bruttoregister-Tonnen-Frachter mit Kapitän und sieben Mann Besatzung bereit, uns nach Europa mitzunehmen. Sie würden nach Kreta fahren, dort Ladung aufnehmen und diese dann nach Athen bringen. Wir mussten uns allerdings erst noch bei der Agentur melden, die Ausreisedokumente ausfüllen, gegenzeichnen lassen und unsere Überfahrt zahlen. Als ich zahlte, musste ich feststellen, dass wir immer noch mehr Geld im Portemonnaie hatten, als zum Zeitpunkt, als wir nach Libyen einreisten. Wir mussten nochmals gegen Bakschisch aus dem Hafen hinausgelangen und später wieder mit Gepäck hineinkommen. Der Frachter wollte am nächsten Tag am späten Abend ablegen. Als das Schiff knapp vor Mitternacht am nächsten Abend aus dem Hafen von Bengasi auslief, war es nicht beladen. Schon in der Nacht kam ein leichter Wind auf, der immer stärker wurde. In den frühen Morgenstunden schlug auch das gute Wetter um. Dunklen Wolken und viel Regen wurden vom immer stärker werden Wind über das Wasser getrieben. Das nicht beladene Schiff war bald ein heftig schwankender Schwimmkörper. Die immer höher werdenden Wellen brachten den Frachter zum stampfen und schlingern. Riesige Wellen schlugen auf das Deck und versuchten den Frachter umzudrehen. Annegrete nahm Travelgum und legte sich für den Rest der Schiffsfahrt flach ins Bett ihrer Kabine. Mir hingegen machte der Seegang keine Probleme. Ich hatte schon in frühester Jugend mehrfach testen können, dass mir Seegang in jeder Stärke nichts ausmachte. So genoss ich die Wellen, das rauhe Wetter und staunte darüber, dass alle Crew-Mitglieder bis auf den Kapitän nacheinander seekrank wurden und an der Reling hingen. Niemand wollte glauben, dass ich bei so einem Seegang keine Probleme hatte. Das Wetter wurde aber noch schlechter und der Wind wuchs zu einem ausgewachsenen Starksturm weiter an. Die Wellenberge und Wellentäler hatten bald enorme Dimensionen. Nun wurde auch der Kapitän seekrank. Der Koch, der trotz Angeschlagenheit und schlingernder Küche zu kochen versuchte, brachte nichts wirklich Essbares zustande und ich bedeutete ihm, dass er auf weitere Versuche für mich verzichten solle. Ich hatte noch Kekse im Gepäck.

Auf halber Strecke nach Kreta bekam das Schiff dann Order, als neue Destination die Insel Santorini anzusteuern. Nach etwas mehr als einem unruhigen Tag und einer unruhigen Nacht liefen wir früh morgens in den riesigen, abgesunkenen Krater von Santorini ein. Das Meer hatte sich inzwischen völlig beruhigt, der Wasserspiegel war glatt und der Himmel über uns klar. Über dem Wasser stand noch eine dünne, im Licht der aufgehenden Sonne leuchtende Nebelschicht. Dahinter stiegen die fast schwarzen Felsen der Insel Santorini steil auf. Wir fuhren an der malerischen Kulisse von Fira, der Hauptstadt ganz langsam, fast geräuschlos vorbei, um vor dem Ort Oia vor Anker zu gehen. Hier gab es eine große Förderanlage mit Fließbändern, die hoch über uns weit über das Wasser bis zu den Lastschiffen vorkragte. Der Kapitän sagte uns, er müsse hier Trass laden, einen Zuschlagstoff für wasserundurchlässigen Beton. Er brauche etwa 10 Stunden zum Aufnehmen der Ladung. Wir konnten ihn dazu überreden, ein Rettungsboot herunter zu lassen. Der jüngste Matrose ruderte uns ans Ufer.

Fira über dem Steilhang.
Fira über dem Steilhang., unter CC BY-SA 4.0
Das durch Erdbeben stark zerstörte und nur teilweise wieder aufgebaute und bewohnte Oia.
Das durch Erdbeben stark zerstörte und nur teilweise wieder aufgebaute und bewohnte Oia., unter CC BY-SA 4.0
Oia früh am Morgen.
Oia früh am Morgen., unter CC BY-SA 4.0

So betraten wir ohne Passkontrolle aus Libyen kommend griechischen Boden. Wir besichtigten zunächst eingehend Oia, einen Ort ganz im Norden von Santorini. Die Stadt liegt an einem weiteren der Steilhänge der Hauptinsel und war durch ein starkes Erdbeben 1956 stark zerstört worden. Eine freundlich Person in Oia wechselte uns glücklicherweise einige Dollar in griechische Drachmen. Wir konnten nun mit einem Bus in die Hauptstadt Fira fahren. Von hier aus hat man einen prächtigen Blick auf den zentralen Krater und das gesamte Ensemble von Inseln, die den großen abgesunkenen Krater formen. Erst am späteren Nachmittag fuhren wir wieder nach Oia zurück und machten uns durch lautes Klatschen, Klacken und Pfeifen bemerkbar. Der Boy kam wieder mit dem Rettungsboot und holte uns zurück auf den Frachter.

Nun erfuhren wir, dass sich auch der nächste Zielhafen geändert hatte. Wir würden also nicht mehr Athen anfahren, sondern nun mit der Fracht nach Volos weiter im Norden von Griechenland gelangen. Das kam uns sehr entgegen, da wir damit Strecke nach Graz einsparten. Von Volos nahmen wir den Zug und erreichten so schon nach zwei weiteren Tagen Graz.