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Ein historischer Roman für die Zeit von 1840 bis 1871#

Buchbespechung von Christa Chorherr, 2. Oktober 2018

Es ist ein – für mich – interessanter historischer Roman: von Richard Dübell, „Der Jahrhundertsturm“. Warum? Es geht um die Periode von 1840 bis 1871. Über den Anfang dieser Periode geht es auch in unserem „Gedenkjahr“: 1848. Dieses Buch zeigt aber die preußische Sicht auf die Periode, z.B. einschließlich Königgrätz.

Zuerst einmal: das Buch ist ein Roman mit fiktiven Hautpersonen, aber in historischem Kontext. Faszinierend für mich die Darstellung der Person Otto von Bismarck, der sich in diesem Roman ein Freund (und Helfer) der Protagonisten erweist und in verschiedenen Rollen dargestellt wird. Jedenfalls steht er im Mittelpunkt der Reichsgründung.

Nun gibt es dennoch Ähnlichkeiten zu den Entwicklungen in Berlin zu den Vorkommnissen in Wien. Besonders bei den Aufständen 1848, was dazu geführt hat, wie sie abgelaufen sind, welche Erfolge sie (nicht) gebracht haben. In vielen Regionen Europas hatten sich soziale, wirtschaftliche und politische Spannungen aufgebaut, die sich ab Anfang 1848 gewaltsam entluden. Von der revolutionären Bewegung wurden einerseits Regionen erfasst, die sich wie Frankreich, die Staaten des Deutschen Bundes und Oberitalien bereits im Übergang zur Industrialisierung befanden, doch andererseits auch solche, wie etwa Süditalien und weite Teile der Habsburgermonarchie, die noch rein agrarisch strukturiert waren. Diese Revolutionen waren ein Ausdruck der verzögerten Modernisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Herrschaftssystem.

In diesem Buch wird in großem Detail das Verhalten der „preußischen Junker“ beschrieben. Die Bauern waren keine Leibeigenen mehr, denn im Königreich Preußen war die Erbhörigkeit, Erbunterthänigkeit und Leibeigenschaft nach jahrzehntelanger stufenweiser Beseitigung erst 1807 durch Erlass des Königs im Zuge der Preußischen Reformen (Oktoberedikt) mit Wirkung zum Martinstag 1810 endgültig abgeschafft worden. Dennoch verhielten sich viel der Großgrundeigentümer noch immer so, als wären die Bauern ihre Untertanen. Dazu kam, dass es in dieser Zeit erhebliche Missernten gab, eine Folge der sich über Europa ausbreitenden Kartoffelfäule – und die nachfolgenden Hunger- und Teuerungskrisen der Jahre 1845 und 1846, die im Jahr 1847 ihren Höhepunkt erreichten. Es gab Hungertumulte und eine gewaltig ansteigende Auswanderungswelle in der zweiten Hälfte der 1840er Jahre. Es verloren aber auch Juncker ihre Güter, da diese – trotz schlechter Behandlung der Bauern, keine Gewinne mehr abwarfen.

Aber nicht nur Bauern waren Teil dieser Unruhen sowohl in Deutschland als auch in Österreich: Die Industrialisierung hatte begonnen, und manche Berufe, die auf handwerklicher Basis ihre Produkte hergestellt hatten waren plötzlich nicht mehr konkurrenzfähig und verloren ihre Lebensgrundlage. Das begünstigte die beginnende Proletarisierung der Großstädte sowie weiter Teile der ländlichen Gebiete. Die alte Ständeordnung brach endgültig zusammen. Diese Krise äußerte sich in Maschinenstürmerei, Judenverfolgungen oder Forderungen nach Zunftschutz des Handwerks vor der Konkurrenz des Kapitals. Die Bewegung von 1848 – zusammen mit der Bauernrevolte oft als Basisrevolution bezeichnet – war ihrem Wesen nach zwiespältig: Sie äußerte sich sowohl als Abwehrkrise gegenüber den direkten Erscheinungsformen der Frühindustrialisierung wie auch als Emanzipationskampf der politisch einflusslosen Bevölkerungsschichten. Im April 1848 kam es zu einer Streikwelle in deutschen Städten.

Dem Bürgertum und den Studenten aber ging es um rechtsstaatliche Aspekte, man war der absoluten Monarchien leid, überall entwickelten sich innere politische Kämpfe zum Streit um eine neue Ordnung auf der Basis einer geschriebenen Verfassungsurkunde. Es ging um Grundrechte: besonders Presse- und Versammlungsfreiheit, Geschworenengerichte, Volksbewaffnung – in ganz unterschiedlichem Sinn – und Wahlen zu einem nationalen Parlament.

Man ging auf die Barrikaden: und das Militär rückte aus und schoss erbarmungslos auf die Demonstranten, die teilweise sogar noch Kinder waren, auch Frauen hatten sich aktiv an diesen Aufständen beteiligt und hatten mit ihrem Leben bezahlt.

Viel ist in dem Buch über die Eisenbahnentwicklung die Rede, mir gefiel besonders eine der ursprünglichen Ideen: das europäische Eisenbahnnetz – (manche planten a unterschiedliche Spurweiten). Aber dazu kam es dann doch (noch) nicht: denn man wollte primär damit Truppen und Kriegsmaterial von A nach B bringen können. Auch die Telegraphie – die damals eingesetzt wurde, diente primär militärische Zwecken, man musste innerhalb einer Schlacht nicht mehr Meldereiter verwenden um Truppenteile umzugruppieren.

Die Schlacht von Königgrätz – aus preußischer Sicht war einigermaßen neu für mich, aber nicht minder beklemmend. Ich hatte für die Ursache der Niederlage des Habsburgerreiches die veralteten Gewehre im Hinterkopf, aber hier scheint die bessere Organisation des Heers eher zum Tragen gekommen zu sein. Und die Schlacht stand lange auf des Messers Schneide und hätte leicht auch anders ausgehen können (diesbezügliche Gedanken sind aber nun wirklich müßig)

Auch der so genannte Gründerkrach ist aus Sicht einer Betroffenen dargestellt: das war der Börsenkrach des Jahres 1873, wobei im Speziellen der Einbruch der Finanzmärkte gemeint ist. Auch dieser Krach ist von den USA ausgegangen. Er beendete die erste Gründerzeit, vorausgegangen war eine Überhitzung der Konjunktur, die von verschiedenen Faktoren begünstigt worden war – in Deutschland vor allem durch den gewonnenen Krieg 1870/1871 gegen Frankreich, die daraus erworbenen Reparationszahlungen Frankreichs und die Reichsgründung.

Das Buch umfasst nicht nur Preußen sondern auch Bayern, und vor allem Frankreich, da eine der Hauptpersonen aus Paris stammt. Ihre Abstammung beeinträchtigt ihr Leben in Berlin – besonders in Kriegszeiten – außerordentlich. Aber sie findet – mit Rückschlägen einen Ausweg: und damit kommt ein neuer Aspekt dieser Zeit ins Bild: die Versorgung der verwundeten Soldaten und die Ideen von Henry Dunant. In Paris spielt eher die Unterwelt die große Rolle, neben – natürlich dem König, Napoleon III. Marx wird nur kurz erwähnt, aber Alfred Nobel tritt ebenfalls in diesem Buch auf.

Ich habe das spannende Buch mit Vergnügen gelesen und glaube auch vieles daraus gelernt zu haben. Was kann man sich von einer Lektüre denn mehr erwarten.