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Jüdische Gedanken zur Kristallnacht#

Auch wenn die Feinde der Juden es oft auf die Bethäuser abgesehen hatten: Das Beten konnte nicht verboten werden. Religiös-jüdische Reflexionen. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 31. Oktober 2013)

Von

Th. Leithner


Foto: © Wiener Library
Foto: © Wiener Library

Das Zerstören und Verbrennen der jüdischen Bethäuser in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, in der sogenannten „Kristallnacht“, war einzigartig in seinen Dimensionen. Der Zerstörung und Verbrennung entging in Österreich nur das private Bethaus der Wertheimer in Eisenstadt, es war den Nazis wohl nicht bekannt. Dem Verbrennen, jedoch nicht der Verwüstung, entging in Wien der Stadttempel. Die Feuerwehr konnte nicht garantieren, wegen der Bauweise dort, dass das Feuer nicht auf die Nachbarhäuser übergreift. Ob Kaiser Franz an diese Möglichkeit gedacht hat, als er die damalige Bauordnung bestimmte? Kaum. Übrigens, „spontan“ nannte man damals die Ereignisse jener Nacht.

Es war nicht das erste Mal, dass versucht wurde, das Judentum moralisch in die Knie zu zwingen. Wiederholt begegnet man in der Geschichte solchen Zerstörungen, unter Christen wie unter Muslimen. Mitunter wurden jüdische Bethäuser konfisziert und in Kirchen oder Moscheen umgewandelt. Im zweiten Wiener Gemeindebezirk befindet sich eine Kirche, die auf den Grundmauern des jüdischen zentralen Bethauses von vor der Vertreibung 1670, steht. Die Umwandlung in ein Bethaus einer anderen Religion ist bestimmt schwerer zu ertragen. Aber auch das hat das Judentum überwunden.

Nach der Zerstörung der Tempel #

Die Zerstörung der Tempel in Jerusalem, besonders die Zerstörung des zweiten Tempels, stellte das Judentum vor fast unlösbare Probleme. Der Gottesdienst konnte in seiner gewohnten Form nicht mehr durchgeführt werden. Vor der Errichtung des ersten, des salomonischen Tempels in Jerusalem durfte man auch „in der Provinz“ Opfer bringen. Mit dem Bau des Tempels war das Opfern „woanders“ nicht mehr gestattet. Der Tempel zerstört, die Stadt den Juden verboten – wie sollte es weitergehen? Wie könnte das Judentum in seiner spezifischen Form weiter bestehen?

Die Rabbinen zeigten sich der Situation gewachsen. Die Gemeindezentren, die wahrscheinlich bereits im Babylonischen Exil entstanden sind, dienten als Versammlungshäuser, in denen gebetet und gelernt wurde. Der Gottesdienst ist auf Basis der Gebete, die im Tempel rezitiert wurden, neu organisiert und gestaltet worden. Die schlimmsten Klippen waren umschifft, das Judentum war zwar schwer getroffen aber nicht zerstört, auch nicht gebrochen. Im Gegenteil, es ist ihm eine Neuordnung gegeben worden, die das Überdauern und Überwinden solcher Katastrophen sicherte.

Das Bethaus ist fortan zum geistig- religiösen Zentrum der Gemeinde geworden. Die Vorderfront des Betraumes, in dessen Mitte der Tora-Schrein untergebracht ist, ist gen Jerusalem gerichtet. Das Almemor, der erhöhte Platz, wo die Tora vorgelesen wird, befindet sich weiter im Inneren des Raumes (ca. ein Drittel), eine Einteilung, die an den Tempel zu Jerusalem erinnert. Daher auch die Bezeichnung Klein-Heiligtum. Die Bethäuser beherbergten mitunter bedeutende Wertgegenstände. Das höchste Gut eines Bethauses ist der Bestand seiner Tora-Rollen. Diese handgeschriebenen Rollen sind auch der Stolz des Hauses. Ihre samtenen Umhänge, Mäntel genannt, sowie die silbernen Schilder und Kronen sind ein Zeugnis dafür, dass man bei der Ausstattung keine Kosten scheute. Das Bethaus diente und dient auch heute noch als Lehrhaus, daher befindet sich dort abgesehen von Gebetbüchern, meistens auch eine beträchtliche Anzahl von Lehrbüchern wie die Tora mit Kommentaren und Talmud-Folianten.

Offiziell ging es gegen die Religion #

Die Feinde der Juden haben es oft auf das Bethaus abgesehen. Fast drei Jahrtausende waren es offiziell nicht die Juden, die man hasste und negierte, sie konnten konvertieren, sondern die jüdische Religion. Durch die Zerstörung von Bethäusern, bzw. deren Verwandlung in Kirchen und Moscheen, wollte man das Judentum treffen, den Juden vor Augen halten, dass die Staatsreligion die erhabenere ist, und nur sie sollte vor Ort bestehen. Bekanntlich haben solche Maßnahmen sowie Unruhen, Angriffe und Raubzüge im Judenviertel nur verhältnismäßig Wenige dazu gebracht, das Judentum hinter sich zu lassen und ihr Heil in einer anderen Religion zu suchen.

Ganz anders unter den Nationalsozialisten. Sie wollten die Juden physisch vernichten, womit auch alles andere, was mit Judentum verbunden, „erledigt“ sein wird. An das Judentum soll ein Museum erinnern, ein Museum für eine „verschwundene Kultur“. Dazu wurden wertvolle Gegenstände der Bethäuser von überall in Europa nach Prag gebracht, wo dieses Museum entstehen sollte. Diese große Sammlung ist in den großen Bethäusern in der „Josefa“ in Prag zu sehen. Die Pogromnacht, Kristallnacht genannt, Anfang November 1938, die rein spontan „organisiert“ wurde, hatte den Zweck, die Juden zur verstärkten Auswanderung aus den Ländern des Deutschen Reiches zu treiben. Hätten andere Länder ihre Tore diesen Verfolgten geöffnet, wären viele gegangen. Die Schwierigkeiten, ein Aufnahmeland zu finden, sind reichlich bekannt.

Die Kristallnacht war nur eine Etappe für die Nazi-Schergen. Nach und nach brannten in Europa noch viele Synagogen, andere wurden „nur“ zerstört oder anderen Zwecken zugeführt. Genüsslich berichtete so manch ein arischer Zuschauer, wie die Juden weinend zuschauen mussten, wie ihre Tora-Rollen, Gebetbücher, Talmudfolianten u.a.m. auf die Straße geworfen und den Flammen preisgegeben wurden.

Gesinnung bestimmt das Bethaus #

In Lublin sollen es so viele gewesen sein, dass das Feuer über 30 Stunden brannte. Der Schock, solches erleben zu müssen, war nicht gering, die Trauer groß, die Verzweiflung – fürs erste vielleicht auch lähmend. Zudem muss man bedenken, dass keine Versammlungen gestattet waren. Eine Betgemeinschaft, also zehn erwachsene Männer, galt als Versammlung und war verboten. Das Beten konnte jedoch nicht unterdrückt werden. Wo zehn Männer sich versammelten, wurde in Gemeinschaft gebetet, in Kellern, auf Dachböden, in von draußen nicht einsehbaren Räumen, flüsternd, leise, aber in Gemeinschaft. Auch nach dem Krieg, als es noch keine restaurierten Bethäuser gab, mietete man eine Wohnung oder betete im Wohnzimmer eines der Mitglieder. Nicht die Wände bestimmen das Bethaus, sondern die Gesinnung der Betenden. Nicht das Materielle, das vergänglich ist, bestimmt das Judentum, sondern die Gesinnung, das Immaterielle.

DIE FURCHE, Donnerstag, 31. Oktober 2013


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